Nummer 11
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shiba 6 15. März 1923
Heimwelt
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Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
510
Der Arbeitslose.
Bon Bittor Road.
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3mei Krähen find meine Uhr. An jedem Morgen pünktlich mit dem Pfiff des Schnellzuges, der aus dem abscheulichen Haufen Berlin fich loslöft pünktlich mit dem fiff, ber, grauschwarzem Qualm entwischt, gepeinigt schreiend ein Loch in den Himmel stößt pünktlich wie Handlungsgehilfen ziehen sie ihre Straße entlang, immer benfelben Weg. Sie haben ein festes Ziel die beiden, wissen den Zweck ihres Fluges. Sicher und umbeirut fliegen fie. In mir wurmt Neid; ich habe fein Ziel, und dieser Mangel tötet schleichend wie Gift. Zwei Hände find da, die arbeiten, zwei Beine, ein Rücken, die tragen möchten, ein Kopf, der zu benten verlangt, was nüßlich wäre. Hier ist ein Mensch, ber schaffen möchte; aber am Webstuhl ist tein Sig für ihn frei. Der Wald ich wandre schweigt Unheil, Sorge und Angst. Gewimmel von Doppelgängern um mich. Alle wie ich; an jedes Mundwinkel hängt Ballast von Not. Sie geistert mit schattendem Finger um die Augen, wischt allen Mutwillen fort. Irrfinnende Angst glüht in der Höhle unter den Brauen. Kränkelnde Blässe triecht aus dem Hungertrichter der Wange, und Frösteln schüttelt die Kiefer. Wölfe schleichen um jeden, der noch seinen Siz am Webstuhle hält. Neid spinnt Verderben: Oh, daß er elend würde, der dort noch arbeitet! Und jener spürt den hassenden Neid. Angst hezt ihn; die Hände zittern. Oh, daß er doch stürbe vor Angst, vornüber fiele auf sein Geficht wie Großvaterle", vom Blei der Tapitalistischen Dronung getroffen! Daß ihn der Webstuhl die Brust eindrückte! Hinauf dann! Ein Sig ist frei! Handgemenge im Kampf um Arbeit, um den Siz am Webstuhl.
Die trockene Erdfrufte fandigen Wegs ist schneeverbrämt. Der Wannsee grau unter Nebel und Regen, schwarz aufgerillt vom feuchttalten Wind, liegt still und schwer wie durchnäßtes Tuch über Leithen zu Tränen verzweifelt grau. Ein Specht hämmert; die zierlichen Stelzen auf, morschen Aft eingestemmt fo fest wie geschraubt. Das Köpfchen schwingt wie ein Hämmerchen unermüdlich und träftig: tadtadtadtad- tadtad-, rhythmisch, zwedbewußt. Der weiß, was er tut. und will, was er tut. Er arbeitet bewußt er arbeitet.
Wo ist ein Aft für mich, eine Schlinge, damit auch ich endlich einmal wisse und wolle, was ich tue. Hör auf, Specht , hör auf! Weh über mein amnüßes Dasein!
Melancholisches Eiland zu meinen Füßen, Insel des Friedens, deine Bäume find weniger starr, wie mir dyeint, Rauch von heimischen Herden hängt Schleier in Wipfel. Ein Turm, weiß und fchlant, ragt darüber hinaus, steht zwedbewußt, fest und sicher und unentbehrlich. Mein Weib und Leid rankt an ihm hoch. Sehnsucht leitet mich zu dir, du liebes Giland. Birgft du Frieden?
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An einem Pfahlt hängt eine Tafel, progt breit vie die Brust eines Gendarmen, sperrt anmaßend den schmalen Pfad, Schon ehe fie mich anspricht, hasse ich fie. Privatbesitz! Deffentlichem Verkehr nicht zugänglich!" Dh, daß ich meine Arme hinaufschleudern könnte und meine Fäufte Steine wären! Privatbesig, Privatbesig! Erde, Waffer, Bäume, Natur, wie ich selbst, und Privatbesiz! Das betommt ein Geficht mit feisten Wangen und fleischigem Rinn, ein Schlemmergaul, fchmakende Lippen und schnüffeinde Nase und schamlos freche Augen; ein Mammonsgesicht, das Gesicht der merwilderten neuen Blutokratie.
Privatbesitz an Boben, Waffer, Natur, die allen gehören, die alle brauchen, die allen unentbehrlich sind zur Auffrischung er lahmender Lebenskraft, verfiegenden Lebensmutes; Privatbesig hieran, melch ein Staat, der solchen fanktioniert!
Brivatbefizer ihr, ich sehe arbeitsfertig geschichtete Ziegel, Batten und Bretter ,, jehe 3ement und Stait vor Baugruben in euern Gärten neben euern herrlichen weiten Häusern, mer feib thr daß ihr euch nicht zu begnügen braucht mit euern Billen so groß und so prächtig wie Schloffer und jetzt, in der Zeit schlimmifter Baunot, eure Schahlammern vervielfältigen laffen fönm? Heda, Genosse, wer find diese?"
Ein des Wegs tommend Arbeitsmann antwortet: General direktor der Erböl- und Kohlenverwertungsgesellschaft der eine, Bankier der andere, von der Sorte mehr."
Ich sehe in Bergwerksfchächten, dunklen Stollen Männer halbnadt arbeiten, zu Wochenende ihre Hände Lohn empfangen, sie schmächtig und fahlwangig reiziosen Wohnstätten zuschreiten, ihre Frauen und Kinder am Bahntag im Konjum" fich drängen und spärliche Lohnreite fümmerlich schäßen. Schlagwetter höre ich frachen und Entfehen durch Finsternisse jagen, Verwundete schreiend sterben, verzweifelte Witwen, verwaiste Rinder weinen und angstvoll in unversorgte 3ufunft fragen. Ich sehe gepreßte Fülle in Stadtbahnzügen, Menschen Leib an Leib gedrängt, efelbeklommen schwer atmen, jehe Menschenherden aus Bahnhöfen quillen, das Bankenviertel dunkel bevölkern, jehe die Angestellten arbeiten in nervenzermürbender Fron and sehe das bescheidene Ruheleben, das ihrer Arbeit Ertrag ermöglicht. Ich denke, wie spärlich all dieser Anteil am Wert ist, den ihre Arbeit vor allem doch schafft, indem ich die Insel bunchwandere und den überströmenden Reichtum empfinde, der hier fich brettet.
Vier Bäuche schlendern mir entgegen. Haltet es meinem Hunger zugute, ihr Herren, der mein Gehirn müde macht und mein Geficht schwächt, daß eure weinroten Röpfe mi: als Sadbunde auf euern fleischgefüllten Belzen erscheinen. Jeboch ihr redet:
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„ Ich bitt' Sie die Großinduftrie mill ben Dollar mit 25 000 ftabilisieren; heute steht er auf 30 000. Die Lebensmittel find aber noch nicht an 25 000 zan. Dabei kann ich doch nicht in die Spetus lation hineinsteigen!"
Das elfo ift eure Geele, das eure Leistung, die den Privatbesih fchafft! So feid ihr! Wie weich meine Fäufte, wie quallig weich! Wie schlaff meine Arme, und meine Beine zittern! Was kann ich
tun?
Schwäche marf mich auf feuchten Sand. Meine Haut og Rälte, gegen die mein weniges Blut ohnmächtig war. Ich lag und ließ meinen Blick in den Himmel wachsen, und lange dachte ich nichts und war unbewegt wie angeschwemmt herrenlos Strandgut, wie ein Stück Holz, zerfallende Blante, stummer Zeuge des Untergangs. Nebel wollte mich zudecken. Aber es graute mir davor, so sinnlos, ganz und gar zwecklos und um wie weggeworfener Unrat au vergehen. In einer Tat, gewollter Tat wünschte ich zu sterben. Ich hatte einen Nagel aus dem Holz jene: Tafel herausstehen sehen. An diesen verrosteten Nagel will ich mich hängen, will über der breite Gendarment ruft toie ein Drden baumein und spät nachts in ihren Karossen heimlehrenden oder um Morgen ihre Bäuche spazierenführenden Billenbesizern Gewissensschred fein. Bielleicht liest einer von ihnen: Privatbesiz! Deffentlichem Berkehr nicht zugänglich!" als Motto zu meinem Roman.
De: Himmel ift mie cin meer. Gilbrige Wolfenwelten spielen glitzernd über den Strand nachtblauer Inseln, auf denen die Sterne wie Blumen blühen. Ich fizze zwischen Ihnen und bade meine Seele im Glast des Mondes. Ich pfeife ein Liedchen zum Harfen des Windes, D, herriiche Einfamkeit! Ich blicke hinab auf die Erde und fehe den Leichnam eines Erhängten. Ich kenne thr nicht, denn ich fuhr in Charans Machen über die Gewässer der terwelt und hab aus dem Lethe Bergessen des Erdenlekens getrunken.
Ich komme aus der Hölle der Mietslasernen, mo Motzmang Menschen in Steinfästen schichtet mie Büchsenfleisch, Jugend auf After, Tugend auf Laster, Gesunde auf Sieche und alle gegen alle fämpfen mit Tüden und Listen, bis Neid und Haß in der Seele Wie der Mensch beim Einschlafen und beim Erwachen schwären, Bosheit zur Flamme witd, im Jähzorn sich furchtbar ent- einige Augenblicke hindurch irre redet und irre denkt, so auch lädt. Proletarierholle, wo Hunger verborrt und Kälte steift. Heda, bie Völker. Der Mobergeruch des früheren Zustandes der ihr Privatbefizer hinter Fenstern, die Wärme durch Tüllbehänge anhaucht, ich fab Proletarier wie verschüchterte Hunde an der Willkür verbreitet sich in die neu erwärmte Atmosphäre und Straßenarbeiter Ratsfeuer schleichen, um flamme Finger aufzutauen, alter Haß, lange verhaltener Groll und grausam verhöhnende sah Kinder und Frauen verarbeitete Hände demütig Wärme haschend Schadenfreude machen den Anfang des köstlichen Geschentes vani Feuer der Asphaltkessel; Wärmealmosen! Toh Tio mie Goldfucher Ratsftüdchen aus Müllhaufen flaubenb.
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der Freiheit zum Fluch.
Börne.