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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Summe seit der letzten Abrechnung ihm die vielen armen Be= werber zu entwinden vermocht hatten.

" Wahrhaftig, das ist einer, der aufzupassen weiß auf die Sachen. Er ist akkurat der Vorsteher, wie er nur sein soll!" konnte man die Spitzen des Sprengels oft bei den Zusammenfünften vor der Kirche oder anderwärts äußern hören.

Jeden fleinen Beitrag mußten die Bedürftigen sich sozusagen mit Blut und Tränen erkaufen. Wie oft hatte Per Kätnerweiber, die die größte Not litten, schluchzend aus dem Tor treten sehen, während Hans Nielsen   da drinnen hinter den Fenstern auf und ab ging und sich lachend die langen Hände rieb bei dem Gedanken, abermals einen Ansucher aus dem Felde geschlagen und die teure " Freie" ganz und ungeschmälert bewahrt zu haben.

Darum richtete er nun seine Schultheißenaugen scharf auf Line und sagte:

" Ja, vorklagen könnt ihr einem alle, eins wie's andre; aber wo glaubt ihr soll das Geld herkommen? Geht vielleicht einer von euch hin und füllt die Kasse an, wenn man dasteht und alles leer ist? Aber so geht's allemal, wenn ihr was von einem wollt, da wißt ihr einen gleich zu finden, sonst kann man den Teufel was von euch haben."

Nun rückte Per abermals ins Feld: Soviel ich die Line ver­standen hab', ist's nicht deine Person, die sie um was angeht. Dazu ist sie wohl zu flug; aber um einen kleinen Beitrag aus der freien Armentasse sucht sie an, die ja, soviel ich weiß, eine öffent­liche Einrichtung ist. Und wer's weiß, in was für einer Verfas­jung die Familie jetzt ist, wird einsehen, daß sie wie nicht bald einer' nen Anspruch hat, wenn's nach dem Rechten geht."

Mit Mühe bezwang der Gemeindevorsteher seine Heftigkeit, in­dem er erwiderte:

..Möchtest du auch in der Sache dein Wort dazu tun, Gevatter? Wer einen Anspruch hat und wer nicht, das bestimme ich! Übrigens ist's nicht mein Brauch, Gemeinderatssitzung in der Leutestube zu halten und mit Knechten Verhandlung zu führen."

Mit diesen Worten reckte sich Hans Nielsen   drei Ellen lang in die Höhe und schritt aus der Stube. In der Tür drehte er sich um, und indem er noch einmal seinen roten Backenbart leuchten ließ, sagte er zu Per gewendet:

" Sei so gut und bemüh dich hinein zu mir, bevor du dich nieder­legit."

Die Kartoffelgräber, die stumme Zeugen des Wortwechsels zwi schen Herrn und Knecht gewesen, polterten nun zu der Gangtür hinaus. Mit schweren Schritten suchte jeder auf den durchweichten Wegen im Dunkel das Licht seiner Hütte auf. Franz Dangaard ging mit gekrümmtem Rüden über Hans Nielsens dunklen Hof­raum, löste die Haspe   der Echeunentür und vergrub sich unter dem wüsten Anschlagen des Kettenhundes in sein ungebettetes Lager von Stroh.

Die weinende Line wollte noch hinein und Dorre adieu sagen, so daß sie mit unter den letzten war.

Ach, komm einen Augenblick zu mir her, Line," rief Per, als sie dem Ausgang zuwankte.

Line kam näher und sah Per in einem alten Lederbeutel wühlen. " Da du von meinem Brotherrn nichts gekriegt hast, möchtest du das von mir nehmen?" sagte er und schob ihr langsam einen Zehn­fronenschein über den Tisch hin. Viel mehr hab' ich selber nicht, aber ich hab' doch, Gott sei Dant, noch meine graden Glieder." Aber Jeses, Per! Der himmlische Vater mag dir's lohnen, aber wie kannst du es nur entbehren?"

"

" Freilich geht's schwer, der Anders mag mir's zurückgeben, so­wie er einmal so weit ist, daß er wieder schaffen kann. Aber ich mein', wir fleinen Leute müssen eins dem anderen aushelfen, so­lang wir können; denn auf anderm Weg bekommen wir keine Hilfe."

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Jens Laanum hatte selbst während der bewegtesten Auftritte des Abends seine unerschütterliche Ruhe bewahrt. Während die Stimmen um ihn lärmten, hatte er scheinbar nur Sinn für den regelmäßigen Gang der Uhr. Wie er nun dasaß, das Werk hoch in der linken Hand haltend, während die rechte prüfend an dem Ge­wichtstrang zog und er mit zurückgeworfenem Scheitel den heller gewordenen Schlägen lauschte, glich er einem mittelalterlichen Weisen oder dem Bilde des Nikolaus Kopernikus   mit dem Him­melsglobus.

Die Galopp- Sofie war als eine der ersten hinausgegangen; nun tehrte sie wieder in die Stube zurück und belferte ihren Mann an. " Möchtest dich nicht aufs Fortgehen besinnen? Ist es dir' leicht lieber, wenn ein jedes allein den Weg ins Stockfinstere hinaus­stolpert?"

Nr. 3

Jens stellte die Uhr in den Bankwinkel weg, schlang den Ranzen riemen über die Achsel und erhob sich.

Bevor er die Stube verließ, ging er zu dem Plak hin, wo Per saß, schüttelte ihm kräftig die Hand und sagte mit vertraulichem Nicken:

Gute Nacht, Per! Jebt hab' ich gesehen, daß du einer von mei nen Leuten bist."

Per sah ihm verwundert nach.

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Als die Stube leer. geworden war, ging Per ins Schlafzimmer zu Hans Nielsen   hinein. Der saß mitten in einem Gewirr von Zirkularen, Bekanntmachungen, langen blauen Kuverts und dicken, fettigen Protokollen mit abgestoßenen Ecken und den Ab­brücken ungewaschener Hände.

Hans Nielsen   war eifrig damit beschäftigt, in einer kleinen Ge­sezessammlung zu blättern, die in schmutzig- gelbem Umschlag vor ihm lag. Als er Pers ansichtig wurde, räusperte er sich und sagte furz:" Du hast deine Kündigung vom 1. November."

" So- o!" erwiderte Per. Da gibst du mir aber eine kurze Frist, Hans Nielsen  ! Ist das auch ganz, wie sich's gehört?"

" Hab mir's gedacht, daß du das sagen wirst; aber die Frist ist mehr als lang genug für dich," bemerkte Nielsen, denn ich könnte dich heute abend noch vom Hofe jagen, wenn ich wollte. Und das wäre nur dein verdienter Lohn gewesen. Willst du's hier schwarz auf weiß sehen? Das sind hier nämlich die Worte des Ge- se- zes, wonach ein jeder sich zu richten hat." Hans Nielsen   schlug mit dem Handrücken auf das vor ihm liegende fettige Heft:

,, Willst du dich selbst überzeugen, ob ich dir nicht was vorlüge oder vorschwaze, so komm nur her, mein Bester. Was steht da? Paragraph 47, vierter Absatz von untenauf: Wann Dienst- boten ohne Kündigung entlassen werden kön nen: Wenn sie sich Handgreiflichkeiten oder grobe beleidigende Außerungen gestatten gegen den Dienstherrn, seine Familie oder irgend usw. Wünschst du noch klarere Bescheinigung?" fragte Hans Nielsen  .

" Ja, es wäre nicht ohne, wenn du mir eine Aufklärung geben tätst, auf was für eine Art ich Handgreiflichkeiten gegen dich an­gewendet hab'," erwiderte Per.

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" Nein, so weit bist du noch nicht gekommen; obgleich dir's am Willen dazu wahrscheinlich nicht gefehlt hat! Aber, großschnäuziger Prot'! Du hast dir vielleicht eingebildet, ich tät's nicht hören, aber mir fehlt nichts am Gehör. Hast es auch recht vernehmlich, ganz schön laut gesagt. So was laß ich mir nicht gefallen von Dienst­leuten, jest weißt du's! Dann hast du auch ohne mich erst um Erlaubnis zu fragen angefangen, das leidige Arbeiterblatt ein­zuführen, das jetzt hier in der Gegend in Schwang kommt. Solche Burschen aber, die kann ich auf meinem Hof nicht brauchen." " Hab' ich nicht das Recht, mir ein Blatt zu halten, wenn ich's mit meinem eigenen Geld bezahl? Kannst du mir nicht auch den Paragraphen zeigen?" versette Per aufgebracht.

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Hans Nielsen   machte mit seiner langen, sommersprossigen Hand eine abwehrende eine blaue Krone war darauf tätowiert Bewegung und sagte: Ich hab' ausgeredet mit dir über die Sache; du hast den Paragraphen gesehen, und auf Grund dessen bleibt's Und dabei, was ich sage: am 1. November kannst du gehen! morgen fährst du mit den Braunen zum Schmied!"

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Auf seinem Wege zur Stallkammer fam Ber am Brunnentrog vorbei und hörte nun im Finstern Dorres   schwere Holzschuhtritte vor der Waschküchentür. Nach einem sechzehnstündigen Arbeitstag war sie noch nicht fertig, sondern ging immer noch umher und rumorte mit Milchkübel und Schweinefutter. Per ging langsam auf sie zu und sagte: " Zum 1. November soll ich fort."

Es gab Dorre einen Stich in die Seite. Aber wie kann das nur sein?"

Es ist mir heut abend aufgesagt worden."

" Dann mag ich auch nicht länger da sein," erklärte Dorre. Aber haft du dich nicht auch schon fürs nächste Jahr verdungen?" Bei diesen Worten war ihr, als ob der Nummer sich mit schwe­ren Schatten auf sie herabsentte.

,, Das halt ich nicht aus!" flagte sie und ging schluchzend in ihre Kammer unter der Treppe. Hier stand sie lange halb ausgekleidet mit einem Docht in der einen und einer Photographie von Per im Soldatenrock in der anderen Hand, wobei ihr die Tränen um die Wette über die groben, grauen Wangen liefen.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betkin( Bundel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bei Stuttgart  .

Druck und Berlag von J. 8. W. Die Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart  .