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Nummer 45 ZS. November 1922 __ Unterhaltungsbeilage öes vorwärts <*> Sein Werk. Von Josef Maria Frank . Hoch oben in der Mansarde, eine Handbreite unter dem Sirius, saß in dem verschlissenen Sessel der Dichter und sann... In den Blättern, die vor ihm lagen, waren vier Jahre seines Lebens begraben, vier Jahre eines die Ding« draußen vergessenden Schaffens, vier Jahre ehrlichsten Ringens mit sich und der Weit, den Dingen um ihn, in ihm und über ihm, die dieser Pack Blätter in krausen und wirren Schriftzügen und in hundertfach gemeißelten und gehämmerten Sätzen umklammert hielt, da» Erste und da» Letzte, Ansang, Mitte und Ende. Es war ein Roman, begonnen in dem Jahre, in dem die Menschen vergessen hatten, was Menschentum und Menschlichkeit ist, beendet in dem Jahre, in dem grausamer als je die Fluten des Elende» gurgelnd über, dem Vaterland« des Dichters zusammen- flössen, über seinem toten Vaterland«, da, wie sein« Ahnungen ihm prophezeit hatten, sich selbst im Ueberschwang seines irrgehenden Wahnes torpediert, mit Giftgasen oergiftet und durch verant- wortungslose Hände kaltgierig denkender Rechenmaschinen und eigensüchtiger Cäsaren erwürgt hatte. Es war ein Roman, in dem der Dichter das Vaterland, das ihm gestorben war, sich neu erbaut hatte; ein Vaterland, das die Erfüllung der Menschensehnsucht adelte; ein Land, da» Menschentum und Menschlichkeit alleine beherrschten: ein Reich, das nur ein Traum war; ein Vaterland, dos es nicht gab! Aber den Traum hatte der Dichter geboren aus der Wahr- heit Christi und Michelangelos , dem Geist« Spinoza » und Kants , dem Erkennsrdrang« Giordano Brunos und Galileis, dem Forscher- willen Stephensons und Galvanis, der Musik Beethovens und Wag- ners, der Liebe Tolstois und Dostojewskis, dem Schmerze seines eigenen zerquälten Herzen» und dem Ahnen seines fiebernden Hirnes. Die Menschen dieses Traumland«» liebten einander wie sich selbst; sie hatten Achtung vor dem moralischen Gesetze in sich und dem gestirnten Himmel über sich; ihre Körper waren ihnen Ebenbilder schöner Statuen, die sie liebten; ihre Gedanken waren ihnen heilig und ungefesielt; ihr Wille war Forschen und hob sich über den Kosmos in die Nebel Lichtjahrtausende entfernter Milch- stvaßensystcmei ihre Arbeit war Inhalt und Zweck und wie Musik, tönend aus einer Stradivarigeige; sie waren glücklich und hatten überwunden und lächelten mitleidig wie jene Buddhastatuen über die Menschen der vergangenen Jahrhunderte, deren Daseinskämpfe und Kriege wie das Wesen und Gehaben ihrer Menschen ihnen fremd waren und fremd blieben. Der Roman des Dichters war ein Traum; aber der Dichter wußte, daß die Träume der Väter die Erfüllungen der Söhne sind und daß die Utopie von gestern die Wahrheit von heute sein kann. Darum hatte er sein Wert geschaffen und au« sich heraus geschrieben, Ahnung und Mahnung. Und dann war er hinausgegangen und hatte gesucht, daß er einen finde, der es drucke und die in den Blättern zusammenge- ballten Gedanken hinaustrage, damit sie trösten und sich mit der Sehnsucht anderer verbinden, auch ihre Gedanken werden könnten. Aber so sehr er sich bemüht hatte, er hatte niemanden ge- funden, der das Wagnis unternehmen wollte. Man hatte sein Wert bewundert und ihn ein Genie genannt; aber man hatte es ihm auch begreiflich gemacht, daß die Zeit für ein solches Werk noch nicht da sei und ihn auf später vertröstet. Man hatte ihm angeboten, leichte Romane, wie die Zeit sie haben wolle, von ihm zu drucken; man hatte ihn aufgefordert, mtt seinem glänzenden Stil, den man bewunderte, solche Romane, in denen sich außergewöhnliche Schick- fale alltäglicher Menschen mit Spannung und leichter Sinnlichkeit vermisch«, zu schreiben. Das wünsche die Zeit und da» wolle man gerne drucken. Ja, es sei eine schlechte Zeit für die Kunst, eine schlechte Zeit; aber man müsse sich eben ihr anpassen. Der Dichter aber hatte ihnen zur Antwort gegeben:.Warum bessern S i e, ich sage Sie. denn nicht diese Zeit, wenn Sie wissen, daß sie schlecht ist? Warum tun Sie es nicht, Sie, die Sie es könnten? Ist es nicht schwach und falsch gedacht, die Zeit schaffe und arte den Menschen? Artet nicht der Mensch die Zeit?Ich bin kein Chamäleon!" Aber man zuckte die Schultern und wiegte bedauernd die Köpfe und entließ ihn mit einem Händedruck und der Bitte, es sich doch noch einmal zu überlegen. Der Dichter aber war fest gcblieben; er hatte sein Manuskript verschlossen und sich weiter kümmerlich, aber ehrlich durchgekämpft. Die Zeit, deren Seele und Wesen ihm unbegreifbar waren, schlug ihn in Not und schmiedete ihn wie unzählbare ander« in Elend. Langsam kroch die Sorge an ihn heran und mit ihr der Hunger. Jeder neue Tag wurde ihm ein neuer Kampf ums tägliche Brot; jede Nacht eine schlaflose Nacht, angefüllt mit Rechnen und quälen- den Ueberlegungen. Niemand half ihm in diesem Kampfe; die Menschen schienen ihm härter, kälter und grausamer zu werden als je. Und er wurde langsam mutlos und wandelte wie ein leben- der Toter durch seinen schwarzen Alltag... Tag für Tag war es schlimmer geworden. Rur mühsam und unter Hinnahme der größten Entbehrungen gelang es ihm, sich durchzuhalten: Tag für Tag schrieb er für Zeitungen und Zeit- schriften, die ab und zu gerne eine Arbeit aus seiner klugen und ehrlichen Feder brachten. Aber soviel er auch schrieb und soviel man auch von ihm druckte, es reichte nicht zum Leben. Und eben war es das einfachste Handwerkzeug gewesen, das er braucht« und sich doch nicht mehr erschwingen konnte: da» Papie', auf das er die Skizzen schreiben wollte, die er niorgen abliefern mußte, um nicht verhungern zu müssen. Das wenige Geld, das er besaß, wurde von dem verschlungen, das er seinem Körper geben mußte, um diesen nicht zusammenbrechen zu lassen. Es war für ihn die bitterste Erkenntnis und Erfahrung, die er in den letzten Monaten gemacht hatte. Was sollt« er beginnen...? Etwas sondere» zu arbeiten war für ihn unmöglich; er konnte und kannte keine andere Arbeit; er war nur Dichter. lind außerdem fühlte er sich zu alt und kraftlos, um wie ein Junger einfach etwas Neues anzufangen und damit sein Leben sich zu erstürmen. Das Entsetz- liche seiner Lage überwand ihn. In diesem Zustand« hatte er das Manuskript seines Romans aus der Schublade genommen und vor sich gelegt. So lag es noch da und grinste ihn höhnisch fragend, grausam weiß aus der unbe- schriebenen Rückseite an. Der Dichter kämpfte noch aber bald war der Kampf ent- schieden. Seine einfache Ueberlegung lautete: Papier kann ich mir nicht taufen, da es zu teuer ist und ich das Wenige, das ich noch besitze, zum Leben gebrauche: Papier muß ich haben, um zu schreiben: schreiben muß ich, um nicht zu verhungern! Hier Ist Papier ; zwar eine Seit« eines jeden Blattes ist beschrieben; eine Seite eines jeden Blattes ist eine Seite meines Romans, in dem ich das Werk vier meiner besten Schaffensjahre erkenne; aber die Rückseiten sind unbeschrieben! Ich kann sie neu beschreiben mit den Skizzen und Geschichten, mit denen ich mir mein tägliches Brot verdienen muß, und so die Ausgabe für Papier, die ich mir ja doch nicht leisten kann, ersparen, so über die Klippe hinwegkommen! Damit griff der Dichter mit der einen Hand zu den Manuskript- blättern und der anderen zu einem Rotstift, der rechts neben ihm bei Feder und Tinte lag. Noch einen Augenblick, einen Bruchteil einer Sekunde zuckte«» in seinem Gesichte auf; tief gruben seine Zähne sich in die Unter- lippe; die Augen schlössen sich und weh und hart huschten die wie lebendige schwarze Striche spielenden Schatten um seine Mund- Winkel. Da öffnete der Dichter jäh seine Augen, wandte die Manuskript- blätter um und strich die engbeschriebenen Seiten Blatt um Blatt mit dem Rotstift durch. Wie Blut liefen die Striche darüber hin. Der Stift kreischte leise jedesmal, wenn er über das Papier glitt, wie höhnend und doch wieder wie in einem schmerzgepreßten wehen Aufschrei. Mono- ton raschelten und knitterten die umgewandten Blätter.