Nummer 1
Heimwelt
5. Januar 1922
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
Ich erzähle es, ohne das Geringste hinzuzutun, umzubeuten oder Ich erzähle es, ohne das Geringste hinzuzutun, umzubeuten oder zu verzieren. Ich erzähle es den Berichten nach, die in den Bodenfeezeitungen darüber erschienen sind.
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feine Papiere herzugeben. Dann vertilgte sie in ihm bie Erinnerung an feinen Namen, und in verbrecherischer Schlauheit gab sie bem Namen, ben sie ihm von seht ab anbefahl, die Anfangsbuchstaben Fahrkarte nach Immenstadt kaufte sie und setzte ihn in den Zug. des ersten. Denn Taschentücher und Wäsche waren gezeichnet. Die " Wie ist benn Ihr wirklicher Name?" fragte ber Arzt. Aber ben wußte er auch jetzt noch nicht.
der Arzt, indem er ihn einschläferte. Merten Sie sich: Stellen Sie sich vor, Sie sind wieder 10 Jahre alt," befahl Jahre! Sie tommen aus ber Schule... Nicht wahr? Aus Der Schulet" Ja!"
In dem Vorarlberger Dorf Lech tauchte vor einem Vierteljahr ein Unbekannter auf. Invermittelt, wie er gefommen war, blieb ihm er und verrichtete bei einem Bauern Dienste als Heuer. Jedermann 10 fah, das war von Haus aus seine Arbeit nicht, auch seine Kleider sprachen gegen seine Beschäftigung. In der Lat ging es nicht lange, und als er bei einem anderen Bauern sich um eine Stelle als Knecht bewarb, beschaute sich die Behörde ihn näher. Er konnte teine Bapiere vorzeigen, und so brachte ihn der Gendarm nach Bludenz auf die Bezirkshauptmannschaft.
Dort merkte man einestells, baß etwas bei ihm nicht stimmte, und man übermittelte ihn dem Krankenhaus. Aber zugleich zeigte er einen Drang, irgendwie auf bessere Weife tätig zu sein. Deshalb gab man ihn aufs Rathaus, wo er mit fleinen Schreibarbeiten beschäftigt wurde. Inzwischen bemühte sich die Bezirkshauptmannschaft um die üblichen Erhebungen. Diesen Bemühungen stand ent gegen, daß er von sich feine Erinnerungen hatte, die weiter als bis zum 24. Juni 1921 zurüdgingen. Er fonnte nur angeben, daß er an diesem Tage den Schnellzug München - Lindau in Immenstadt verlaffen hatte und über Oberstdorf und den Schroffenpaß nach Lech gewandert war. Sonst wußte er nichts von seinem Leben. Selbst einen Namen fannte er nicht an sich, und der Bezirkshauptmann glaubte schon an einen zweiten Kaspar Hauser . Man hörte an seiner Sprache, daß er aus dem Deutschen Reich war, und man tat bas Naheliegende und schob ihn eines Tages über die deutsche Grenze ab. 60 tam er nach Lindau .
Die Lindauer Polizei stellt ein ausgiebiges Verhör mit ihm an, und der Beamte, der dieses Berhör vornahm, scheint ein Psycho. loge gewesen zu sein. Statt ihn nach altem Muster ins Gefängnis zu stecken, übergab er ihn einem Nervenarzt.
" Welche Straßen gehen Sie nach Haus?"
Der Befragte nannte einige Straßennamen.
Wie heißt die Stadt, in ber Sie durch diese Etraßen gingen?" Braunsfeld bet Köln."
Ihren Kameraden. Sie stehen vor Ihrer elterlichen Wohnung. „ Sie gehen nach der Schule nach Haus. Sie trennen sich von nicht wahr?"
Ja!"
Haben Sie dieses Haus in Erinnerung behalten?" Jal"
War ein Schild mit einem Namen bran?" Ja!"
Was stand auf dem Schild?" " Riftenfabrit von Gustav Wendland." Hieß Ihr Bater Wendland?" " Ja!"
" Wie nannte Ihr Bater Sie?" Walter!" Walter!"
* Sie heißen Walter Wendland?" „ Ja!"
Man brahtete nach Köln- Braunsfeld . Es wurde geantwortet: Walter Wendland set sett dem 22. Junt vermißt. Er sei beheimatet in Köln- Braunsfeld , wo er bei seinen Eltern wohnte. Die weiteren Erfundigungen brachten nun einen zweiten Teil in diese Kino.
geschichte.
Der Nervenarzt wußte bald, was die Glocke geschlagen hatte. Er ging den richtigen Weg aufs Ganze. Er versette den Unbe. tannten in Hypnose. Er enflockte ihm einen Namen und brachte die Nachdem Walter Wendland verschwunden war, meldete sich ein erste Helligkeit in die dunkle Wirrnis seines Schicksals. Der Fremde fagte, er heiße Wilhelm Werner und sei aus Düsseldorf . Er erzählte Privatdetektiv bei feinen Eltern und bot ihnen an, nach dem Ber weiter, in Herne sei eine Frau zu ihm ins Abteil gestiegen, diese habe mißten zu suchen. Er befam etne größere Summe für seine Be fich seiner Geldtasche und seines Gepäcs bemächtigt und ihm bemühungen. Diese Bemühungen schienen Erfolg zu haben, denn er fohlen, nach Immenstadt zu reisen und über die Grenze zu ver- fonnte den Eltern nach einiger Zeit mitteilen, daß ihr Sohn Walter an dem und dem Tage in die französische Fremdenlegion einge Schwinden. treten set.
Auf diese Aussage telegraphierte die Lindauer Polizei nach Düsseldorf , aber es wurde geantwortet, dort sei ein Wilhelm Werner nicht bekannt. Man nahm wieder den Arzt zu Hilfe. Der Arzt, ber einen bestimmten Verdacht faßte, wiederholte ihm nun im wachen Zustand die Aussagen, die er in der Hypnose gemacht hatte. Da aber bestritt der Fremde, Wilhelm Werner zu heißen, denn er erinnere fich nicht, diesen Namen jemals gehört zu haben.
Der Arzt versuchte weiter mit Hypnose bem Rätsel zu Leibe zu rücken, und über mehrere Versuche brach, langsam und zäh einen alten Widerstand besiegend, die Wahrheit über den Unbekannten und sein sonderbares Schicksal burch.
Das Folgende tam nun zutage, gemischt aus magischen Menschenfünften und einem Berbrechertum, bei dem nur die Geringfügigkeit der Beute von 2000 Mart von einigem Widerspruch zu sein scheint: Der Mann hatte im Juni des Jahres eine Geschäftsreise im Rheinland unternommen. Er war Reisender einer Metallwarenfabrit. In der Bahn hatte eine Frau mit ihm ein Gespräch angefnüpft. Er erinnerte sich genau, wie sie aussah. 40jährig mochte fie sein, schwarz, Zigeunertyp, vielleicht eine Italienerin, frembländisch auf alle Fälle. Sie hatte einen stechenden Blick.
Diesen Blick übte sie gegen ihn aus. Sie versehte ihn in einen hypnotischen Zustand. Sie befahl ihm, sein Gepäck, sein Geld unb
Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß zwischen diesem Agenten und der mit außergewöhnlichen hypnotischen Künsten versehenen Frau zu verbrecherischen Zweden eine planmäßige Zusammenarbeit verrichtet wurde. Die Mutter Wendlands tam nach Lindau und reiste mit ihrem Eohn nach Bludenz , um etwaige Schulden, die er bort hinterlassen hätte, zu regeln. Sie ging mit ihm auf die Kanzlei, wo er einen Monat gearbeitet hatte. Aber zu der Wahrheit seines wirklichen Daseins zurüderwacht, fannte er feinen der Menschen wieder, mit denen er in seinem Schlaf durch vier Wochen Tag um Tag zusammen gearbeitet hatte. Aus der Geringfügigkeit bes Objekts, mit dem das Verbrecherpaar arbeitete, fann man beuten, daß der Anschlag gegen diesen Mann nur der erste Versuch eines aufs raffinierteste ausgestatteten, zeitgenössischen Verbrechertums war. Der Anschlag ist mißglückt und soll bekannt werden.
Aber ist es nicht wirklich wahr, daß das Leben dem Kino Ron furrenz zu machen beginnt?
Welchen Weg mußte nicht die Menschheit machen, bis sie dahin gelangte, auch gegen Schuldige gelind, gegen Verbrecher schonend, gegen Unmenschliche menschlich zu seint
Goethe