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Nummer 3

Heimwelt

20. Januar 1921

Unterhaltungsbeilage des Vorwärts

dma Hlle Kraft des Menfchen wird erworben durch Kampf mit fich lelbft und Ueberwindung leiner felbft. State

17:

Rauhreif.

11:00 Bon Hermann Löns

Die Nebelhege hielt gestern großen Waschtag. Schon am frühen Nachmittage, als ich unter dem hohen Hange entlang schlich ,, spürte ich es; die Luft wurde dick und unfichtig uns roch schlechter und schlechter.

Um die vierte Stunde mußte ich meinen Waidgang abbrechen. Berg und Tal verfchivanden, Weg und Holz waren eins, die Bäume wurden zu Gespenstern, die Büsche zu Kobolden, mir war, als hätte ich keine Augen mehr. d send s

Heute hatte die Welt ein anderes Gesicht. Die Fichten sind alle zu Weihnachtsbäumen geworden; ihre bereiften Wipfel blin fern in der Morgensonne. Die dürren Blätter der Buchenjugenden und Gichenrauschen haben filberne Belze angezogen, und sogar das fable Gezweige der alten Buchen hat sich festlich geschmückt.

Auf tauben Dunst bummele ich dahin, es dem Zufall über­lassend, was er mir verehren will. Ich darf ein altes Gelttier abschießen, woran mir aber nicht viel gelegen ist. Sauen außer führenden Bachen, doch die lassen sich bei Tage tvenig mehr sehen, seitdem sie mehrfach getrieben sind, und alles Raubzeug, das ich antreffe. Mit dem Warder ist es nichts, weil kein Spurschnee da ist, und da die Füchse wohl faut schon rennen, so werde ich darauf auch keinen Anblick haben.

Doch was liegt mir an einer Beute an diesem silberblau­goldenen Tage, wo Busch und Baum vor Neif blizen und die Sonne hell bom hohen Himmel lacht, fröhliches Strähengequarre aus dem Tal kommt und die Luft voll ist von dem Gezwitscher allerlei luftigen Bolles! Sehen will ich und hören, und mit mir ganz alleine fein an diesem wunderschönen Wintertage, der eigens für mich gemacht ist. Holla, da ist schon etwas ganz Liebes und Schönes, ein Dukend Seidenschwänze, puzzwunderlich gefleidete Fastnachtsgeden aus Finnland , die zwischen den roten Hagebutten und blauen Schlehen unter silberweißen Waldrebenschöpfchen fißen und auf eine Weise awitschern, die nicht Landesbrauch ist.

Wohin ich sehe, habe ich Anblick mannigfacher Art. Hier taffelt eine schwarze Eichkabe an der Eiche empor; dort fällt ein Flug Dompfaffen auf die Birke ein, daß es aussieht, als wäre fie ein Apfelbaum; hier zieht ein Reh, da stehen zwei Stück Rot wild und flüchten burch das helle Holz. Und rechts und links von der Brandrute haben Sauen gebrochen; überall ist der steinige Boden umgepflügt, find tote Fichten ausgebrochen, morsche Stümpfe zerfekt, und Felstrümmer, viermal so did wie ein Menschenkopf, aus dem beinhart gefrorenen Boden gehoben. Vorgestern schoß ich hier am Kreuzgestell einen Fuchs und warf den Kern neben den Jagenstein; nicht ein einziges Knöchelchen ist davon geblieben. Die Sauen nahmen den willkommenen Fraß an.

Der welte, brette Hau hier ist so schön, daß ich vor ihm stehen bleiben muß. Daumendid hüllt der Rauhreif die Halme ein, daß sie sich unter der Bast biegen, und die vom Rotwild zu wunder­lichen Puppen verbissenen Jungfichten, die um die alte frumm äftige Eiche einen Streis bilden, sehen aus wie lauter weißgefleidete Mädchen, die sich zum Reigen aufgestellt haben. Und dann zwitschert es und feuchtet und ein Flug Stiegliße, bunt wie ausländische Schmetterlinge, stiebt herbei, fällt auf die mannshohen Disteln ein, zupft an den Köpfen herum, findet sie leer und flattert weiter.

Ich gehe durch Buchenaltholz, in dem die Nußhäher aus Nor­ wegen hin und her fliegen und vertraut dicht vor mir auf dem Boden herumhüpfen, durch die hohen Fichten, die in der Sonne

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funkeln und flimmern und von dem Gewißper der Goldhähnchen erfüllt sind, durch einen alten Eichenbestand, in dem ein grünce Specht von Stamm zu Stamm schnurrt und von dessen Kronen hundert blanke Tauben fortflatschen, und scheuche schließlich am Rande des großen Windbruches eine Ride fort, die in die Fichten zurüdspringt, während das Kit nach einigen Fluchten stehenbleibt und dumm hin und her äugt. Einmal mahnt das Mtreh, und noch einmal, und dann, wie das Junge nicht folgt, stürmt es heran, straft es mit einem derben Schlage der Hinterläufe ab, daß es laut aufflagt und treibt es vor sich her in die Didung hinein, daß der Rauhreif nur so herunterprasselt.

Um den Windbruch schleiche ich herum, durch den ein wildes Bächlein fludert, und drüde mich von Wurfboden zu Wurfboden tretend in ihn hinein, unsichtig hin und her spähend, denn gera brechen die Sauen auch bei Tage hier nach Untermast. Eine ganze Stunde bringe ich auf ihm aut, hier ein wenig paffend, dort ein bißchen lauernd, da eine Weile auf einem Stamme fauernd und mich an dem wilden Wirrwarr von Felsblöden, Stämmen, Wurzel scheiben und Astgetrümmer freuend, das der Sturm vor vep Wochen hier schuif. Aber nur einen Hafen jage ich heraus und einen Sprung Rehe treffe ich an, und stoße schließlich, als ich die Windwüste hinter mir habe und auf das Hauptgestell tree, auf ein ganzes Nudel Wild, das mir lange Häise entgegenreckt und in hellen Fluchten in die Didung hineinprefcht.

Gellendes, giftiges Hähergekeife rust mich nach den Mippen hin. Vorsichtig stehle ich mich von Stamm zu Strauch von Fels zu Busch, und spähe und starre dahin, wo ein Duzend der bunten Narren mit gesträubten Hauben in der Krone der von einer alten Fichte durchwachsenen Giche hin und her flattern, und zebern und schimpfen, als sei der böse Feind dort versteckt. Ich denke, fie werden den Kauz da erwischt haben und verhöhnen, aber da fommt es mir so bor , als gälte ihr Gefeife dem Gichkaßenkobel, das in die Drille der Eiche eingefeilt ist, und ich denke: am Ende haben die Stroiche einen Marder vor!

Noch etivas dichter pürsche ich mich heran, bis mich einer von den Blauflügeln spit friegt, Mordio schreit, und alle miteinander mit dem Schredgeschrei: Der Jäger, der Jäägerr, der Jääägerrr!" von dannen zappeln und mir aus sicherer Weite Schimpf und Schande an den Hals wünschen. Und dann trete ich unter dejt Doppelbaum und sehe, ob nicht die Nute des Nachtschleichers über den Nand des Horstes hänge, fann aber nichts erfpähen und schide darum eine Kugel unter das Rest. Brüllend schmeißt mir die Felewand den Widerball zu, Borke und Rauhreif regnen mir ents gegen, aber fein Marder springt aus dem Nest heraus. Ich lade und schide eine andere Stugel dahin, denn heute ist Raubfrost, morgen gibt es Schnee oder Regen, und vor Wettertechyfel sitzt der Marder fester als je, und da ist er auch schon, hat mit einem Eat die Fichte, gewinnt nach dem eilig hingeworfenen Schrot fchuffe die nächste Buche und ist schon fast so tveit, daß er die Slippe hat, die viel zerrissene, wo er mir verloren wäre, da faßt ihn bec dritte Schuß, und in einem silbernen Rauhreisgeriesel schlägt ee durch das Gezweige in den Schnee.

Jch atme auf und gehe heran und merke jekt, daß diese zum Tropfen brachten, streichle den weichen, dunklen, langhaarigen wenigen Augenblide mein Blut zum Sieben und meine Stirn Balg, liebfose mit meinen Blicken die fubblumengelbe Stehle, die breiten Branten und die buschige Lunte, und finde, daß es mein stärkster Marder ist, und der am besten geschossene, denn ein einziges Bogelforn traf ihn und schlug ihm mitten durch den edlen Kopf. Fröhlich schlinge ich ihn ein an der Rudsadschleife und schlendere weiter, das Gefeife der Häher mit gleichem Baute erwidernd und mit hellen Augen alle die Pracht des Tages umfassend, die goldene Sonne, den blauen Himmel und den silbernen Rauhreif, den aber am meisten.

Aus Hermann Löns letter Sammlung urfrischer Natur- und Jagde bilder: Ho Rad' boh!( Adolf Sponhots Verlag, Hannover .)