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Nummer 31 4, Mugujl 1921 AnterhaltuntzsbeLlage öes Torwarts- <t> fBSSS Walöesstimme. Wald, du moosiger Träumer. Wie deine grüngoldenen Augen funkeln. Einsiedel, schwer von Leben, Wie deine Gedanken dunkeln, Saftträumender Tagesversäumerl Ueber der Wipfel Hin- und Wiederschweben, Wie's näher kommt und voller wogt und braust Und weiter zieht und stiller wird und saust. Ueber der Wipfel Hin- und Wiederschweben Hoch droben steht ein emster Ton. Dem lauschten tausend Jahre schon Und werden tausend Jahre lauschen... Und immer dieses starte donnerdunkle Rauschen. __ Peter Hille . Der Stein. Ein übermütiger Junge schleudert einen faustgroßen Stein mitten auf einen breiten, sorgsam gepflegten Parkweg. Einen ganz gewöhnlichen Kieselstein. Gleich daraus findet ihn ein kleines Kind, hockt zu ihm nieder, trägt Papiersehen und abgebrannt« Streichhölzer herbei und beginnt zu bauen. Bald aber ist es seines Spieles überdrüssig und läuft davon. Ein junges Mädchen stelzt aus höchststöckeligen Schuhen daher, als ob es im Begriffe wäre, einen Eiertanz aufzuführen. Mühsam und sorgfältig setzt es seine Schritte und weicht dem Steine vor- sichtig aus. Ein Geschäftsdiener, der unter einem großen, grüneingeschlagenen Riickenpack daherkeucht stößt den Stein mißgemuten Aergers zur Seite. Bald nimmt ihn die Fußspitze eines jungen Mannes zu müßigem Spiele auf, indem sie ihn mit kräftigem Schwünge vor sich her stößt, als sie ihn eingeholt hat wieder dann abermals. Schmerz in der Zehe läßt den Jüngling schließlich sein« ver- gniigliche Tätigkeit einstellen. Würdevoll kommt ein rotgesichtiger Bürger gestapft, streift mit einem feiner Innenfußknöchel den Stein des Anstoßes. Entrüstung hemmt seinen Schritt, er wird noch röter. Als er genug Luft hat, beginnt er derbe Worte gegen die Gemeindeverwaltung auszuspucken. Durch diesen Lärm aus der Siesta gescheucht, erhebt sich die mühselige Gestalt des Parkwächters. Der Bürger fetzt fluchend seine Promenade fort. Eine alte Frau lauscht ihm offenen Mundes und zurückgedrehten Halses nach, tut zwei Schritte in diesem Zustande nach vorne, stolpert übe» den Stein und fällt hin. Der Parkwächter ist nun ganz nahe gekommen. Seine amtlichen Blicke begleiten das Aufstehen der Frau. Dann sieht er lange den Stein an, späht interessiert nach allen Seiten und glaubt in einigen in der Nähe ballspielenden Knaben die ihm nötig erscheinenden Uebeltäter entdeckt zu haben. «Hebt sofort diesen Stein wieder weg, den ihr daher geschmissen habt!" Wir wissen nichts davon." Eine Debatte entspinnt sich. Gedrehte Nasen und gereckte Zun- werden sichtbar. Humpelnd verfolgt der Alte die davonspringendcn Jungen. Der Stein bleibt liegen. Und greift weiter in die Wege der Menschen. > N» d. I u l. L e h u c r, («Wunder des?tUtag", Verlag N. Kietz, Leipzig ). gen Zlitterwochen öer Freiheit. Aon Henning Kehler. Wir entnehmen diese stiminungsmiichtige Schildern»« des ersten Petersburger Freihettslommers dem soeben im Gqldendalschen Berlage in Berlin erschienenen BucheDer rote Karl en", befielt Berfasser als dänischer Konsul in Petersburg lebte. Die schönen Sommertagc in Petrograd 19l7I Jetzt, wo ich nach überstandenen Abenteuern wieder geborgen unter dein grauen Winterhimmcl des Nordens sitze, ist es mir, als ob damals das Leben kulminiert habe. Eine alte Zeit war in die Erde gesunken, so leicht wie ein Gespenst, eine neue Zeit kündigte ihr Kommen am Horizont der weißen Nächte an. Und in diesem Interregnum, bevor die düstere Scheibe der Wintersonne in den Morgennebel heraufstieg, ein letzter Gruß der Natur für diejenigen, die hinausgeführt wurden, um erschössen zu werden. Welche Freude, welche Freiheit! Nicht jene gewohnheitsmäßige Freiheit, die wir täglich mit demselben frohen Gesichtsausdruck spazieren führen, sondern die entfesselte Freiheit von Herz und Gemüt, wie die Schuljungen sie empfinden, wenn ein ge- fürchteter Lehrer unvermutet von einer Stunde ferngeblieben ist. Gestern der Schutzmann auf der Straße, der Gendarm auf der Eisen- bahnstation und der Verdacht im letzten Händedruck eines Freundes. Heute hat sich die Polizei versteckt, wenn sie nicht schon im Februar in Stücke gerissen wurde, im roten Hemd des Arbeitsmannes, zwischen der Menge der wartenden Reihen vor den Milch- und Brotläden. Stürmer und Protopopof sitzen in den Kasematten der Peter Pauls- festung , während ihre provisorischen Nachfolger die Autorität liqui- dieren. Keine Regierung, keine Pflichten, keine Verantwortung, Leben ohne Zügel und ohne Schwere im lichten Augenblick der Freude. Alle Schleusen des Herzens geöffnet, alle Poren des Ge- mütes zum Empfangen bereit. Ein Ruck und das Weltrad stand still! Die Zeit wurde rückwärts geschleudert, der Mensch befand sich wieder in der Zeit vor dem Sündenfall. Und wieder aßen die Men- scheu in totaler Amoralität von den Früchten des Gartens, jenseits von Gut und Böse. Noch war die Bosheit nicht in ihrem Gemüt) sie kam erst, als die Blätter von den Bäumen fielen. Schöner als je war die schöne Stadt in diesem Sommer. Zu ihrer eigenen Stimmung fügte sie noch die Romantik des Bergan- gencn und die Fisberglut der Revolution. Wie ein Wunder war es, in dem kühlen Licht der Rocht die schweigenden Steinfassaden der Paläste längs der Newa zu sehen, vergessene Riesenkulissen zu einem Schauspiel, das nicht mehr gegeben wurde. Am Tage schliefen die verlassenen Reichtümer noch unbeneidet und von den profanen Blicken des Volkes noch unbesehen, unter der Bewachung fetter, lang- bärtiger Dvorniks, während die Sonne den Marmor erhitzte und in dem roten Kalk Risse schlug. Di? Schönheit toter Städte kam nach Petrograd , vor dem Grauen der sterbenden Stadt. Auf den großen Prospekten aber erstickte» die Dornröschen- akkorde in dem überwältigenden Lärm und Spektakel der jungen Re- voiution. Die schnell dahinfließenden Wortströme der Gruppen an den Straßenecken, das große Gewimmel vor den Fenstern derNo- woje Wremja", die flinken Vollblutpferde von den Droschken, tscher- tessische Kokasenfiirsten mit silbereingelegten Krummsäbeln, fein- gliedrige, leichbekleidete Frauen, deren Blicke die heiße Luft wie Fun- ken entzündeten, schreiende Verkäufer, aussätzige Bettler und Bettler ohne Beine, auf ihren Knöcheln kriechend, die auf eisernen Platten festgeschnürt waren, und überall Soldaten, Soldaten, staubbraune, riesengroße Menschenhaufen, die in weichen Wellen den Prospekt ent- langwogten, Offiziere gutmütig ignorierend, während sie das neuer- wordene Fuhstcigrecht benutzten und unablässig Kerne knackten, deren Schalen den Asphalt bedeckten, wie Konfetti die Boulevards von Paris nach einem Bastilletag. Die Welt ist voll von schönen Städten: Paris , Rom , Peking wer kennt sie alle! Petrograd aber war vielleicht die schönste. Keine Stadt mar aus so auscrwählten Bestandteilen zusomniengesetzt: sie