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Feuilleton

Lucy Stone  .

Für unsere Mütter und Hausfrauen

Eine nordamerikanische Bahnbrecherin der Frauenbewegung. In den Anfängen des Kampfes für die volle Gleichberechtigung des Weibes in Nordamerika   tritt uns eine Frauengestalt entgegen von herz und geistgewinnendem Reize: Luch Stone. Luch Stone gehörte zu jener glüdlichen, auserlesenen Art, bei der Geistes! lar­heit und Willenstraft harmonisch zusammenklingen mit Herzens­güte und Gemütstiefe. Wie das im Diamant schlummernde farbenfrohe Leuchten erst durch den Schliff ganz offenbar wird, also ist, was Luch Stone von Natur eignete- Reichtum und Rein­heit des Wesens- in bewußter Selbstzucht entwickelt worden. Das aber nicht in der ruhigen Beschaulichkeit eines weltabgewandten Lebens, bei dem der Mensch letzten Endes doch nur egoistisch sich selbst genießt, sondern in hingebungsvollster Tätigkeit für eine große Idee, für die Menschheit. Aus einfachen Verhältnissen stam­mend, mußte Luch Stone sich jeden Brosamen Bildung in zähem Kampfe mit äußerer Ungunst erringen, schuf sie sich selbst ihres Lebens Wert durch ihres Lebens Werk für die Gleichberechtigung Unterdrüdter und Unfreier, namentlich aber für die Gleichberech tigung des weiblichen Geschlechts. Leidenschaftlicher Freiheitsdrang und glühende Gerechtigkeitsliebe waren die Wurzeln, die ihre For­derung nach dem vollen Rechte des Weibes auf Selbstbestimmung und Betätigung auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens speisten. Der unerschütterliche Glaube an die Güte und den Sieg dieser Forderung gab ihr jene trogige, nie verzweifelnde Willens­kraft, die Berge verfekt".

Und wahrhaftig: als Luch Stone den Kampf aufnahm, bedurfte es solchen Glaubens und solcher Willenskraft. Denn damals waren die Vereinigten Staaten   keineswegs jenes Dorado der Frauen­betätigung und Frauenrechte, als das sie heute so vielen erscheinen. Die verheiratete Frau besaß zu jener Zeit kaum mehr gesetzliche Rechte als ein Kind. Ihrem Gatten stand das unbeschränkte Ver­fügungsrecht über ihre Person, ihr Vermögen und ihren Verdienst zu. Ihm allein verlieh das Gesetz die elterliche Gewalt über die Kinder. Die Bildungsgelegenheiten für Frauen waren selten und schwer zugänglich; Berufstätigkeit war für sie so gut wie ausge­schlossen, von den wenigen altehrwürdigen sogenannten weib­lichen Arbeiten" abgesehen, die karg entlohnt wurden. Die gute Sitte verfemte es streng, daß eine Frau in der Öffentlichkeit sprach. So stark war das Vorurteil gegen jede Betätigung des Weibes außerhalb des alten Wirkungskreises, daß es sogar in der berühmten Anti- Sklavereigesellschaft zu den hizigsten Auseinander­setzungen und zur Absplitterung von Mitgliedern fam, als Abby Kelley  , eine verdienstvolle Kämpferin für die Sklavenbefreiung, in einen Ausschuß der genannten Organisation berufen wurde. Von politischen Rechten des weiblichen Geschlechts war erst recht feine Rede. Fester jedoch als Herkommen und Gesetzesformeln drückte der fast allgemeine Glaube die Frauen zu Boden, daß ihre Unterbürtigkeit und Rechtlosigkeit Gottes Wille sei. Kurz, die Geister waren noch nicht durch die Umwandlung revolutioniert, die der Kapitalismus in der Arbeit und Stellung der Frau bewirkt. Die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Frau zu ver­fechten, wäre unter diesen Umständen stets ein kühnes Unterfangen gewesen, das Spott und Hohn, Schimpf und Verfolgungen ein­bringen mußte. Allein als Luch Stone ihre Stimme erhob, standen ihm noch besondere Schwierigkeiten und Gefahren entgegen, Schwierigkeiten und Gefahren, die in der Jugend des Landes und in der Zeit begründet lagen. Es gab damals noch teine Frauentongresse mit Frauenorganisationen, die es er leichtert hätten, die Vorurteile zu bekriegen, die Fährnisse zu überwinden. Lucy Stone   war eine Einzelne, als ihre Überzeugung fie trieb, sich gegen das Unrecht aufzulehnen, das ihr Geschlecht erduldete. Sie wuchs, ward und wirkte zuerst aus eigener Kraft, ohne den Beistand, die Erleichterungen, die eine festgeschlossene Vielheit von Gleichstrebenden gewährt, aber auch ohne die Bin­dungen und Hemmungen, die eine solche starten, selbständigen und leidenschaftlich vorwärtsdrängenden Naturen auferlegt. So war und blieb Luch Stone eine Eigene, stets ganz sie selbst. Als die Beiten kamen, von ihr ersehnt und mitgeschaffen, da kämpfende Frauenvereinigungen sich hinter sie stellten, war ihr Wesen ausge­reift und gefestigt. Luch Stone konnte nun führen, ohne zu unter­drücken oder auf frummen Schleichwegen um Gunst zu buhlen, und sie vermochte sich dienend einzuordnen, ohne ihrer Überzeugung und Persönlichkeit etwas zu vergeben.

Nr. 13

Luch Stone   wurde am 13. August 1818 auf einer Farm in der Nachbarschaft von West Brookfield im Staate Massachusetts   ge­boren. Als achtes von neun Kindern, eines der vielen Beispiele, die die Weisheit jener Rassetheoretifer" ad absurdum führen, die verächtlich behaupten, daß die Lebenstüchtigkeit der Nach­tommenschaft mit jedem mehr als zweiten oder höchstens dritten Kinde notwendigerweise abnehmen müsse. Keines der sieben älte­ren Geschwister hat nur entfernt das Maß von Luchs Persönlich­feit erreicht. Kampfesgeist lag der Familie im Blute. Als Engländer und Franzosen   um die Herrschaft über die nordamerikanischen Kolonien blutige Kriege führten, als die Indianer ihre alte Heimat den europäischen Eindringlingen wieder zu entreißen suchten, focht Luchs   Urgroßvater in mancher Schlacht. Aber auch Unabhängig­feitssinn und Auflehnung gegen Unrecht und Druck war ein Fa­milienerbteil. Luchs Großvater zählte zu den Rebellen gegen das englische Mutterland, als Offizier half er in den Revolutions­friegen die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten erkämpfen. Der Vater war ein wohlhabender Farmer, der sich wegen seiner Rechtlichkeit großer Achtung erfreute. Wie an einem unumſtöß­lichen Glaubenssatz hielt er an der Meinung fest, daß der Mann des Weibes Herr sei. Luchs Mutter, eine fromme Christin, fügte sich dieser Meinung als dem Abglanz göttlichen Gebotes willig wenn auch manchmal mit Seufzen. Treueste Pflichterfüllung im Wirkungstreise der. naturalwirtschaftenden Bäuerin war ihres Lebens Inhalt. Die Wehen   zur Geburt ihres achten Kindes über­raschten sie abends im Stall, wo sie die Kühe gemolken hatte. O Liebe! Wie traurig bin ich, daß es ein Mädchen ist! Dcs Weibes Leben ist so schwer." Mit diesen Worten begrüßte sie die Nach richt, daß sie ein Mädchen geboren habe.

Die Ungebundenheit des ländlichen Lebens und der Wohlstand, die Tüchtigkeit der Eltern sicherten Luch eine glüdliche Kindheit. Sie war ein gesundes Kind, frohgemut bei der Arbeit wie beim Spiel, lerneifrig in Haus und Feld und in der Schule. Furchtlosig feit und Wahrhaftigkeit zeichneten sie in hohem Maße aus, aber auch eine große Leidenschaftlichkeit des Temperaments, die sie früh zu bändigen trachtete, nachdem sie ihrer bewußt geworden war. Das tam so. Eines Tages jagte Luch wie eine Besessene durch das Haus, um die jüngere Schwester abzustrafen, die ihren Zorn er­regt hatte. Da erblickte sie zufällig ihr eigenes, wutverzerrtes Ant­litz im Spiegel. Das ist das Gesicht einer Mörderin", mit diesem Gedanken schredte sie zusammen. Sie floh hinaus in die Einsam­feit. Stundenlang, bis es dunkelte und die Mutter sie suchte, saß fie auf einem Felsblod, in schmerzliches Nachgrübeln versunken, wie sie ihre Wutausbrüche meistern fönne. Von dem Tage an war Luch auf ihrer Hut, und niemand hätte später das unbändige Kind in der Frau wieder erkannt, die ihre Milde und Seelenheiterkeit auch dann bewahrte, wenn sie sich Aug' in Auge mit giftiger Niedertracht und herben Enttäuschungen befand.

Die Anmut des heimatlichen Hügellandes ergriff mächtig das findliche Gemüt. In rauschenden Wäldern, beim Anblick der sonnenbeglänzten wogenden Felder, unter dem geheimnisvollen Zauber des gestirnten Himmels, im Erleben von Gewitter und Sturm entfaltete sich Luchs tiefes Gefühl für Schönheit, Größe und Wahrheit. Die Natur stellte dem unruhigen, suchenden Geist hunderterlei Fragen, gab ihm aber auch manche erhebende und ermutigende Antwort. An dem Herzen der Natur, wenn alle Menschenstimmen schwiegen und nur die Luft in der glühenden Mittagsonne sang, oder wenn der Mondschein das schwache Flimmern der Hüttenlichtlein überstrahlte, pflegte Luch mit der eigenen Seele, ihrem Wünschen und Wollen Zwiesprache zu halten. Hier stand ihr Richterstuhl; hier sprudelte ihr Trostquell; hier war aber auch der Schauplak übermütigen, tollen Spiels. Wenn die Kinder der Familie Stone ihre Pflichten erfüllt hatten, so durften sie sich nach Herzenslust draußen tummeln, keinen Herren über sich als die Grenzen der eigenen Kraft. Und Luch nutte ihre Bewegungs­freiheit fröhlich aus. Wenn sie über Berg und Tal stürmte oder mit ihrem Lieblingslamm um die Wette sprang, fühlte sie sich so leicht, als ob sie keinen Körper hätte". Solches Leben lehrte Luch auch, Gefahren bestehen. Barfüßig durch die Felder wandernd, cr­blickte sie eines Tages eine große dunkle Schlange, die zusammen= gerollt auf einem Felsstück lag. Statt Fersengeld zu geben, ergriff Luch einen tüchtigen Stein, ging leise an die Schlange heran und zerschmetterte ihr mit sichergezieltem Schlage den Kopf. Der Vor­fall ist charakteristisch. Als Luch herangewachsen war, blieb ihr Sinn darauf gerichtet, der Schlange des Unrechts" das Haupt zu zerschmettern. ( Fortsetzung folgt.)

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart  .