Sie berllhrte die Leiche nicht, keine Träne quoll aus ihren weit- geöffneten Augen, kein Laut drang aus ihrer Kehle. Dem Doktor schauderte vor der Gestalt dieses Schmerzes, dem die Wohltat der Aeußerung versagt war. Cr näherte sich der Greisin, erfaßte sie beim Arm und versuchte sie aufzurichten. Bei seiner Berührung zuckte sie zusammen, erhob sich und wendete sich. Wie gejagt eilte sie nach dem Ausgang hin. Dort aber blieb sie stehen und kehrte wieder zu dem entseelten Kinde zurück. Noch ein- mal betrachtete sie es stumm und lange. Endlich entschloß sie sich zu scheiden, und ihr Begleiter atmete aus. Da sah er, daß sich ihr Blick von der Leiche weg und mit großer Spannung auf einige Gegenstände, die an der Wand hingen, ge- richtet hatte. Es waren die Kleider des Ertrunkenen. „Den guten Rock," sagte die Alte,„den ich ihm erst habe machen lassen, den geben Sie mir mit. Der Junge braucht ihn nicht mehr und ich kann ihn verkaufen." Der Doktor sah sie an. Die Teilnahme, die ihn eben erfüllt hatte, wich einer Empfindung des Widerwillens. „O die Armut," dachte er,„die bittere, häßliche Notl" Ohne ein Wort zu sagen, nahm er den Rock des Knaben und reichte ihn der Großmutter. Sie streckte beide Hände danach aus, empfing ihn mit leisem, aufschluchzendem Wimmern und drückte ihn an ihre Brust. Sie bedeckte das Kleid des Enkels mit Küssen, sie sprach zu ihm, (Ii drückte ihr Gesicht in seine Falten. Ihr Schmerz hatte einen Ausdruck gesunden, sie weinte.— Wenn die Motten fliegen. Von August Aldringer. Ein Lehrer stellte einmal an seine Schüler die Frage, welches von allen Tieren die wenigste Nahrung zu sich nehme. Keiner wußte eine Antwort. Aber einem hellen Kopf fiel schließlich doch das Richtige ein.„Es ist die Motte," sagte er eifrig,„denn sie frißt nur Löcher." Und das tut sie denn auch, leider Gottes, wenn auch in anderem Sinne, als der kleine Schüler meinte: denn sie läßt sich den Inhalt der Löcher, die sie fraß, nur allzu gut schmecken. Wenn es im Sommer anfängt schön warm zu werden, und wenn auch die Abende lind bleiben, dann ist für die Motte die Zeit ihres höchsten Lebensgenusses gekommen. Der kleine gold- und silberglänzende Schmetterling, der, zum Schrecken der Hausfrau, sobald es zu dunkeln beginnt, so gern ein wenig im Zimmer spazieren fliegt, geht nämlich gerade in diesen Wochen auf die Freite. Und diese Zeit, in der die Motten sich suchen und paaren, Ist die gefährlichste für unsere Woll- und Pelzsachen. Es dauert nämlich gar nicht lange, bis an Stelle der verliebten abendlichen Flieger die eierschweren Weibchen unsere Wohnungen besuchen, um sich recht warme, mollige Plätze zu suchen zum Ablegen ihrer Eier und zugleich als künstige Wohnstätte für die jungen Raupen. Und dann dauert es wiederum nicht lange, zwei Wochen etwa, bis aus den Eiern, die so behaglich in der warmen Wolle und zwischen den dichten Haaren des Pelzwerks lagen, die etwa 7 Millimeter langen, gelblich-weißen, braunköpsigen Räupchen schlüpsen. Diese nun sind die Uebelläter, die uns so viel Schaden antun, wenn wir nicht energisch und unermüdlich hinter ihnen her sind. Zunächst erfreuen sie sich einmal einer geradezu unstillbaren Freß- lust: dann aber ist so ziemlich das erste, was sie in ihrem jungen Leben beginnen, daß sie sich aus der Wolle oder den Pelzhaaren, worin si« sitzen, eine röhrenförmige Hülle anfertigen, in der sie bis zu ihrer Verpuppung bleiben. Ihrer zunehmenden Größe ent- sprechend wird dann auch die Hülle immer wieder vergrößert, indem entweder der Rand verlängert oder, wo es notwendig ist, ein Zwickelchen eingesetzt wild. Sehr geschickt sind die Räupchen vor allem im Verlängern ihrer Hüllen, da sie in der Regel den vorderen und den hinteren Rand abwechselnd erweitern und zu diesem Zweck, d. h. um mit dem Kopf jeweils an die betreffende Stelle gelangen zu können, sich innerhalb der Röhre umdrehen müssen, was aussieht, als ob sie einen regelrechten Purzelbaum schlügen. Man kann sich also wohl vorstellen, welchen Schaden die Freßgier der Mottenraupen zusammen mit ihrem Hüllenspinnen anrichten kann, um so mehr, als dieser Zustand bis zum November oder Dezember dauert, worauf sie dann endlich ihre Hüllen ver- schließen, weil sie den Winter in einem Ruhcstadium verbringen. Erst im Frühling erfolgt die Vcrpuppung, und im Sommer— Juni bis Juli— ist die Entwicklung zum Schmetterling vollendet. Wie schützt man sich nun vor diesen Schadenstiftern? Ganz leicht ist es nicht, denn Motten zeigen eine viel größere Neigung, j sich auf allen möglichen Stoffen niederzulasien, als man glaubt.! Am wenigsten lieben sie die sogenannte Naturwolle, der das Fett � >och anhastet, was aber sreilich nicht heißt, daß sie, wenn sie nichts! anderes finden, nicht auch naturwollenes Zeug beschädigen. Unter dem Pelzwerk ziehen sie die ungefärbten den gefärbten Pelzen vor, von denen ihre besonderen Lieblingsspeisen die Pelze von Skunks, Zobel , Nerz und Otter sind, während Kaninchenpelze weniger ge- schätzt werden, wie sie denn auch unter den Wollstoffen, voraus- gesetzt, daß sie die Wahl haben, die lockeren Gewebe den dichten vorziehen. Eine ausgesprochene Vorliebe haben die Kleidermotten — denn um diese handelt es sich hier in erster Linie— für Wärme. Die idealste Mottenbekämpfung wäre also eigentlich die amerika - nische Methode, mit der übrigens auch fast alle unsere größeren Pclzgeschäfte ihre Pelzvorräte schützen, nämlich die Aufbewahrung in Kälteräumen, in denen mit Hilfe von Kühlmaschinen möglichst niedrige Temperaturen erzeugt werden. Aber solche Kühlräume stehen nur wenigen zur Verfügung, und schließlich kann man auch nicht alle seine Wollsachen und Polstermöbel den ganzen Sommer hindurch in den Eiskeller stellen. Deshalb bleibt am Ende doch nichts anderes übrig, als sich der Motteneinquartierung mit den alten, guten Mitteln zu erwehren, deren sich auch schon unsere Vor- eltern bedient haben; mit Klopfen, Lüften und Einlegen in gut oerschlosicnen, mit irgendeinem stark riechenden Mottenmittel, wie Naphtalin, Kampfer, allenfalls auch mit Terpentinöl durchsetzten Hüllen. Sehr gute Mottenschützer sind übrigens auch Hüllen aus Zeitungspapier, deren Geruch den Motten anscheinend nicht sehr zusagt; denn sie meiden solche Hüllen in der Regel sehr sorgfältig. Beim Klopfen und Bürsten der Gegenstände muh man aller- dings die Augen gut aufmachen, denn, da die Tiere ihre Futterale aus dem Material ihrer Umgebung herstellen, so heben sie sich oft kaum ab, besonders im ersten Jugendsiadium, solange sie noch klein sind und auch durch ihre Unratmcngen noch nicht sehr aussallen. Späterhin, wenn sie sich's schon gemütlich gemacht haben, merkt man es sreilich schnell genug, wenn der Pelz„haart" oder die Wolle„flockt". Schon im Altertum war man natürlich besttebt, die Motten zu bekämpfen, um so mehr, als man damals auch den Kleiderbcstand einer Familie zu ihren Reichiümern und Schätzen rechnete und viele Reiche deshalb Kleider geradezu sammelten. Nun wußten aber auch die Alten schon, daß die Motten am besten durch starke Gerüche fernzuhalten sind, und so hatten denn besonders die alten Römer einen Baum aussindig gemacht, einen Nadelholzbaum tLollttri, quadrivalvis), von ihnen„Citrus " genannt, dessen krästig-aroma- tischer Holzgeruch die Motten wirklich vertrieb. Man ferttgte also aus dem Eitrusholz Kisten an, in denen man während des Som- mers die wollenen Winterkleider verwahrte. Als nun in den ersten christlichen Jahrhunderten die Kultivierung der Zitrone begann, erkannte man, daß auch der Geruch des Zitronenholzes die Motten fernhielt, und deshalb bezeichnete man auch den neuen Baum ein- fach als„Citrus". So kam es, daß der Zittonenbaum einen Namen erhielt, der ihm zwar nicht zukam, der ihm aber gleichwohl zufiel, weil fein Holz ein gutes Mittel gegen die Motten bildet. helgslänöer Baöeleben vor 1 SS fahren. Helgoland , das während des Kriege» dem Publikum unzugöng- lich war, hat jetzt seine kanoncnstarrende Wehr verloren und ist wieder zu einem beliebten Badeort geworden. Dieser Ruf der Insel ist schon an 100 Jahre alt; er beginnt bereits mit dem Er- wachen des Verständnisses für die Schönheit des Meeres überhaupt und mit den ersten Anfängen des Badelebens an der Nordsee . Das beste Zeugnis für diese frühe Berühmtheit Helgolands ist eine verschollene Schrift eines der interessantesten Geister des „Jungen Deutschland": das„Tagebuch von Helgoland" von Ludolf Wienbarg , das jetzt von dem Verlage Hoffmann u. Campe, bei dem es zuerst 1838 erschien, in einem Neudruck zu frischem Leben erweckt wird. Wienbargs Sommer auf Helgoland ist eine Art Flucht aus der Großstadt:„Ich suche eine Handweit Erde, außer dem festen Europa, " ruft er in dem Vorwort aus, „eine Lagerstätte unter den Menschen der flutenden Wildnis, den Sturm, der allmählich schrillend die trägen Wellen vor sich aufrollt, vor allen Dingen die stürzende Brandung, die mich von dem Atem der Verhaßten reinigen wird." Neben der Sehnsucht nach einer unberührten freien Natur sind es aber auch politische Gründe, die ihn nach dem damals noch englischen Helgoland trieben, wie andere Revolutionäre nach der Schweiz . Die Verfolgung, der damals in der Reaktionszeit alle Schriftsteller des„Jungen Deutsch- land" ausgesetzt waren, hatten auch ihm da» Leben verbittert.„Nur da, wo Englands stolze Flagge weht, kannst Du ruhig Dein Haupt niederlegen," klagt er am Schluß des Vorworts. Diese„Flucht" nach Helgoland wqr damals etwas Neues, und die hymnenhaste | Schilderung von den Wundern dieses malerischen Felseneilandes I und den Herrlichkeiten des Meeres, die in dem prachtvollen Stil des ' Tagebuches gegeben wird, bedeutet einen Fortschritt in der Ent- wicklung unseres Naturgefühls.
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