Sänger öes Vorfrühlings. von Alwin Rath. Auf dem höchst«» Balkon meines„Starenkastens", wie mein steilrayendes, turmartiges 5)auz sich nennt, trete ich im frühesten, noch nachtqrouen Dämmer hinaus. Der Ktefernforst schweigt noch ttefoerschlofen, atmet nur würzigen Ozonhauch herüber. Keine vogelstimme. Keine Bogelstimme? Ich horche mit morgenfrischem wohligen Sinnen hinauf zu der seltsamen Wettersahne meines Hauses, der Musikalischen Wetterfahne. Bon ganz oben rieselt wirNich eine »ierliche, zartgedrechselte, traumleise Musik herunter, ein halb noch lchlafsüßes, halb erwachensseliges, liederflüsterndes, ganz in sich zu. frieden«? Bogel�audern , so hochfein, so nachtwindsanst, als sei die musikalische Wetterfahne eine Aeolshorfe. Ich sehe nichts von den Narben des kleinen Frühaufs. Mollig in sich zusammengednckt, hockt er dort über See, Wald und Wagner, dunkel noch wie der tief. dämmerige Himmel über ihm. Und sein verhalten Sanggeschwäsi klingt, als spinne er die kleinen Träume der Nacht weiter. Ein beneidenswert reines, stilles Glücklichsein quillt aus dem wie dünnverschlungen Filigrangoidgespinst durch die kaum sich auf- dellende Nachtluft rankenden, wonnig gehauchten Liederquirlen, eine rllße ungetrübte Harmonie des Innersten, eine volle zarte Erden- seligkeit, wie sie uns Menschen nur ein Traum ist, nur seltenste Gnade, wenige friedensstille Herzschläge während. Und hier oben bei den Wipfeln des Waldes hör« ich sie jeden Morgen wieder im Frübd unkel. Jetzt beginnt er plötzlich wetteifernd lauter da oben, der dämmertroute Glückssänger. Drunten an der braunen Ackerscholle beginnt ein anderer Musikant im Orchester der Gefiederten sein frisches Instrument zu stimmen. Kühn und froh schmettert es aus der auslichtenden Dunkelbeit. Triller und Wirbel setzen fortissimo mit einer Lichtheit und Fülle ein, als wollten sie mit Ungestüm der melancholischen Nacht das Feld verleiden. Noch läßt die krause, feuerfunselnde Wolkenlitze überm qraudunstiqen Forst jenseits des Sees den ersten Sonnenblitz nicht hervorschirtzen, da stürmt sie auch schon mit ihren himmelstürmenden Singrateten in die durchsilberte Luft empor, die F e l d l e r ch e. Ich sehe nichts von ihr. Höre sie nur. Doppelt, dreifach so hoch wie mein« Aeolsharfe geigt sie sich hinauf,„klettert sie an ihren bunten Liedern" empor, die Himmelsschwinge. Wie ein« zarte Fanfare schmettert sie über dem Schweigen des Waldes wie das Auffliegen des Taktstockes zum Beginn des Konzerts. Stakkato setzt denn auch mit ein paar gleich hohen, tageshellen Pseistönen mein kleiner Frühauf mit ein, denen er dann eine lustige, drollig übermütig klirrende kurze Strophe folgen läßt. Der erste Smmenblitz umgieist jetzt den Düsterfarbenen, der aber dort, wo er aufhört, doch noch Farbe bekennt, und seltsamerweise die rote der Zeit. Mein Hausrotschwänzchen, das ich oft im Garten zwischen den Tannen und Linden so wirrwarrwilde Flug- wirbel tagsüber um eine andere Notgeschwänzte, flüchtig Sausende ausführen sehe! Da meldet flch schon zum Konzert noch einer, bei den, das Rot gleich an der Kehle beginnt. Feurig wie feine Kehle, innig wie der Ausdruck seiner festen grasten, schönen schwarzen Augen fcbelt das R o t k e l ch e n mit seinen kurzen, fein modulierten und imer abwechslungsreichen, zierlichst vorgetragenen Trillern und scharfakzentuierten, quellsrifch rieselnden Tonoanationen. Wie ein lkdelsteln prangt seine lebensüppig geblähte Brust in dem lichten Grün, und von Ast zu Ast hüpfend pickt es unermüdlich schädliche Raupeneier, wühlende, borkenzernagende Rüsselkäfer und andere kleine Totengröber des Waldes fort, diese unersättliche Echluckfalle verderblichen Gewürms— zwischendurch aber trillert«s, Immerzu daseinsfröhlich, feine bisweilen in der böchsten Fistel auch nicht mal auszudrückende Lust am Leben und an der Beriiebcheit des winzigen Herzchens, Plötzlich unterbricht es sich„Tickticktick...1" gellt fein Warn- ruf— ein Wiefel schlügt geduckt und eidechsensckmell über den Weg. Das leise Konzertieren, das ichon überall im Wald« morgen- heiter begann, ist verstummt. Der Waid plötzlich still wie eine Gruft. Als mutigste ober hebt gleich die Frühlingsglock« wieder an zu läuten, die die nächste im Frühkonzert nach dem Rotkehlchen ist, die Meile.„Spinn nicht mehrl Spinn nicht mehr!" ruft sie, wie's sich die drallen, jetzt lieber auf die Freite gehenden Landniädel auslegen. Während sie im schneestöbernden, stubenhütenden Winter den Landmädchen zurief:„Spinn dickl Spinn dick!" Es war im letzten Winter, in der Zeit der knatternden, eis« krachenden Kälte, wo der See nachts bisweilen Küllt« wie ein unterirdisch Ungeheuer. Meine Pumpe hatte ich mit Salz auf- getaut. Heistes Wasser nutzte nichts. Und sedesmol, wenn ich abends zufällig Wasser holt«, überraschte mich ein kleines Rauschen, «in entsetztes Flüqelflattern, das aus dein kleinen Schwengeispalt oben, aus dem Pumpeninnern erschrocken hervvrftürzte und vor wir irgendwohin davonflog. Mitleidig überlegte ich, wie dem kleinen Gast sichere und wärmere Nachtherberae zu schaffen sei. Flugs schneide ich mit der Säge In ein« alte Mchikiste aus Rumänien ein viereckig Löchel, lo groß wie ubenn Pumpenschwengel, mach« noch einen kleinen Sitz hinein und vernagele mit einem Läppchen sein früheres Schlupfloch. Nachts komme ich mit der Karbidlampe vorbei. Da sitzt drinnen auf dem schwarzen Stäbchen ein dick ousgeplusterl, atmend Federbällchen, den Kops tief in die Flügel vergraben. Ganz nach Wunschi Konnte nie entziffern, was ich für efnen Mehlkistengast hatte. Heute, seh« ich. hat er sich eine Gesponstn ins Haus geholt; eifrig zupfen sie am Moos im Garten, bis st« einen ganzen Schnauzbart voll davon um den Schnabel haben, und damit schnurren sie in das Haus auf der Pumpe, zwei Schwarzkäppchen. Die Drossel aber aus der nahen Kastanie, was ruft sie dazu?„Ihr seid varücktl Ihr seid varücktl" Sie bat osfeubar lein Weibchen mitbekommen, wie könnt« sie sich sonst so äusternl pajflve Refistetiz. Bon Herbert Heiland. Die Theorie vom passiven Widerstand hat zwei Wurzeln:«ine ideologisch-religiöse und eine politisch-weltliche. Die religiöse Wurzel dieses Gedankens, der heute ur» plötzlich eine so groß« Bedeutung erlangt hat, liegt in der Berg- predigt des Neuen Testaments . Aus ihr haben alle seine Propagan- disten geschöpft. So gibt es schon längere Zeit vor Tolstoi Lehrer des „Nicht-Widerstrebens". Das Gebot vom Nicht-Widerstreben und von der Gewaltlostgkcit war ursprünglich als Regulativ für alle Lebens« Verhältnisse, also auch und in erster Linie für private Händel ge« dacht. Aber während die ersten Lehrer an dieser Auffassung fest- hielten, beschränkte man sich in der neueren Zeit darauf, den Gedanken von der passiven Resistenz auf den alles und alle fressenden Mili- tarismus anzuwenden, kurz Propaganda für Kriegsdienstoerwcige» rung zu treiben. So der Quäker D y m o n d in seinem Buche „Ueber den Krieg":„Seine Pflicht besteht darin, mit Demut, aber auch entschieden den Dienst zu verweigern.... Wer annimmt, daß er verpflichtet ist, der Regierung zu gehorchen, und daß die Derant- wortung für ein Verbrechen, das sie begeht, von ihm auf seinen Herrscher übergeht, betrügt sich selbst." Leo Tolstoi hat in em-m besonderen umfangreichen Werke „Christi Lehre und die allgemeine Wehrpflicht" alle Bestrebungen, die sich ganz oder zum Teil mit den seinigen deckten, registriert. An sie knüpft er an und wiederum an die Bibel. Für ihn bedeutet das Gebot von der Gewaltlosigkeit Richtschnur in allen Lebenslagen. Er verquickt jedoch den Gedanken vom Nicht-Widerstreben mit dem christlichen Gebot von der Nächstenliebe. Er erl�eint hier, wie In so vielen anderen Fällen auch, nicht als Neuschöpfer, sondern als Ausdeuter. Er oerlangt nicht nur, daß man der Gewalttat oder dem Hebel, in welcher Form es sich auch darbiete, nicht wieder mit Gewalt begegne; sein Ideal besteht darin,„nicht Hebles gegen jemand zu empfinden, in niemand Uebelwollen zu erzeugen, alle zu lieben." Eine solche Verquickung erscheint uns heute schwer verständlich. Hier liegen die Unterschiede: auf der einen Seite der demütig Gebeugte, auf der anderen der trotzig Starke. Es leuchtet zudem ein, daß der religiöser Wurzel entsprossene Gedanke vom Nicht-Wider» streben nur dann gelegentlich Erfolge haben kann, wenn er flch an den einzelnen wendet. Es ist für uns ganz undenkbar, dav ein gröberer Boltsteil plötzlich tolstoianisch zu leben begänne. Anders liegen die Dinge bei der weltlichen Auffassung der passiven Resistenz. Sie wendet sich au die Masse. Ueberoll da. wo Fabrikproletariat die erste Stufe des Unoer- standes, des bloßen Duldens, Dahinvegetierens und gelcgenilichen Meuterns überwunden hat und Verabredungen zu treffen beginnt über die Art und Weile, in der es dem Kapitalisten seinen Mibmut deutlich machen kann, finden wir auch die Geburtsstätten der passiven Resistenz, wie wir sie heute kennen. Sie bedeutet nichts anderes als Verlangsamung des Arbeitstempos, d. h. schein- bare Erfüllung aller eingegangenen Verpflichtungen und dennoch schwere Schädigung des Unternehmers, der für den alten Lohn nur ein verkürztes Arbeitsprodutt erhält. Die Verabredeten verharren in stiller Disziplin, und niemand der Mistenden spricht über die merk- würdige Erscheinung, die sich da plötzlich gezeigt hat. So entsteht der Eindruck, als wäre alles beim alten, obwohl«in schweres Gewitter in der Luft liegt. Die passive Resistenz kann in manchen Fällen jedoch ein zweischneidiges Schwert bedeuten. Deshalb haben sich viele Organisationen gegen den Gebrauch dieses Mittels ausgesprochen. Das hat freilich nicht verhindert, daß es doch manchmal angewendet worden ist. Hauptsächlich wandte man es jedoch im Auslande an, und namentlich da, wo ein Streik unmöglich erschien. Die Eisen- bahner in Frankreich und Oe st erreich bedienten sich dieses Mittels. 1905 kämpften 25 000 österreichische Eisenbahner— und zwar nicht ohne Erfolg. 1920 gebrauchten deutsche Eisenbahner im Bezirk Frankfurt a. M. die passive Resistenz. Aber auch andere Ar- beitnehmerkategorien scheuten vor diesem Mittel nicht zurück. In Horthy - Ungarn wandten es die Berqarbeiter mit politischer Tendenz an.— Alles in allem darf man wohl sagen, daß der passive Widerstand in Deutschland selbst nicht sehr beliebt gewesen und wohl nicht allzu oft angewendet worden ist— wenngleich Alexander E ch li ck e, der damalige Leiter des Metallarbeiterverbandes, schon 1908 meinte, daß sich die passive Resistenz in Deutschland bewährt habe. Dadurch, daß man den Geqver vor eine Situation stelle, die er sich aus den bisherigen Vorgänge» nicht zu erklären vermöge, breche man ein gut Teil seiner Widerstandskraft und ebne sich selbst den Weg zum Erfolg. Die Anwendung der passiven Resistenz an der Ruhr ist der umfangreichste Gebrauch, der je von ihr gemacht worden ist. Und in den Händen der Regierung liegt es nicht zum wenigsten, ob die Resistenz ein erfolgreiches Ende finden oder ob sie, ein erfolgloses Mittel, wieder in Vergessenheit sinken wird.
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten