Dokument. Alle Leibensstationen feines Weges bis zu seinem
Kunstzigeuner und proletarischer Dichter. frühen Grabe tauchen auf, zuweilen wohl von weltschmerzlichen
Dem Gedächtnis Martin Dreschers.
Bon Johannes Schönherr.
Martin Drescher war nicht Proletarier von Herkunft und Be. ruf; irgendein Schuldzwang und väterliche Engherzigkeit haben ben ehemaligen Referendar aus Wittstock in Brandenburg über den Ozean vertrieben und zum Proletariat gebracht. Und drüben in Amerika wurde ihm das Leben zu einer Hydra mit unzähligen
Stimmungen umweht, die an Lenau erinnern, schließlich aber doch Don Lebenstapferkeit bezwungen. So fügt fich Gedicht an Gedicht zu einem Lebensbild zusammen, vor dessen zeitgefärbtem Hinter grund das tapfere, edle Wollen dieses leidgeprüften Menschen und proletarischen Freiheitskämpfers er starb während der Kriegs. jahre unvergänglich leuchten wird.
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Köpfen; denn in seinem Denken und Fühlen war Drescher allezeit Bildungswesen im heutigen Rußland .
von verschwiegenem Spott, feufcher Berlegenheit und mimosenhafter Reizbarkeit erfüllt gegen spießbürgerliche Ordnung, Geschäftstüchtigfeit, anpassungsfähige Gesinnungslumperei und stumpfe Behäbigkeit. Und so wurde sein Leben Hunger, Erniedrigung, Kälte und Obdachlosigkeit. Wochenlang sah er fein Bett. Kleider und Schuhe hingen oft in Fezzen an seinem gelähmten Körper. Das Gras der Prärien, Die Gräben der Landstraßen empfingen den müden Baganten nachts in ihrem Schoß. Und war ihm doch einmal ein Unterschlupf mit wirklichem Dach beschieden, so stieg er mit Raskolnikowgefühlen die Treppe hinauf zu seiner Bude, jeden Augenblick gewärtig, des Hauses verwiesen zu werden. Selbst seine besten Freunde brachten es nicht fertig, diesen Nur- Dichter" praktische" Lebensführung zu lehren. In der Geistesöde Deutschamerikas gab es für ihn bei ben gut finanzierten bürgerlichen Zeitungen, deren Feuilleton auf Siefem literarischen Niveau stand, feine Absatzgebiete, und die küftlevich geleitete Arbeiterpresse wiederum hatte zu wenig Geld. So #teigerte sich seine Berachtung aller fonventionellen Moral und verogenen Gesellschaftsform. Er war und blieb der eigenartig- trußige Mensch, der sein Höhenherz auch in den Niederungen des Lebens Jchlagen lassen wollte. Wohl hatte er sich dadurch selbst gefunden; aber die Gesellschaft gab ihn verloren, deren unglücklicher AusgeStoßener Drescher wegen feiner sozialrebellischen Bestrebungen in Dichtung und Leben gar bald wurde. Und während Gedanken der Menschheit in seinen Gedanken arbeiteten, stolperte der Dichter, finnend und horchend auf den Herzschlag der Menschheit, über die Widerwärtigkeiten des Alltags. Hinzu kam, daß eine angeborene physische Plumpheit ihm jede Aussicht auf ein erfolgreiches Forttom men in irgendeinem praftischen Berufe im vorhinein schon versagte. Seine erfte Stellung in einer schmutzigen Winkelfneipe endete mit der Entlaffung durch den Wirt, ber sich durch die UngeschicklichSeit feines Bierausgebers nicht alle Gläser zerbrechen und alle Bäfte vertreiben lassen wollte. Darauf verkaufte Drescher als Kolporteur In Mietstafernen Schundromane in Lieferungen und pries fie Jeiner Rundschaft mit der Behauptung an, daß Goethe und Schiller fich dahinter verstecken müßten. Aber vielleicht packte ihn bei solcher Beschäftigung bald der Ekel- genug. er versuchte sich als Lebensversicherungs- und Nähmaschinenagent, angelockt durch den verprochenen Vorschuß von 50 Cents. Ein Asyl für Obdachlose oder cine Bank zur Nacht auf einem Square blieben für ihn trotz allebem Die einzige Möglichkeit, neue Kräfte für die Fronarbeit des nächsten Tages zu gewinnen. Von New York aus ging dann Drescher monatelang auf die Walze. Auf Befragen wies er manchesmal auf jeine gelähmten Beine: Ja, die habe ich mir ehrlich beim Schlafen auf offener Prärie geholt!" In jenen Zeiten blieb dem Heimatlosen das Betteln vor zugeschlagenen Türen nicht erspart. Später wirfte er u. a. als Lehrer an einer freien Sonntagsschule und als Redakteur der Fadel", in deren Mitarbeiterfreife er auf die ersten thn verstehenden Menschen stieß. In solchen Zirkeln schäumte fein Lebensgefühl bei Sang und Trant auf, ebenso wie in den feltenen Augenbliden, wo er Geld in der Tasche hatte, und, getreu dem Defuswort, daß man nicht für morgen forgen follte, ein vorbeigehendes armes Kind oder eine verhärmte Dirne mit ein paar Dollar beglückte.
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Bon nur kurzer Dauer war dann Dreschers Tätigkeit als Schrift leiter der„ Dornehmen" Zeitschrift„ Die Glocke", die von einem reich gewordenen Käsehändler herausgegeben wurde! Bon größter Bedeutung aber war des Dichters Arbeit mit Robert Reißel in Detroit , in dessen Armen Teufel" seine beften Auffäße und seine Ueberfeßungen von Boe, Longfellow ufw. veröffentlicht wurden. Reizel fezte seinen Freund Drescher auf feinem Sterbebett auch zum Erben seiner gesamten Lebensarbeit ein. Dieses große Ver= rauen läßt sich vor allem aus den Gedichten Martin Dreschers serstehen. Dreschers Gedichte sind ewige Proteste und ewiger Aufruhr; denn sein Herz war erfüllt von der Sehnsucht nach einer befferen Menschheit und einem lichtvolleren Dasein. Der Troß eines Menschen beherrschte ihn, der die Morgenröte einer neuen Zeit zu fchauen begehrte, in dunkelsten Tiefen menschlichen Seins nicht die Maffen nur zum Kampf für das Glück der satten Herde begeistern möchte, sondern burch seine flammenden Berse in ihnen vor allem die Sehnsucht nach den Schönheiten der Kunst und nach bem Reiche des Wissens erweden will- Sehnsucht nach der ganzen Erde. Der Mensch, unabhängig durch Befiz und durch Bildung frei, loselöft von dem Tiefenschicksal der Ausgestoßenen und Unterdrückten, t das seine Gesamtdichtung durchdringende Sehnsuchtsmotiv. So sewinnen Dreschers Gedichte einen allgemein menschlichen Wert and ragen empor zu dem Besten der sozialen Dichtung, allein durch Sie stürmende, werbende Kraft der Gedanken und Gefühle, in denen das glühende Maßsenherz nach Ausdruck ringt. Aber sein Buch Gedichte" ist zum Teil auch ein Spiegel des wechselvollen Lebenshichfals Martin Dreschers und wird so zu einem rein persönlichen
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Bon P. F. Friedrich.
Renni Ihr ein Land, in welchem das Schulwefen so vollkom men ist, wie in Rußland ?", rief Lunatscharfty auf einem Sliefd in Moskau feinen Hörern zu... Freies Studium für jedermann, un zählige Bolkshochschulen, die möglichsten und unmöglichsten Kurse, Fortbildungsschulen diefes find Fortschritte, deren fich Rußland allerdings rühmen kann. Aeußerlich wenigftens. Denn ein Stu dium in der Zwangsjade kommunistischer Parteipolitit, unter Auf ficht bolfchewistischer Spizel ist nichts anderes als Bergewaltigung. Taufende, die zur Fortsetzung ihres Studiums zur Universität ab fommandiert worden sind, würden gerne wieder fort trog er. höhter Lebensmittelration, trotz des Gehaltes... Was nüzen die rielen neueingerichteten Schulen, wenn fie aus Mangel an Be. lcuchtung und Beheizung geschlossen bleiben! Was nügen die vielen Anstalten mit den hochtrabenden Bezeichnungen( Bolksuniversität, Ronservatorium u. a.), die heutzutage in jedem gottverlassenen Dörflein zu finden find! Was nügen fie ohne Lehrer und Lehr. mittel...
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Die Intelligenz ist zum größten Teil vertrieben und vers nichtet. Dem fleinen häuflein, das ausgehalten hat, wird jede Luft zur Mitarbeit durch die leidige Parteipolitik geradezu vergällt, denn alle diefe neueingerichteten Anstalten find nichts anderes als Ab lagerungsstätten kommunistischer Propaganda angefangen von der Kleinkinderschule bis zur Universität. Wohl versuchen einige Rommiffare für Bolfsbildung, Schule von Politit zu trennen. Ja, ich habe Rommuniften tennengelernt, die freudig jedem die Hand reichten auch ihrem politischen Gegner zu gemeinsamer Arbeit zu Nuzen des während der Barenzeit fünftlich in seinem Dunkel erhaltenen Bolkes. Es wäre einseitig, wollte man nur die auf der unsinnigen Parteipolitik erwachsenen Wißstände be trachten, denn der russische Muschif hat während der letzten Jahre viel gelernt. So hat z. B. die Zahl der Analphabeten bedeutend abgenommen.
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Ich befand mich im Sommer 1920 als Lehrer am Seminar in einem kleinen fibirischen Städtchen, als der Befehl heraustam, allen Analphabeten des ganzen Guberniums im Laufe von drei Monaten das Lesen und Schreiben beizubrin gen. Im Städtchen war eine Garnison von rund 2000 Köpfen. Unter diefen waren nur 10 Broz. lese- und schreibkundig. Nach einer schier aufreibenden Arbeit kamen wir zu dem erfreulichen Resultat, daß zirka 90 Broz. unferer rotgardistischen ABC- Schüßen in der gegebenen Zeit leidlich lesen und schreiben lernten. Aehnliche Gewaltfuren wurden in ganz Rußland und Sibirien vorgenommen. man bedenke, was für einen geistigen Umschwung solch ein Fort Fundigen mit offenem Munde anftaunte. Daß es nun das Rich schritt bringen muß bei einem Bolke, das bis dahin den Lesetige" zum Lesen bekam, dafür sorgten eben die„ Towarischtschi" ( Genossen). Fliegende Theater, Wgitationszüge mit Flugblättern, traffesten Farben der Borteipolitif bearbeiteten das Bolt nach Broschüren, Bildern, Orchestern und Kinos alles natürlich in den dem Programm der Moskauer Machthaber... Was Wunder, wenn der Bauer. der vielleicht noch nie ein Orchester gehört, nie ein Kino und andere Wunderdinge gesehen hat, run plötzlich merkt, daß es auch anderes außer der Knute und dem Popen gibt. Er hält den Bolichemiften für einen Allerweltsterl und bewundert ihn, obwohl dieser ihm die letzte Kuh aus dem Stalle zieht. von Aufruhr und Unruhen als Zeichen allgemeiner Unzufrieden Troß dieser Reflame und Agitation hört man immer wieder heit. Doch bleibt der Bolschewit immer wieder Sieger. Boran liegt das?!.. Er hat die Jugend in seiner Hand angefangen vom Schulkinde bis zum Rotgardisten. Diese Jus gend ist die Hoffnung der Kommissare. Das Banner, so rechnen fie das vielleicht bald ihren Händen entfinten wird, soll die heranwachsende Generation wieder erheben... Es ist unglaublich, mit welchen Mitteln der Sowjet vorgeht, die Kinder für sich zu ge winnen. Die heiligsten Gefühle der Eltern und Lehrer werden geradezu mit Füßen getreten. Die Kinder werden erzogen, ja ge. zwungen, die Eltern eben nur als Bürger des Staates zu betrach ten. Wehe den Eltern, die vielleicht in Gegenwart ihres Kindes abfällig über die Regierung urteilen, oder gar dem Kinde verbieten wollen, an irgendeiner fommunistischen Feier teilzunehmen. Es tann ihnen passieren, daß das eigene Rind ihnen seine politische Ueberlegenheit beweist und fie fich mit blutendem Herzen vor der Tscheta" zu verantworten haben... Wehe dem Lehrer, der in der Schule ein unvorsichtiges Wörtlein hat entschlüpfen lassent Seine eigenen Schüler sehen ihn hinter Schloß und Riegel.
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Folgendes Beispiel dürfte die Zustände in der Sowjet- Schule etwas beleuchten: Im bereits erwähnten sibirischen Städtchen bes stand unter den Schülern des Seminars ein Zirtel für einheimische Geographie. Ich muß verausschicken, daß dieser Zirkel keinerlei