Freilich flibt es noch Immer einzelne, die da meinen, durchlängeres Arbeiten müsse der Verdienst sich mehren. Solche den wirr-schaftlichen Zusammenhang nicht Durchschauende hat es immer ge-geben. Bereits 17KS wurde in französischen Zeitungen ein Briefeines Lyoner Arbeiters an die Pariser Kommission zur Reform dergeistlichen Orden veröffentlicht, den der streng kapitalistisch denkendeVoltaire uns aufbewahrt hat. Er lautet:„Wohledle Herren! Ichbin Canut(eine Art der Seidenarbeiter) und seit neunzehn Iahrenin Lyon tätig. Nach und nach ist mein Lohn gestiegen und heuteverdiene ich 35 Sou. Meine Frau, die Posamentenmacherin ist,würde 15 Sou oerdienen, wenn sie all ihr« Zeit auf die Arbeitverwenden könnte. Die Hausarbeit aber, Krankheit und Wochen-betten, ziehen sie von der Arbeit so ab, daß ihr Verdienst sich auf10 Sou verringert, so daß wir täglich 45 Sou für den Haushaltzusammenbringen. Wenn man nun 82 Sonn- und Festtage vomLahr abzieht, bleiben 284 Werktage, was je 45 Sou 639 Frank macht.Das ist mein Einkommen.— Nur mit Schrecken sche ich daher dieFesttage herannahen. Und es fehlt nicht viel, ich gestehe es, daßich diese Einrichtung überhaupt verfluche. Sie kann, sage ichMir, nur von Steuerpächtern und Schankwirten erfunden sein/Das war freilich ein ganz besonders Flachdenkender und„Schufter", dem selbst die Zubereitung der Nahrung und dasWochenbett zuviel war. Wenig später haben gerade die LyoncrSeidenarbeiter sich durch revolutionäre Gcsinnun und Tätigkeitausgezeichnet, wenn auch ihr„Arbeitend leben oder kämpfendsterben" immerhin noch ein wenig an den Brief ihres älteren Kol-legen erinnert._Durch ruMche Dörfer unöLanöstäötchen.Von P. E. Brusewiß, schwed. Gesondtschaftsattachö in Moskau.Die Ehausie« zwischen Petrograd und Moskau ist eine der vor-nehmsten Autoweg« der Welt gewesen. Aber während der Kriegs-und Notjahre ist sie verfallen. Stellenweise ist sie durch Fuhrwertzerstört und stellenweis« so mit Gras und Unkraut bewachsen, daßKühe und Ziegen jetzt mitten auf dem Wege gehen und weiden. Ander Seit« der Chaussee ist jedoch im allgemeinen ein Weg für dierussischen Bauernkarren gemacht worden, aus dem man auch miteinem Motorrad vorwärtskommen kann, wenn man vorsichtig ist.Der Verkehr ist minimal. Aus dem ganzen Weg« zwischen Novgorodund Tver habe ich nur ein einziges Automobil gesehen.Die Bevölkerung hat sich ganz und gar auf die Städte undDörfer konzentriert, welche mit einem Abstand von 5 und 15 Kilo-meiern voneinander entfernt liegen. Dazwischen sieht man im all-gemeinen weder Menschen, noch Wohnhäuser, aber desto mehr Vieh:Pferde, Kühe, Schaf« und Ziegen. Fohlen und Kälber gibt es inungewöhnlich großer Anzahl, ein Beweis, daß die Bauern die guteHeuernte auszunutzen verstehen.Ab und zu wird die Straße weicher— die Nähe eines Dorfesankündigend, wo der ganze Weg mit fußtiefer schwarzer Erde be-deckt ist, in welcher Hunderte von Schweinen und Tausend« vonHühnern heruinwühlen und kratzen. Manchmal wird ein Ferkeloder«in Huhn überfahren; man kann ihnen nicht immer aus demWege gehen. Aber wo gegen tausend Kühe und Schafe den Wegsperren, muß man anhalten. 5ii«r und da droht ein Bauer miterhobener Axt, wenn ich in voller Fahrt und unter Zuhilfenahmedes doppelten Signales versuche, die Viehherden zu verscheuchen.Das Land ist nach Dörfern aufgeteilt, welche jedes für sich eineKommun« bilden ohne persönliches Besttzrecht der Dorfbewohner.Der Boden wird jetzt folgendermaßen bearbeitet:Der größte Teil des Landes ist Weideland und Heuwielen. Unddies ist dem gesamten Viehbestand des Dorfes zugänglich. Derjenige,dem es geglückt ist, mehrere Kühe aufzuziehen, hat also größerenVorteil, was die Viehzucht sehr begünstigt. Milch gibt es im Ueber-fluh und es ist sehr häufig, daß Bauern 4— 5 Kühe haben, mehr alsvor dem Kriege, wenngleich es auch vorkommt, daß sie nur«ineoder zwei hoben.Das Ackerland ist gleichmäßig auf den Haushalt des Dorfe»verteilt, so daß jeder sein Stück besäen und abernten darf, wobei erdas Recht hat, wenn es sich um Brotfrüchte oder Futterkorn handelt,dasselbe Stück wieder zu bebauen— was ja auch zu Verbesierungs-orbeiten aufmuntert.Novgorods goldene Kuppeln leuchten in der Ferne imSonnenscheine. Eine einsame Equipage, etwas breiter als die ge-wöhnlichen Droschken, mit zwei ältlichen Damen, nach der Mode1917 gekleidet und mit aufgespannten Sonnenschirmen, beweisen,daß die alte Bourgeoisie in der uralten Stadt noch ein dahinsiechendes Dasein führt. Nachdem ich zu Mittag gegessen habe in einemkooperativen Restaurant namens„Nepo"(zur Ehre der„neuenekonomischen Politik") für den mäßigen Preis von 66 Oere, fetzeich meinen Weg fort durch ein« doppelt« Stadimauer, über eineDrücke, durch ein Bergnügungsfeld, wo mitten am Sonntagvarmittagdie Jugend Karusiell fährt und tanzt, weiter über einig« Kilometerlang« Straßen, und meine Stippvisite In Novgorod ist abgetan.«Die Einfahrt nach B o l o t f ch e t ist außerordentlich schön. MitSeen zu beiden Seiten des Weges über«in« Landzunge durch einig«VillcnvoAtädte befindet man sich plötzlich in einer großen Stadt.Auf der Straße am Wolgauser bewegt sich abends ein Meer prome-nierender Menschen. Di« Musik spielt im Volkspark auf der anderenSeite des Flusses.Volotschek ist nun wieder eine blühende Industriestadt. Ichfahre hinaus nach einer der größeren Fabriken, welche dem dortigenTextiltrust gehört. Durch die Fabriktore, die gerade offen stehen,fahre ich hinein und fange sofort an, mit den Arbeitern mich zuunterhalten. Vor einem Jahr« noch arbeiteten in dieser Fabrik3090, jetzt 12 000. Am Tag« vorher hatten die Wahlen zum Fabrik»komitee stattgefunden, wobei fünf Kommunisten und vier Parteilosegewählt wurden. Nur eine geringe Anzahl der Arbeiter sind in die„Partei" eingeschrieben, die einzig« Partei, welche in Rußland existieren dar f. Aber wie unendlich hat sich unter der großen Mass« derArbeiter die Stimmung seit 1920 verändert! Sie haben gesehen, daß„Nep"(neue ekonomisch« Politik) notwendig war, und daß dieprivat« Unternehmungslust die einzig möglich« Treibkrast ist. Ihr«Lebensbedingungen verbessern sich mit jedem Tage. Aber sie stehenalle hinter der Regierung. Deren Kamps gegen den Kapitalismusfolgt ein jeder mit gespanntem Interesse.Das Stadthotel in Volotschek, wo ich übernachtete, zeichnete sichkeineswegs durch Sauberkeit aus, im Gegenteil wimmelte es vonUngeziefer und die meisten Fensterscheiben waren zerschlagen. DasPublikum macht« einen betrunkenen Eindruck. Soldaten lärmtenund zankten sich in den Korridoren. Eifrige und hitzige Gesprächewerden vor meiner Tür geführt. Schließlich, gegen halb drei Uhrnachts, schlafe ich ein, werde aber gleich darauf durch Klopsen an berTür geweckt, worauf sich folgendes Gespräch entspann:„Wer ist dort?"„Oessnen Sie die Tür!"„Aber wer ist denn dort?"„Oeffnen Sie die Tür!"„Was wollen Sie denn?"„Ihre Papiere sehen!"„Können Sie damit denn nicht bis morgen früh warten?"„Nein, wir haben Befehl, sofort zu revidieren und wir habendas Recht, die Tür zu erbrechen, wenn Sie nicht öffnen."Inzwischen habe ich mich nctdürstiq angezogen. Die rechte Handin der Tasche um den geladenen Revolver, öffne ich die Tür mit derlinken.Zwei Soldaten treten ein und beleuchten das Zimmer mit einerTaschenlampe. Der eine von ihnen zeiht mir sofort ein„Mandat",ausgefertigt von der Polizei. Mein Paß wird untersucht und mitdienstlichem Gruß und einem Gutenacht verlassen die Soldaten dasZimmer.»Eine andere Industriestadt, welche ungefähr dasselbe Bild auf»weist, wie Volotschek, ist Tver. In dem großen Voltspark spieltdie Militärmuflk vor einer gewaltigen Menschenmenge. Die Lädensind übervoll von Lebensmitteln. Da ich kein paffendes Restaurantauffinden kann, gehe ich in einen Laden und esse mich satt anButterbroten mit frischem russischen Kaviar, mit einigen GläsernMilch dazu. Und dann steine ich in den Laden nebenan und erlchltedort einige Pfirsiche und Weintrauben als Nachspeise— alles zusammen für 4 Kronen.Weihnachts-Legenöe.von Willibald Krain.Die ZNenschenmulter kam von fernher und schritt durch diedunkle Zeit,schritt über die Hügel von hast und Torheit und grellem Sfreit.Stand vor den Mauern der Seele zwischen Mensch und Men-schengesichtund suchte die ewige Schwester, der Güte schimmerndes Licht.Durch der Städte flackerndes Leben ging ihr geheiligter Schritt,an tausend Gassen und tserzen ihr suchendes Lächeln glitt.Und sah nur in müdem, irren, immer vergeblichen Mühnin Schlössern, in Kerkern, in Stuben anklagende Augen glühn.Und stieg in letztem Hause, am Ende der Reise und matt.in dunkeln Keller, zu rasten bei der Armut einsamer Statt.Und trat In eines Leuchtens still-scheinenden Kreis.der strahlte durch Mauern im Winkel, ganz leise und schim-mernd-weist.Wie der Schein in der himmelsnacht bei den t)irten aufBethlehems Weide,und mengte sich mit dem Leuchten von ibrem himmlischenEin Kind fest einsam zur Erde und hielt sein Puppengespiel:armselige Lumpen gewickelt um einen hölzernen Stiel—Und der Müller urcwiges Lächeln neigte sich aus seinemBlickin seiner tiefsten Güte und in einfäliigem Glück.Da neigte sich auch die Madonna wie aus weit-weitemhimmclssirn,und ihre seligen Hände überwölbten die Kinderstirn.Und durch olle Wände. Kammern und herzen der Welthat der Ewigkeit hellster Widerscheineinmal das Dunkel erheA.