Nummer ZS A* � 22.September1H27 ÄlnterhaltunHsbeilage öes Vorwärts Eine Republik zu b»utn aus den Materialien einer niedergerissenen Monarchie, ist freilich ein schweres Problem. Es gebt nicht, ohne bis erlt jeder Stein anders gehauen ilt, und dazu gehört Zeit. «. Ch. Lichtenberg(1742—99). So Ca Der Wohltäter. Von Stefan Groß mann. Um Neujahrtstag 103Z verkündete der amerikanische Millionär Charles M. E. Chugge in den New Jorker Blättern: „Ich habe mich entschlossen, einem jungen Proletarier, der nach. weisbar seit ly Iahren in einem Kohlenbergwerk beschäftigt ist, ein Stipendium für eine Reise um die Erde zu zahlen. Diese Reise ge- schieht in Gesellschaft meine» Sekretär». Die Dauer der Weltreise wird mit drei Iahren festgesetzt; zur Vorbereitung(Sprachen- erlernung usw.) wird der Aufenthalt für ein Jahr in New Jork bewilligt. Bergarbeiter von mindesten» dreißig Iahren können sich um diese» Stipendium bewerben. Bedingm.gen für den Bewerber: t. Er muß seit mindesten» zehn Iahren Bergarbeiter sein. 8. Er muß natürliche Intelligenz, frische Beobachtung, lebhaste» Temperament nachweisen. 3. Er muß sich verpflichten» nach Ablauf der Reise abermal» zehn Jahr« in demselben Bergwerk wetterzuarbeiten. Protektion ist ausgeschlossen. Ueber die Wahl de» Preisträger» entscheiden sech» unabhängie Männer, die nicht von mir, sondern von den achtbarsten Schriftstellern Amerika » namhaft gemacht werden. Für die Kosten der Reise werfe Ich 30 000 Pfund Sterling au». Die Reise kann also mit dem größten Komfort durchgeführt werden. Ich selbst will den Stipendiaten erst nach seiner Reise kennen- lernen. Charles M. E. Chugge/ Es ging alles korrekt und ohne Korruption zu. Bon den un- gefähr 6000 Gesuchen, die einliefen, wählie die Kommission 240 be- sonder» berücksichtigenswerte au». Dann entschied da» Lo». Also wirtlich unparteiisch. Der 82jährige Bergmann Francis R o o t h aus New-Orleans hatte da» Glück, daß sein Gesuch au» der Urne ge- zogen wurde. Rooth war ein lediger Mann, der freilich schon wie ein Bier- zlger aussah, denn man arbeitet nicht, ohne daß Spuren zurück- bleiben, dreizehn Jahre in einem Kohlenschacht. Sein bärtige» Ge- ficht war ernst und mager, seine Lugen noch feurig, aber doch schon schwermütig, und auch seine hohe schlanke Gestalt war schon etwa» vornübergebeugt. Als junger Mensch hatte er Gedichte an ein junge» Mädchen verfaßt, die hatte er seinem Gesuch beigelegt, ob- wohl er selbst für die Schönheit der Gedichte au» seiner berauschten Jugendzeit gar keinen Sinn mehr hatte. Ueberhaupt hatte er da» Gesuch fast nicht im Ernst, sondern spaßeshalber abgefaßt und oer- schickt und gar keine Erledigung erwartet. Als man ihn eine» Mar- gen» aus dem Schacht herauf in» Bureau der Gesellschaft rufen ließ, um ihm zu verkünden, daß er der Glückliche sei, der eine drei- jährige Weltreise unternehmen sollte, da war er im ersten Moment nicht einmal glücklich, denn er hörte wohl die Worte, aber er emx- fand sie noch gar nicht. Nun wurden ihm nochmals alle Bedingungen verlesen. Da» sollte er unterschreiben. „Nur ein» ist von Wichtigkeit/ sagte der Beamte,„Sie müssen sich oerpflichten, nach Ablauf der Reise wieder für zehn Jahre in unsere Dienste zu treten! Herr Charte» M. E. Chugge will Sie nicht au» Ihrer Existenz für immer herausreißen und deshalb ver- langt er, daß Sie ihm— es wird ja wohl nicht nötig fein— da» Recht einräumen, Sie eventuell auch mit unserer Fabrikwache, mit unseren Pinterton» wieder in den Schacht zu bringen." Francis Rooth unterschrieb. Ein Jahr lebte er in New Park, lernte Französisch, Deutsch , Italienisch, lernte sich vornehm kleiden, ausgezeichnet essen, mit Damen umgehen. Cr wurde im Klavierspiel unterrichtet, daß er nun sogar zu genießen, aber nicht auszuüben verstand. Er kam in die großen Theater, in die Oper; er lernte segeln, rudern, schwimmen. Da» ganze Jahr über lebte er in einem Landhaus an der Küste, ein junger Maler war sein Gesellschafter, der ihm die Schönheit des Meeres, die Wunder der Abendsonne, die Herrlichkeiten der Winter» schönheit erklärte. Mit der Cousine diese» Maler» blieb er oft tage» lang draußen auf dem Meer in einer kleinen Segeljacht, und so erhielt er den letzten Schliff. Am 14. Oktober 1934 bestieg Francis Rooth den Dampfer „Viktoria", der junge Maler begleitete ihn als Sekretär.. Auf dem Schiffe erwartete ein Bote von Mr. Charles M. E. Chugge den Weltreisenden und überreichte ihm ein Scheckbuch, da» er— außer dem Stipendium— in den großen Weltstädten von Tokio bis Stock- Holm benützen sollte. Für jede Stadt waren ihm 1000 Pfund be« willigt, doch wieder unter der Bedingung, daß sie verbraucht, d. h. In jeder Stadt ausgegeben würden! Unmöglich zu schildern, wie Francis Rooth diese drei Jahre ge- noß. Die japanische Wunderwelt, die urewige Pracht der indischen Wälder, die Eleganz der Riviera, da» Sonnen- und Sternenglück der Meerfahrten, seine Freundschaft mit dem Maler, anfangs die sehnsüchtigen Briefe der Cousine, die Pariser Schwelgereien, die Schönheit der nordischen Landschaft, eine Nacht in der Wüste unter gelbem Himmel, dann die Reise mit der transsibirischen Bahn durch Einöde und Stille, plötzlich in Moskau vor der Pracht des Kreml , einen Sommermonat am Lido in Venedig ; in Rom iant er vor Michelangelo in die Knie, in Nizza erlebte er den tollsten Fasching der Welt, dann war er plötzlich in Kleinasien , an den dürren er- storbenen Stätten, die so vielen heilig sind. Er wurde jünger von Tag zu Tag. Sein Freund, der Maler, war mit Briefen an die freundlichsten Menschen der Erde ausgestattet. Er lernte die großen Dichter Europa » kennen, mehr noch: die stillen Großen aller Länder, die über dem Ruhme stehen, die erhabensten Charaktere, die ver- führerischsten Frauen, aber er blieb wachen Sinnes, und auch die Quartiere des Elends, der Lichtlosigkeit, der Blöße, de» Schmutze» sah er, um ihnen schleunigst zu entfliehen. Al» er am 14. Oktober 1937 in New Park landete da meint« er, ein« Nacht geträumt zu haben. Am 18. Oktober war er wieder in New Orleans . Er kam In fein« alte Wohnung und erschrak über ihre Enge, Lichtlosigkeit und Dürftigkeit. Aber er packte wortlos die Koffer aus und stattete dt« Wohnung mit allen Gütern aus, die er auf der Reise erworben: mit persische� Teppichen, ungarischen Stickereien, japanischen Holzschnitten, chinesischem Porzellan, französischer Seide, Schmetterlings- tasten au» Brasilien , ausgestopften Bögeln aus Indien und hundert anderen leuchtenden Schätzen. Am 20. Oktober erhielt er den Befehl, am 22. wieder seinen Dienst im Bergwerk, Schacht VII, dritte Etage, anzutreten. Er er- innerte sich plötzlich an die Vereinbarung, dachte an die Pinkertons und ging. Am 22. Oktober saß er wieder tief unten im Schacht, halbnackt, mit rußiger Brust, über die der Schweiß herunterrann, ganz ein- sam, nur seine kleine Lampe neben sich und— hier mußte er elf Stunden bleiben! Er hörte da» Ticken im nassen schwarzen Ge- stein, er oernahm au» der Ferne da» Klopfen seiner Kameraden, er aß sein Brot au» der schwarzen Faust. Mitten in der finsteren Ein- samkeit de» Schachte » sah er auf einmal den Ozean im Morgenlicht, den unendlichen, hellblau strahlenden Horizont, die Schneelandschasten Norwegens , den Fajchlng von Nizza , und er hörte plötzlich alle Orchester von Pari». Francis Rooth war auch nach der Arbeit ganz allein. Er hatte keine Lust zu reden, und da» wurde ihm al» frecher Hochmut aus» gelegt.
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