74

Für unsere Mütter und Hausfrauen

schen Schranken und Privilegien konnten sich die vorhandenen fa­pitalistischen Anfäße auswirken. Die Demokratie war im Inter­effe der Emporkömmlinge und rücksichtslosen Geschäftemacher. Euripides   ist zu sehr Volksmann, um ihre guten Seiten zu igno­rieren, und zu sehr Freund einer stabilen, grundsäßlichen Bolitik, um nicht die Cliquenwirtschaft und Demagogie, in die die athe­nische Demokratie auszuarten drohte, von ganzem Herzen zu ber­dammen. Er ist nicht Aristokrat wie die spartafreundliche Richtung unter den großen Grundbefizern seiner Heimat, aber ihm schwebt als Jdeal einer Staatsverfassung so etwas wie eine demokratische Monarchie vor Augen, ein Ideal, für das auch heute noch mancher fozialgesinnte Bürgerliche schwärmt, und das überall da aufkommt, wo der proletarische Klassenkampf nicht dafür sorgt, daß die bürger­liche Demokratie aus einem Werkzeug fapitalistischer Geschäfte­macherei in ein Mittel des Kulturfortschritts verwandelt wird.

Um den Athenern seine Anschauung nahe zu bringen, läßt Euri­ pides   den thebanischen Herold in einem Wortgefecht mit Theseus  die Vorzüge der absoluten Monarchie entwickeln. Gründe werden ins Feld geführt, die uns aus der politischen Arena von heute nicht ungewohnt im Ohre llingen.

Eines Mannes Wille

beherrscht den Staat, den ich vertrete, nicht die Pöbelmasse noch ein Volksbeschwätzer.

Die Muse, nicht der Drang des Augenblics erzieht den Staatsmann, und dem armen Bauern, selbst wenn er fähig ist, läßt schon die Arbeit kaum Zeit, an das gemeine Wohl zu denken.

Theseus   verteidigt die Demokratie, die formale Gleichheit aller vor dem Gesetz und die Redefreiheit, wir würden heute sagen die Preß- und Versammlungsfreiheit. Er sagt:

Das schlimmste für ein Bolt ist Einzelherrschaft. Da gilt vor allen Dingen kein Gesetz,

das über allen stünde, sondern einer

besitzt die Macht; sein Will' ist das Gesetz,

Wo bleibt die Gleichheit da? Ganz anders, wo geschriebnes Recht gilt, arm und reich denselben Gesetzen unterliegen, der Geringe

dem Großen obfiegt in gerechter Sache.

Und jener Ruf der Freiheit: wer dem Staate

mit gutem Rate dienen will, der rede".

Da bringt das Reden Ehre, und das Schweigen

ist jedem unbenommen: das ist Gleichheit.

-

Der bürgerliche Demokrat, als der Theseus   hier erscheint, sieht in der gewalttätigen Thrannei die größte Gefahr auch für den Bevölkerungszuwachs. Nur wo das Volk die Herrschaft führt, da freuen alle sich, wenn frischer Nachwuchs die Bürgerschaft ver­mehrt". Sicher gehörten die Ausführungen der beiden Streiten­den zu den Argumenten, die jedem Athener   aus dem Parteienstreit in seiner Vaterstadt geläufig waren. Wie fich Euripides   wahr­scheinlich die Lösung dachte, kann man mit ziemlicher Wahrschein­lichkeit dem Gespräch des Theseus   mit seiner Mutter entnehmen. Theseus   ist bereit, die Thebaner, wenn es nicht anders geht, mit Waffengewalt zur Anerkennung des Völkerrechts zu zwingen. Aber das Volk soll den Feldzug beschließen. In diesem Zusammenhang entschlüpft ihm das Wort, das auch von einem fonftitutionellen Monarchen heute gesprochen sein könnte:

Wenn ich es will, so werden fie's beschließen; allein die Bürger folgen williger,

wenn sie mitreden dürfen.

Thefeus also als das Ideal des guten, verfassungsmäßigen Fürsten, dem der Chor zuruft:

Frevlern leihst du nie den Arm,

du vertrittst die gute Sache.

Daß Euripides   sich mit Theseus   indentifiziert, geht schon dar­aus hervor, daß er diese Hauptperson des Dramas durchweg als Idealbild zeichnet. Er ist der einzige, der im Siege nicht übermütig wird. Der Bote, der den Harrenden den Verlauf der Schlacht in einer bei den alten Tragikern so beliebten Botenrede schildert, bricht zuletzt in die begeisterten Worte aus:

Ja, solchen Feldherrn soll ein Volt sich wählen, der in der Stunde der Entscheidung Mut bewährt und doch den übermut des Pöbels verachtet, welcher sich im Glück vermißt, die allerletzten Stufen zu erklimmen und so verscherzt, was er gewinnen konnte.

Nr. 19

Ala fleinbürgerlicher Demokrat konnte sich Euripides  , so sehr er in vielen Dingen über den Gefichtskreis seiner Zeitgenossen sich er­hob, die Aufrechterhaltung des Friedens und des Völkerrechts gar nicht anders denken. Wir Sozialisten legen heute auf internatio­nale Schiedsgerichte und Abrüstungsverträge der kapitalistischen  Staaten unter sich keinen Wert. Wir haben gelernt, die Ursache der Kriege, ja selbst von sogenannten Völkerrechtsbrüchen, nicht im guten oder schlechten Willen, der Lücke" oder Barbarei" der Kriegführenden zu suchen, sondern in der anarchischen Wirtschafts­weise, die immer wieder au tatastrophalen Zusammenstößen der einzelnen Mächtegruppen führen muß. Es ist ein und dieselbe Heuchelei, ob kriegführende oder neutrale Staaten sich heute als Schützer der Kultur und Menschenrechte aufspielen. Die Kriege der kapitalistischen   Staaten werden weder um die Kultur noch um die Menschenrechte geführt, sondern in der Hauptsache stets um die wirtschaftliche und politische Macht. Wir wissen daher auch, daß die schönsten Schiedsgerichte, Abrüstungs- und Völkerrechtsverträge teinen dauernden Wert haben können, wenn nicht in allen Ländern eine Macht vorhanden ist, die ihre Einhaltung verbürgt. Diese Macht kann nur das internationale, sozialistische Proletariat sein. Solange dieses die politische Macht nicht in Händen hat, wäre es eine Torheit, von den Kapitalisten zu erwarten, daß sie etwas tun, wozu ihnen alle Voraussetzungen fehlen. Man kann nicht über den eigenen Schatten springen.

Es ist echt griechisch, wenn Euripides   immer wieder in der Mäßigung, der Billigkeit" die wahre Staats- und Lebenskunst erblickt und stets vor dem Übermut" als der Wurzel alles Bösen warnt. Diese Begriffe spielen auch sonst in der griechischen Philo­sophie und Kunst eine große Rolle. Dazu eben hat Zeus   den Men­schen die Vernunft gegeben, daß sie im Unglück nicht topflos wer­den und im Glücke nicht hoffärtig. Törichte Menschen!" ruft in später Selbsterkenntnis der Argiverkönig aus," gütlich mögt ihr nicht nachgeben, und ihr tut's im Zwang der Lage."

Und eure Staaten, die durch Unterhandlung den Streit begleichen könnten, tragen lieber durch Blutvergießen ihre Händel aus.

Ist es nicht unvernünftig, wenn der Mensch in den alltäglichsten Dingen des Lebens nützlich und schädlich zu unterscheiden vermag, nur nicht in so großen Dingen wie Krieg und Frieden? Diesen Ge­bankengang legt Euripides   dem thebanischen Herold in den Mund, ohne daran Anstoß zu nehmen, daß in diesem Munde eine Friedens­mahnung sich nicht gerade folgerichtig ausnimmt. Der Herold meint: Denn wenn das Volk vor der Entscheidung steht, ob Frieden oder Krieg, da rechnet niemand mit seinem eignen Tode, sondern schiebt das über seinem Nächsten zu. Es sollte nur jeder bei der Abstimmung den Tod vor Augen haben, Hellas würde dann von kriegerischem Wahnwitz nicht zerrissen. Und dabei kennt doch jeder gut und böse und findet von zwei vorgelegten Dingen das beßre leicht heraus. Nur daß der Frieden dem Menschen besser als der Krieg bekommt, der Frieden, den die holden Musen lieben, die Höllengeister hassen, der am Wohlstand fich weidet, mit dem Flor der Kinder scherzt, das schlägt sich unsre Torheit aus dem Sinn, und Krieg beginnen wir und vergewalt'gen

den schwächren Menschen und den schwächren Staat. Angesichts des Kriegsrausches der Völker sind das auch heute noch beherzigenswerte Worte. Verständigung! ruft Euripides   den Staaten zu, und wenn er im Ideal eines weisen Regenten das Mittel sucht, um Frieden und Völkerrecht zu schützen, so doch nur deshalb, weil die Demokratie seiner Zeit nicht jene organisatorischen und kulturellen Machtmittel besaß, von denen wir wissen, daß sie die proletarische Republik der Zukunft befizen wird. Die soziale Demokratie, wie wir sie erstreben, bedarf nicht der monarchiſchen Spitze. In ihr wird die Mahnung des Argiverkönigs, dle er ange­fichts des Leichenzuges der gefallenen Helden ausstößt, ihre Er­füllung gefunden haben, jene Mahnung, die heute mehr denn je die Völker beherzigen sollten:

O Menschentorheit, wozu schleift ihr Schwerter und schlagt euch blutige Wunden? Haltet inne. Fort mit dem Streit. Dann mögen eure Staaten nebeneinander friedlich sich behaupten! Das Leben beut so wenig: sollen wir durch Streit und Hader selbst es uns vergällen? Edwin Hoernle  .