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Für unsere Mütter und Bausfrauen

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Kinder gehabt", die muß doch Rat wissen. Ja, zehn Kinder ., hatte" sic, aber keins lebt mehr, fie waren alle an" Zahn­trämpfen" gestorben. Natürlich alles Flaschenkinder! Die Kluge Nachbarin rät nun dies und das, einmal schlägt es an, einmal nicht. Für ein paar Tage hilft das Mittel, meist irgendein Mehl­präparat, dann stellt sich der alte Zustand wieder ein. Das arme, hilflose Baby fommt infolge der Dauerentleerungen ganz von Kräften. Tag und Nacht kein Schlaf, Weh im Kopf und Weh im Leib. Wenn Mutter doch ein Bad zurechtmachen wollte, wie gut würde das dem erhitzten Körperchen tun! Aber nein, im Gegenteil! Aus Angst, daß das Bad schwächt, unterbleibt die Wohltat. Kaum, daß Baby gewaschen wird Wer jemals fieberkrank au Bette lag, wird dankbar die Körperabwaschungen empfunden haben, die doch wenigstens etwas Linderung brachten. Endlich, nach langem, viel zu langem Zögern wird dann doch der Arzt gerufen. Meist bleibt ihm nur noch die Pflicht, den Totenschein auszustellen.

Zu den übeln, die in einer überfütterung ihre Ursache haben, gehören auch die Krämpfe der Säuglinge. Ein Brustkind wird ganz felten zu Krämpfen neigen, das Flaschentind sehr häufig, so häufig, daß man im Volt sehr oft die Ansicht findet: Krämpfe und fleine Kinder gehören zusammen, sind unzertrennbare Begriffe. Mit der Flaschenernährung eng zusammen hängt die englische. Krankheit, die Rachitis. Die meisten fünstlich ernährten Kin­der haben ein stark reizbares Nervensystem. Ist die Reizbarkeit anjs äußerste gesteigert, so stellen sich Krämpfe ein, Krämpfe find immer gefährlich. Dort, wo sie nicht zum Tode führen, lönnen fie später geistige Minderwertigkeit auslösen. Go oder so müssen fie stets ernst genommen werden. 3ahnkrämpfe gibt es nicht! Das mögen fich alle Mütter trea ins Gedächtnis einprägen.

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Weltkrieg und Arbeiterdichter.

( Fortfegung flatt Schluß.)

( Schluß folgt.)

Auch in der Kunst wie in der Politik standen dem Proletariat bei Ausbruch des Weltkriegs drei Möglichkeiten offen. Es fonnte entweder treu der alten Fahne für unbedingten Frieden eintreten und seine letzte Kraft an diese Aufgabe wagen. Es konnte dem nationalen Weltmachtsstreben die geschlossene internationale Ar­beiterfolidarität entgegenfeßen. Für die proletarische Kunst hätte dieje Haltung bedeutet: Entwidlung einer anfeuernden und an­flagenden Kampfliteratur, also auf höherer Stufe und wohl auch mit anderen Mitteln dasselbe, was die Kunst eines Freiligrath oder Herwegh für ihre Zeit bedeuteten.

Die andere Möglichkeit war, daß das Proletariat mit fliegenden Fahuen ins Lager der Imperialisten überging, Klaffenkampf­gedanken und internationale Solidarität zum alten Eisen warf, in der nationalen Klaffenharmonie mit dem Bürgertum das neue Evangelium erkannte und den Krieg als Stahlbad seiner Wieder­geburt begrüßte. Diesen Weg find denn auch einige sozialistische Führer gegangen, die mit dem Umlernen zeitig anfingen und nicht cher aufzuhören gedenken, als bis sie die letzte sozialistische Eier­schale von ihren Federn gestreift haben. Für die proletarischen Dichter hätte ein solches Umlernen das restlose Aufgehen in die bürgerliche Kriegs- und Vaterlandsliteratur bedeutet, sie hätten auch alle Verwirrungen des Geschmads und alle Berrohungen des Charakters unter dem Einfluß der Kriegshypnose und des Völker­haffes mitgemacht.

Die große Maffe des Proletariats tat weder das eine noch das andere. Und unsere proletarischen Dichter sind auch hierin bei aller individuellen Eigenart typisch für ihre Klaffe. Man ging den Mittelweg Im Herzen und mit der Sehnsucht blieb man inter­nationaler Sozialist, in der Bragis und der Tat war man natio­nal und imperialistisch. Man redete sich ein, daß man nicht anders fönne, man glaubte die proletarische Weltheimat mit dem bürger­lichen Nationalstaat vereinen zu können. In der Tat, man war fampfschen geworden. Man wagte die größten Schlachten, man be­ging Taten von unerhörtem Heroismus, man duldete übermensch­liches, aber man scheute die eigene Verantwortung. Unter Leitung von anderen, in dem millionenumfassenden, persönlichkeitszerstamp­fenden Organismus des Heeres, da schlug sich das Proleta­riat wie ein Held, aber auf sich gestellt, im Gegensatz zu den Staaten, Autoritäten, nur durch die Disziplin der überzeugung gebunden, da schmolz es an Zahl und Mut zum kleinen Kinde zu­fammen. Die meisten waren verwirrt, ohne Kompaß und Seekarte ein steuerloses Brad, hin und her getrieben im Sturm der Mei­nungen und Geschehnisse. Die Besten schwiegen enttäuscht oder be­gnügten sich mit Wünschen und Hoffnungen.

Nr. 21

Bier Büchlein proletarischer Dichter sind fürzlich auf dem Markte erschienen. Alle vier haben die Zenfur passiert und sind obendrein von bürgerlichen Verlegern aus der Taufe gehoben. Schon das besagt, daß sie mit dem Geist des Burgfriedens nicht in Widerspruch stehen können noch wollen. Die alten Kampfgefänge sind verschwunden, der Sozialismus schwebt höchstens noch als milde Hoffnungstaube über den Wassern. Volt, mein Volk!" nennt Petzold sein Buch* und zeigt damit schon an, daß er die Parole der nationalen Verteidigung rückhaltlos fich zu eigen ge­macht hat. Ein schredliches, aber notwendiges Geschehnis ist ihm dieser Krieg und der einzige Troft der Glaube, daß er der letzte sein wird, daß eine neue, bessere Zeit nachher anbrechen muß. Wie? und aus welchen Ursachen? das fragt er nicht. Er glaubt es, weil er sonst verzweifeln müßte. Seine Lieder machen oft den Eindruck eines Menschen, der sich etwas einredet, um die Wirk­lichkeit erträglicher zu machen. Manchmal hat man auch den Ein­druck, er hat seinem widerstrebenden Genius ein Gedicht abgepreßt. Viele Strophen find weder im Klang noch in der Bildhaftigkeit ausgereift, die Stimmung ist nicht festgehalten, trockene Prosa schiebt sich ein, nicht selten auch eine regelrechte Geschmack und Sprachwidrigkeit, so wenn er träumt, Seele des Mondes zu sein", oder wenn die Erde unseren Echweiß in rauschenden Strömen" trinkt. Der Grundton aller Gedichte ist: Wir Proletarier folgen mit schwerem Herzen, aber willig eurem Kriegsruf, wir zerstören und töten, damit nachher, irgendwie dann die bessere Zeit fommt. Petzold ruft seinen Arbeitsbrüdern zu:

Nicht gezagt und gewankt, wir wollen das Ende erwarten, Als stünden wir ruhig in Bergwert oder Fabrik; Neben den Fahnen heben sich unsre Standarten, Uns nur zur Sicht, verkündend ein besseres Geschick. Schlechtes Deutsch und noch schlechtere Poesie! Die Frage, ob das und wie das möglich ist, fümmert den Dichter wenig. Er neigte schon früher zu mystischen Jllusionen. Am besten ist Behold, wo er rein menschliche Stimmungsbilder, also nichts spezifisch Proleta= risches gibt. Genannt feien Die verlassene Fabrik"," Die Erwar­tung". Das Entsehen seines durch die sozialistische Ideenwelt berfeinerten Menschlichkeitsgefühls gellt aus dem Gedicht: Die Welt speit Blut!" Trotzdem ruft er dann wieder in bürgerlichem Patriotismus:" Volf, wahre den Mut!"

Hat Petzold den Sozialismus wenigstens noch als unklare Sehn sucht, als Schauder vor der Verrohung und Bernichtung von so viel Lebendigen und Kulturgut, so hat Karl Bröger ,** der selbst im Felde stand, die sozialistische Ideenwelt fast ganz aus seinen Versen verbannt. Bröger ist ein Meister der Form, er ist einer der wenigen, die die Schrecken der modernen Schlacht künstlerisch zu bändigen verstehn. Mit einem knappen, jedes Gefühlsmoment zu­rückdrängenden Realismus hat er das Furchtbare gestaltet. Er hat von Liliencron gelernt. Man lese Samum"," Nachtgefecht"," Den Tod von Arleur". Edle, durch die sozialistische Weltanschauung, die aber nicht äußerlich zutage tritt, vertiefte Menschlichkeit atmen Gedichte wie Kameraden"," Vier Männer und ein Held"," Die Schafe von Chamois". Das schöne, stimmungsvolle Gedicht Die Fahnengasse" ist den toten Siegern" geweiht. Warum nicht auch den toten Unterlegenen? Sozialismus offenbart höchstens das den Toten des Weltfriegs" gewidmete Gedicht Gräber". Aber auch hier geht Bröger über ein vertieftes Menschlichkeitsgefühl nicht hinaus. Für ihn ist hüben wie drüben der Kriegsdienst Pflicht und Treue, der Friede Gegenstand höchstens eines leise gesprochenen Wunsches. Brögers Stellung zu den politischen Fragen der Gegen­wart kommt am deutlichsten zum Ausdruck in den Gedichten Bc­fenntnis" und" Totenfeier". Die nationale Solidarität mit den Kapitalisten zum Zwecke der Vaterlandsverteidigung ist das höchste Gebot.

Sie haben dich vaterlandslos gescholten,

Du hast ihnen als Verräter gegolten, Dann kam diefe Not.

Sie staunten, als du vor die Front geschritten Und mitgegangen und mitgestritten- Aus welchem Gebot?

Ja, aus welchem Gebot? Genoffe Bröger! Etwa aus dem obersten Gebot des Sozialismus, in dem alle anderen Gebote be­schloffen liegen, dem Gebot weltweiter Arbeitersolidarität? Gewiß fann an der Wertung Brögers als Künstler im allgemeinen seine Stellung zu Parteifragen nichts ändern, wohl aber an seiner Ein­* Alfons Pezold, Volt, mein Volt. Gedichte der Kriegszeit. Eugen Diederichs Verlag, Jena . Broschiert 1,50 Mt. ** Karl Bröger , Kamerad, als wir marfchiert! Kriegs­gedichte. Eugen Diederichs Verlag, Jena . Broschiert 1 Mr.