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Für unsere Mütter und Hausfrauen

selbständige Wählerin, als mittatende und mitberatende Voll­bürgerin wahrnehmen kann, wird sie sich würdige Zustände schaffen für ihre Arbeits- und Lebensbedingungen und ein Mutterland für ihre Kinder. Die heutige Gesellschaft bietet ihr Steine statt Brot, sie düngt die Felder mit dem Blute ihrer Söhne und treibt Raubbau mit der Kraft ihrer Töchter. Zu diesem Ziele wäre feine Säuglingsfürsorge vonnöten. Das Ziel der Proletariermutter ist von anderer Art: gesunde, tüchtige Kämpfer für unser Freiheits­heer sollen sich aus der Frucht ihres Schoßes entwickeln, Kämpfer für unser Menschheitsideal: den Sozialismus!

Weltkrieg und Arbeiterdichter.

( Schluß.)

Oskar Wöhrles starke, volkstümliche Begabung, seine Lust an Sang und Musif, an flarer, einfacher Gestaltung elementarer Gemüts­bewegungen, wobei ein Unterton grübelnder Schwermut nicht fehlen darf, sein urwüchsiges Sprachtalent, sein unruhiges Vagantenblut legen ihm die Pflege des Volkstons" sehr nahe. Und er hat auch bleibend Schönes darin geschaffen, wie uns der Baldamus" und Die frühen Lieder" beweisen. Aber die Gefahr der Manier taucht jetzt auf. Was bei dem jung- leichtsinnigen Handwerksburschen und afrikanischen Fremdenlegionär noch genial- findliche Ur­wüchsigkeit war, flingt beim Landwehrmann im Flammensturm des Weltkriegs nicht mehr so echt.* Wer Gedichte wie Gelöbnis" und Der kommende Tag" geschrieben hat, von dem erwartet die Arbeiterklasse in dem kritischsten Augenblick ihres Daseins mehr. als einen Dreiflang von Sterben, Trinken, Lieben. Adel ber­pflichtet, Genosse Wöhrle! Und so lustig und so leicht nehmen die meisten Landwehrmänner das Scheiden und Meiden, das Sterben und Verderben denn doch nicht. Sehr viele und nicht die Schlech= testen kennen etwas Besseres als den Trost: Laß weinen, laß greinen,

Laß bitten, laß flehn!

Der Friede wird scheinen, Der Krieg wird vergehn.

Wöhrle selber ist's gar nicht immer so leicht ums Herz. Das beweisen die schönen, dem schweren Ernst des Krieges angepaẞten Gedichte Nach einem Begräbnis"," Im Lazarett"," Der Traum", ,, überschlag"," Bei der Nacht". Manches andere es mag nicht so gemeint sein kommt in der Wirkung einer Verherrlichung des Krieges gleich, könnte in der" Jungdeutschlandpost" stehen. Imperialismus von reinstem Wasser atmen folgende Zeilen: Laßt männerhoch die Fahnen wehn,

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Laßt euer Blut darüber gehn!

Aus diesem Feu'r wird neu erstehn

Deutschland  !

Deutschland  , das nie und nie verdirbt,

Deutschland  , für das jetzt jauchzend stirbt Deutschland  , das Ewigkeit erwirbt,

Deutschland  !

Wahrlich, es ist ein weiter Weg vom internationalen Sozia­lismus bis zu diesem Jugendwehrpatriotismus. Dieser rasche Wandel ist die Kehrseite der Ursprünglichkeit".

Der im Frieden eifrige Jugendgenosse und jetzige Musketier Max Barthel   tritt an die Öffentlichkeit mit einem Bande Verse aus den Argonnen".** Barthel   ist auch als Musketier So­zialist geblieben, Sozialist der Sehnsucht, Weltbürger des Her­zens, Bekenner einer völkervereinenden, völkerbeglückenden Zu­funft. In seinen Versen lebt der Jdealismus, wie ihn unsere Freie Jugend aus den Werken der großen bürgerlichen Klassiker schöpfte, lebt der starke Zukunftsglaube, wie ihn unsere Burschen und Mädchen selber unter sich aufbauten. Freilich der Sozialis­mus ist auch ihm heute mehr ein schönes Traumland als ein zu erkämpfendes Neuland. Neben den Sozialisten tritt stärker als je der Glück und Leben heischende junge Mann, in dem das Wün­schen und Wollen, das Zagen und Wagen, die Begeisterung und das Elend der Verlassenheit sich unruhig mengen.

Verbrüdert und verlassen Dem Urgrund tief verwandt,

Von Lieben und von Hassen

Beseligt und verbrannt,

So such ich meine Ziele

Und kenn mich selber kaum!

Die Stirn umschmiegt die Kühle Von einem schönen Traum.

* Als ein Soldat in Reih' und Glied. Gedichte von Dstar Wöhrle. Verlag von Fleischel& Co., Berlin  .

** May Barthel, Verse aus den Argonnen. Eug. Diederichs Verlag, Jena  . Broschiert 1 Mt.

Nr. 22

Nach Frieden, nach Schönheit, nach dem Glück aufbauender Ar­beit, nach edler Menschlichkeit, wie sie aus Goethes Werken strahlt, nach Freundschaft und Liebe ruft hier eine junge Proletarier­seele, die sich mit starkem Grauen von der Zerstörung, von dem Haß und der Roheit des Krieges abwendet. Dieser Krieg hat die Inbrunst seiner Erlösungssehnsucht nur noch verstärkt, hat seine Freude und innige Teilnahme an allem Lebendig- Wachsenden zu religiöser Hingabe gesteigert.

Odu Wald, zerknickt, zerschossen, Jm Granatensturm zerborsten! Auswärts neue Wipfel sprossen, Drin die freien Winde Horsten! Aufwärts sollt ihr, meine Träume, In den neuen Tag euch heben, Denn ihr sollt wie junge Bäume Knospen, blühen, brausen, leben!

Sich nicht unterkriegen lassen, nicht von der Sehnsucht nach der Geliebten und nicht vom Grauen des tausendfältigen Todes, das ist die neue Weisheit", zu der sich hier ein tüchtiger Mensch durchringt. Sie bringt die wundersame Zeit,

Wo keine Schlacht mehr tobt und schreit Und Millionen Leiber zwingt-

Wo Liebe alle Welt umschlingt.

Immer wieder begegnet uns in Barthels Gedichten dieser starke Glaube ans Leben, dieses Aufsaugen aller Lebenskräfte, ob sie ihm nun in der Farbenpracht und dem Dufte des französischen  Frühlings, im Zuge der Wildgänse hoch über seinem Haupte, o5 sie ihm in Gestalt eines einsam harrenden Pfluges, als fest­gegründeter Brückenbogen oder in der lieblichen Traumgestalt der fernen Geliebten entgegentreten. Und dieses Leben, an das er sich flammert, ist ein sich höher Entwickeln, ist trok Granaten­sturm, Schreck und Todesröcheln ein Sieg des unsterblichen Faust­gedankens. Es ist typisch für den jungen sozialdemokratischen Jdea­listen, daß er im finsteren Versteck des Unterstandes, während rings die Granaten wie Riesenkeulen einschlagen, die Kameraden wie Tiere schreien, daß er in diesen schrecklichen Augenblicken ein abgegriffenes Bändchen Goethescher Gedichte aus dem Tornister reißt und die kleinen Frühlingslieder nachlieſt.

Ich weiß nicht, was sich in mir dehnte, Da brach um mich der harte Zwang, Ich weiß nicht, was sich in mir sehnte Im wunderlichen überschwang.

Da schrie in mir die Lust zum Leben

Und jubelte ihr Gloria,

Sich tausendfältig zu erheben Und

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war noch nie dem Tod so nah.

Da fühlt' ich aus den wilden Wehen  , Aus all dem Quall und Schall der Wut Sieghaft den neuen Mensch erstehen:

Edel, hilfreich, gut.

So trägt ein junger Sozialist sein zukunftpochendes Herz mit sich in den Schüßengraben. Er ist gefeit gegen die Sirenentöne imperialistischer Lockvögel. Nicht durch dieses Schlachtenwetter wird die neue, bessere Welt geschaffen, sondern ihm zum Troße. Durchhalten im Sozialismus, sich rein erhalten, den Glauben nicht verlieren, wachsen, denn es warten viele und schwere Auf­gaben jenseits dieses Krieges! Und der Kampf um den Sozialis­mus bedarf ganzer Persönlichkeiten. Barthel ist noch jung. Es ist zu erwarten, daß die sehnsüchtige Inbrunst, die heute in ihm lobert, sich bald zu männlicher Klarheit und zielbewußtem Kämpferwillen verklärt. Edwin Hörnie.

Eine Mutter von der unangenehmen Gilde".

( Eine wahre Geschichte aus der Gegenwart.)

In einem Städtchen deutschen Grenzgebietes, strategisch einem Festungsbezirk zugeteilt, wohnt seit Jahren eine proletarische Blech­nerfamilie. Sie gehört zur Zunft, die man landläufig im Volks­mund als Kesselflicker und Schirmmacher bezeichnet. Solche Leute wandern nomadenhaft herum, arbeitholend und bestellte Waren ab­liefernd. Der Patriarch, dessen Familie wir jetzt fennen lernen, ver­steuerte seine Berufstätigkeit als seßhafter Blechner oder Klempner und ließ seine wimmelnde Familie nicht Staat noch Gemeinde zur Last fallen. Armi, aber ehrlich pries er es wieder als Familienglück, als die Mutter innerhalb 15 Jahren dem achten Kinde das Leben