Die Neugieröe.Von Alfred Fröhlich.Mitten im Paradiese erhebt sich der Baum der Erkenntnis, undso man von ihm isset, muß man sterben. Und trotz dieses Verbotesunterliegt Eva ihrer Neugierde und Adam itzt mit ihr die verbotene,aber köstliche Frucht. Sie bezahlen ihre Neugierde mit dem Verlustdes Paradieses, mit ihrem Leben.--- Die Bibel erhebt alsechtes Kunstwerk die Einzelwesen Adam und Eva zum Menschen-typus, und in der Tat,. wenn alle nachfolgenden Evastöchter undAdamssöhne täglich an dem Baum der Erkenntnis vorübergehenmüßten, st« alle würden der Versuchung erliegen, selbst wenn dieErkenntnis ihnen nicht da» schleichende Gift der Todesfurcht ein-fließen würde, sondern ste sofort tötete. So stark ist im Menschen derDrang nach Erkenntnis, so stark ist die Neugierde, die Triebfederaller Erkenntnis, daß ste bis tief in die neueste Zeit die Menschendazu treibt, die Gefahren weiter und mühseliger Reisen in Schneeund Eis, in die unerforschten Gebiet« der Wüsten und Gebirge, indie Tiefen des Meeres und in die höchsten Regionen der Lust aufsich nehmen. Neugierde lenkt unsere Kinder und befruchtet ihreSeele, Neugierde läßt sie alles anfassen und zerbrechen, und Neu»gierde wird zur Wißbegierde, bis derÄod unserer Erkenntnis jenenRiegel vorschiebt, der das Faßbare vom Unfaßbaren trennt.Neugierde ist keine weibische Eigenschaft, sondern eine reinmenschliche. Sie fördern, heißt, den Menschen zur Selbständigkeiterziehen. Disziplinierte Neugierde ist die Grundlage unserer Er-Ziehung, sollte es wenigstens sein. Das Kind sollte uns in seinerNatürlichkeit ein Beispiel sein: Neugierde ist sein seelischer Durst,der Drang nach Betätigung, nach dem Gebrauch seiner Sinne.Schon in seinen ersten Lebenstogen wendet es fein Köpfchennach der Ton- oder Lichtquelle, sein Händchen tappt nach allenDingen, nach der Brust der Mutter, nach dem Barte des Vaters,in sein Süppchen, in jeden noch so schmutzigen Topf. Durch dieHand, durch das Tastgefühl schult es seine sämtlichen Sinne,lernt es, Hartes von Weichem, Scharfes von Rundem, Gefährlichesvom Ungefährlichen unterscheiden, und unbezähmbar ist die Neugierdedes Kindes. Mit Wonne zerreißt es feine Puppen, zerbricht es feinSpielzeug, weil es sehen will, was hinter den Dingen steckt. Das istkein zerstörender Trieb, sondern ein aufbauender. Es will wisten,erkennen, und tatsächlich lernt es dabei, daß die wahre Erkenntnisnicht an der Oberfläche hasten bleiben darf. Man fördere diesenTrieb und jammere nicht, wenn das Kind dabei einen kleinen Scha-den anrichtet. Das Kind braucht kein wertvolles Spielzeug, ihm istjedes Ding recht, das es beschäftigt, das seine Phantasie anregt. DasKind lernt in den ersten Iahren seines Lebens weit mehr als späteran der Universität. Im spielenden Lernen liegt das Geheimnis desErfolges dieser meist systemlosen Pädagogik. Sollten wir nichtdieses spielende Lernen zum System machen?Man rühmt unseren Schulen viel Gutes nach. Wir habenPaläste als Schulräume, bunte Karten von Tieren, Vögeln, Land-schaften hängen an den Wänden, Schmetterlinge, Käfer, Körper-Modelle, Apparate liegen in den Schränken, aber unsere Unter-richtsmethode trankt daran, daß wir den Schülern— aller Grade— zuviel Fertiges geben. Wir bauen ihnen das Haus auf, in demsie später wohnen sollen, statt daß wir es ste selbst bauen lastensollten. Wir töten ihre Neugierde, statt sie zu erwecken. Noch be-vor ste uns gefragt haben,„Was Ist das?", geben wir ihnen be-reits eine langatmige Erklärung. Vom Lernen gilt dasselbe wie vomEsten: selbst essen macht fett und nur selbst lernen fördert die Er-kenntnis. Die Aufgabe der Wistenschaft ist die Erforschung derNaturgesetze. Wer sie verstehen will, muß sie für sich selbst vonneuem entdeckt haben. Die Nacherzählung des Goetheschen„Faust"läßt jeden kalt: wir müssen das Wert selbst lesen und verarbeiten,um sein« Größe zu erfasten. Die Analyse der fertigen Natur istein Geschäft hochstehender Gelehrter; der Schüler muh Bau-stein um Baustein zusammentragen,-um sich sein Wohn-gebäude zu errichten. Man führe ihn dorthin, wo solche Bausteinezu finden sind und gebe ihm Fingerzeige, wie man baut, aber manbevormunde ihn nicht auf Schritt und Tritt.. Vor allem aber hinausin den Wald, in den Garten, ins Feld, nicht als ausnahmsweisesSommervergnügen, sondern als regelmäßig« Stätte vergnüglicherArbeit. Welch eine schöne Aufgabe, aus der Mannigfaltigkeit derErscheinungen das einheitliche Gesetz herausfinden zu lasten! WelchesZusammenfließen von Schule und Leben zum wahrhaftigen Erleben,welch eine Festigung körperlicher und geistiger Gesundheit! Danneinmal hinaus auf den Bauplatz, in ein« Werkstätte. Habt ihr nochNicht die Spannung gesehen, mit der Kinder der Arbeit des in dasHaus gerufenen Handwerkers zusehen, wie sie dessen Arbeit sofortzum Spiel erheben? Man gebe ihnen ein Werkzeug in die Hand,den Spaten, den Rechen, den Hobel, die Feile, den Meißel und stellesie vor eine Aufgabe. Das Spiel wird zur Arbeit, zur Geschick-lichkeit, zur Selbständigkeit hinüberleiten,lieber allem stehe die lebendige Neugierde, auf deren Fragenman möglichst selbst die Antwort finden laste. Der Lehrer lenke sienur unmerklich in bestimmte Bahnen. Das wird nicht schwer sein,weil das Kind allem Neuen zugänglich ist. Die Schwierigkeit fürden Lchrer wird darin bestehen, immer neue Anregungen zu brin-gen und die Wege zu suchen, ste für das kindliche Verständnis aus-zuschöpfen. Eine solche Lehrmethode wird nicht mehr toter Buch-stabe sein, sondern ein Erlebnis. Die Schule wird dann nicht mehreine Drillanstalt bleicher Schulkinder fein, sondern ein Tummel-platz gesunder, neugieriger, lebenshungriger Menschenkinder, dieauch in ihrem späteren Leben nicht verlernen werden, neugierigeFragen zu stellen»d darauf selbst eine befriedigende Antwortzu finden.Das Märchen öer orientalischen Staöt.Stets hat der Orient auf die Abendländer einen bezauberndenEindruck gemacht, und heute erliegen wir vielleicht mehr denn jeden Wundern orientalischer Kunst, Dichtung und Philosophie.Schon der Anblick einer morgenländischen Stadt versetzt den Euro-päer in eine Traum- und Märchenwelt, und von dem besonderenReiz solchen Stadtlebens haben uns Dichter und Maler nicht genugberichten können. Worin besteht nun diese geheimnisvoll« An-ziehungskraft der orientalischen Stadt?Der kürzlich verstorbene hervorragende Kunstkenner und Kunst»mäcen Karl E r n st O st h a u s hat in seinen, im Folkwang-Verlag zu Hagen erschienenen„Grundzügen der Stilentwicklung"diese eigenarttge Stodtbaukunst des Islam vorzüglich dargestellt.Während der Städtebau des Abendlandes die einförmige Reihungder Häuser durch Hervorhebung betonter Baumassen zu überwin-den und organisch zu gestalten sucht, verzichtet der Orient auf dieseMittel. Eine Steigerung der architektonischen Wirkung nach derStadtmitte zu ist dort schon deshalb ausgeschlosten, weil diese vomB a z a r eingenommen wird. Die Hauptstraßen, die von denToren kommen, verlieren sich allmählich in gedeckten Gängen, vondenen steinerne Gewölbe die Glut der Sonnenstrahlen fernhalten.Hier spielt sich nun das öffentliche Leben ab.„In endloser Wieder-kehr," so malt Osthaus das Wesen des Bazars,„reihen sich dieoffenen Butiken der Schwertfeger, der Seidenweber, der Schuh-macher und der Schneider, alle nach Berufen gesondert; in diesemLabyrinth hat jeder Gang feine Farben, seine Geräusche, seineGerüche; Hämmern und Klopfen kündigen die Damaszierer, Wol-ken von Wohlgerüchen die Verkäufer indischer Gewürze und per-stschen Rosenöls an. Ununterbrochen flutet die Menge: lautlosenWandels auf nackten Sohlen, weißer Gewänder Falten von reg-losen Schultern fließend. Nur die Ausrufer erfüllen die Luft mitdem Lärm ihrer Stimmen. Ueber alles aber rieselt aus schmalenLichtlächern der Gewölbe ein unsagbar oerschönendes Licht. Esgibt keinen Ort, der für des Malers Auge berauschender wäre.Der Städtebauer aber muß sich hoffnungslos aus diesen Räumenverabschiedet fühlen. Und damit aus der orientalischen Stadt über-Haupt."So kommt man also mit unseren Begriffen einer Städtebau-Aestetik dem Geheimnis der orientalischen Stadt nicht nah«. DasMärchen dieser Städte entfaltet sich in anderen Dingen.„Es istdie hohe Keuschheit des Empfindens," schreibt Osthaus,„die jedesKleinod der Künste mit Geheimnis umfriedet. Wie die Moscheen,so sind die Häuser, die Höfe mit unübersteigbaren Mauern, mitdicht vergitterten Fenstern verschlossen. Man schleicht vorbei anweißen Mauern und malachitsarbenen Pforten, die sich nie zuöffnen scheinen, und träumt sich hinter ihnen Gärten mit saphirenenund rubinroten Früchten. Tatsächlich ist die Innenschönheit dieserHäuser unbeschreiblich. Man tritt durch einen hakenförmigen Zu-gang, der auch bei geöffneter Pforte den Einblick ins Innere ver-wehrt, in einen Hof voll blühender Ranken und Bäume, ausdenen Marmorsäulen schimmern und Brunnen melodisch plätschern.Alle Räume öfsncn sich nach diesem Hof, der des häuslichen LebensMittelpunkt ist und durch farbige Fliesen, durch Marmorintarsienund feine Metßclarbeit seine Bedeutung oerrät. Hier spielt sichunter köstlichem Schatten, der verschönt wie erquickt, das Lebender Frauen und Kinder ab. Es ist herausgeschnitten aus der All-heit des Daseins und sorglich umhegt wie eine köstliche Frucht.Nur hier versteht man die keusche verschlossen« Blüte orientalischerKunst. Wir nordischen Straßenanwohner müsten von Grund ausumlernen, um ihren Duft, ihre Schönheit zu verstehen. DieSchmucklosigkeit der orientalischen Straße ist nur die Kehrseite zumverschwiegenen Glänze de« orientalischen Heims. Sie ist nur Zu-gang, nur Gass« des Verkehrs. Und diesen Verkehr aus die einzigBefugten zu beschränken, war von jeher ein Hauptprinzip desorientalischen Städtebaues. Nur jene Hauptstraßen, die von denToren zum Vozare leiten, sind breite Kanäle für den durchgehen-den Verkehr; hier drängen sich die Männer im weißen Burnus