Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 24

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oooooooo Beilage zur Gleichheit

Inhaltsverzeichnis: Die Freiheit sprach. Gedicht von Ludw. Pfau. Heimstätten oder Heilstätten? Von Schwester Lydia Ruehland. Die Mutter als Erzieherin.- Kinderschuß. Feuilleton: Zwei Stizzen von Heinrich Hansjakob aus Wilde Kirschen".

Die Freiheit sprach.

Die Freiheit sprach: Mich schickt ihr in den Tod, Und meine Laken sind des Volkes Rechte; So schlaf ich, doch dem menschlichen Geschlechte Bleibt meine Mutter, die euch schwer bedroht. Umsonst färbt ihr mit Blut die Feder rot: Die geht aus dem verlorenen Gefechte

Als Siegerin, haucht Mut ins Herz dem Knechte Und gibt dem Hunger Waffen anstatt Brot. Zu euren festen fingt sie Schauerweilen!

Schaut euch nicht um, denn wie das Weib des Lot Erstarrt ihr ob dem Schlangenhaupt, dem greisen. Die Schreckliche, sie kennet kein Gebot;

Die bricht euch, Goldene, denn sie bricht Cisen: Kennt ihr mein Mütterlein? Ihr Name ist die Not." Ludwig Pfau .

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Heimstätten oder Heilstätten?

Auf dem Gebiet Kriegerheimstätten hat eine Bewegung einge setzt, die in ihrer Rühr- und Betriebsamkeit beinahe beängstigend wirkt. Auch in den Neihen der organisierten Arbeiterschaft fehlt es nicht an Stimmen zu Lob und Frommen dieser neuen Bewe­gung. Manche wollen sogar einen besonders scharfen Zug ins Sozialistische" sehen in den Maßnahmen, die das geplante Reichs­gesetz für die Schaffung von Kriegerheimstätten vorsieht.

Gewiß ist anzustreben, daß das Wohnungselend verschwindet, mit ihm aufzuräumen, ist seit langem das Ziel unserer Mühe und Arbeit. Wer aber in der praktischen Arbeit steht, kennt die beinahe unüberwindlichen Schwierigkeiten, die sich den Ord­nung schaffen wollenden Organen entgegenstellen. Das ist nur natürlich in einem kapitalistisch regierten Staat. Daran werden auch alle noch so fein ausgeflügelten Maßnahmen im geplanten Reichsgesetz nichts ändern. Auf alle Fälle dürfen wir ihnen nach den gemachten Erfahrungen mit Fug und Recht kritisch gegen­überstehen. Wir müssen darüber wachen, daß bei solcher arbeiter­freundlichen" Flickerei nicht an Stelle des einen Glends ein an­deres gesetzt wird.

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und das

Unverkennbar lockt der Gedanke des Häuschens auf dem Lande", die Aussicht, ein Stückchen Erde sein eigen nennen zu dürfen. Aber nun die Kehrseite der Medaille: der Mann will doch auch leben. Man kann ihn doch nicht ohne weiteres in das Häuschen sehen wie den Vogel in das Bauer. Der hat auf der einen Seite den Futter-, auf der anderen den Trink- und eine halbe Etage höher den Badenapf. Für seines Daseins Notdurft ist gesorgt. Was nüßt das ideale Eigenheim dem Unbemittelten wird die Mehrzahl der Anwärter sein-, was nüßen ihm die viel­gepriesenen Faktoren: Licht, Luft, Sonnenschein, wenn Schmal­Hans Küchenmeister bei ihm ist? Von der Aufbringung der Mittel für die unausbleiblichen Reparaturen der Häuser ganz abgesehen. Da man diese Heimstätten in erster Linie denen zueignen will, die durch Verlust eines oder mehrerer Glieder eine besonders starte Anwartschaft auf Fürsorge haben, diese aber infolge ihres Körper­zustandes niemals in Konkurrenz treten können mit dem Arbeiter, der im Vollbesib seiner Glieder und damit seiner Schaffenskraft ist, so kann Rückschlag und Enttäuschung nicht ausbleiben. Die weitere Folge wird sein, daß sich die Frauen dieser Kriegsbe= schädigten in noch höherem Maße als bisher als Lohnarbeiterin berdingen müssen, um die Verhältnisse über Wasser zu halten. Damit wird das Eigenheim seines schönsten Zweckes entkleidet. Ein Heim, dem die Frau fehlt, in welchem sie nur Sonntags Gast ist, noch dazu schaffender, waschender, scheuernder Gast, das ist fein Heim in dem idealen Sinne, wie ihn die Heerrufer der gut­gemeinten Bewegung im Auge haben.

Wir brauchen uns nur umzusehen, was der Alltag aus den Frauen macht, wie die Not die Frauen in Betriebe zwingt, wo man sonst nur starke Männer sah. Das Erwerbsleben nimmt keinerlei

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Rücksicht auf die Frau als Gebärerin der Kinder, als Stillerin des Säuglings, als Erzieherin ihrer Kinder, Dinge, die aber die ganze Nation angehen. Um wie viel weniger fragt es danach, ob die Kräfte einer Frau für den Doppelberuf: Hausfrau und Lohn­arbeiterin ausreichen. Was nützen diesem vielgeplagten Arbeits­tier Luft, Licht, Sonne im Eigenheim? Gewiß, ihr Fehlen wäre ein Mangel, der durch sozialpolitische Gesetze und Einrichtungen sofort behoben werden müßte. Aber allein machen sie die Suppe nicht fett. Zu alledem kommt die wenig erhebende Aussicht, daß der Kriegs­beschädigte mit den Folgen seiner Verletzung, sei diese physisch oder psychischer Art, nicht so bald fertig wird. Den allermeisten werden diese Folgen noch lange nachgehen. Muß nicht die Per­spektive schrecken: der Mann krank, siech, die Frau schuftend, in der Fabrik oder als Heimarbeiterin. Muß angesichts dieses Elends nicht Verbitterung und Enttäuschung in das noch so schöne Eigen­heim einziehen?

Ich kenne solche Eigenheime" aus der Praxis, ich habe da oft furchtbare Dinge geschaut, die mich das Atmen auf Augenblicke vergessen ließen. Die Häuschen der Heimarbeitsweber lagen lustig auf grünem Wiesenplan, Fliederbüsche dufteten, und die liebe Senne goß ihre Strahlenpracht verschwenderisch auf das meist windschiefe, aber doch Eigenhäuschen". Von all den poesievollen Herrlichkeiten, wie sie das Herz des Großstadtkindes begeistert er­faßt, merkten die drin im Häuschen nichts, rein nichts. Mit schma­lem, zusammengepreßtem Brustkasten, dem wohl nie, auch nicht Sonntags ein freier Atemzug entquoll, hocken sie am Webstuhl, schuften, schuften von früh bis spät, Tag für Tag. Kaum daß sich die Frau die Zeit nimmt, die Mehlsuppe zu quirlen, die Kartoffeln anzusetzen, braune Brühe im Massenquantum aufzugießen, die mit Kaffee kaum die Farbe gemeinsam hat. Denn bei allem Fleiß reicht es ja nur zum Allernötigsten. Das war schon vor dem Kriege so. Glaubt man denn wirklich, daß diese traurigen Verhältnisse sich gebessert, eine Läuterung erfahren haben?! Für den, der alle Jubeljahre einmal in solche Heimarbeitsdörfer kommt, mag die Sache ganz erträglich aussehen aber sie ist alles andere als das. Denn die Lebenshaltung dieser bedauernswerten Menschen, jawohl, bedauernswert trok ihres Eigenheims", steht auf der un­tersten Kulturstufe. Und mit der Schaffung solcher Zustände legt eine Nation feine Ehre ein. In Nr. 10 des laufenden Jahrgangs der Gleichheit" hat Genosse Reichstagsabgeordneter Jädel die schweren Gefahren besprochen, die diese Eigenheimkolonien", ber­bunden mit Heimarbeit für die kriegsbeschädigten Textilarbeiter in sich bergen. Es würden also nur künstlich neue Scharen hunger­leidender, infolge ihrer Kriegsschäden doppelt hilfloser Heim­proletarier geschaffen.

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Von einer um so viel näher liegenden Heil st ätten bewegung hört man so gut wie nichts. Nur davon war die Nede, daß die Ärzte der Heilstätten gut darauf achten müßten, sobald sich bei den heimgekehrten Kriegern die Rentenpsychose" einstellen sollte. Das soll wohl mit anderen Worten im Arbeiterdeutsch heißen: diesen anspruchsvollen Leutchen muß gezeigt werden, wo der Zim­mermann das Loch gelassen hat. Dr. Ernst Beyer, so hieß der menschenfreundliche Arzt, gab diese Parole in einer medizinischen Zeitschrift ganz unverblümt heraus. Ich brauchte nicht lange in meinem Gedächtnis zu suchen, die Verbindung zwischen Person und Parole ergab sich schnell. Wes Brot ich, des Lied ich sing" auch hier hat der Reim Geltung. Genannter ist leitender Arzt einer Voltsheilstätte im Westen Deutschlands . Die Ärzte der Heil­stätten sind infolge der Bettennot gehalten, den Patienten flarzu­machen, daß sie so bald als möglich gesund zu sein haben, so­mit Die Bettennot existiert nicht nur im Proletariat. Auch die schwerreichen Landesversicherungsanstalten leiden an diesem Erbübel. Wer die Betriebe kennt, weiß, wie lange die Anspruchs­berechtigten oft warten müssen, bis Play wird. Und dieser Platz an der Sonne wird so bald nicht frei, da die meisten den Anspruch auf eine dreimonatige Erholungstur ausnutzen, was ihr gutes Recht ist. Dieser Platz- und Bettenmangel bestand schon vor dem Kriege er wird sich zur Kalamität auswachsen nach Beendigung des Ringens und für das kommende Jahrzehnt. Wenn die Ar­beiter wieder eintreten in die Betriebe, wird sich bei vielleicht nur allzuvielen zeigen, daß der Mensch nicht ungestraft Jahr um Jahr Erdhöhlenbewohner war und Strapazen erdulden mußte, die ihm nicht in der Montur hängen blieben, sondern ihm durch Mark und