Nr. 8

Für unsere Mütter und Hausfrauen

Echneehaufen, und in der leichtesten Kleidung trieben wir unsere winterlichen Kinderbelustigungen unbekümmert um das drohende Gespenst der Erkältung und das noch drohendere des mütterlichen Zornes. Und wir hatten auch einen Erfolg. Wenn wir heimwärts zogen, wieder mehr oder weniger sorgsam vermummt- wir sparten das zumeist bis an die letzte Straßenecke auf-, waren wir ebenso schön durchwärmt und durchschwißt, als hätten wir die Kleidung gar nicht abgetan gehabt Ob es unsere Eltern wohl in der Jugend anders getrieben haben mochten? Wir hatten aber noch einen zweiten Erfolg. Wir lernten uns abfinden mit den Widerwärtig­feiten des Wetters. Kein Sturm, fein Schnee oder Regen, keine Kälte fonnte uns an den Leib. Wir waren wetterhart. Nicht abge­härtet nach den mehr oder weniger durchführbaren Regeln der Ge­sundheitslehre, wie sie in Büchern stehen, sondern fest geworden durch den unverständigen" täglichen Gebrauch, der uns nicht zu Chubenhockern werden ließ.

Heute, wo wir älter und verständiger geworden zu sein pflegen, stellen wir unsere Erinnerungen an die kindlichen Erfahrungen den Forderungen der Gesundheitspflege vergleichend gegenüber, und siehe da, was wir damals aus reiner Lust an Betätigung trieben, das schreibt heute der Gesundheitslehrer in sein Buch zur Beleh­rung derer, die gesund zu bleiben wünschen.

Er gibt aber auch die wissenschaftliche Begründung dafür. Die Hautoberfläche des menschlichen Körpers ist ein Organ, das die wichtige Aufgabe hat, seinen Wärmehaushalt zu regeln. Feine Nervenenden, die zahllos hier verteilt liegen, vermitteln die Emp­findung der Wärmeunterschiede und wirken auf die ebenso reichlich hier ausgebreiteten feinsten Blutgefäße, die Haarröhrchenschlingen des Blutkreislaufs, in denen die merkwürdige Flüssigkeit kreist, die für das gesamte Leben von größter Bedeutung ist. Denn das Blut ist nicht nur das Transportmittel der Ernährungsstoffe, sondern es löst gleichzeitig die Aufgabe, den ganzen Körper in gleichmäßiger Wärme, der Blutwärme zu erhalten. In den Innenteilen des Kör­pers wird ihm beständig Wärme zugeführt, die an der Oberfläche an die äußere Umgebung abgegeben wird. Jede warme Flüssigkeit pflegt sich ja schneller oder langsamer so weit abzukühlen, daß sie mit der Umgebung gleich warm ist. Wenn sie ihre ursprüngliche Wärme behalten soll, so gilt es, neue warme Flüssigkeit zuzufüh­ren. Je schneller die Abkühlung erfolgt, um so schneller muß die Wärme zuströmen, und das besorgt der Blutkreislauf im Körber unter dem Einfluß der wie Thermometer tätigen Hautnerven. Die Sergtätigkeit wird vermehrt, die Stoffwechselvorgänge werden reger, und damit tritt die Erneuerung, Verjüngung, Krästigung der lebenden Bausteine des Körpers, der Zellen, ein, wie sie als Grundlage der erhöhten Widerstandsfähigkeit des Menschen gegen Echädigungen der Gesundheit gelten müssen. Zugleich vermehrt die erhöhte Strömungsgeschwindigkeit des Blutes aber auch die Ausscheidung der verbrauchten, für das Leben der Zellen nicht mehr nutzbaren oder gar schädlichen, giftigen Stoffe, so daß eine Reinigung des Organismus stattfindet, die der Gesundheit nur förderlich sein kann. Dabei spielt nun die Haut feine geringe Rolle, denn sie sondert in Gasform durch die Ausdünstung und in Lösungsform durch den Schweiß eine nicht unerhebliche Menge solcher Schlacken- und Aschenreste ab. Freilich soll die Haut auch einen Schußmantel gegen übermäßigen Wärmeverlust des Körpers darstellen, wie das mit dem unter ihr liegenden Fettpolster erreicht wird, das einen schlechten Wärmeleiter darstellt.

Diesen manigfachen Aufgaben der Haut soll nun die Bekleidung Rechnung tragen, es soll nicht der eine Gesichtspunkt zugunsten des andern vernachlässigt werden. Der Wärmeschus mag wohl in erster Linie stehen, denn aus dem Bedürfnis der Fernhaltung der Abküh­lung von der Haut ist unsere Kleidung entsprungen. Am besten schützt aber eine Luftschicht, die möglichst wenig bewegt wird, wie das un­sere Lehausung lehrt, die ja eigentlich nur eine gemeinsame Fa­milienfleidung ist, wie das auch die Fell- und Federkleidung im Zierreich lehrt, wo zwischen den Haaren und Federn die Luft stehen bleibt und dadurch den sichersten Wärmeschutz abgibt. Wenn die Spaßenschar mit aufgeplustertem Gefieder traurig- still auf den Zweigen hockt, so wissen sie alle, daß sie sich so am wohlsten befin­den. Nun, wir können daraus lernen. Es ist gar nicht so viel Klei­dung nötig, sondern nur eine solche, die in den Gewebemaschen eine Croße Menge Luft festhält. Also die sogenannten durchlässigen Stoffe find hier die wertvollsten. Sie erfüllen aber auch gleichzeitig die anderen Forderungen der Hautgesundheitspflege. Sie ermög-. lichen die Entfernung der Ausscheidungsstoffe, und sie verhindern die schädliche Zurückhaltung der Wärme, die Wärmestauung. Da­durch unterstüßen sie die Hautnerven in ihrer regelnden Arbeit und erleichtern ihnen die Aufgabe, den Stoffwechsel im Körper­innern in gesetzmäßigem Ablauf zu erhalten. Insoweit die Haut

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die Kleidung als Wärmeschuß benötigt, foll fie allfeitig von ihr be­deckt werden, aber nicht so, daß sie straff und fest anliegt, sondern daß die Haut, ohne irgend wie gedrückt und gepreßt zu werden, dem Blute überall freien Zutritt zu den zartwandigen Haargefäßen bieten kann. Deshalb soll die Kleidung auch leicht an Gewicht sein. Die festen, diden Gewebe sind nur eine Last, die den Bewegungen des Körpers nicht schmiegsam nachgeben und dadurch mehr Stö­rungen der Gesundheit als Nutzen schaffen. Einige wenige, leichte, durchlässige Stoffschichten ersehen den dicksten Wintermantel. Der Krieger, der jetzt lange Stunden in kalter Nacht still auf Bosten stehen muß, mag sich mit Fug und Recht dick einhüllen in Jacken, Stöcke und Pelzmantel mit Kapuze. So macht es ja der Sperling auch, der die Federn spreizt. Aber der Jugend, die Bewegung haben foll, frommt leichtere Keidung. Die Mode mag immerhin Tor­heiten genug verlangen, die vernünftige Mutter wird sich nicht an ihre Forderungen kehren. Freilich ist der Gedanke, daß man ja die Hände und Gesicht ohnehin schon ungestraft der Kälte unbekleidet aussehen darf und deshalb auch den übrigen Körper ebensogut an die Winterwitterung gewöhnen könnte, ein Trugschluß. Denn die Hautoberfläche des ganzen Körpers ist doch zu groß, zumal in der Jugend im Verhältnis zum ganzen Körperinhalt, als daß man so ohne weiteres den Abhärtungsgedanken auf sie übertragen dürfte. Es gelten dafür noch andere Rücksichten, als die das Winterluftbad vorschreibt. Die Abhärtung hat schon genug erreicht, wenn die Jugend den überflüssigen Ballast schwerer Kleidung abwirft und der leichteren Kleidung mit förperlicher Bewegung zu Hilfe kommt. Jede Beweyang regt die Stoffwechselvorgänge im Körper an, um so mehr, je ausgiebiger sie ist und je allseitiger sie die Organe in An­spruch nimmt. Davon pulst das Blut rascher und kräftiger durch die Adern, dann röten sich die Wangen. dann schreckt die Haut nicht zurück vor Wind und Wetter, dann arbeitet jede Belle mit größerem Nachdruck, und mit der Übung wächst ihre Leistungsfähigkeit und das ist gleichbedeutend mit einer Erhöhung ihrer Widerstandsfähig. fcit im Kampfe mit den Feinden der Außenwelt, von den feind­lichen Elementen angefangen bis zu den heimtüdischen Krankheits­keimen, die sich einschleichen möchten in den gefunden Leib des Kindes. Dr. Popit.

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Feuilleton

Vier Tage auf dem Schlachtfeld.  *

Von Wiewolod Garschin.

Ich entsinne mich, wie wir durch den Wald liefen, wie die Kugeln pfiffen, wie die von ihnen abgerissenen Zweige niederfielen, wie wir uns durch die Weißdornbüsche schlängelten. Die Schüsse fielen häufiger, Am Waldessaum wurde etwas hin und her Flimmern­des, Rotes sichtbar. Sidorow, ein blutjunger Soldat aus der Kom­pagnie wie kommt er in unsere Sette? fuhr es mir durch den Sinn duckte sich plötzlich zur Erde und blickte mich schweigend mit großen erschreckten Augen an. Aus feinem Munde fuhr ein Blutstrahl. Ja, ich entsinne mich dessen sehr gut. Ich entsinne mich auch, wie ich schon ganz nahe am Waldesrande im dichten Gebüsch ... ihn erblickte. Er war ein großer, dicker Türke, ich aber lief ge= rade auf ihn zu, obgleich ich schwach und mager bin. Es flatschie etwas auf, etwas, wie mir schien, ungeheuer Großes flog vorbei; in meinen Ohren sauste es. Er hat auf mich geschossen," dachte ich. Er aber preßte sich mit einem Aufschrei des Entsetzens mit dem Rücken an einen dichten Weißdornbusch. Man konnte um den Busch herumgehen, aber vor Schreden dachte er an nichts und troch auf die stacheligen Zweige. Mit einem Hieb schlug ich ihm die Flinte aus der Hand, dann stieß ich mit meinem Bajonett blindlings drein. Irgend jemand brüllte, stöhnte auf. Dann lief ich weiter. Die Unsrigen schrien Hurra! fielen, schossen. Auch ich, entfinne ich

* Eine Szene aus dem Russisch- Türkischen Krieg 1877/78. Ent­nommen dem Buche: Garschin  , Atalna Princeps und andere Novellen. Deutsche   Übersetzung von Michael Feosanoff. Inselverlag, Leip ig 1903. Preis gebunden 3 Mt.

Wir weisen bei dieser Gelegenheit auch auf das vortreffliche Sammelbändchen Herzen im Kriege", das Franz Diederich im Vorwärtsverlag zum Preise von 1 Mt. herausgegeben hat, und das künstlerisch wertvolle Schilderungen und Erzählungen enthält von Tolstoi, Walt Whitman  , Liliencron  , Zola, Lemonnier, Mau­ passant   und andere. Das Büchlein zeigt den Strieg in all seinen Grauen und Schreden ohne übertreibung, aber auch ohne Ver­schönerung, eben so, wie er sich in den Augen bedeutender Künstler und edler Menschen gespiegelt hat. Gerade dadurch wirkt jede ein­zelne dieser Erzählungen gegen den Völkerhaß und für den Frieden.