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Nummer 40 10.<d?tober 102S _ Heimweh Unterhaltungsbeilage Zes Torwarts Jesus und öer Sürger. Von Carl Einstein. *) Bürger: Was kümmerst du dich um Dinge, die dich nicht an-] gehen? Man wird dich töten und dir geschieht recht. Du störst Ruhe und Ordnung. Jesus : Ob mir recht geschieht oder unrecht, gilt gleich. Von mir ist nicht die Rede. Bürger: Aber von der Ordnung. Jesus : Nichts stört so sehr wie eure Ruhe und Ordnung. Sie ist das Vorrecht der Toten, das der Lebende diesen mißgönnt. Die Toten jagt ihr aus den Gräbern hoch, ihr aber oerlangt Ruhe. Bürger: Meinetwegen: aber du kümmerst dich um Dinge, die dich nicht angehen Warum beredest du die Armen zum Aufstand? Jesus : Die klagende schüchterne Verzweiflung der Armen gegen die Gewalt der erdewuchernden Reichen nennt ihr Aufstand? Gequälte Angst Erschöpfter heißt ihr Frechheit! Bürger: Also, was beredest du die Armen zur ängstlichen Notwehr? Jesus : Ihr seid geartet, daß ihr euch nur um euch kümmert. Bürger: Wir mischen uns nicht in fremde Angelegenheiten. Jesus : Ihr kümmert euch nur um euch selbst. Euer Selbst, das find eure Geschäfte. Je reicher einer ist, um so weniger ist er Mensch: sondern Sache. Bürger: Um so nützlicher ist er dem Staat, um so wertvoller als Bürger. Jesus : Je reicher einer ist, um so werkoller ist er als Sache. Bon dir spricht man nicht, sondern von deiner Fabrik, deinen Lände- reien. Du sagst immer, die Fabrik, die Ländereien, bas bin ich, das ist am Ich das wertvolle und macht es aus. Das ist die Frech- heit, die erschöpft« Dummheit der Bürger, von den Dingen, der Erde, von der Arbeit der anderen zu lügen: das bin ich. Bürger: Du antwortest nicht, Schriftgelehrter: was kümmerst du dich um Wasserträger, Halbsterbende, Straßenmädchen, Arbeits- scheue und Gesindel. Jesus : Die Halbsterbenden sind die Starken. Du meinst, ich sollte mich um mich kümmern? Bürger: Worum denn sonst? Um die Familie, die Kinder, das Geschäft. Jesus : Was denn ist dein Ich? Was bist du? Wer deine Person? Bürger: Meine Angelegenheit: ich soll dem Staat, dem Vater- land dienen: aber nicht Landstreichern! Jesus : Dein Vaterland steht in deinen Gütern, im Besitz deiner Freunde, die du noch bestehlen wirst. Meines in den Herzen der Armen. Der Erde Sinn kann nur der Mensch sein, und man ist Mensch, soweit man arm ist. Der Reiche ist Wolle, Oel, Kohle, Eisen: sein Auge ist Wolle, sein Wunsch ist Oel , sein Herz ist Kohle, Ieine Niere Eisen. Ich gehe zu den Menschen, die unbeschwert hieben von den schwelenden Teilen eures toten Ichs. Durch eure Gier wurde das Ich der Erde erschlagen und damit du und ich. Ihr habt den Armen gehalten, daß seine Gedanken ohne Zunge blieben: und niemand soll>hm Sprecher sein? Die Armen sollen wehrlos bleiben? Die Einfältigen sind selig, doch ihr macht der Armen Ein- salt zu Elend. Bürger: Die Armen teilen alle Rechte mit uns! Jesus : Vorher machtet ihr den Gegenstand des Rechts zu eurem Besitz. Ihr nahmt die Gewalt an Euch: dann gabt ihr gleiche Rechte. Ihr werdet an der Gewalt sterben. B ü r g er: Immer noch die fremden Angelegenheiten, die Armen! Jesus : Wer denkt, kann er anders bedenken wie die Armen? Der schmerzhafte Gedanke läßt sich nicht auf euren Besitz pressen, sondern geht zu denen, die nichts anderes besitzen als unausge- lprochenes heimliche» Denken. Für die Leidenden denken, die ge- quält sind, die keine Zeit besitzen zu denken. Bürger: Der Denker gehört zu uns-, wir besitzen Bildung, wir bezahlen Bildung: ermöglichen diese durch Besitz und Arbeit. Jesus : Eure Bildung ist angeeignetes Gut und Gewalt. Euer Wisien ist der Besitz weniger und Gewalt, worin ihr die Schädel der Armen zerpreßt. Ich weiß, wer nicht mit euch geht, wird heute noch vernichtet. Wäre ich mit euch, wäre ich vernichtet. *) Aus der DichtungDie schlimme Botschaft", die den aufsehenerregenden..Gotteslasterungsprozeß" verursacht hat. /tof dem Liegestuhl. Don Alfred Fritzsche. Das beste Geschütz gegen die Bazillen ist der Liegestuhl." Diesen Satz hat mein Arzt zu mir gesagt. Und ich habe Bazillen. E» dauerte ein Weilchen ehe ichs merkte. Ich hustete etwas. Es kam Blut. Dann fuhr man mich ins Krankenhaus. Dort lag ich wie in einem tiefen Schacht und meinte, ich käme nicht wieder heraus. Aber ich kam wieder heraus. Wer weiß, wer es so gnädig mit mir meinte. Gnade breitete sich weiter über mich aus. man schickte mich in ein Sanatorium. Ich ließ das mit mir geschehen: so mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Man weiß schon... Aber das weiß man nicht: daß es rings ums Sanatorium sehr schön ist. Rings ums Sanatorium liegen große Berge. Und auf den Bergen stehen dunkle Tannen. Bor ihnen breiten sich braune Aecker aus. Im Sommer wogte aus ihnen da» Korn. Ich sah es Tag für Tag bis es gemäht wurde. Dann kam der Herbst ins Land und gab den Bäumen braunes Laub. Alles war braun. Auch die Aecker, zu denen ich jeden Tag hinaustah. Denn ich liege jeden Tag auf einem Liegestuhl. Vom Morgen bis zum Abend. Ich seh« am Morgen, wie sich die Frühnebel von den Bergwiesen erheben, und sehe am Abend, wie die Sonne das Laub der Bäume und das Braun der Aecker zum dunklen Golde wandelt, Und die dunkelgrünen Tannen stehen in einen blauen Schimmer gehüllt, durch den ein rosa Schein webt. Dann kommt die Nacht, und spinnt um alles ihr Dunkel. Aber Sterne läßt sie am Himmel leuchten. Die sehe ich am späten Abend. So lange, wie ich will. Nicht immer geht es nach meinem Willen. Ich will zu lang« liegen und träumen. Wenn ich das tue, ruft der Gong vier laut« Schläge durch den Abend. Dann muß ich aufstehen, die zerbrochen« Stillt verlassen, und ins Haus gehen. Am anderen Morgen suche ich wieder meinen Liegestuhl aus. Ich habe ihn liebgewonnen. Er ist langgestreckt, hat braune Hölzer mit schwarzen Blechscharnieren und läßt sich stellen, wie ich es wünsche. Hoch und niedrig. Eh« ich zu ihm gelange, muß ich an einer Reihe anderer vorbei. Darauf liegen Kameraden. Die Kameraden des gleichen Leidens. Alte und junge. Männer und Frauen. Nun ja, das ist traurig. Das ist eigentlich sehr traurig. Eigentlich! nicht ganz. Eigentlich bin ich heiter und habe ein frohes, ruhiges Gemüt. Ich sinne viel in mich hinein. Gebe Stunden dafür her. Ich habe ja Zeit. Oder seh in den Himmel mit seinen ziehenden Wolken, schaue zu den Bergen hinüber und achte aus den Blätterwirbel der Bäume. Vor der Liegehalle steht ein großer Ahornbaum. Groß wie ein flam» mender Busch ist sein gelbbrauner Wipfel. Ein tapferer Kerl. Er wehrt sich gegen den Herbst. Sich wehren! und doch friedlich sein. Ruhig. In sich hineinhorchen und auf das lauschen, was richtig und was falsch ist. Sehen, was man zu behalten hat und was fortzuwerfen ist. Ordnung in sich bringen. Alles wieder in die Reihe bringen. Selbstbesinnung. Seelenfrieden. O, das Wort Frieden! Frieden im Leid haben Frieden aus dem Leid schöpfen! Frieden Ist Leben die Ruhe ist das Leben. Kampf wird zur Verirrung. Und was ist der Tod? Ein Nichts! Aber ein Mensch im Frieden, im Frieden seiner Seele? Das heißt dem Leben am nahesten fein, aufgehoben sein im Ewigen, getaucht sein in die Segnungen göttlicher Kraft. Darüber sinne ich oft auf dem Liege» stuhl nach. Ich habe Zeit. Mehr als alle anderen um mich herum. Mehr als die Gesunden. Ich bin dem rastlosen, hetzenden Schaffen fremd geworden. Es braust an mir vorüber. Ich lebe auf einer Insel. Ich bin ein Glücklicher. Einer von denen, die Zeit haben. feit haben, sich ihren Seelenfrieden zu erringen. Zeit haben, die rast zu sammeln, um dem Leben fest entgegentreten zu können in ihm bestehen zu können. Wer von euch, meine Arbeitsbrüder, hat Zeit? Niemand. Man muß erst die Schwindsucht kriegen... Weil die Frau weniger moralische Energie als der Mann besitzt, fügt sie ihrer Gerechtigkeit ein unumgänglich notwendiges Tempe» rament bei, ohne das unser Rechtszustand-sich in nichts von dem Kriegszustand unterscheiden würde: dieses Temperament sind die Ideen der Milde, der Duldung, des Mitleids, die sich überall mit dieser Idee der Gerechtigkeit vermischen. ' P r» u d h o».