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Nummer 2 �lnterhaltungsbeilatze öes vorwärts 17. Januar 1H24 Die Schultern öer Alarquife. Bon Emil« Zola. l. Die Marqu�e schläft in ihrem groü«n Bett hinter den schweren gelben Atlaooorhängen. Als die Uhr mtt Hellem Ton zwölf schlägt, entschließt sie sich, die Augen aufzutun. Das Zimmer ist lauwarm. Teppiche. Vorhänge an Türen und Fenstern mache« e» zu einem behaglichen Nest, in das die Kälte nicht eindringt. Angenehm« Wärm « und weicher Duft durchströmen es:«in ewiger Frühling. Und kaum ist sie ganz erwacht, scheint sie von plötzlicher Sorge ersaßt. Sie wirst die Decken zurück und ktingelt nach Julie. Gnädige Fron hoben geläutet?' Sagen Sie, taut es?" 0 die gute Marquisel In welchem Ton« hat sie diese Frag« gestellt! Ihr erster Gedanke gilt der entsetzlichen Kälte, dem Nord- wind, den sie nicht spürt, der aber eisig über die armseligen Hütten der Armen wehen muß. Und sie fragt, ob der Himmel sich erbarmt habe, ob sie es mit gutem Gewissen bei sich warm haben dürfe, ohne an all« die zu denken, die vor Frost zittern. Taut es, Julie?* Di« Zofe«eicht ihr das leicht« Morgenkleid, da» sie am Kamin etwas angewärmt hat. O nein, guädige Frau, es taut nicht. Im Gegenteil, es ist noch kälter geworden. Eben hat man auf einem Omnibus«inen Erfröre- nen gesunden.* Di« Marquis« freut sich wie ein Kind; sie klatscht in die Hände und ruft: v feint Dann kann ich heut« nachmittag Schlittschuh laufen gehen!" II.- Julie zieht behutsam die Vorhänge zurück, damit das helle Licht nicht allzuplötzlich die empfindlichen Augen der entzückenden Mar- quise treffe. Der bläuliche Schimmer des Schnee» erfüllt das Zimmer mit heiterem Licht. Der Himmel ist grau, aber von so hübschem Grau, daß der Marquise ihr« perlgraue Toilette einfällt, die sie gestern abend beim Ba» im Ministerium trug. Das Kleid war mit ganz weißen Spitze» besetzt, genau wie die Schneestreifen, die sie jetzt auf den Dachfirste« unter dem fahlen Himmel bemerkt. Sie war gestern abend mit ihren neuen Diamanten ganz ent» fefickend gewese«. Um fünf Uhr ist sie erst zu Bett gekommen. Jetzt sitzt sie vor einem Spiegel, und Julie hebt die blonden Haarwell»» hoch. Der Frisiermantel gleitet herab, und ihr« Schultern entblößen sich bis tief auf den Rücken hinunter. Eine ganze Generation schon ist im Anblick dieser Schultern alt Geworden. Seitdem, dank einer mächtigen Staatsgewalt, heiter« Frauen sich dekolletieren und in den Tuilerien tanzen dürfen, hat sie ihr« Schul 'er« durch die Wirbel der osflziellen Salons spazieren «führt mit einer Ausdauer, die sie zum lebendigen Aushängeschild der Reiz« des zweiten Kaiserreiches macht. Sie mußt« der Mode folgen, ihre»leider bis zu den Hüften oder bis zu den Brustspitzen otisschneiden, mußt«, die Arme, Grübchen um Grübchen, säm'liche Schätz« Ihre» Mieders ausliefern. Die Schultern der Marquise sind, üppig zu« Schau getragen, das wollüstige Wappen des Reiches. III. Di« Sch«lter« der Marquis« zu beschreiben, ist natürlich über- flüssig. Sie sind Gemeingut wie die Ponb-Neuf. Achtzehn Jahr« fang gehörten sie zu den öffentlichen Schauspielen. Sieht man im Salon, im Theater oder sonstwo nur ein kleines Stückchen dieser Schultern, so kann man hören:Ach. da ist sa die Marquisel Ich sehe das schwarze Mal an ihrer linken Schulter* Uebrigen, sind es sehr schöne, weiße, volle und aufreizende Schultern. Di« Blicke einer ganzen Regierung sind darüber geglitten und haben ihr größeren Glanz verstehen, gleich jenen Steinfliesen, die die Füße der Menge mit der Zeit glänzend schleifen. Wäre ich ihr Gatt« oder ihr Liebhaber, lieber küßte ich den von den Händen der Bittsteller abgenützten Kristallknopf an der Tür zum Arbeitszimmer eines Ministers, als daß Ich mit meinen Lippen dies« Schultern berührte, darüber der heiße Atem des galanten Paris gegangen ist. Denkt man an die vielen tausend begehrliche« Blicke, dl« um sie herum aufgezuckt sind, so fragt man sich, woran» die Natur sie geschaffen haben mochte, daß sie nicht verwittert und abgebröckelt sind, gleich den nackten Statuen in den Gärten, deren Gestalt Wind und Wetter zerfressen. Die Marquise hat ihr Schamgefühl beiseite gelegt. Sie hat au» ihren Schultern eine öffentlich« Einrichtung gemacht. Und wie tapfer hat sie für die Regierung ihre» Herzens gekämpft! Immer in der vordersten Reihe, überall zugleich, in den Tuilerien, bei den Mimstern und Botschaftern und bet den einfachen Millionären: mit einem Lächeln hat sie Unschlüssige zurückerobert: ihr Alabasterbusen stützt den Thron: in Tagen der Gefahr enthüllt sie klein«, verheißend«, verborgene Winkel, die überzeulfender wirkten als all« Redner- künste, und entscheidender als Soldotendeqen, zu drohen vermoch'cn: um eine Stimm« an sich zu reißen, ist sie beneit, sich das Hemd zu zerreißen, bis selbst die widerspenstigsten Glieder der Opposition die Waffen gestreckt hätten! Stets aber sind die Schultern der Marquise unberührt und sieg- reich geblieben. Sie haben eine Welt getragen, ohne daß eine Falte den weißen Marmor verunziert hätte. IV. Am Nachmittag Juliens Hände haben ihre Schuldigkeit getan ist die Marquis« in einem entzückenden polnischen Kostüm Schlittschuh laufen gegangen. Sie läuft wundervoll Schlit'schuh. Im Bols herrscht« ein« Hundekälte, der Nordwind weht« prickelnd um Nase und Lippen der Damen, als würde feiner Sand ihnen ins Antlitz geschleudert. Die Marquise lach'«: es machte ihr Spaß, zu frieren. Ab und zu ging sie zu den Kohlenpfannen, die am Rande des kleinen Sees standen, und wärmte sich die Füße. Dann kehrt« sie in die eisige Luft zurück und glitt wie eine Schwalbe, die am Boden streicht, über die weit« Fläche. Wie schön und wie gut. daß es noch nicht tautl Die Marquis« wird noch die ganz« Woche Schlittschuh laufen können. Auf dem Heimwege hat die Marquise in einer Seitenalle« ein armes Weib gesehen, das halbtot vor Kälte an einem Baum lehnte. Die Ärmel* hat sie verstimmt gemurmelt. Und da der Wagen zu rasch fuhr und die Marquis« ihre Börse nicht gleich finden konnte, hat sie der Unglücklichen ihren Blumen» strauß zugeworfen, einen Strauß weißen Flieder, der sicher sein« fünf Louis wert war. Lanüagitation. Eine parleigefchichkliche Erinnerung von Eugen Ernst . Ueber das Gesicht manches alten Parteigenoffen huscht sicher ein Lächeln, wenn er der früheren Tage gedenkt, als wlr noch sung und schön(es sind 30 Jahr« her) hinauszogen aus das flache Land, um Landagitation zu treiben. Auf der freien Chaussee oft das keck» Spottlied vom Petroleum gesungen:Man merkt, daß es vonnöten auch auf den Dörfern seil* Ja.und steckte der Bruder Staats- anwalt auch manchmal«inen ein*, ging es an einem anderen Sonntag denselben Weg, um unsere Propaqandaschrikten unter d>« Landbevölkerung zu verbreiten Mancher Landkreis, der heute eine stattlich« Parteiorganisation aufweist war damals fast ausschließlich auf die Werbearbeit der Berliner Parteiaenoffen angewie'en. Di« ländlichen Arbeiter durften sich weder poCitftch noch oewerkschaftlich betätigen, sie wären sicher arbeitslos, sehr osi auch heimatlos geniacht worden. Selbst die Arbiter in den Landstädtchen tonnten nur unter unsäglichen Opfern ihrer Ueberzeuqung Ausdruck geben. Bis sich' dort ein fester Stamm von Parteigenoffen bilden tonnte, ivar e» selbstverständliche Pflicht der doch etwas sveirren Berliner Genossen,