Einzelbild herunterladen
 

Naturwissenschaft und Freidenkertum.

Bon Dr. P. Krische.

Die Parodie und ihre Wirkung.

Bon Karl Fischer.

Mit Lachen, das bisweilen bärbeißig bisfig, bitter fein fann, dann freilich vorkommt, daß es zu manchen Zeiten, und vielleicht leben wir in folchen Zeiten, schwer ist, nicht eine Satire zu schreiben, mas und worüber man immer schreiben möge. So fann sich die Satire schlechterdings alles, was im Leben des Menschen Bedeutung und Bestimmung hat, zur Zielscheibe ihrer scharfen Pfeile wählen. Wesentlich enger sind die Grenzen der Parodie gesteckt. Sie steht zwar Seite an Seite mit der Satire, und auch fie glaubt helfen und heilen zu können durch den Humor. Aber sie fann, wenn man so fagen darf, eigentlich nur in der Literatur und durch die Literatur leben. Ihre Aufgabe ist es, auf Schäden in der Literatur mit dem Lachen des geistig Hochstehenden, über alle Schwächen Erhabenen aufmerksam zu machen, und alle die, welche sich unter der Maske des Dichters einschleichen wollen, zum Tempel hinauszufchmeißen,

In den Septembertagen dieses Jahres fand das 100. Jubiläum der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Leipzig ftatt, tle Wahrheit zu sagen, soll der Sinn der Satire sein, wobei es das zweifellos zu den denkwürdigsten Rundgebungen gehört, die bisher die deutsche Wissenschaft in ihrer ehrwürdigen Geschichte zu ver­zeichnen hatte. Keine Tagung vorher hatte einen derartigen Massen­andrang, hatten fich doch über 7000 Naturforscher und Aerzte in Leipzig eingefunden. Bon hohem Intereffe war die Tagung für den Soziologen, besonders für den Sozialisten und Freidenker. Ich empfand sie als eindrucksvollen Beleg für die Richtigkeit jenes Kern­punttes der margistischen Auffassung, daß das wirtschaftliche Sein bas Bewußtsein bestimmt und nicht umgekehrt. Wie haben sich doch die Zeiten gegen früher geändert! Nach der Gründung 1822, in den dreiziger Jahren unter der Reaktion, welter während und nach dem Berlauf der 48er Revolution standen die Naturforscher wie die ge­famte hugendliche Intelligenz auf der Seite des Fortschritts, dienten bie Naturforschertage geradezu zum geheimen Gedankenaustausch fretheitlicher Männer.

Freilich wird man sich gewiß nicht eng und kleinlich an Theo. rien flammern dürfen. Aristophanes , der ungezogene Lieb Nachdem dann in den fünfziger Jahren mit dem Darwinismus ling der Grozien, dem nichts erhaben und heilig genug war, hat den ble starte materialistische Strömung eingesetzt hatte, fand in den Euripides parediert, ein Klaffiter hat den anderen Klassiter 70er Jahren ein Naturforschertag statt, auf dem Hacdel unter dem aerpflückt. Und doch hat auch diese Parodie ihre praktische Bedeu Jubel der Berfammelten jenen dentwürdigen Bortrag über die na- tung. Ariftophanes fegte den Griechen feinerzeit, feht euch diesen türliche Schöpfungsgeschichte hielt und das Freidenfertum Gemeingut Euripides an, der ist ja so verstaubt und so voller Stockflecke und ein der Naturforscher und Aerate geworden zu fein schien. Durch die fo langweiliger Keil, daß man über feine Steifleinigkeit nur lachen franzöfifche Revolution waren die alten führenden Feudalschichten fann. Wirkung in die Ferne und für alle Zeiten hat diese Parodie abgelöst durch den dritten Stand, durch das Bürgertum, das wirt- mun allerdings nicht gehabt, noch heute steht am hohen Himmel der Ichaftlich und geistig die Führung übernahm und Träger des freiheit. Plaffischen Literatur neben Aristophanes Euripides, Stern neben lichen Gedankens war. Studenten und Bürger hatten zufammen Etern. auf den Barrikaden gestanden, Kleinbürgertum und Wissenschaftler gingen vereint politisch vor, das Frankfurter Parlament in seiner durchaus freiheitlichen Mehrheit war geradezu ein Brofefforen­parlament, über das wegen feiner Lebensfremdheit später viel ge­fpöttelt wurde, das mit seinem geistigen Niveau aber doch manches realpolitische" Barlament späterer Zeiten weit überragte.

Hier foll beilelbe nicht zum Bemeis für die meistens nur be dingte Bedeutung der Parodie und zur Langenweile der Leser die Literaturgeschichte abgeschrieben werden, aber auf zwei besondere und voneinander ganz verschiedene Fälle von Parodien sei aufmerksam gemacht. Mchlmann hat auf Kozebues Hussiten vor Naumburg " die Parodie Herodes vor Bethlehem " geschrieben. Als sein Werk erschien, hatte er die Lacher entschieden auf seiner Seite, denn Kotzebue , wenn auch an leinen Reiten viel und oft sogar auf der von Goethe geleiteten Weimarer Bühne auf geführt, war verhaßt und hatte sich durch sein herrisches Wesen und den Hang zu Intrigen Feinde genug gemacht. Eine praktische Be deutung der Parodie fann zwar nicht geleugnet werden, doch sie war nur von furzer Dauer. Mahlmann wird heute nur von einge fchworenen Kennern der Steraturaefchichte genannt, ein. Kohebue aber noch immer mit seinen Kleinstädtern" und den Beiden Klingbergs" auf deutschen Bühnen gespielt.

Wie die Naturforschertagung jener Zeit die Tatsache wieder fpiegelt, daß das freibeltliche Bürgertum der Hauptträger des mirt­Ichaftlichen Snftems und des Fortschritts war, fo zeigte in besonders auffallender Weise die letzte Tagung, daß die soziologische Struktur durchaus verändert war, daß wir uns in einer Uebergangszeit be­finden, in welcher die wirtschaftlich- politische Führung dem Bürger­tum entglitten und der neuen Schicht des vierten Standes, dem Broletariat, zugewiefen ist, daß alfo das einst fortschrittliche Bürger­tum die Rolle übernimmt, welche in jener Belt, als es zum Ent­fcheidungskampf tam, der Feudalismus einnahm. Da immer erst Eigenartig genug gestaltete sich die Praxis der Parodie, die politisch- wirtschaftlich die Umwälzung erfolgt und die Dinge des auff auf Clauren verfaßt hat. Der ebenso fentimental- füß foziologischen Oberbaus, Wissenschaft, Recht, Ethit, Moral, den mirt- liche wie durch feine verstedte brutale Sinnlichkeit abstoßende Clauren schaftlichen Dingen nochfolgen, fo fehen wir auch heute zur Ueber- mar Modeschriftsteller und der Liebling namentlich der Damenwelt gangszeit, wie die Wissenschaft noch durchweg bestimmt ist durch ihre von damals Hauff fah die Gefahr für die Literatur, die in dieser Sugehörigkeit zur bürgerlichen Klaffe. Reinem fonnte es zweifelhaft Berhimmelung Claurens lag, und wollte nicht, daß ein Unwürdiger feln, daß die überwältigende Mehrheit der Teilnehmer politisch ausgezeichnet wurde. Und um das Publikum wieder auf den rechts gerichtet war. Die sozialistischen Minister hatten bel der Be richtigen Weg zu leiten, schrieb er den Roman Der Mann im grükunastaaung einen, sehr schwierigen Stand. Sie haben mit großem Taft die Aufgabe erledigt und vielleicht mit Recht jede fozta- Lefer aber claubten ein wirkliches Wert von Clauren vor sich zu Mond", durch den er Clauren und feine Methode parodierte. Die iftische Kennzeichnung vermieden, die in diesem Kreis zweifellos haben, so stilecht und porträtähnlich war diese Barodie gelungen. aufreizend gewirft haben würde. Und doch hätte ich mir einen Mann Ihre Wirkung trat erst ein, als fein Zweifel mehr darüber herrschen wie Jaurès gewünscht, der mit flammender und hinreißender Be- tonnte, dak Hauff der Verfaffer des Mann im Mond" sei. Die redsamfelt als Akademiker den Versammelten gezeigt hätte, wie erft praktische Bedeutung dieser Parodie fönnen wir heute noch fon­unter dem neuen System die Naturwissenschaft den ihr zustehenden statieren. Clauren ist längst vergessen, Hauff wird immer noch gelesen Blah in der Kultur und Wiffenfchaft gegenüber der früher begünftig und geliebt Ein falscher Prophet war entlarvt, einem Modeschrift ten Theologie einnimmt, hätte gewünscht, daß den Befuchern flar steller das schädliche Handwerk geleat. gemacht wäre, welche ungeheure Bedeutung die Naturwissenschaft in der geistigen Welt des Proletariats einnimmt. Obwohl die Kraut, und die irregeführte Menge, die in diefen auf den Kopf ge­Modeschriftsteller Idleßen gerade heute üppiger denn je ins Naturforschertagung von feiner Landesregierung bisher so geehrt stellten Zeiten leicht zu fangen ist, läuft allerlei falschen Bropheten, worden war durch Anwesenhelt des Ministerpräsidenten und des auch auf dem Gebiet der Literatur, mit einer Bereitwilligkeit und Kultusministers, durch eine besondere ehrende Beranstaltung des Schnelligkeit ins Garn, die dem ernsten und fühl- kritischen Beobachter Kultusministeriums, bet den Mitgliedern des Vorstandes und Aus- Angst und Schrecken bereiten kann. Modegößen der Literatur, vor schuffes hatte man doch den Eindruck, daß es vergebliche Liebesmühe denen das Bublifum verzüdt fricte, hat es immer gegeben, faum war. Die fuggeftive Kraft der wirtschaftlich- politischen Einstellung aber hat je eine sogenannte Schriftstellerin eine fo, man muk wirt. ift so start, das einstweilen noch die Naturforscher und Aerzte in lich fanen unheimliche Macht auf die weitesten Kreite ausgeübt wie überwiegender Mehrheit zum bürgerlichen Lager gehören und fiched wig Courths Mahler . Eine bontbare Aufgabe für den Innerlich völlig ablehnend dem Broletariat gegenüber verhalten. Es ift feine Einzelerscheinung, daß der Sohn des Revolutionärs Kapp Parodisten, dem Publikum zu predigen: Bejinnt euch, bevor ihr von 48, der Leiter eines reaktionären Butsches von 1920 war, daß Sprache versinkt. Der junge Königsberger Dichter Alfred Hein ganz im Sumpf einer grauenhaft malträtierten und verstümmelten unter den heute führenden Nationalisten viele revolutionäre bürger- hat mit einer Meisterschaft, die man dem ein wenig Verträumten Ilche Großväter haben. und in romantischen Gefilden Verlorenen gar nicht zugetraut hätte, die Kunft einer Courths Mahler in einem unbestechlichen Spiegel aufgefangen. Hoffentlich ist teiner von den Lefern und Leserinnen der guten Hedwig so verhärtet und so hoffnungslos verloren, daß er über dieses Porträt Heins nicht lacht und jene Romane für immer aus der Hand legt. Seins flcines Büchlein:" Prinze! fin Lontandia Wengerstein. Kurts Maler. Ein Lieb. Lingsroman des deutschen Boltes" mit seinem famosen Motto: Als Friedrich Rchtbart lobesam ins deutsche Land gezogen tam" perfifliert, was die Hedwig schreibt, und wie sie schreibt, fo erfrischend echt. daß man dieser Barodie die allergrößte Ver breitung wünschen muß. Hein hat sich ein hohes Ziel gesteckt: Be. freiung Tausender von dem Bolschewismus der Sprache durch seinen Humor, dem alle guten Götter und Grazien zum unbestrittenen Siege helfen mögen.

Es ist das nicht nur so zu erklären, daß die Bismarcfche Epoche mit dem Ideal des Reserveleutnants das demokratische Bürgertum ausgehöhlt habe. Wir stehen eben an einer großen Wende, in welcher einer einst freiheitlichen Klaffe die rückschrittliche Haltung im Wirtschaftskampf aufgezwungen wird, wie ihr der gleiche Kampf früher die freiheitliche Haltung zuwies. Die Tagung lehrt aber auch etwas anderes: Daß es Aufgabe des Sozialismus sein muß, die allmähliche Umwälzung des foziologischen Oberbaus aus dem individuellen bürgerlichen in das solidarische System mit allen Kräften zu unterstügen, um endlich die bisher geübte Bernachläffi­gung der kulturellen und ethischen Arbeit im Sozialismus ab zustellen. Desto schneller wird sich der Uebergang der Wissenschaft aus dem rückschrittlichen bürgerlichen in das fortschrittlich- proleta­risch- folldartsche vollziehen.

#