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Für unsere Mütter und Hausfrauen

bis zu den milden Herbsttagen schildert, wo sich die Freundschaft an den Platz der entflohenen Leidenschaft setzt und nach Sommer­glut und Gewitterstürmen die Gatten sich als Eltern, Erzieher zu einem gemeinsamen Lebenswert wieder zusammenfinden. Er hat die Tragödie feines Familienlebens in dem erschütternden Drama künstlerisch gestaltet: Das Licht, das im Dunkel leuchtet." Luch Stone, auf die Byrons tiefes Wort zutrifft, daß viele Dichter find, die nie einen Vers geschrieben haben" ihr dichterischer Gestal­tungsdrang lebte sich in der Agitatorin, der Rednerin aus, hätte die Idylle einer Ehe schreiben können. Eine Idylle, ebensoweit ent­fernt von Süßlichkeit und verlogenem Schäferspiel wie vom klein­bürgerlichen Gartenlaubenstil". Was Luchs Ehe das Gepräge gab, war die gesunde, freudige Lebensfülle, die aus dem Zusammen­wirken zweier reichbegabten, hochgesinnten und gleichgestimmten Persönlichkeiten im Dienst großer Ideen strömt.

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Luch Stone   und Henry Blackwell   waren vollsaftige, harmonische Naturen, von denen eine jede für sich schon einen guten Klang gab, und die durch Liebe und Wahlverwandtschaft geeint in einen starken, reinen Afford ertönten. Ihr Verhältnis zueinander glich dem Zusammenspiel der beiden Hände eines Slavierfünftlers, dessen Rechte und Linke gleich mächtig ist, den Tasten Seele, Geist, Schönheit zu entlocken. Es hielt sich auf der Höhe. Die Gewohn­heit ließ es nicht stumpf und dumpf werden, die Lüge hat es nie be­schmutzt, die Alltäglichkeit keine Gewalt darüber gewonnen, Nach fast vier Jahrzehnten des Zusammenlebens ging dem Paar die Sonne noch auf wie am ersten Tage ihrer Vereinigung. Diese Ehe war wirklich im Himmel" geschlossen worden, im Himmel einer großen Liebe zweier edlen, gleichwertigen Menschen, die mitein­ander, durcheinander und füreinander wuchsen und wirkten. Für Luch Stones und Henry Blackwells Lebensgestaltung galt aus in­nerer, freigewollter, beglüdender Notwendigkeit der herrliche Spruch höchster Hingabe, den das liebliche biblische Idyll von Ruth dem Weib vor der Schwiegermutter, der Vertreterin des Gatten, in den Mund legt: Dein Volf ist mein Bolf, dein Gott   ist mein Gott. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, und wo du stirbst, da will auch ich begraben sein."

Henry Blackwell   pflegte bis an sein Lebensende von Luch als der sanftesten und Heldenhaftesten aller Frauen" zu sprechen. Mit un­verbrüchlicher Treue hat er sein Wort gehalten, an ihrer Seite für das Recht des Weibes auf volles Menschentum und ganze soziale Wertung zu kämpfen. Mehrere der führenden nordamerikanischen Frauenrechtlerinnen jener Zeit wurden des Glückes teilhaftig, daß der Gatte mit ihren Bestrebungen von Herzen sympathisierte. Luch Stone   war jedoch die einzige, die im Lebensgefährten einen nie versagenden Kampfesgenossen besaß. Henry Blackwell   widmete der gemeinsamen Sache freigebig, was er an Gütern und Gaben besaß. Er erhob seine Stimme für die Gleichberechtigung des weib­lichen Geschlechts und unterstützte die große Macht seiner Bered­samkeit durch ausgebreitetes Wissen und Geistesschärfe. Er war überall zur Stelle, wo man des Talents, der Charakterfestigkeit be­durfte, um die Sache der Frauen zu führen. Als Agitator für das Frauenwahlrecht durchzog er die Vereinigten Staaten   von der Ost­füste bis zum Stillen Ozean. Mit seiner Frau zusammen oder auch allein vertrat er die Frauenforderungen auf vielen Kon­gressen wie vor den gesetzgebenden Körperschaften und Regierungen ber verschiedenen Bundesstaaten. Er begründete fie in ungezählten Artikeln und offenen Briefen in der Presse und war ein eifriger und gern gelesener Mitarbeiter an frauenrechtlerischen Organen. Solange Lucy Stone   selbst ein Frauenblatt herausgab, teilte er ihre Arbeit, ihre Bemühungen dafür. Es war eine Selbstverständ­lichkeit, daß Henry Blackwell   stets als Anwalt der Frauenbefreiung auftrat und handelte, wenn Luch Stone am Wirken verhindert war oder der Unterstüßung bedurfte. Nie nahm er den geringsten Ent­gelt für seine Dienste, und es beglückte ihn, wenn er mit vollen Händen für den Kampf geben konnte. Wie Luch Stone, so setzte er bis zuletzt sein Leben für das erkorene Jdeal ein. Gewiß hat Henry Blackwell   dabei manchen schmerzenden Verzicht, manche bittere Enttäuschung tragen müssen. Aber er erfuhr auch den Segen restloser Hingabe an der Menschheit große Dinge. Diese Hingabe ließ seine Sträfte wachsen und erblühen, fie weitete und bereicherte sein Wesen, wie ein Zauberstab öffnete sie in den Tiefen seiner begnadeten Natur alle Quellen schöner, tätiger Menschlichkeit.

Die Vereinigung mit dem geliebten Weibe hielt, was Henry von ihr gehofft hatte. In Luch Stone stand dem bedeutenden Manne die ebenbürtige Lebensgenossin zur Seite, die den Vorwärtsdrän genden auf seinem Wege nie zurückhielt, umgekehrt, die durch das eigene leidenschaftliche Sehnen, Wollen und Tun seinen Fuß be­flügelte und den Blick immer wieder über Mühsal, Opfer und Ge­

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fahren hinweg auf das leuchtende Ziel richtete. Die Frau, die tiefes, reines Mitgefühl mit den vielgestaltigen Nöten des Weibes, die hoher Gerechtigkeitssinn angesichts eines Meeres von Unrecht und Gewalt zur aufopfernden Kämpferin gemacht hatten, diese Frau war auch eine mitfühlende, gerechte und aufopfernde Gattin. Kein äußeres Ungemach, fein inneres Ningen trat an Henry Black­ well   heran, das Luch Stone   nicht auch als ihr eigenes Ungemach, ihr eigenes Ringen empfunden und verständnisvoll geteilt hätte. Ihr persönlichstes Leben als Gattin und Mutter war erfüllt von der Wärme und Kraft der Vorzüge, die die kühne Bahnbrecherin reifen Menschentums und vollkommenen Rechts auszeichneten. Von glücklichen äußeren Verhältnissen unterstützt, die der geliebte Mann ihr schuf, gelang ihr, was jenen bedauernswürdig armen Weib­chen unmöglich dünkt, die die paar Blechpfennige ihres Wesens im Heim für die Ihrigen geizig zusammenhalten und höchstens billige Almosen von materiellem überfluß, aber keinen Herzschlag, feine großmütige Regung für das Leben der Millionen haben, die jenseits der vier Pfähle stehen, Lucy Stone  , die jederzeit und in allen Beziehungen die strengsten Ansprüche an sich selbst stellte, vereinigte harmonisch die Pflichtkreise der Frauenrechtstämpfe­rin und des Weibes, der Mutter. Ihre Persönlichkeit war reich genug, daß fie hier wie da lauteres, vollgewichtiges Gold spenden fonnte.

Es versteht sich, daß auch ihr nicht erspart blieb, sich an den harten Schranken zu stoßen, die in der kapitalistischen   Ordnung jede starke Persönlichkeit empfindet, die nach dem Auswirken vollen Menschentums dürftet. Sie lernte die schweren Stunden kennen, wo im Kampfe der Pflichten die alte, qualvolle Frage ihr Haupt erhebt: wer ist mein Nächster? Ist es das Kind, das eines Blutes, der Gatte, der eine Seele mit mir ist, oder ist es das Ideal, das feine anderen Götter neben sich dulden will? Das war besonders der Fall, als die Mutterschaft mit ihren Segnungen und Bürden in Luch Stones Lebenskreis trat. Die Schärfe des herrischen Ent­weder Oder der Entscheidung und des Verzichtenmüssens wurde jedoch in allen Fällen dadurch gemildert, daß Henry Blackwell   je nach dem Erfordernis des Augenblicks bald als Vater, bald als Kämpfer ergänzend, helfend als Luchs anderes Jch tat, was sie selbst lassen mußte.

1857 wurde dem Paar das erste und einzige Kind geboren, eine Tochter. Durch die Verheiratung war an Luchs Lebensführung faum etwas geändert worden. Die agitatorische Tätigkeit hatte fie nach wie vor beherrscht. Von dem Augenblick an, wo Luch sich Mutter fühlte, war sie von dem Recht des ungefragt zum Leben ge­rufenen Kindes an die Mutter tief durchdrungen. Ihrer Ansicht nach heischte das Kind gerade während seiner ersten Lebensjahre am bringendsten die mütterliche Pflege und Erziehung. Sie glaubte, daß in dieser Zeit die Umwelt mit ihren Entwidlungsgelegenheiten und Eindrücken entscheidend die Entfaltung, das Erstarken von Leib und Seele beeinflußt. Deshalb nahm es Luch Stone als selbstver­ständliche, aber heilige Verpflichtung auf sich, während der ersten Stindheitsjahre ihres Töchterchens die öffentliche Betätigung für ihre Überzeugung hinter dem mütterlichen Walten im Heim zu­rüdzustellen. Sie schränkte zumal ihr Wirken als Wanderpredigerin ein, die heute im Norden, morgen im Süden des Riesenlandes die Geister und Herzen zu Taten der gesellschaftlichen Erneuerung rufen wollte. Aber sie blieb trotzdem als Organisatorin und Be­raterin durch eine ausgebreitete Korrespondenz, durch Veröffent­lichungen in der Presse, durch persönliches Hervortreten, wo es unabweisbare Pflicht war, in der Kampfesfront und an der Spike der Frauenbewegung.

Diese hat später empfangen und empfängt noch heute, was ihre Bahnbrecherin als Mutter gewesen ist und gegeben hat. Denn in der Tochter wuchs Luch Stone eine Helferin und Freundin heran, die lange Jahre mit ihr vereint für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts gewirkt hat, und die gegenwärtig als eine Führerin den Frauen der Vereinigten Staaten   voranschreitet. Und das ist kennzeichnend für das Wesen von Mutter und Tochter, für den Geist, der in der erlesenen Familie Blackwell- Stone lebendig war: die Tochter ist mit ihrer überzeugung nicht das unselbständige Geschöpf des Milieus, in dem sie erwuchs. Sie hat den kostbaren Schatz eines großen Lebensziels nicht einfach von den Eltern über­nommen, sondern durch eigenes geistiges Mühen ihn fich zu eigen gemacht, der Goetheschen Mahnung getreu:

Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu befizen.

( Schluß folgt.)

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Wilhelmshöhe, Port Degerloch bei Stuttgart  .

Drad und Verlag von J. H. W. Diep Nacf. G.m.b.5. tn Stuttgart  .