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Für unsere Mütter und Hausfrauen
das Pflaster rechts und links mit ihrem bescheidenen Graugrün einzuhüllen. Zwischen den Steinen wagt sich sogar hier und da ein Grashalm ans Licht. Wo aber die vielen gehen, da grünt kein Moos und lebt kein Halm. Eine Rinne haben die vielen Füße in den harten Stein geschlagen, und durch diese Rinne ergießt sich jeden Morgen aufs neue hoffnungslose Verzweiflung, wilder Troß, wehes Hoffen, müdes Entsagen. Es wandert mit den vielen, einen Tag wie den andern, ein Jahr wie das andere, immer rundum, immer rundum....
Zwölf Steine sind in einer Ecke des Hofes in den Boden einge= lassen, je zwei und zwei, in zwei Reihen. Sie bilden das Fundament der Guillotine. In diesem Winkel des Hofes wird das Blutgerüst aufgeschlagen. Auf einem der Steine hockt eine langbeinige Spinne, regungslos, und wartet.... Der Weg führt dran vorbei, immer rundum....
Nachtgedanken.
Durchs Fenstergitter kriecht die Nacht. Die Buchstaben verschwimmen mir vor den Augen. Ein gelblich- weißer Fleck leuchtet das aufgeschlagene Buch durch die Dämmerung. Ein merkwürdiges Buch, dem kein zweites gleicht. Wieviel Licht und Segen ist von seinen Seiten ausgegangen, aber auch wieviel Haß, Blut und Tränen. Aus jahrtausendealter Vorzeit gibt das Buch Kunde, das cine Mal im Gewand blühender orientalischer Dichtung, das andere Mal in kurzen straffen Zügen, und doch voll Blut und Leben. Die Gebeine der Menschen, die damals gelitten, geliebt und gehaßt haben, sind längst verdorrt. Vielhundertmal mag die ewige Natur ihren Staub zum Bau neuer Geschöpfe verwendet haben, die sich gleichfalls wieder des goldenen Lichtes freuten, liebten, haßten und litten, um wieder zu Staub zu werden, ein Blühen und Verwelken ohne Anfang und ohne Ende. Aber der Geist der Menschen, von denen das Buch berichtet, ist nicht gestorben; er lebt in den schwarzen Schriftzeilen ein ewiges Leben....
Wie verstand man doch damals zu hassen, mitleidslos, vernich tend wie der glühend heiße Wüstenwind:" So zeuch nun hin und schlage die Amalekiter, und verbrenne sie mit allem, das sie haben. Schone ihrer nicht, sondern töte beide, Mann und Weib, Kinder und Säuglinge, Ochsen und Schafe, Kamele und Esel." So befiehlt der Rachegott dieses Volkes dem König Saul. Tod und Vernichtung auch dem Kind im Mutterleibe- das ist religiöse Pflicht.
Wie der Haß, so auch die Liebe. Wie glutet das Hohelied Salo mos in schwüler Sinnlichkeit und morgenländischer Farbenpracht. Und dann in grellem übergang der fühle, messerscharfe Verstand, der hoffnungslose Pessimismus, in falter, funkelnder Pracht wie die ewigen Sterne am Wüstenhimmel um Mitternacht:„ Es ist alles ganz eite!!... Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller.... Was ist's, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist's, das man getan hat? Eben das man hernach wieder tun wird; und geschieht nichts Neues unter der Sonne .... Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt er auch, und haben alle einerlei Odem; und der Mensch hat nichts mehr denn das Vieh. Denn es ist alles eitel. Es fährt alles an einen Ort; es ist alles von Staub gemacht und wird wieder zu Staub."
So spricht der mächtigste und weiseste König Israels , dessen Ruhmt das Morgenland füllt. Vor dem Throne aus Ebenholz und Gold knien vornehme Fremdlinge aus fernen Landen. Kostbare Geschenke in silbernen und goldenen Schalen recken sie empor, um dafür Weisheit einzutauschen aus dem Munde des Weisesten, den ein Weib gebar. Müde und gleichgültig gleitet der Blick des königlichen Greises auf dem Thron über die gebeugten Rücken seiner Sklaven, über die bewaffneten Hüter am Thron, die starr und unbeweglich gleich Bildsäulen verharren, über die Fremdlinge aus fernen Landen. Auf den Kostbarkeiten in den silbernen und goldenen Gefäßen bleibt sein Auge ein wenig haften; kaum merkbar umzuckt ein leichtes Spottlächeln den schmalen Greisenmund:„ Es ist alles ganz eitel... es ist alles von Staub gemacht und wird wieder zu Staub...."
Müde sinkt das Haupt des Königs mit der schweren goldenen Krone auf die Brust... der Herrscherstab entgleitet sacht den ringgeschmückten Greisenfingern... stille ist es in der weiten KönigsHalle... der Flügel des Todes rauscht vorüber... Staub zu Staub....
Tausend Jahre sind ins Meer der Ewigkeit gesunken. Ein ander Bild ringt sich aus den Schriftzeichen des Buches vor mir los, nimmt Farbe und Gestalt an. Auf blühender Aue ein Greis, faſt neunzigjährig. Ein Baumstumpf sein Thron, der Hirtenstab sein
Nr. 6
Zepter. Friede wohnt auf der hohen Stirne unter dem wallenden Silberhaar. Um den Mund spielt ein gütiges Kinderlächeln. Die Augen aber blicken tot und starr, sie sehen nicht die Blumenpracht zu Füßen, nicht das goldige Sonnenlicht und das silberschimmernde Meer, dessen Wellen sich plätschernd am Ufer brechen. Und doch sind diese Augen nicht tot; ein inneres Licht glüht in den großen dunkelblauen Augensternen, als blickten sie weit, weit in ein fernes dunkles Land voll süßer und schauriger Geheimnisse.
Kinder spielen zu Füßen des Alten; ein kleines Mädchen rect sich auf die Zehenspitzen, um das Haupt mit dem Silberhaar mit einem Kranz duftender Frühlingsblumen zu krönen. Ein Knabe, ans Knie des Greises geschmiegt, bittet:„ Vater Johannes, du bist mit dem Herrn unter Menschen gewandelt; erzähle uns...." Daz kindlich frohe Lächeln um den Greisenmund vertieft sich noch. Einen Augenblick scheinen die toten Augen tief in die Vergangenheit zu tauchen. Dann erzählt der Greis von den seligen Tagen am See Genezareth , von den wonnigen Wanderfahrten durch die wogenden Kornfelder Galiläas, vom Heißen Streit mit den Schriftgelehrten und Pharisäern, und dann vom bitteren Leiden und Sterben am Kreuz, dem Galgen für Mörder und Empörer.„ Von allen Jüngern weiß ich allein, wie schwer dem Meister das Sterben geworden ist; alle anderen standen von weitem, denn sie fürchteten sich vor den Juden und Kriegsleuten, vor der Schmach und dem Hohn. Ich aber sah seine Hände bluten und sein Herz zucken. Ich sah aber auch, daß nicht die Dornenkrone auf seinem Haupt und die zerfetzten Hände am verfluchten Holz ihm den größten Schmerz bereiteten. Nein, Kinderlein, sein Auge verriet die Qual, die Menschen könnten der Liebe vergessen, die er allen Armen und Elenden gebracht hat. Die Menschen könnten troß seinem qualvollen Tod vergessen, daß sie alle Brüder und Schwestern sind, so weit der Himmel blaut und der Wind weht. Er fürchtete, alle die Armen und Elenden könnten sich wieder hassen und morden, wie sie das vordem ge tan haben. Dann wäre sein Leben und Sterben umsonst gewesen, dann müßte er am Kreuz hängen von Ewigkeit zu Ewigkeit, bis Himmel und Erde vergehen...."
Segnend ruht die Greisenhand auf dem lockigen Scheitel des Knaben.„ Das ist die Botschaft, die ihr gehört habt von Anfang, daß wir uns untereinander lieben sollen. Nicht wie Kain, der von dem Argen war und erwürgte seinen Bruder. Kindlein, liebet euch untereinander!"
Fern am Horizont, hat sich schwarzblaues Gewölf zusammen. gezogen. Ein fahler Schein huscht von Zeit zu Zeit über Meer und Wald und Wiese, hinterm Wald grollt es leise. Wolfenfeßen reißen sich von der blauschwarzen Wand überm Wasser los, ballen sich wieder zusammen, strecken und formen sich zu phantastischen Ungeheuern in stets wechselnder Gestalt. Auf dem Rücken des Sturmwinds kommen sie angerast, mit den schäumenden und brausenden Wellen rennen sie um die Wette. Jezt faßt der Sturm den Wald; es heult und pfeift und stöhnt, krachend splittern Ast und Stamm....
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Die Kinderschar drängt sich ängstlich um den Greis:„ Komm, Vater Johannes, komm heim!" Der Alte steht aufrecht, die toten Augen starr in die Ferne gerichtet. Ha, Meister, bist du es? Soll ich dich wiederkehren sehen in Kraft und Herrlichkeit, wie du mir die Reiter auf schwarversprochen hast? Meister...! Ha, dort zem, auf rotem, auf fahlem Roß! Euch höllische Geister kenne ich! Wehe dir, Welt, dort reiten sie, der Haß, der Brudermord, der Hunger, die Best...! Nun, Erde, speie aus, was du an Unreinem birgst. Menschen! Menschen! Menschen, Haß im Auge, Mord im Hirn! Ha, wie fie rasen! So mordet euch denn, mordet euch, daß die Acer dampfen von Menschenblut und der Rauch der Verwesung bie Sonne verdunkelt! Menschen, dafür also starb der Meister?- Seht dort, der Himmel spaltet sich seht das Kreuz, es streckt seine Arme bis an der Welt Ende- und dort angenagelt der Meister- wie das Blut aus den Wunden quillt, wie es zur Erde niedertropft immer noch, ewig am Kreuz ewig....!"
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Aus quälendem Traume fahre ich auf. Am Tisch über dem Buch war ich eingeschlummert. Nun liegt das Buch zur Seite auf dem Boden der Gefängniszelle. Durch die Nacht dringt der Lärm des Bapfenstreichs, eine kriegerische Weise, das Geschrei des Volkes. Dann beginnen auch die Glocken der christlichen Kirchen zu tönen F.W. und zu jubeln: Sieg! Sieg!
Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart .
Drud und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart .
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