Bon Schigolch.
Fräulein Riselotte v. X. an ihre Freundin Ursula v. g. Liebe Urfel! Bapa hat sein Bersprechen diesmal gehalten: kaum war der glänzende Ausfall der Landtagswahlen bekannt geworden, so trat er mit mir bie Bergnügungsreise nach Berlin an. Dienstag abends find wir bier eingetroffen.
Am Mittwoch früh war mein erster Gang nach dem Tiergarten, um die Trümmerstätte zu sehen. Aber dente Dir meine freudige Neberraschung: die Eiegesallee steht noch! Die Nachricht, die unser Kreisblatt furz vor dem Wahltage gebracht batte, ist also, wie es scheint, verfrüht gewefen. Die Sozialdemokraten haben die Monus mente noch nicht zertrümmert, und der Marmor ist noch nicht zermahlen und zum Krankenbrot für die armen Kriegsinvaliden ver wendet worden.
-
Seit drei Jahren, bin ich nicht mehr in Berlin gewesen, und ich finde die Stadt äußerlich wenig verändert, trotz des Entießlichen, was fich hier inzwischen zugetragen hat. Freilich, das waltende Auge des Kaisere fehlt, und die Bevölkerung läuft auf den Straßen umher wie eine Hammelherde, die ihren gefrönten Führer berloren hat. Auch der eiserne Hindenburg ist beseitigt. An seine Stelle foll- wie Better Egon, der frühere Gardes du Corps, mir mitteilte sobald das Bolt wieder zur Raison gebracht worden ist, ein eiserner Kapp treten, den man mit Hakenkreuzen vernageln will. Die Theater haben wir schon mehrmals besucht. Das Neueste fcheinen jetzt Aufführungen ohne Dekorationen zu sein. Die Bühne zeigt aber doch wenigftens einige ftoffliche Bespannung, während die auftretenden Schauspielerinnen oft anch bieie gänglich vermissen lassen. Ich habe mich Papas wegen manchmal recht geschämt.
Gestern waren wir zum Diner in der Alienftraße bei meiner Tante, der Generalin v. 8. Die gute alte Exzellenz war untröst lich. Dente Dir, Ursel: man will ihr von ihrer schönen 8wölf zimmerwohnung, die sie mit der Gesellschafterin und der Diener schaft bewohnt, mehrere Räume einfach wegnehmen, um darin Wohnungen für wildfremde Leute einzurichten! Nicht einmal bas Notwendigste, das Musitzimmer, das Spielzimmer und bie brei Salons, in denen die Ahnenbilber bängen, follen ihr bleiben! Zante jagt, unter diesen Umständen giebt fie lieber wieder auf ihr altes Familienschloß nach Bommern , das seit Jahren vollständig leer steht. Und ich glaube auch, das wäre das besie, denn das beutige Berlin ist wahrhaftig kein Wohnort für distinguierte Leute. und die Berliner baben es sich schließlich nur selbst auzufchreiben, wenn sie durch ihre plebejische Rüdsichtslosigkeit den wertvollsten Teil ihrer Einwohnerschaft nach und nach vertreiben.
Auf der Fahrt nach der Alsenstraße tamen wir auch am Gebäude des Generalstabes vorbei, wo früher unfere Schlachiendenfer die große Zeit vorbereiteten und wir noch im Winter 1918 die bin reißenden Militärbälle mitgemacht haben. In denselben Räumen baust jest irgendein republikanisches Ministerium, bem auch der greuliche Kunstwart angehört, von dem wir damals in der Deutschen Tageszeitung" lasen, daß er unsern idönen alten Reichsadler gerupft und beschnitten und überhaupt durch und durch verjüdelt hat. In dem allervornehmsten Ministerium Unter den Linden aber, das einst einen Butikamer beherbergen durfte, sitzt jest jener Mensch. der das Monoleltragen verboten hat!
So findet der Tieferblickende überall Spuren der Verwüstung und Entheiligung. Aber äußerlich ist, wie gesagt, nichts zu be merfen. Die stumpfen Berliner scheinen den Verlust an idealen Gütern, den ihnen der 9. November gebracht hat, gar nicht zu empfinden. Segar die Nachrichten vom bevorstehenden Ableben der Kaiserin, die unfere Zeitungen fast täglich bringen, ergreifen dieses Bolt nicht. Bapa metut freilich, sobald das neue Barlament tem Herrscherhause die verlangten 100 Millionen Mark bewilligt haben wird, dürfte fich das Befinden der hohen Frau mit Gottes hilfe voraussichtlich rasch und dauernd bessern. Aber davon wissen nur die Eingeweihten, nicht die Berliner , und diese müßten daher, wenn sie nur eine Spur von guter Kinderstube hätten, durch die drohende Katastrophe aufs tiefste erschüttert werden. Sehr schön finde ich es, daß der Kaiser schon ein ausführliches Programm für die Beisetzungsfeier entworfen hat. Dem schwergepräften Herrn ist diese leine Ber streuung von Herzen zu gönnen. Es soll feit der Jnszenierung des Sardanapal" seine erste größere Leistung auf diesem Gebiet und in allen Teilen sehr schmissig und gelungen sein.
21
Jetzt muß ich aber schließen, da ich mich zum Füufuhrtee im Hotel Adlon umziehen muß. Dort sind, wie Du weißt, die eng liiden und französischen Offiziere der hiesigen Besagung mit ihren Damen einquartiert und man fell bort die schickten Pariser und Londoner Kostlime sehen. I freue mich wahnsinnig.
Mit herzlichem Gruß und Kuß!
Deine Lifel⚫tte.
R
Anbetung.
Fromm fufe ich in deinem Anblid, Aind. Durch dich geht ffill noch Gottes reiner Wind.
Dein Auge, groß der Helle zugefehrt, Staunt blau, von trübem Schimmer unversehrt.
Die Fingerlein in leichtem Himmelsfpiel Woll'n jeden Lichtstrahl haschen ohne Ziel. Und deine zarten Füße find noch lahm Für Erdgestrüpp und steingehäuften Kram. In dieser Welt bist du ganz stumm und fremd. Weiß leuchtest du in deinem Engelhemd.
Und fällst du jacht hinab an Schlafes Rand, Fängt Gott dich felbft in feinem Sterngewand.
Bola Bandau.
-
In wirren aufgewühlten Zeiten freuen wir uns mehr denn je, bannt plötzlich vergessenbringende Schönheit den Blick. Wir umBittern mit bangem Herzen das Friedfame, das sich vor uns auftut, und wir fühlen: klar, bewir umschmiegen es mit leisen Händen Glückend für immer bleiben diese Augenblicke in der Seele. O, immer noch währen diese düsteren Monde, in denen fich feindselige Mengen gegeneinander aufpelts hen! Alles hat nur scharfmacherische Politik im Hirn, das vor hin- und herdrängenden Problemen nicht aus noch ein weiß. Deutliche Ziele erfehnen heiß die in hundert Strömungen, bald hier, bald da zerfließenden, aber immer schnell verebbenden Gedanken. Manchmal glauben wir schon die wahre, wahre Freiheitsfonne blizen zu sehen- da stehen von neuem dunkle Gerüchte, friegerische Heere auf o Freiheit ber Heimat, wie willst du teuer erkauft sein!
-
C
Einöde voller Orfan wird die einst fo still vor sich hinträumende, jetzt wüst aufgeregte Stadt, in die ich vor Jahren, da man auf's Bapier das Wort Friede( mit einem falschen Schlangenschnörkely schrieb, ein wenig auszuruhen heimfehrte. Aber täglich mußte ich den alten trauten Weg zum Dienst schlendern, ohne von Morgenglockenfreude oder der tiefen Stille wiegender Bäume umlächelt zu fein: zerhezte, grämige, verbiffene Gefichter rasen statt dessen in einem fort vorbei. Wie schön habe ich in der Qual des Krieges von diesen ersten freien Friedenstagen fehnsuchtsfäß geträumt... Und nun? So müde Füße tragen mich durch einen Alltag des Hasses und der Unluft.
Da löst die verregneten, farbloßen Tage ganz grell und schnell ein blaugüldner Morgen ab! Die kahlen Bäume glänzen vorfrühlingsfroh. Wie die Häuser, in denen doch soviel Sorge wie sonst sein mag, mit blinken Fenstern lachen können?( So wechselt nur ein Kind aus Weinen in Heiterkeit hinüber!) und heut zum erstenmal höre ich die Glocken. Ich bade mich rein von aller Zeiten Not in ihrer himmelan fliegenden Flut! Die Mädchen tauschen jäh das schwarze Wintergewand mit einem weißen oder lichtrosigen aus! Die Kinder find ausgelassen und umtanzen übermütig die alten Denkmäler und die erwachten Brunnen!
Ich stehe und sinne. Es ist noch so viel Schönes in der Weli," rebet mich ein Fremder an und ist mit diesem Bort mein Freund. Ich gehe im Rhythmus diefes Wortes weiter:„ Es ist noch so viel Schönes in der Welt!"
Wäre der Tag nicht fo plötzlich in seiner Schöne erschienen, wir hätten ihn wohl alle mit unseren von den Dingen des Haffes überreizten( und faft nur noch von diesen angereizten) Sinnen gar nicht wahrgenommen. Nun aber hat er uns entzaubert. Denn siehe, wie überall Freude geschieht:
Ein Kind singt an einem blühenden Hyazinthenfenster. Die Spazzen jubeln.
Zwei Liebende in Flüfterworten und filbernem Lachen dahinschwebend.
Es ist alles von dem Ewigen in der Welt noch da: die Sonne, der Himmel, jein Blau! das Singen, die Liebe, ihr Leuchten! die Sendheit und ihr ganzes Glück, die Sehnsucht und ihr großer Traum, das Lachen!
Das Kinderlied fliegt mit mir wie der erste unsichtbare Halter. Ale Häuser strahlen auf in Friedseligkeit und winken mit fröhlichen Gardinen. Die Türme blizen. Alles steigt ins taumelnde Blau.
Der Mensch soll arbeiten, aber nicht wie ein Lafttier, das unter seiner Bürde in den Schlaf finft und nach der notdürftigsten Erholung der erschöpfenden Kraft zum Tragen derselben Bürde wieder aufgestört wird. Er soll angfilos, mit Luft und Freudigkeit arbeiten und Zelt übrig behalten, feinen Geist und sein Auge zum Himmel zu erheben, zu dessen Anblick er gebildet ist. Fichte.