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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Wie Luch Stone als Studentin eine Nothelferin aller ihr nahen­den Bedrängten gewesen war, ohne daß sie über Einzelheiten und Kleinigkeiten ihr Lebensziel vergessen hätte, so fand sie auch später stets Zeit und Kraft, trotz ihrer aufreibenden Propaganda einzel­nen Unglücklichen beizustehen. So führte sie 1855 vor dem Gericht zu Cincinnati   die Sache von Margaret Garner, einer schönen Stla­vin, die mit ihren Kindern entflohen war und bei ihrer Wieder­gefangennahme eines ihrer fleinen Mädchen getötet hatte. Jn Ver­zweiflung, weil sie überzeugt war, daß für ein Weib die Sklaverei noch tausendmal härter und schmachvoller sei als für einen Mann, und weil ihr der Gedanke unerträglich war, daß ihr Kind einst leiden sollte, was sie selbst gelitten. Als Luch Stone die unglückselige Mutter im Gefängnis besuchte, um ihr Rat und Beistand anzu­bieten, erkundigte sie sich auch, ob diese für den Fall, daß sie in die Sklaverei zurückgebracht werde ein Messer befize. Vor Gericht wegen dieser Äußerung befragt, gab Luch Stone diese Antwort: Wenn ich eine Sklavin wäre, wie sie eine Sklavin ist- das Gesek gegen mich, die Gesellschaft gegen mich und die Kirche gegen mich, und ich hätte keine andere todbringende Waffe in meiner Hand, so würde ich mir mit meinen eigenen Zähnen die Adern öffnen und meine Seele zurück zu Gott senden, der sie mir gegeben hat." Die genze unerschrocene, ehrliche Rämpferin mit ihrem stolzen, un­bändigen Freiheitsdrang, ihrem mutigen Willen zur Tat, ist in diesen Worten.

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Die Agitation, die Luch Stone und einige andere hochgesinnte, tapfere Frauen betrieben es seien nur die Quäferin Lucre= tia Mott und Elizabeth Cady Stanton   genannt, fing an ihre Früchte zu tragen. Es mehrte sich die Zahl der Frauen, in denen die Sehnsucht lebendig wurde, ungehemmt durch Vor­urteile und soziale Fesseln zu wachsen und zu wirken. Sie begannen fich zu sammeln, um mit vereinten Sträften zu kämpfen. Viele her­vorragende Männer machten die Sache der Frauen zu der ihren. Noch wirkte die hinreißende Kraft der idealistischen Losungen, die der Unabhängigkeitskrieg gegen England unter das Volf ge­tragen hatte, und die von der großen französischen   Revolution in den Wettern und Flammen eines geschichtlichen Weltgerichts hun­dertfach verstärkt weitergegeben worden waren. Der Glaube an das Menschenrecht, das die Natur jedem einzelnen als unveräußer liche Gabe in die Wiege gelegt, begeisterte die edelsten Gemüter. Er schrieb seine Forderungen auf die Fahnen der Kämpfer gegen die Sklaverei und speiste ihre Bewegung mit den besten Säften aller Bürgertugenden, wie feft verankert auch immer die treibenden Kräfte in den veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zuständen der Vereinigten Staaten   und der führenden europäi­schen Länder waren.

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Die geistige, die politische Atmosphäre, die der Kampf gegen die Sklaverei schuf, war dem Streben nach der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts günstig. Wenn es von Tausenden und Tau­senden als bitteres Unrecht empfunden, als Sünde" wider die Natur oder Gottes Gebot erklärt wurde, daß der Neger versflavt sein sollte, minderen Rechts als der Weiße", wie fonnte es dann gerechtfertigt werden, daß die weibliche Hälfte der Weißen selbst rechtlos und unterjocht blieb? Das war eine gefühlsmäßige Ge­dankenkette, deren einfache Logik vielen einleuchtete. Sie wirkte um so überzeugender, als Frauen von reichen Gaben des Geistes und Charakters von Anfang an mit größter Aufopferung für die Sklavereibefreiung eintraten. In dem nämlichen Jahre, wo Gar­rison die erste Antisflavereigesellschaft ins Leben rief, gründete Lucretia Mott   die erste Antiftlabereigesellschaft für Frauen. Indessen: wie wir bereits früher erwähnten, setzte sich nicht einmal in der Antiftlabereibewegung die Mitwirkung der Frauen, die Anerkennung ihrer Gleichberechtigung kampflos durch. Es kam bei den Tagungen der sogenannten Abolitionisten( An­hänger der Abschaffung der Sklaverei) zu den stürmischsten De­batten darüber, ob Frauen als Delegierte zuzulassen seien, und ob ihnen das Wort erteilt werden dürfe. Der Kongreß zu New York  , 1840, ging über dieser leidenschaftlich umstrittenen Frage in die Brüche, und der berühmte Welt- Antislavereifongreß zu London  schloß ebenfalls 1840 die weiblichen Delegierten aus einigen ame­ rikanischen   Staaten in aller Form aus.

Die in Fluß gekommene Bewegung der Geister für die Gleich­berechtigung des Weibes konnte jedoch durch Widerstände nicht mehr zurückgestaut werden. Sie wurde von starken Quellen in der Wirtschaft der jungen Nation genährt. Wo die alte Farmerwirt­schaft fortbestand, wo Kolonisten rodend und pflügend, der Natur ihre Schäße entreißend weiter nach Westen vordrangen, war der Kampf ums Dasein so schwer, daß der Mann ihn nur zu be­stehen vermochte, wenn er an dem Weibe eine kraftvolle, leistungs­tüchtige Gefährtin besaß. Und das Weib war gerade in den unbe­

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siedelten Landesstrecken nicht zahlreich vertreten, oft recht selten; der häusliche Herd, dessen Flamme es schürte und unterhielt, be­deutete wie in Urzeiten ein Stück höherer Kultur inmitten der Wildnis. Gesucht, begehrt, auf sich selbst gestellt, wegen ihrer persön lichen Werte und Leistungen geschätzt und durch sie ausschlaggebend für das Emporarbeiten der einzelnen Familie, kräftigte sich das Selbstbewußtsein der Frau, ihr Unabhängigkeitssinn, stieg aber auch die Achtung des Mannes vor ihr.

In den kulturell weiter entwickelten sogenannten Neu- England­staaten des Ostens gewann die moderne Fabrikindustrie an Boden und engte das häusliche Arbeitsfeld der Frau stetig ein. Es wuchs die Zahl der Familien, die ihren Töchtern nicht mehr gesicherten Unterhalt bieten konnten; es wuchs die Bevölkerungsschicht, deren Reichtum die weiblichen Familienmitglieder der berzehrenden haus­mütterlichen Betätigung enthob. Frauen waren gezwungen, außer­halb des Heims Beschäftigung zu suchen, wenn sie dem Hunger, der Not wehren wollten. Frauen mußten aber auch nach neuen Tätigkeitsgebieten verlangen, mußten danach trachten, dem Mann gleich und mit ihm zusammen in der Gesellschaft zu wirken, es sei denn, daß sie selbst auf ihre gesellschaftliche Existenzberechti­gung verzichteten und sich mit der verächtlichen Rolle sozialer Drohnen begnügten. So fand der Ruf nach gleichem Recht für das weibliche Geschlecht im Osten wie im Westen verhältnis­mäßig bald ein vielstimmiges Echo. Auffassung und Gepflogen­heiten mancher kirchlichen Setten waren nicht ohne Einfluß darauf. Die Bibelterte selbständig auslegend und im Kampfe mit Verfolgungen groß geworden, von dem die Frauen ihren vollen Anteil getragen hatten, war ihnen eine höhere Wertung des Weibes als Persönlichkeit eigen. Bei den Quäkern zum Beispiel durften auch die Frauen in der Gemeinde sprechen, wenn der Geist Gottes über sie fam".

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Bereits 1848 fonnte der denkwürdige erste Kongreß für die Gleichberechtigung des Weibes in Seneca Falls, Staat New York  , tagen. Ihm folgte bald ein zweiter zu Rochester  , in dem gleichen Staate und ein dritter zu Salem in Ohio  . Diese drei Tagungen zu deren Möglichkeit und Erfolg Luch Stones Pro­paganda sehr viel beigetragen hatte waren sicherlich außer­ordentlich wertvoll, weil sie das Banner grundsätzlicher Rechtsforde­rungen aufrichteten, sie vereinigten jedoch unmittelbar zunächst nur die vorwärtsstrebenden Kräfte einiger Staaten. Der Anfang der Zusammenfassung aller Gleichgesinnten in der ganzen Union  wurde 1850 auf dem ersten Nationalkongreß für Frauenrechte gemacht, der zu Worcester   in Massachusetts  tagte. Für Luch Stone bedeutete er ein Stück Lebenserfüllung. Ihr Name stand an der Spike der 189 Frauen und Männer, die den Kongreß einberiefen. Sie vertraten die Frauenbewegung von sechs Staaten, und unter ihnen befanden sich Persönlichkeiten von erlesener Charakter- und Geistesart, von denen viele in der Anti­Sklavereibewegung führend waren. Wir nennen Lucretia Mott  , Elizabeth Cady Stanton  , Pauline Wright Davis, die in Boston  das erste Organ für Frauenstimmrecht gründete, Antoinette Brown  , Wendell Phillips  , William Lloyd Garrison  , Ralph Waldo Emerson  . Der Kongreß leitete die Ausdehnung der Frauenbewegung auf die ganzen Vereinigten Staaten ein und gab dem Kampf für Frauen­recht überall neue, kräftige Antriebe. Auch in bezug auf Inhalt und Charakter der Frauenbewegung bezeichnete er einen guten Fortschritt. Die Tagung zu Seneca Falls hatte die Forderung der politischen Gleichberechtigung der Geschlechter unter dem Protest eines Teils der Delegierten beschlossen. In Worcester stellte man das Frauenwahlrecht an die erste Stelle der zu heischenden Re­formen.

In den folgenden Jahren widmete sich Luch Stone mit unver­minderter Begeisterung und Energie dem Kampfe für ihre über­zeugung. Neben die Propaganda zur Erweckung der Geister und namentlich der Frauen selbst trat mehr und mehr die Arbeit zur organisatorischen Vereinigung aller Kräfte, die sich für das Recht des weiblichen Geschlechts einsetzen wollten. Nicht wenige der Frauenvereine, die für Städte oder ganze Staaten entstanden, wurden von Luch Stone gegründet oder auf ihre Anregung und mit ihrer Beihilfe ins Leben gerufen. Sie nahm hervorragenden Anteil an dem Nationalen Kongreß für Frauenrecht, der seit der Worcester Tagung alljährlich in verschiedenen Teilen der Ver­ einigten Staaten   abgehalten wurde. Mit der größten Opferfreudig­feit sorgte sie dafür, daß die Verhandlungen eine weitreichende agi­tatorische Wirkung ausüben fonnten. Auf eigene Kosten gab sie in ( Forts. folgt.) Broschürenform die Kongreßprotokolle heraus.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag vor J. H. W. Dtet Nachf. 6.m.b.S. in Stuttgart  .