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Für unsere Mütter und Hausfrauen

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schematisch ist vielfach im einzelnen der historische Materialismus angewendet. Das fleißig zusammengetragene Material beruht nicht immer auf selbständiger Quellenforschung und läßt wie eine tiefere theoretische Durchleuchtung, so auch die Beseelung mit eigenen, neuen Gedanken vermissen. Die proletarische Frauen­bewegung ist nach ihrem höchsten historischen Inhalt der Mit­wirkung zur Überwindung des Kapitalismus nicht gewürdigt, nicht gewürdigt, ja ihre junge Geschichte ist nicht einmal quellenmäßig richtig dar­gestellt. Allein das Buch enthält Abschnitte von vollem Wert, wie die Kapitel, die das Aufkommen der modernen industriellen Frauenarbeit und die Folgen des Entwicklungsprozesses schildern, und die Darstellung ist fast durchweg von bestechendem Glanz.

Es erweist sich in der Frauenfrage" wie in allen ihren Schrif­ten, in ihrem ganzen Anteil an dem Ringen der erwachenden Geister um Erdreich und Sonne, daß Lily Braun   trok der Schärfe und Schulung des Intellekts, trotz des Reichtums ihres Wissens feine schöpferische Denkerin war, die Theorien weiterzuentwickeln und zu vertiefen vermocht hätte. Sie war nicht fruchtbar an neuen, zielsetzenden Ideen, wohl aber Meisterin in der Kunst, ausge­streute und umstrittene Gedanken zu erfassen, ihnen eine persön­liche, eigengeartete Prägung zu geben und sie trefflich zu begrün­den. Ihr eignete mehr Breite und Durchsichtigkeit als Tiefe, mehr theoretisches Anpassungs- als Findungsvermögen, wie es zu den Charakterzügen ihrer Werke gehört, daß sie mehr Glanz aus­strahlen als Wärme atmen, mehr durch gebildete Glätte als durch herbe Eigenart auffallen. Fast durchweg erheben sie sich mit Aufbau und Formvollendung über den Durchschnitt der schrift­stellerischen Frauenleistungen. Sie sind gleich Lily Brauns ge­sprochener Worte von dem Odem der Dichterin belebt worden, die die Erinnerungen ihrer Großmutter in dem schönen Buche her­ausgegeben hat:" Aus Goethes Freundeskreise", die das Drama Mutter Maria" schuf, den Roman Im Schatten der Titanen" usw.

Allerdings reichte Lily Brauns dichterische Kraft nicht aus, um großzügige Werke einer reifen Kunst zu geben. Nicht als ob eine solche durch die oft waffenklirrenden Jdeen und Tendenzen der Dichtungen verscheucht worden wäre. Der Verfasserin gebrach es vielmehr an der schöpferischen Kraft, Jdeen mit fünstlerischen Mitteln sinnlich verkörpert zu gestalten. Ihr eignete ebenfalls nicht die urwüchsige Unmittelbarkeit des sinnlich- geistigen Erlebens, das mit innerer, zwingender Notwendigkeit nach Ausdrud ringt. Auch als Dichterin war die Verstorbene mehr nachempfindend als eigen­schöpferisch, eine hochgebildete, feinsinnige Literatin von respek­tablem Talent, die schaffen wollte, nicht aber eine geniale Künst­lerin, die formen mußte.

Lily Braun   ist geschieden, ehe daß der lebendige Springquell ihrer Gaben zu versiegen begonnen hätte. Sie hat vielgefeierte Leistungen hinterlassen und unerfüllte Hoffnungen mit ins Grab genommen. In höherem Maße als vielen wurde ihr das bittere Menschenlos zuteil, enttäuscht zu werden und zu enttäuschen. Denn ein Zwiespalt geht durch ihr Wesen und ihr Werk, klaffende Gegensätze tun sich darinnen auf, die sich im Leben selbst nicht harmonisch ausgeglichen haben, sondern ihre Synthese nur in jener erdgefesselten Menschlichkeit finden, auf die sich der einzelne mit Fausts Wort berufen kann:

" Ich bin kein ausgeflügelt Buch,

Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch."

Lily Braun  , die für die Internationalität der Frauenbewegung gekämpft und die internationale Solidarität der Arbeiter aller Länder gefeiert hatte; Lily Braun  , deren Persönlichkeit an den Schätzen der Geisteskultur aller Länder gereift war; Lily Braun  , die noch 1905 an der eleganten Verständigungsfahrt teil­nahm, die deutsche Journalisten auf Einladung ihrer englischen Berufsgenossen über das Ärmelmeer führte: diese nämliche Lilh Braun hat in den Zeiten des furchtbaren Weltkriegs einem eng­brüftigen Nationalismus gehuldigt, der sie international Emp­findende und Denkende nicht mehr verstehen, vielmehr als Ver­räter an der Heimat brandmarken ließ. Die Schwärmerin für den Weltfrieden und die innige, große Kulturgemeinschaft der Menscha heit ohne Unterschied der Nation und Rasse wurde zur Beken­nerin einer imperialistischen Weltmachts- und Durchhaltepolitik mit ihren völkerzerklüftenden und kulturvernichtenden Konsequen­zen. Die Verfechterin der Auffassung, daß die lebenschüßende und lebenerhaltende Mütterlichkeit des Weibes Kern und Stern sei, sah ihr einziges Kind kaum siebzehnjährig als Freiwilligen in die Schlachten des Weltkriegs ziehen.

Was unüberbrückbar scheint, rückt jedoch einander nahe, wenn man die Macht der Vererbung berücksichtigt, die an des Menschen

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Nr. 25

Geschick schmiedet, unerbittlicher als die Vorsehung mittels der Gnadenwahl nach Calvins   Lehre. Lily Brauns Persönlichkeit und Entwicklung hat im Schatten der Titanen, hat im Banne der Ver­erbungs- und Urweltsmächte gestanden. Sprößling von Familien, in denen das blaue Blut alten Adels sich mit dem bürgerlicheren Lebenssaft eines jungen Briefadels an Duodezfürstenhöfen mischte, Familien, in denen die stolzesten Traditionen der Geburt, die ver­pflichtet, mit den ungesättigten Ansprüchen vorrechte und herr­schaftsgewohnter, mit dem Wünschen und Wollen Dienender, auf Gunst und Gabe Angewiesener, Emporverlangender sich kreuzte; Enkelin einer illegitimen Tochter des korsischen Parvenü" Jerôme von Westfalen: wurden ihr bei der Geburt die widerspruchsvollsten Gaben und Eigenschaften in die Wiege gelegt. Die vom Triumph des Kapitalismus beherrschte Zeit und die Verhältnisse in der engeren Familie von der liebevoll gepflegten Goethetradition bis zum vorzeitig hereinflatternden blauen Abschiedsbrief für den Vater schufen eine Welt, wo Sein und Schein gar seltsam in­einanderflossen und die gegensätzlichsten Einflüsse auf die Entwick­lung des jungen Mädchens mit seinen reichen Talenten und hoch­fliegenden Träumen einwirkten. Im Guten und Schlimmen sind die Mächte der Vererbung und des Milieus Lily Brauns Schicksal gewesen. Das Ererbte lag häufig genug im bitteren Widerstreit miteinander und mit dem in heißer Sehnsucht nach idealer Lebens­gestaltung Erworbenen. Wenn es Lily Brauns Verhängnis war, daß Tage kamen, wo unter dem Druck der Alltäglichkeit dunkle Vererbungsgewalten ihr hohes Persönlichkeitsideal übertäubten und überwältigten, so bleibt es ihre Ehre, sich gegen sie tapfer gewehrt und ihnen immer wieder dieses Jdeal entgegengehalten zu haben. Und wenn die Ringende darunter gelitten hat, daß sie die Tochter einer Gesellschaftsschicht war, der die geschichtliche Entwicklung den sicheren Boden unter den Füßen entzieht, so war es ihre Ehre und ihr Glück, sich aus eigener Kraft arbeitend eine Heimat und ein Tätigkeitsfeld geschaffen zu haben. An selbstän= diger Arbeit ist Lily Braun   gewachsen, empfangend und gebend, selbständige Arbeit hat sie emporgetragen. In dieser Tatsache schließt sich ihr Sein und Tun zum Ringe.

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Vom Würzen der Speisen.

II.

Von den Wurzelgewürzen sind die am häufigsten ge­brauchten die Petersilie, der Sellerie, der Rettig und der Meer­rettig. Weit seltener wird eine ausländische Wurzel gebraucht: der Ingwer. Die Petersilie stammt aus den Gebirgsgegenden Südeuropas  . Bei den Griechen und Römern kannte und brauchte man nur die wilde Pflanze. Von ihrem Anbau in Gärten weiß man erst seit der Zeit Karls des Großen. Mit Ausgang des Mittel­alters fand die Petersilie allgemein Eingang in die europäische Küche. Die süßlich aromatische Wurzel ist einer der Hauptbestand­teile des Suppengemüses. Sie wird aber auch gelegentlich allein ge­braucht zu grün gefochten Fischen, zu Kalbfleisch und Geflügel. Ja, in Frankreich   und England bereitet man sie als Gemüse zu. Der Sellerie war in seiner wilden Urform schon im grauen Altertum bekannt. Homer erwähnt ihn bereits. Als Kulturpflanze tauchte der Sellerie aber erst vor dreihundert Jahren in Frankreich  auf. Auf salzhaltigem Boden kommt er noch heute wild vor. Gegen­wärtig fennt man den Knollensellerie mit großer, runder Wurzel­knolle und kurzstieligen Blättern, und den Stengelsellerie mit ver­ästelter Wurzel und langgestielten Blättern. Je nachdem man den Sellerie in fleinen Mengen als Bestandteil des Suppengemüses oder in größeren Quanten zu Mischgerichten verwendet, ist er als Würzmittel oder als Nahrungsmittel anzusprechen. Der bekannte dänische Ernährungsreformer Hindhede empfiehlt ganz besonders den häufigen Gebrauch der Knollengewächse zu allen Zwecken der Küche, so auch den des Sellerie. Der Bleichsellerie spielt als Würz­mittel keine Rolle. Er wird nur roh als Salat verzehrt. Sellerie ist reich an den wichtigen Nährsalzen Phosphorsäure und Schwefel. Als eine Art Gewürz kann auch der Rettig gelten, der als Appetitweder seit über viertausend Jahren sehr geschätzt ist. Seine Heimat ist das südliche Ostasien  . Den beißenden Geschmack ver­dankt der Rettig ebenso wie seine Zwergform, das Radieschen, seinem Gehalt an Senföl. Da Rettig ziemlich schwerverdaulich ist, empfiehlt es sich, ihn zu reiben, einzusalzen, um seine derben Fasern zu erweichen, und dann zum Brot oder zum gefochten Rindfleisch zu verspeisen.

Ähnlich steht es in bezug auf Verdaulichkeit mit dem Meer­rettig. Auch er ist nur für Gesunde bekömmlich, und dann nur