Nummer 10
6
Heimwelt
10. März 1921
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
Das Paar.
Bon Heart Barbusse.
Das alles ist sehr schön, fagte Leander. Alle blesen tleinen Dramen, beren Helden ihr selber seid, sind sehr gut erfunden, obgleich fie ehrlich erlebt sein mögen, und ich bin froh darüber, daß ein jeder von euch eingewilligt hat, etwas aus feinem Liebesleben zu erzählen, obwohl diese Erzählungen in der Runde schon ein wenig in Mißtredit gekommen sind, weil sie in der Literatur etwas gar zu oft angewendet wurden.
Es gibt auch Aber dabel und darüber wollen wir uns einmal ehrlich aussprechen. Nach meiner Meinung ist es doch ein bißchen anders mit der Liebe. Eure raffinierten Folgerungen und eure Psychologie der Verblüffung verwirren mich. Das Leben ist viel einfacher, liebe Freunde. Die wirklichen Tragödien, denen die Liebesleute zum Opfer fallen, sind, in neun Fallen unter zehn, viel weniger verwickelt und alle Subtilitäten glänzen da, leider Gottes, durch Abwesenheit. Das ist eben bas Unglück. Diese Einfachheit ist so schlicht, daß unsere Einbildungstraft gar nicht start genug ist, sie zu begreifen.
Was mich anbelangt ich erzähle teine Geschichte, ich gebe nur ein Beispiel- so fann ich euch niemals schildern, was ich alles durch eine gewiffe Emma gelitten habe, noch warum: es wäre zu einfach. Emma war der Name eines braven Mädels, das ich fannte, als ich Apothekergehilfe in Senlis war. Wir fannten uns, das gestehe ich gern, im biblischen Sinne des Wortes. Wir stammten aus ähnlichen Verhältnissen: fie hatte ein fleines Drogengeschäft in der Fegardstraße, deren alte Fenster aussehen, als wären sie Brillen, und deren Dächer wie verrunzeit scheinen. Ich machte Päckchen und empfahl Medikamente in einem Raum, der mit weißen Porzellan tiegeln tapeziert war, wie ein Beinhaus mit Schädeln; durch die großen farbigen Glasgefäße im Schaufenster sah ich die Passanten rot auftauchen und grün verschwinden.
Ich erwarb weder Geld noch Ruhm. Ich erreichte nichts, weder in der Wissenschaft, noch in der allgemeinen Wertschäßung; aber ich hatte viele Liebesabenteuer.
Reines aber ging erfreulich aus und eines Tages fühlte ich mich tief ermüdet und angeetelt von der Bewegtheit dieses Lebens. Meine legte Affäre war eine ziemlich unrühmliche Angelegenheit mit einer wirklichen und wirklich verrückten Marquise gewesen und sie veran laßte mich bazu, in mich zu gehen, den Kopf über alle Dinge dieser Art zu schütteln und mich wieder an Emma zu erinnern, die mir gefagt hatte: Ich werde immer auf dich warten."
Sehr glänzend war es ja nicht, wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren; ich sträubte mich auch zuerst dagegen, aber ich fühlte mich so beschmußt, so verbraucht, daß die warme verstehende Güte bes armen Mädels immer lockender vor mir aufstieg.
Was wohl aus thr geworden war, in den sieben Jahren, da wir uns nicht mehr gesehen hatten, in den sechseinhalb, feit ihre Briefe an mich unbeantwortet geblieben waren? Kein Zweifel, sie war mir treu geblieben. Aber sie fonnte inzwischen gestorben sein.
Ich konnte es nicht mehr aushalten, ich sehnte mich nach einem Menschen, an den ich mich lehnen fonnte, und, ich schrieb ihr. Ich hatte taum begonnen, mich zu wundern, daß keine Antwort fam, als ein Telegramm von ihr eintraf, übervoll von Versicherungen, von Bärtlichtet, von gitternder Sehnsucht. Sie lebte nur für mich unb für ihre Erinnerungen- fie erwartete mid) hingebungsvoller als je. Erst zögerte ich, dann fuhr ich doch nach Semlis. Ich sah bie Altstadt wieder und die graue, wie aus steinernen Spigen gefertigte Kathedrale; ich sah die anderen Kirchen, die jetzt vielfach für weltliche Zwecke verwendet werden, und die altertümlichen Ecksteine an den Mauern, die aufrecht standen, wie Bassanten, die sich nicht bewegen.
Nun näherte ich mich der Fegardstraße. Ein böses Borgefüht ergriff mich: wenn sie sich gar zu sehr verändert hätte. Wenn sie in biesen sieben Jahren allzu fett oder allzu mager oder gar zu häßlich geworden wäre!
Ich beschloß, vorsichtig zu sein. Ich suchte mir einen Beobach Soweit ich mich erinnere, war sie nicht hübsch. Sie sah unbe- tungsposten aus, von dem ich sie sehen konnte, ohne gefehen zu werden. beutend aus, ihr Haar war weder blond, noch schwarz, noch tastanienbraun; ihre Augen hatten eine Mittelfarbe zwischen grau, grün und blau; ihr Mund lenkte die Aufmerksamkeit nicht auf sich, wenn sie sprach, aber schließlich und endlich hatte sie mich sehr lieb und auch ich freute mich aufrichtig, wenn sie mich abends abholte und erst rot, bann grüngefärbt auf der Straße sichtbar wurde.
Da erblickte ich fie. Sie hatte sich nicht verändert, sie schten im Gegenteil eher hübscher geworden mit ihrem blassen Geficht, in dem ihre fanften Augen feucht glänzten, mit ihren weichen Schelteln, in ihrer bunklen Kleidung, die ihr etwas zartes, mitwenhaftes gab. Ich trat vor, ich war glücklich, ich lächelte fie an. Unb bann.. Ja, das ist schwer zu schildern. Sie hob den Blick und fah mich an. Ich blieb auf dem Gebsteig stehen, knapp vor ihr, recht auffällig. Sie blickte mich an, ein, zweimal unb erkannte mich nichtt
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Ich habe gesagt, daß sie ein braves Mädel war. Ich muß es wiederholen und sagen, daß sie gut war, im wahrsten Sinn des Wortes. Sie liebte mich wirklich und herzlich. Wenn ich tam und ging, erblühte eine mütterliche Güte, man fönnte fast sagen, Schönheit auf ihrem Gesicht. Sie sah mich schmerzlich, beinahe mitleidig Sie wendete den Kopf, entfernte sich, und verließ mich fo, ohne an, selbst wenn ich mich glücklich fühlte. Warum? Das ist das Ge- es zu wissen. Ein Riß ging durch mein Herz, als hätte ch mein heimnis des weiblichen Herzens Wenn wir abends in unser Lebelang niemanden geliebt, als sie. Ich floh, von einem plöglichen fleines Zimmer eintraten, nahm sie mich in thre Arme, um mich zu Gefühl getrieben, denn ich begriff: es nügte nichts, daß ich an the erwärmen, als wären es breite schüßende Schwingen. hing, da sie mich nicht ertannt hatte, würden wir niemals mehr wie amei" fein können. Ich rannte auf die Bahn und wacf mich in den Bug, obgleich ich mich lieber darunter geworfen hätte.
Ihr könnt euch denken, wie unglücklich sie war, als ich sie verlaffen mußte, um mich in Figeac niederzulassen.
Auch ich litt unter der bevorstehenden Trennung, weniger als fie natürlich, aber es tat mir doch led. Dennoch war ich vorsichtig und vernünftig genug, sie von ihrem Plan abzubringen, der darin bestand, ihr Geschäft zu verkaufen und mir zu folgen.
Ihr habt mich wohl verstanden: sie hatte mich nicht erkannt. So einfach, so wunderbar einfach verlief diese Geschichte. Kein Lärm, teine Komplikationen, nur ein unbegreifliches Schweigen und ein Stückchen Nichts und Bergänglichkeit: sie erkannte mich ganz e'n. fach nicht.
Alles hatte ich bebacht, alles vorausgesehen, nur nicht, daß ich in wenigen Jahren so weit gealtert war, daß nichts in mir fie an ihre ehemalige Liebe erinnerte, als ich vor ihr stand!
In den Tagen, die meiner Abreise vorangingen, zerfchmolz fie in Tränen, die sie beinahe erträntten. Sie versuchte immer wieder, sich zu fassen und versicherte tausendmal: Ich werde dich immer lieb haben. Ich werde immer auf dich warten. Ich werde immer allein bleiben, immer bereit fein für deine Wieberfehr, immer, immer!" Den Schluß zu dieser Geschichte ohne Handlung ut euch Ich ließ mich in Figeac nieber, aber ich konnte nicht dort bleiben. selber. Sagt dazu, was ihr wollt, nur nicht, daß so etwas unmöglich Die Gründe sind fa gleichgültig, warum ich es in dieser Stadt n'cht ist: denn es ist so gewesen. Ihr müßt es glauben, wie ich daran aushielt, die mir wenig geneigt schien und warum ich später me'ne glauben mußte in den Tagen, die folgten und die ich traurig ver. Apotheterlaufbahn aufgab. Mir geschah nichts besonderes, das wißt brachte o ewiger Widerspruchsgeist des Herzens in einer thr, oder vielmehr ihr wüßtet es, wenn das Gegente eingetreten Eifersucht ohne Namen, ohne Form, ohne Grenzen, in einer felt wäre. samen Eifersucht auf den Tobl
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