Der Winter unterm Nikrofksp.Beobachtungen auf Island.Von Alwin Rath.Mit der Leichtigkeit und Windschnelle einer blauen Sommer«Melle schießen wir hoch durch die Eisluft über die noch nicht ge»froren« Welle des Thorsaflusses, der von den Zuströmen der Geisererwärmt wird, dahin, hoch dahin. So hoch,— ab und zu nur trifftuns noch das Aufglänzen des Spiegels aus der Tiefe. Rechts schwebtgemächlich, mit violettem Samt in den tiefen Falten feines königlichweit auswallenden chermelinmantels, der chekla vorbei. Hinter ihmblendet aus der Glashelle dieser heute über Island flimmerndenRristalluft der rosaglühende Gletschergarten des Vatna-Iötull. Zu(einer Seite aber düstert der Feuerspeier Oraesa mit seiner sinsterchwebenden Rauchaura.Sonst kein Wölkchen über ganz Island. Ich werfe schon meineHoffnung, Schneestudien in verschiedenen Höhenlagen der Luft zumachsn, in den Thorsa hinunter. Insbesondere die Größe der Flockenin den oberen und unteren Schichten der Sphäre während des glci-chen Schneefalls möchte ich ausspionieren. Vielleicht gar auch, wennMir Luft und Lufwehikel besonders günstig sind, Kristallisationsvor-gänge direkt unter der Lupel Das wäre ein Augcnfchmausl EinWiffensschmauslMeine dicken ungeftalten Pelzpsoten machen sich schwerfällig,machen ftch vergeblich mit den Glasaugen und Glastäfelchen desMikroskops zu schaffen. Das ungeftalte dicke Pelzungeheuer vor mir,mit dem ich durch den Aether brumme, hebt ein« Pranke klotzigempor, weist spöttisch über das blauprangende reine All hin undschaut mit den Glasaugen in seiner Gorillafratze mich urweltlich ernst-Haft lachend an.Plötzlich aber zieht es, als habe Ihm eine unsichtbare Riesen-pranke auf den Schädel gedonnert, den wulstigen Fellschops mit einemBlitzruck zwischen die Schultern herunter. Mit einem Blitzruck sausetch selbst herum— und lasse mir den schneidendsten, markvereisendenPolbläser, der da jählings vom Gletschergrad des Hoss-Iökull voruns herabzischt, in den Nacken pusten, kreischen. Aber er kreischtnicht, er drückt nicht mal. Und doch schneidet es mit Eisesschärse durchalle Nähte, durch alle Knopflöcher und Fugen,— ja, direkt durch dasGefaser meines altersmüden Südwesters bis auf die Haut.Ein nadelscharfes Fluidum prasselt mir Ins Gesicht, fährt mirim Nu um den Hals und wie ein Eisguß In den Nacken hinunter,peitscht mit der Unsichtbarkeit und Alldurchdringbarkeit des RadiumsMir durch Sturmmantel und Kleidung bis auf den Leib. Ich kannnichts mehr sehen, höre nur noch das Heulen der Maschine. Brennenur noch im Gesicht und am ganzen ineinandergekrümmten Körperwie unter tausend feinsten Stichflammen des wütendsten Pol-Orkans.Ich sehe noch eben, wie das Pelzungeheuer vor mir mit plötzlich sehrbeweglichen Pranken an den Hebeln und Sicherungen herumflitzt,Lngsttich ineinandergeduckt wie ich,— da schnauben wir auch schon insteilem Sturzfluge nach unten. Mir ist es gleich. Meinetwegen aufeinem Felshorn des Klofa zu Klops zerschmettern. Nur aus dieserCishölle menschenfeindlicher AethersphäreniAuf einem Gletscher des Klofa, zwanzig Meter von einer grün-blau abstürzenden, unheimlich dräuenden Klustspalte, setzt mein ver-rückter Brodersen tatsächlich auf, dieser blonde tolle Dänenlcutnant;landet hier minder gemächlichen Bravour, wie auf dem grünen Samteiner Frederiksberger Wiese bei Kjöbenhaon.„Wissen Sie, was das war?" find feine ersten Worte— er gucktmit krauser Blondbraue mißtrauisch nach oben—, krabbelt schon dasMikroskop hervor. Ja, streicht über meine Schulter mit einem nickel»blitzenden Schraubenzieher und hält ihn unter das Okular.„SehenSiel— Damit Sie überhaupt noch was davon sehen: beeilen SieSch...! Sttirz' ich uns denn umsonst in Gletscherspalten undrater?"Was seh' ich?Mit meiner Brille nichts. Mit der Milbenbrille: ein zartes,opalfeurig durcheinanderirisierendes Farbengeflirr von allen sattenTinten des Prismenbandes. Als sei unter den Schleifsteinen vonDiamantschneidern weg ein buntbrennender Glitzerschleier des kost-baren Staubes über mein Präparattischchen geflogen. Nach und nachunterscheide ich in dem gläsern seinen Hauche Formen, Stäbchen, seinwie die Stäbchenbakterien; sechsseitige zierlichste Zylindersäulen,dünner denn Nadelspitzen, da sie mit bloßem Auge überhaupt nichterkennbar sind, nur unterm Okular in Erscheinung treten.Gänzlich unsichtbar schweben sie mit dem Kristallschleier ihrerWolken durch das ungetrübteste Blau hin, lassen auch wohl jenenRegen aus hciterm Himmel, den wir gar nicht verstehen wollen, indie blitzendste Sommersonne niederprasseln und sind die Erreger be-I enders wohliger Gefühle, wenn man auf Island oder da herum sichn das unsichtbare Geheimnis ihres teuflischen Staubschnees verfliegt.Am dritten Tag danach, mittags, komme ich in Reykjavik, wowir hausen, mit einem kleinen Pflänzchen In der Hand aus derEchnecwiese vor unseres Gastgebers langem Gutshofe an. Die en-ragicrteste Wlnterfportlerin unter den Pflanzen habe ich glücklich ent-deckt, gegen"die das Edelweiß und die ini Himalaya 6900 Meter hochin Eis und Hermelin kampierende Sausiurea tridactyla Tropenkindersind. Sie erkühnt sich fast, wie die zierlichen Sühwasierbraunalgenes zu machen, die unterin dicksten See-Eis fröhlich auf Brautfrtwuschwimmen und hochzeitern. Sie hat nichts von einem dicken Pelznm, wie jene Tropenkinder. Mit ihren nackten Stengeln, mit ihrenknospig gespitzten und teilweise doldig entfalteten Blüto», ihren lockenden Hochzcitsfahnen, trotzt sie selbst einer Bärenkälte von 40 undmehr Graden. Und mit dem unglaublichsten Phlegma entwickelt siemit den ersten Schneeglöckchen Ihre winterüberdauernden Blüten undBlätter gemächlich weiter, die Isländerin, die Sibirierin, das unver-wüstliche Löffelkraut.Brodersens Aeroplan, seine„Bigborg", steht noch fittigspreitenddraußen in der Schneewiese. Ich will Ihm meine Wintersportlerinzeigm. Drinnen in meinem Zimmer hockt das Pelzungeheuer aufdem an die Wand genagelten Bett— wie man's in Island macht—,und mit weit vorgebeugtem Blondschopf blinzelt es in die blitzendeMessingröhre meiner Milbenbrille, neben sich aus dem ein Knäuelroten Garns. Was— roten Garns? Was Ist dos? Roter Schnee?Ich schiebe des Dänen Dicktopf auf die Seite und blinzele auch in dieMefsinqröhre.Ahl Korallen, Purpurkorallen, von jenem tiefen Purpur, der soselten! Tiefglutcnde Rubinel Oder sind's nur fette rote Oelttopfen,die dort unten den orgiastisch wild durcheinandergeschleuderten, fastformlosen Klumpen eines Schmuckstücks von Urmenschen zu bildenscheinen? Ja, fette rote Oeltropfen. So anpassungsschlau wie dergrönländische Eskimo, der in den nußfüh schmeckenden frischenRobbenspeck seine Zähne hineinschlitzen läßt, ist auch schon dies Atomder winzigsten Blutalge. Sie heizt ein, um im Schnee auszuhalten,wird zur säfteverwandelnden Chemikerin, wie ja auch unsere heimi-schen Birten die ihren Stärkevorrat ebenfalls in Fett oerwandeln,»m mit diesen„Unterkleidern", da sie keine Pelze wie jene Tropen-linder anlegen können, auch über den Winter fortzukommen.Wo hat er sie entdeckt, die Sphaerella nivalis? Am Sneafells-Iökull. Ich will auch sehen. Wir brausen hin, brummen hin. Wiesieht's aus? Als sei die rote Fahne der Zeit auch über das Eislandgesunken,— und flackere feurig-blutig wie ein Henkcrsmontel weithinüber Berge und Aecker.An einem bis auf den Grund knallhart gefrorenen Teich liegetch hinterm Schilf auf dem Eis. Als läge ich auf den: kristallhellenWasser, so klar sehe ich die Wiese, die Im Herbst überschwemmte, untermir. Dort kraust Murchantte, das bescheidene Lebermoos, denSchlängelrand feines fast eichenblättcriaen Laubes hin, dort hängtnoch ein müder alterssalber Wedel des Wiesenfuchsschwanzes herauf,und neben dem wirren Blütenbüschel der Flattersimse sjuncusesfusus L.) hängt noch ein erfrorener Milchstern traurig in dieSmaragdschwertchen seiner Blätter hinab.Einen silbrig stammenden Lichtstern sende ich hinab zu demErfrorenen. In der Rechten halte ich ein faustdickes Brennglas, breitwie'n Frübftücksteller. Ein Brennglas aus Eis, um Eis zu ver-brennen. Was Scoresby gemacht hat, Schießpulver damit entzündenund Holz in der Umgegend des Polars damit in Brand zu stecken—warum soll mich die Polargegend nicht auch zu solchen Exzentrizi-täten verführen? Ich stecke nur Eis damit In Brand— nicht Blei,wie Scoresby, ja, auch das hat er gemacht— schmelze nur das Eiscm. Der leuchtende schmale Lichtpfeil, der aus der frostigen Lins«mit glühender Kraft hervorschießt, erzeugt im Innern des Eises, wo-hin ich nicht tief unter die Oberfläche den Brennpunkt verlegt habe,Schmelzprozesse. Blitzende Pünktchen, winzig glimmeriqe Perlchen,leuchten in der glasigen Halle des Gefrorenen auf. Wie groß abererscheinen sie, nun ich mein dickes Brennqlas aufs Eis lege und durchsein Linsenzentrum hinabschauel Beinah« blitzstrohicnde silberneLakaienknöpfel Aber was sehe ich noch, was entschleiert mir meinePolarlinse? Die Knöpfe sind ja Nebensache. Darum herum aber ent-wickelt sich etwas, als säße da irgendwo im Eis ein magischer Zauber-künstter, direkt ein Spirittst, der mit Blumen aus anderen Dimen-sioncn schmeißt. Hier schließen sich sechs Bergißmeinnichtblätter umden Lakaienknopf, dort sind es Spitzblättchen vorn blauen Akelei,weiter rechts hat sich die Küchenschelle an den Lakaien gehängt. Da-neben aber ist aus dem Knopf ein Orden geworden, ein prahlerischerOrdetrsstern, der sechs m minutiösester Filigranarbeit herausziseljertefeine Farnwedelgebilde silberig zusammenkomponiert.Wo ich mein Brennglas hinholte, immer schmilzt es wieder solch«im Eis verborgen schlummernden Blüten los, die wie die Gespensterder ringsum in Flur und Wiese gestorbenen Blumen bleich, farblos,traurig schön anmuten Milliarden solcher staunenerrcgenden Kristall-wunder schließt ein roher ungefügiger Eisklotz ein, und regelmäßigerblühen sie um das glitzernde Perlchen, das nichts anderes ist als einleeres Lustbläschen, das sich im Schmelzprozeß bilden muß, da Eisenein geräumeriges Volumen als Wasser hat.Mit meiner Eislinse, meinem Sonnenscheinwerser, stehe ich voreinem dicken, breitbeinigen Wacholder, einem verkrüppelten Zwerg-Wacholder. Berfröstelt hat er seine Nadeln um die Aeste dicht zu-sammengefchmiegt. Was wir bei uns nur in grimmigsten Frostzeitenauch an unseren Nadelbäumen beobachten, ist hier in der Eiszonedes Eislandes zum Normalen geworden. Auf dem ftruppigmKrüppelzwerg sehe Ich mit Hilfe meiner Eislinse die Berwandtschaftjener Blumengespenster. Einen Orden für einen eisigen Mathemati-kus, aus lauter Dreiecken und Quadraten zufammengegittert, be-wundere ich, außerdem wieder eine Blumenplantage. Alles zusammenaber in einer einzigen Schneeflocke!Dies Blumengeheimnis des Winters entdeckte schon 1611 einer,der auch das Geheimnis der Welt entdeckte: Johann Kepler.„Siehe,ein Ding, kleiner als ein winziger Tropsen und mit vollendeter Ge-stalt begabt, gewiß ein erwünschtes Angebinde für den Liebhaberdes Nichts, und nicht weniger passend für den mathematischen Geber,der nichts hat und nichts empfängt," schreibt er Wackher von Wackhen-fels in setiner kleinen Schneeschrist, die er als Neujahrsgeschenk demFreund« sendet.