Nummer 7
23. Februar 1922
Heimwelt
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
Zeitgenosse!
Zeitgenosse, der du satt dich it! Zeitgenosse, der du Prasser bist! Wißt:
Es schaffen hungernd bei mageren Bohnen Millionen!
Ihr, die ein trockenes Brötchen stört,
die ein versalzener Braten empört,
hört:
Es schützt Millionen vor Hungertod trockenes Brot!
Ihr, denen geborgen es wohlergeht,
"
die ihr die Not der Zeit" bet Seft übersteht, seht:
Die Zeit der Not hat für Millionen Köpfe -leere Töpfe!
Ihr, die ihr in ewigen Dafen lebt ,.
die ihr dem Leben, was des Lebens ist, gebt, bebt:
Um eure Dasen ist alles Land Wüstensand!
Und wenn ihr auch lächelnd zu hungern erlaubt, ihr, die ihr den Menschen die Menschlichkeit raubt, glaubt:
Auch eure Dase versandet, vergeht... permeht!
Zeitgenosse, der du„ Alles" haft!
Satter, der du im Prozenpalast
praẞt,
-
vernahmst du die Stimme, die in dir... tief... Mörder rief...?
Josef Maria Frant ( Aus dem unveröffentlichten Gedichtband 8 ettgen offe, wach auf!")
Auf dem Lande.
Ein österreichisches Idyll von Adolf Walter Wien. Als sie in den legten Zügen lag, sagte meine gute alte Tante zu mir:" Beinahe hätte ich dir mitzuteilen vergessen, daß du noch einen Verwandten hast, einen Ontel; aber sprich nicht laut davon, es fönnte deiner Karriere schaden. Er war immer der dunkle Punkt unserer Familie. Geistig unfagbar zurückgeblieben, ein Dreizehnmonatsfind, verursachte er uns als Knabe nur erger und Kummer; im Alter von 12 Jahren war er für die unterste Stufe der städti schen Normalschule nicht reif. Er steckte grundsäglich und blizschnell alles, was er in die Hände betam, in ben Mund; nicht Eßbares marf er aber wieder meg! Wir gaben ihn aufs Land, nach Nieder freuzstetten im Viertel hinter der Enns . Dort tommt tein Mensch hin. Es ist außerhalb der Welt und feder Borst. llung gelegen. Er hütete Vieh, wurde dann Knecht und mit seiner fleinen Erbschaft Da verschied fie sanft.
Das war vor 20 Jahren. Lehthin, als alle Geldquellen bis ans fähe Ende ihrer Geduld erschöpft waren, tamen mir, vermengt mit Todesgedanken, die letzten Worte meiner Tante in den Sinn. Ich sah im Geifte eine freundliche Landschaft, stattliche Herden, den Hirten, wie er die Flöte blies, den fernigen Landmann voll biederem Gottvertrauen, im Schweiße seines Angesichts den Pflug schiebend, und anderes Erbauliche mehr. Ich stempelte ein Freitartengefuch an den Eisenbahnminister mit einer Wohltätigteits marte, erhielt schon am nächsten Tag mit Eilboten Fahrtanweisung und Blakkarte zugestellt und erreichte nach viermaligem Umsteigen Neuraming, die Ausgangsstation für Forschungserpeditionen in das Gebiet der mehrhaften und gefürchteten Ennspiertler.
Wo führt, bitte, der Weg nach Niederkreuzstetten?", fragte ich beim Berlaffen des Bahnhofs den Erstbesten. Sogleich ergoß sich
*
Hochachtung und Ererbietung über sein Anliz.„ Die Garage für geladene Gäste der Domizile Niederkreuzstetten, Untertupfing- ,, Ich möchte zu Fuß gehen."
" Links um die Ecke und dann gradaus", sagte er im Weitergehen, Derächtlich.
Nach einer halben Stunde Weges wurde ich von einer Art ortsüblicher Polizei angehalten.
" Revision", sagte der Anführer schneidig, Baß, Einreisebewil
"
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ligung. Wir sind doch in Desterreich," wehrte ich mich.
" Da täusch'n' s Ihna gründlich. Se san im politischen Bezirk Niederkreuzstetten Woher kommen's denn? Vielleicht gar Ausgeschlossen! Nein, nein. Ich leiste jeden
"
Wiener werden mit und ohne Einreisebewilligung abgeschoben. 3wed der Reise?"
Ich möchte gern meinen Onkel besuchen, einen gewissen Engel bert Kropfleithner."
" Oh, Stropi", sagte er, indem er diese Anfangsfilbe wie eine
Süßigkeit auf der Bunge zergehen ließ, unseren allverehrten Herrn Bürgermeister." Er falutierte dem abwesenden hohen Herrn und stellte sich sodann als Kommandant der Ortspolizei vor: Mein Name Oberstleutnant Rahmlechner ", und er deutete auf je zwei silberne Sterne, die vielfach, am goldenen Kragen, auf den Achselklappen, am Helm, an den Aermelaufschlägen und auch sonst in verschwenderischer Fülle angebracht waren.
„ Gewiß. Der Herr Onkel. Er ist Major der Feuerwehr, Oberst ber Ordnungstruppe von Niederfreuzstetten und General der ver einigten Heimwehren der Umgegend."
In diesem Augenblicke schnob unter donnerähnlichem Getöse ein hundertpferdekräftiges Auto heran, bremste ab und aus der Staubwolfe, die uns einhüllte, tönte eine wohlgefällige Stimme:" Da schaugst, Rahmlechner, alter Tagdiab, des is a Ralbl, was?"
Jawoi, Erlenz", pflichtete der Herr Oberstleutnant bei,„ bes is a Brachtstücf."
Die Staubſchleler waren gefallen. Im Fond des mit Maroquin leder bezogenen Wagens lehnte hochherrschaftlich mein Onkel, mit grünem Hütt und ungeheurem Gemsbart, er hielt am Strid ein bemerkenswertes Kalb. das neugierig über die Kante der eleganten Karosserie glotte.
Ontel war nicht sehr erstaunt. Hab' ma schon denkt." sagte er. daß ma de hungrige Verwandtschaft in Wien über heit oder murg'n in Sad hängen wird. Kannst mitfahr'n. Schaffehr, vierte G'schwindigkeit!"
Wir flogen pfeilschnell durch die Landschaft. Wo bist denn ang'stellt?" fragte Ontel, während er das Kalb zu beruhigen suchte, das, der Angst gehorchend, auf bie foftbare Innenausstatung bes Wagens nicht Rüdsicht nahm.
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Bei der Zeitung", sagte ich fleinlaut.
" Ah woi", sagte er nachdenklich, Beitung aha: Rund um Börse, Gespräche mit Bankdirektoren, Streiflichter auf den Effektenmarkt, und so?"
Eigentlich nicht.
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Aber Onkel ließ das nicht gelten:" Du, du bist a ganz Feiner, du hörst die Valuten wachsen, was? So wem sucht scho lang Glaubst, soll ma Nordbahn verkaufen? Wie lang werdn's noch steig'n?"
Solang bu feine Steuern zahlft, Ontel," sagte ich prophetisch, werden sie steigen."
Onfel lächelte beruhigt: I hab alles," sagte er mitteilfam, bir Banni's la fag'n: Attien, zwa Käft'n voll, und alle Baluten, was gibt, nur österreichische Kronen, na, und er schüttelte heftig das Haupt,„ na, meina Geel', de bab i net."
Wir hielten vor einem stattlichen Gehöfte.
Wo is de Alte?" rief Ontel wohlgelaunt, mir hab'n an Hunger."
Die Frau Kropfleithner wäre beim Umrechnen, hieß es. Wir begaben uns in eine scheunenähnliche Halle. Bis an die Dachsparren mit Stoffballen, ganzen Stücken Leinwand, Chiffon und Fertig waren angefüllt, machte der Raum den Eindruck eines Warenlagers von feltener Reichhaltigkeit. An einem Tisch in der Mitte saß. bewaffnet mit Ropftuch und Brille, die Tante, und malte in ein großes Buch Ziffern. Es wurde ihr ein Stoffballen nach dem anderen vorgelegt, fie ftreichelte ihn freundlich und notierte den neuen, dem Tagesturs entsprechenden Preis.