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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nun gab er jedem seiner Kinder die Hand zum Abschied und mahnte sie zur Eile mit den Worten: Aber jetzt geht schnell,' s donnert schon wieder."

Der Alte hatte allzeit seinen Willen, fest wie Eisen. Sein letzter Wille aber war heut wie Diamant. Die Kinder, immer gewohnt, ihm zu folgen, gehorchten auch hier. Weinend gingen sie den Hügel hinab und unter Tränen banden sie ihre Garben. Tränen­den Auges schauten sie von Zeit zu Zeit von der Arbeit hinauf zum Hermeshof, ob sie nicht vor dem Donnern des Himmels den Brummler überhört hätten.

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Eben war die letzte Garbe gebunden und geladen, da fuhren Bliz und Schlag übers Tal hin. Eine plötzliche Stille folgte dem Zucken und Rollen vom Himmel her da fällt ein Schuß vom Hof herab, der Brummler gibt das Todesfignal des Vaters. Neben dem Ernte­wagen knien die Kinder und beten ein Vaterunser und Herr, gib ihm die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihm". Dann füh­ren sie ihre Garben den Berg hinauf ins Vaterhaus. Der Vater ist tot, da sie seine Stube betraten. Die Ernte ist daheim und der Vater auch.

So sterben große Menschen, und große Menschen finden sich nicht bloß auf Fürstenthronen, auf Schlachtfeldern, auf Kathedern, sie finden sich, oft weit größer, auch in stillen Tälern, auf ein­samen Gehöften. Im Volke, diesem Meere der Menschheit, da leben Adamskinder von jeder Sorte.

2. Die Weiberschlacht.

Nicht bloß Rom , sondern auch meine Vaterstadt an der Kinzig hatte ihre Kämpfe zwischen Plebejern und Patriziern. Die Jdeen der französischen Revolution waren auch unter die Hintersassen" und Pfahlbürger des Städtchens gedrungen, und bereits 1805 hatten sie es durchgesetzt, daß die Allmendäcker und-wiesen in gleichen Teilen unter sie und die Vollbürger verteilt wurden. Zwanzig Jahre später ging's an den Wald. Bisher hatten nur die Altbürger Anspruch auf Holz aus den städtischen Waldungen; jetzt verlangten auch die Vorstädtler und Hintersassen das gleiche Recht auf jährlich zwei Klafter Holz und hundertfünfzig Wellen..

Da gab's Aufruhr. Die Patrizier sahen ihr lebtes Privilegium bedroht. Der Anführer der Opposition war der Weber Kaiser, den ich noch wohl kannte, ein aufrechter, stattlicher Mann mit großen blauen Augen und einer Habichtsnase. Er rauchte auf der Straße beständig aus einem furzen Kölnerpfeifchen. Beredt und gescheit wie keiner seiner plebejischen Mitbürger, sammelte er diese um sich zu einem geschlossenen Bund, dem er den schönen Namen gab: " Das allgemeine Wohl."

Ein Patrizier, bei dem er Herberge und seinen Webstuhl hatte, Kündigte ihm die Wohnung, als der Kampf begann. Was tut der Volkstribun und Sprecher des allgemeinen Wohles"? Er zieht mit Weib und Kind unter die luftigen, steinernen Hallen des Rat­hauses, schlägt hier seine Zelte auf und hält Volksversammlungen, bis ihm der Magistrat eine Wohnung anbietet im Gottlüthaus". Aber auch hier erregt er einen Aufstand gegen die Patrizier; cr macht die armen Leute alle sozialdemokratisch. Ein Patrizier zwei­ten Ranges, der Beckefidele", stellt sich unter des Kaisers" Fahne und hilft räsonieren über das städtische Regiment: Auf dem Rat­haus seien lauter Spizbuben, denen einmal ein rechter Mann ins Kollegium gesetzt werden müsse, der ihnen dick und dünn die Mei­nung sage. Dazu wäre er, der Beckefidele, die geeignetste Persön­lichkeit." Die Plebejer wählen ihn, kaum ist aber der Beckefidele im Rat, so verstummt seine Opposition. Und als sie ihn interpellieren, weil er sein Versprechen nicht halte, spricht er: Ihr Bürger, i hätt' miner Lebtag nie glaubt, daß es uf dem Rothus so ehrlich herging." Die Zahl der Beckefidele" ist heute noch in ähnlichen Verhält­nissen Legion.-

" Das allgemeine Wohl" läßt seine Sache keinen Tag ruhen. Der Weber Kaiser verlegt die Agitation nun auch noch unter die Weiber, welche für diesen Fall leicht zu gewinnen waren. Sie wollen auch Holz brennen in der Küche und im Ofen, das nichts kostet, wie die Frauen der Vollbürger. Der Stadtrat verspricht, int Frühjahr 1826 die Plebejer am Holzhieb teilnehmen zu lassen und ernennt einstweilen den Beckefidele zum Waldmeister. Die Ple­bejer wittern hinter dieser Ernennung eine Art Staatsstreich und find doppelt auf der Hut. Das Frühjahr kommt ins Land; während des Winters war viel Holz geschlagen worden, die Arthiebe hatten manchen Wintertag herabgetönt vom Urwald ins Städtle. Der Tag der Losziehung wurde ausgeschellt für alle Holzberechtigten".*

* Es wird in Hasle bis auf den heutigen Tag das Holz, dem Quantum nach für jeden Bürger gleich, aber in der Qualität ver­schieden, durchs Los alljährlich auf dem Rathaus verteilt. Meist gehen Weiber und Knaben zur Ziehung. Es war für mich kein kleines

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Die Plebejer fandten an jenem ersten Ziehungstage des Jahres 1826 meist ihre Weiber; die Männer hatten den Sieg erkämpft, die Weiber sollten die Siegesbeute holen. Ghe der eben ernannte Wald­meister Nirnberger die Losziehung eröffnete, teilte der Beckefidele den Beschluß des Stadtrats mit, daß fürs erste Jahr die Hinter­sassen kein Holzlos, sondern nur hundertfünfzig Wellen Reisig bekämen.

Jetzt war's um den armen Waldmeister und um den treulosen Stadtrat geschehen. Wie Hyänen fielen die Weiber über die beiden her, schlugen sie wund zu Boden. Ohne die Dazwischenkunft von anderen Männern wäre keiner mehr lebend aus den Händen der Holzfurien gekommen.

Der Stadtrat versammelt sich auf die Nachricht von der Ge­walttat und geht schneidig vor. Die Rädelsführerinnen, die Sä­gerin" und die Frau des wüsten Neumaier", eines Fuhrmanns in der Vorstadt, sollten vom Polizeidiener verhaftet und ins Narrehüsle"* geführt werden. Das war für den damaligen Chef der exekutiven Gewalt, den alten Schneider- Michle, keine Kleinig= teit. Die Sägerin, ein Hühnenweib, die ich als Knabe noch oft bei meiner Großmutter sah, warf den armen Polizeischneider zur Türe hinaus. Bei der wüsten Neumaierin" gelang ihm die Ver­Haftung, er brachte sie hinter Schloß und Riegel. Ihr Gemahl war abwesend, und als er mit seinem Fuhrwerk am Nachmittag von Offenburg her heimkehrte, hieß es, sein Weib sei vom Schnider­Miehle" wegen der Schlacht auf dem Rathaus eingesperrt worden. Wenn man einem Ritter des Mittelalters bei der Heimkehr ge= meldet hätte, seine Burgfrau sei ihm von einem anderen entführt worden, könnte er nicht eiliger sich aufgemacht haben, um die Schmach zu rächen, als der wüste Neumaier. Damals hatte Has­ lach eine Schwadron Bürgerkavallerie. Bei der stand der wüste Neumaier. Seinen Schleppsäbel umschnallen, einen Gaul satteln und mit gezogenem Säbel ins Städtle galoppieren, war das Werk weniger Minuten.

Am Narrenhüsle angekommen, sprengt er mit seinem Schwert die elende Holztüre auf, hebt sein Liebstes aufs Pferd, wie ein Rittersmann in der besten Minnezeit, und trabt, immer noch den blanken Säbel in der Rechten, stolz durch die Hauptstraße seiner Burgruine in der Vorstadt zu, wo er das Weib absetzt.

Aber noch hat der Ritter sich nicht gerächt am Attentäter auf seine Hauschre, am Schneider- Miehle. Im Galopp saust er aber­mals ins Städtle und fahndet auf den Diener der heiligen Her­mandad. Bei dessen Wohnung, am Rathaus, an allen Wirts­häusern sprengt der rasende Roland vor. Er findet ihn nicht.

Schon will er heimreiten, da, an der Grenze zwischen Stadt und Vorstadt, unweit vom" Engel", sieht er von ferne den bereits ge­warnten und geängstigten Schneider seiner Behausung zueilen. Dieser hört den Hufschlag, sieht den wüsten Neumaier, den Säbel schwingend, auf sich zureiten und springt hinter das Engelswirts­haus, um ein Unterkommen zu suchen. Noch wenige Sekunden, und der Dragoner hat ihn. Da gilt kurz Besinnen. Nur eine einzige Öffnung bietet sich dem zu Tode Erschrockenen der Gänsestall des Engelwirts. In den schlüpft er mit Uniform und Säbel. Kaum hat er seine Füße nachgezogen, so fährt schon ein Hieb über den Gänsepalast.

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Doch die Angst des armen Schneiders und die Energie, mit der er sich in den Gänsestall eingezwängt, entwaffnen den Grimm des Reiters. Aber so lange seine Frau im Narrenhüsle, ebensolang soll der Polizeidiener im Gänsestall bleiben. Hoch zu Roß hält der wüste Neumaier treue Wacht, und um den Schneider von seiner Gegenwart zu überzeugen, haut er bisweilen einen Span aus dem hölzernen Schlupfwinkel desselben. Jung und alt sammelt fich schließlich um dies eigenartige Bild.

Als die Abendglocke ausgeklungen, reitet der Plebejer von dan­nen; barmherzige Leute ziehen den halbtoten Sicherheitsmann aus seiner Truhe und geleiten ihn mitleidig nach Hause. Sein Sohn aber heiratete später eine Tochter des wilden Reiters, und so ward dessen Tat in schöner Art gefühnt.

Eine Schlacht der Weiber auf dem Rathaus und die Nache des wüsten Neumaiers bildeten den Schluß des langen Kampfes zwi­schen Patriziern und Plebejern in meiner Vaterstadt Hasle. Die Ictzteren siegten in all ihren Forderungen. Fortan war Friede im Städtle bis Anno 1848.

Ehrenamt, wenn der Vater mich als Knaben dazu beorderte, den Loszettel zu ziehen und dann gleich im Wald das Holz aufzusuchen. * So hieß ein kleines Haus am untern Tor", das als Bürgerarrest diente und in das man auch die Geisteskranken zeitweilig einschloß. Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart . Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart .