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Wissen und Schauen
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Der Berliner rote Wagen. Ein wenn man so sagen darf: geschichtliches Seitenstück zu dem in Berlin wohlbekannten grünen Wagen, der die eingelieferten Verbrecher von den Polizeiwachen zum Gerichtsgefängnis bringt, ist in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der rote Wagen gewesen. Er war eine rot ange strichene Mietstutsche und gehörte einem Fuhrunternehmer in der Straße Unter den Linden. Seine Berühmtheit erlangte er dadurch, daß die gefeierte Sängerin Henriette Sonntag ihn regelmäßig bemußte. Die Beliebtheit der stadtbekannten Künstlerin, auf die die Berliner nicht wenig stolz waren, übertrug sich auch auf ihn, und wenn es hieß, der rote Wagen kommt!", so blieb man auf der Straße stehen oder lief ans Fenster, die schöne Henriette zu sehen. Es kam sogar die Rede auf, die Sängerin verdanke ihre unvergleich liche Stimme dem roten Wagen. Um die wunderbare Kutsche riß man sich daher. Der starten Nachfrage zu genügen, ließ der Befiger einen zweiten roten Wagen bauen doch das ward dem ersten zum Verhängnis: es minderte sich sein Ansehen ganz bedeutend. Auch verließ die Sonntag Berlin und ging auf Gastspielreisen nach Baris mit dem berühmten Roten war es auf einmal vorbei; es fümmerten sich um ihn nicht mehr Leute als um andere Mietsfuhrwerke. Schließlich übermalte ihn der Befizer mit schwarzer Farbe und ließ ihn fein Leben als Leichentutsche beschließen.
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Was ist ein Putsch? Das Wort stammt aus der Schweiz . Es ist ein mundartlicher Ausdruck des Zürichers für einen Aufstand ge= ringeren Umfanges. In 3ürich gab es denn auch den ersten Butsch, und zwar im Jahre 1839. Damals war der bekannte freifinnige Theologe David Friedrich Strauß an die Universität Zürich berufen worden. Der Verfasser des Leben Jesu" galt als Gottesleugner, und deshalb waren über seine Berufung nicht nur orthodore Geistliche, sondern auch weitere Boltskreise entrüstet. Um eine Rundgebung zu veranstalten, zogen 4000 Bauern, die von fonfervativen Fabritherren und Pfarrern gegen die liberale Regierung cufgehetzt waren und die zum Teil mit Prügeln, Dreschilegeln, aber auch einzelnen Flinten bewaffnet waren, gegen Zürich . Hier standen Militär und Studenten bereit, um einen etwaigen Angriff abzuwehnen. Es tam zu einem Zusammenstoß, infolgedessen die Butschisten unter Zurücklaffung von Toten und Verwundeten fliehen mußten. Die Regierung aber fab sich genötigt, die Berufung von Strauß zurückzuziehen.
Gesundheitspflege
Die Heilkraft des Sonnenlichts. Es ist leicht begreiflich, daß in der Lichtbehandlung, die in der Neuzeit so großen Einfluß in der Heilkunde gewonnen hat, die Wirkung des natürlichen Sonnenlichts an erster Stelle steht. Während der jung verstorbene Finsen als der Schöpfer der Lichtbehandlung überhaupt genannt wird, ist es hauptfächlich ein Verdienst deutscher Aerzte, auf die Heilkraft des Sonnenlichts hingewiesen zu haben. Damit haben die Sanatorien in Hochgebirgen, wo die Wirkung der Sonnenstrahlen besonders fräftig ist, eine neue aussichtsvolle Aufgabe erhalten. Man hat den Einfluß des Sonnenlichts auf die Ernährung der Lebewesen und insbesondere auf die Bakterien untersucht. Im allgemeinen fann man sagen, daß die Sonnenstrahlen Bakterien töten, chemische Veränderungen her vorrufen, schmerzftillend wirken und eine Verhärtung des Zellgewebes begünstigen. Außer den Batterien werden auch Giftstoffe und sogen. Fermente mehr oder weniger starf verändert. Einige in diese Ergebnisse einbegriffene Tatsachen waren schon früher bekannt, namentlich das Absterben von Diphtheriebazillen innerhalb weniger Stunden bei Berührung mit Luft und Sonnenlicht. Eine der wichtigsten Fragen blieb festzustellen, wie tief die Sonnenstrahlen und thre Wirkung in die Gewebe des Körpers eindringen. Finsen hatte gemeint, daß der Einfluß nur ein oberflächlicher sein fönnte, aber die neuen Untersuchungen haben gelehrt, daß mindestens die südliche Sonne und sicher die der Hochgebirge mehr zu leisten imftande ist.
Urgeschichte
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Infelwelt, beispielsweise ble Neukaledonier. Wenn auch unter diesen wieder ziemliche Verschiedenheiten von Insel zu Insel auftreten, so tann doch kaum ein Zweifel sein, daß alle diese Leute, die Neukaledonier, die Australier, die Tasmanier und Papuas zu einem Stamm alle die Merfzeichen einer niedrigstehenden Menschheitsentwicklung: gehören, der wohl früher viel weiter ausgebreitet war. Sie haben fiefliegende Augen, breite Nase mit Querfalten, die sich bis in die Bangen fortsetzen, maffige Unterfiefer, fchwaches Kinn, schnauzen artige Mundbildung, starles Gebiß Eigenarten, wie fie auch das Stelett des Neandertaler Urmenschen vermuten läßt und wie sie auch die Menschenaffen zeigen, z. B. der Schimpanse. Polynesier direkt von den alteuropäischen Neandertalern abstammen. Damit soll aber wieder nicht gesagt sein, daß diese Papuas und Die Urrasse, von der sie ihre Abfunft herzuleiten haben, war ebenso in jenen alten Tagen ein Nebenzweig der Menschheit. Die Neander taler Raffe ist ganz ausgestorben oder in anderen Raffen aufgegangen; von der uraustralischen Raffe( wollen wir einmal sagen), die den Meandertalern im Aeußeren etwas nahestand, kommen die jetzigen Papuas, Tasmanier usw. her. Aber daneben muß noch eine weitere Rasse in der Urzeit bestanden haben, die sogar die hauptsächliche war, und von dieser Urrasse des Pliozän kommen sowohl die negroiden wie die mongoloiden und die europoiden Zweige, die wir als die Ahnen der heutigen so sehr verschiedenen Menschenarten ansehen
dürfen.
Technik
111.
行
Dide, nicht dünne Kerzen. Unter den altgewehnten Gebrauchsgegenständen gibt es noch immer unzweckmäßige Formen, die sich so behaupten, wie sie der erste Erfinder gebildet hat. Zu diesen unpraktischen Formen gehört, wie Dr. H. Hoye in der Umschau" betont, die dünne Paraffin- oder Stearinterze. Alltäglich fann man an diefen dünnen Kerzen beobachten, wie beim Brennen das geschmolzene Paraffir oder Stearin herunterläuft und den Leuchter beschmiert. Dadurch wird auch ein Teil des Kerzenstoffes seiner richtigen Verwendung entzogen. Nun hat man wegen dieses Herab träufelns den Paraffinkerzen die Riefen gegeben, in denen die er starrten Tropfen Blaz finden. Dann hat man in den Kerzen fenf rechte Kanälchen angebracht, um dadurch einen Teil der ablaufenden Massen zu erhalten. Das ist aber ein untaugliches Mittel, weil das Abgelaufene fofort durch neues Schmelzen ersetzt wird. Die einzig praktische Form der Kerze ergibt sich aus der einfachen Beobachtung ihres Brennens. Der Kerzenrand, der die heiße Schmelze umschließt, wird bei einer dünnen Form von einer für den geringen Umfang zu großen Menge strahlender Wärme der Flamme erreicht. Je dicker der Docht, je breiter also die Flamme, je weniger leicht verbrennlich der Docht, je höher also die Flamme ist, desto ungünstiger sind die Verhältnisse. Man muß daher der Kerze einen größeren Durchmesser geben, ohne den Docht zu verstärken, und Kerzenmesser sowie Dochtstärke lassen sich leicht in das richtige Ver hältnis bringen, bei dem das vorzeitige Abschmelzen des Randes vermieden wird. Daher sind dicke Kerzen das einzig Praktische und nicht die auch jeht noch fast allgemein gebrauchten dünnen. Seltfamerweise aber hat man gerade die dicken Kerzen, die kürzlich für Rauchtische in den Handel gekommen sind, für„ Lugusgegenstände" erklärt und demzufolge versteuert. Gerade die dice Rerze aber ist fein Lurus, sondern der sparsamste und zweckmäßigste Gebrauchsgegenstand.
Naturwissenschaft
DOXOO
Elternliete bei den Schwalben. Die rührende Fürsorge, die Schwalben ihren Jungen entgegenbringen, ist schon oft gepriesen worden. Ein vortreffliches Beispiel für die Elternliebe, das zu aleich das innige Zusammenwirten von Bater und Mutter bei den Schwalben schlagend beleuchtet, ist, so wird in den Mitteilungen über die Vogelwelt" berichtet, vom Halleschen Anatom Paul Eisler beobachtet worden. Eisler sah eines Tages, wie durch das offene Fenster feines im Erdgeschoß gelegenen Arbeitszimmers eine noch nicht ganz flügge Schwalbe hart auf die Diele fiel. Nachdem das Tierchen sich von seiner leichten Betäubung erholt hatte, fekte er es auf die breite, nach außen geneigte Schieferplatte der Fenster bant, wo es unter ängstlichem Schreien unbeweglich sitzen blieb. Die beiden alten Schwalben," erzählt der Gelehrte, waren zu nächst laut freischend vor dem Fenster hin- und hergeflogen, hatten sich bei meinem Anblick auf die Dachfante eines zweistödigen Anbaues zurückgezogen und beantworteten von dort lebhaft das Schreien des Jungen; ich trat nun hinter den dichten Fenstervor hang und beobachtete durch ein Loch in diesem das weitere. Nach einer fleinen Weile begann das Junge mit unsicheren Schrittchen und weitabgespreizten Flügeln gegen den Rand des Fensters vorwärts zu taumeln. Die Alten schrieen jeẞt unaufhörlich, famen aber nicht herbei. Am Rande der Fensterbant angelangt, tippte das Junge ungeschickt nach vorn über, und sein Sturz in den Hof schien ohne mein Eingreifen unvermeidlich. Da schoffen plötzlich unter durchdringendem Geschrei die beiden Alten mit Bligesgeschwindigteit vom Dache herab, schwebten in wundervollem Steilbogen von rechts und links dicht an das Junge heran, brachten dabei je einen Flügel unter dessen entsprechenden Flügel und trugen das Kleine in weitausgreifender Schraubenlinie zum Dache des Anbaues empor." Das Junge hing während des Aufstiegs ganz ruhig zwischen die Einer der polynesischen den beiden Alten.
Unsere Ahnen. Ueber unser Verhältnis zu den ältesten aus gegrabenen Menschenreften äußerte sich dieser Tage der Baseler Naturforscher Dr. Friz Sarafin auf dem Schweizer Naturforschertage zu Schaffhausen . Die ältesten Funde sind die Schädel des Neandertales und der Heidelberger Gegend. Aber es wäre verfehlt, anzunehmen, daß jene Urmenschen aus dem Pleistozän der Tertiärformation unfere direkten Vorfahren waren. Die Neandertaler Menschen waren vielleicht nur ein absterbender Seitenzweig der Rasse, von der dann die weitere Entwicklung des Menschengeschlechts thren Ausgang nahm. Was wir von den Urrassen wissen, ist ja ohnehin recht dürftig, wir fennen nur einige Knochen. Alles übrige, was uns sonst bei der Unterscheidung der heutigen Menschenraffen von Wichtigkeit erscheint, Haare, Haut, Fettpolster u. a. m. ist uns völlig unbekannt. Auf ein einziges Mertmal hin eine ganze Theorie aufzubauen, womöglich gar schon Raffenstammbäume zu entwerfen, erscheint doch sehr gewagt. Freilich werden wohl auch spätere Funde und Ausgrabungen aller Wahrscheinlichkeit nach immer bloß Stelettteile zutage fördern. Man kann daran denken, die noch lebenden Rassen, deren Schädelbau dem der Neandertaler nahekommt, zum Bergleich heranzuziehen