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Nummer 37

15.September 1921

Heimwelt

Unterhaltungsbeilage des Vorwärts

Wahre Größe.

Es wird in der Menfchenwelt ftets Gelegenheit zu viel herrlicheren Betätigungen begeisterter Hingebung für das Vaterland und höchften moralifchen Mutes geben, als auf den Schlachtfeldern. Es ilt nicht zu fürchten, daß die wahre Größe, die Frifche und Energie der Menfchen verloren geht, wenn die gewaltigen Kämpfe der Nationen eingedämmt und gemildert oder dereinit durch Rechts­einrichtungen zum Schweigen gebracht werden. Prof. W. Förster( 1889).

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namenlose Elend, das hier über schuldlose Frauen und Kinder ges bracht wurde, der Schmerz um den Berlust braver, tapferer Ge nossen, sie stärkten in uns anderen den unbändigen Troß gegen jene feindlichen Gewalten, der aller Gefahren spottete, den unerschütters lichen Entschluß, den übernommenen Bosten nicht zu verlassen, den Kampf für die Sache fortzusehen, mochte fommen, was da wollte, Als es galt, Abschied zu nehmen von den ausgewiesenen Genossen, von so manchem, den ich als Lehrer und Führer hochschäßte, fo manchem, den ich als alten Freund meines Vaters verehrte und liebte, da habe ich die Tränen nicht zurückhalten fönnen. Meinen Entschluß, nun erst recht für die Bartel zu fämpfen, fonnten diese Tränen nur stärken. Ich nahm mir vor, von jetzt an auf alle die Vergnügungen, die Hamburg der Jugend in so reichem Maße bietet,

Aus der Jugendzeit der Sozialdemokratie") zu verzichten und nur noch für die Sache zu arbeiten.

Von Julius Bruhns .

Es gab ja nun auch genug zu tun, denn immer neue Lücken riß der Kleine" in unsere Reihen. Alle paar Wochen kam eine neue Schar Genossen, bald fleiner, bald größer, zur Ausweisung. Diefe neuen Opfer waren allesamt Leute, die in der Bewegung vor dem Gesetze nicht bekannt geworden waren, die nun aber von den Spürnafen der Polizei als heimlicher Tätigkeit für die verfemte Partei ans Messer geliefert wurden. Im März 1881 wurde cuch der bisherige Leiter unseres Theaterklubs ausgewiesen. Offenbar hatte die Polizei Wind davon bekommen, daß er am Wydener Parteifongreß teilgenommen hatte. Als man mich darauf zum Direktor" unseres parteigenössischen Thespistarrens erwählte, nahm ich diese Wahl an, obgleich ich mir sagte, daß ich mich dadurch der Polizei sehr verdächtig machte. Und ich hatte wohl alle Ursache, die Aufmerksamkeit der Polizei auf meine Berson nicht zu wünschen, war mir doch eine besonders gefährliche Mission geworden.

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Die Antwort Bismards auf den Wahlfieg im zweiten Ham­ burger Wahlkreis ließ nicht lange auf sich warten. Am 28. Oftober 1880 wurde über Hamburg- Altona mit angrenzendem Landgebiet der kleine Belagerungszustand" verhängt, und wenige Tage später wurden zunächst 75 Sozialdemokraten als Personen, von welchen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu be­fürchten fei", aus dem Gebiete des Belagerungszustandes ausges wiesen. Innerhalb drei Tagen mußten sie das Gebiet verlassen haben, wenn sie nicht wegen Bannbruchs eine Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten riskieren wollten. Betroffen wurden von der Maßregel, außer allen in Hamburg- Altona fich aufhaltenden Ber liner Ausgewiesenen, fast alle in der Bewegung vor Erlaß des Ge­feges irgendwie hervorgetretenen Berfonen, aber nicht nur politisch tätige, fondern auch solche, welche ihre Arbeit lediglich in der Leitung Im vorhergehenden Jahre war in Zürich der Sozialdemo von Gewerkschaften und Krankenkaffen gefunden hatten. Wenige frat" gegründet worden, das bekannte Wochenblatt, das als teil Lage darauf vermehrte ein zweiter Schub die Zahl der Opfer des weiser Ersatz der unterdrückten inländischen Parteipresse dienen Kleinen" erheblich. Das war ein furchtbarer Schlag für die Be- sollte und sich bekanntlich im Laufe der Zeit zur schneidigsten Waffe wegung. Wenn auch ein erheblicher Teil der Ausgewiesenen seit der deutschen Sozialdemokratie im Kampfe mit den ihr feindlichen dem Erlaß des Gozialistengefeßes gar nicht mehr tätig gewesen war, Gewalten entwide. Sunächst war die Zahl der Leser natürlich fich ängstlich zurüdgezogen hatte, so traf jene Maßregel doch auch zu recht gering, und auch nach Hamburg- Altona tamen nur ein paar einem guten Tell Leute, die unentwegt weiter mitgearbeitet hatten hundert Exemplare. Obgleich die Verbreitung des verbotenen und nun der eben wieder erftarkenden Bewegung entrissen wurden. Blattes mit aller Vorsicht unternommen wurde, kam die Polizei Und welche Wirfung mußte die grausame Maßnahme, die nun auf unerklärlicherweise bald dahinter. Mehrere Prozesse mit sehr har jedermanns Haupt gleich einem an seidenem Fädchen hängenden ten Urteilen folgten. Da diese Prozesse die Partei in Hamburg . Schwerte herabfaufen konnte, auf die übrigen, jetzt noch verschonten Altona auch materiell erheblich belasteten, die fortdauernden Aus­Getreuen üben? War doch die Aussicht, an einem anderen Orte weisungen aber alle finanzielle Leistungsfähigkeit der Partel tu eine erträgliche Existenz zu finden, für die meisten der Ausgewiesenen Anspruch nahmen fam man zu dem schweren Entschluß, die Ver nicht vorhanden, und waren doch andererseits die Mittel zur Unterbreitung des Sozialdemokrat" von Bartei wegen einzustellen, diese stützung der am Orte zurückbleibenden Familien der Ausgewiesenen vielmehr Genossen auf eigenes Rifito als, privates Unternehmen zu äußerst gering. Daß sich unter solchen Umständen eine ganze An- überlassen, falls sich zu selchem Unternehmen überhaupt Leute zahl Genossen, meist Leute mit Familien, zurüdzogen von der finden sollten. Tätigkeit, wer fonnte und wollte ihnen das verübeln?

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Nicht auf alle wirkte die Verhängung des Kleinen", wie wir Spöttisch abkürzend die Gewaltmaßregel- nannten, entmutigend. Das durfte ich von mir wie von anderen Genossen, und nicht nur von jungen, unverheirateten Leuten nicht sagen. Der Born über das furchtbare Untecht, das hier harmlosen Leuten geschah, die nichts weiter getan hatten, als von ihrem Rechte Gebrauch zu machen und einer politischen Partei anzugehören, die allerdings den Macht­habern unbequem und gefährlich erschien, die Empörung über das

*) G8 flingt im Sturm ein altes Liedt

nennt

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Und es fanden sich in der Tat welche! Ein Mitglied unseres Theaterflubs, ein Gipfer Frig Steinfatt, unternahm das Wagnis auf seine eigene Rappe, fuchte sich ein paar gleichgesinnte Seelen und sah die Zahl der Leser des Blattes bald auf mehrere Hundert anwachsen. Natürlich war ich dabei, als er mich aufforderte, ihm für ein paar Bezirke die Arbeit abzunehmen, und so verteilte ich Woche für Woche fürfichtiglich in Eimsbüttel und Umgegend ben bald vielbegehrten föstlichen Schweizer Käse" an die dort wohnen­den Abonnenten.

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Diese für die Beteiligten, die im Falle der Entdeckung auf jede Julius Bruhns seine Erinnerungen aus der Beit des Sozialistengefeßes, die Unterstützung der Partei verzichten mußten, etwas bedenkliche Neu­foeben im gemeinsamen Berlag von J. H. W. Diez und der Buchhandlung ordnung der Berbreitung des Sozialdemokrat" hatte zunächst Bormärts erscheineu.( Preis geb. 14 M.) Diese große Zeit der Kämpfe die Wirkung, daß die Polizei nichts mehr von diesen Dingen erfuhr. und der Bewährungen ist den meisten Anhängern der Partei heute schon Jahrelang hatte Steinfatt die Verbreitung geleitet. Die Zahl der nicht mehr so lebendig, wie sie es fein follte. Um so mehr ist es daher zu begrüßen, wenn ſturmerprobte Genoffen sie wieder vor uns erstehen Abonnenten betrug längst mehrere Taufend, und selbstverständlich laffen, zumal wenn sie so frisch erzählen wie Julins Bruhns. Das Buch war die Verbreitung seit langem schon wieder Parteisache geworden, enthält daneben die anschauliche Darstellung einer et proletarischen als endlich auch Steinfatt, zusammen mit treuen Gehilfen, das Jugend voll von Arbeit und Entbehrungen, aber beseelt bomt beglüden­deu Glauben an den Sozialismus. Wir geben als Probe die Schilderung Schicksal erfaßte, er monatelang in Untersuchungshaft fam, ver­des fleinen Belagerungszustandes" in Hamburg . urteilt und nach verbüßter Strafe ausgewiesen wurde.

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