Nummer 4
Heimwelt
14. Februar 1924
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
Selig sind die Armen...
hielten, hatten, in Papiermark umgesetzt, zur Dedung der bring lichsten Bedürfnisse nur einen furzen Atem. Shakespeare , eine Seltenheitsausgabe, hatte ihm weniger eingebracht, als sich seine
Eher wird ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, denn ein Schulweisheit träumen ließ, und eine der ersten Schiller- Ausgaben war unter die Räuber geraten, die sich an der Not des untergehenden Geistesadels bereicherten.
Relcher in den Himmel tommen...
„ Ein herrliches Gleichnist" bozierte der Professor der Theologie Philipp Wilhelm Lukas, indem er eine Parade über feine tablen Bimmerwände vornahm. Welch eine Tiefe des dichterischen Aus brucks, welch eine Sprache der Weisheit!" Und er fuhr fort, Gleich nis um Gleichnis der Evangelien laut vorzutragen, so, als befände er sich im Vortragssaal. Wie eine Blüte betrachtete er jedes Wort, wie einen Leuchter stellte er jeden Sah vor sich und eben wollte er sich wieder an seine Arbelt Ueber die dichterische Schönheit der Gleichnisse Jesu " begeben, als es draußen flingelte.
In seinen verschlappten Hausschuhen begab sich der leichtgebaute Herr in den Korridor und dachte unterwegs einen Moment daran, baß er von seinem Verlage ja noch das Resthonorar für das letzte Wert über„ Jesus oder Nietzsche" zu erhalten habe. Als er aber die Türe öffnete, war es nicht der Geldbriefträger, sondern ein alter Bettler, der stammelnd um eine Midtätigkeit bat.
Wenn auch im ganzen Hause von Leuten, die sich nicht um die Schönheit und Tiefe biblischer Gleichnisse, sondern um leichten und großen Gewinnst mühten, fäftigen Armen die Türe vor der Nase zugeschlagen wurde, bei Profeffor Lutas war nie ein Bettler mit leeren Händen abgewiesen worden. Selbst nicht in der Zeit, als noch ein Dienstbote zur Abfertigung beauftragt war. Das wußte man innerhalb der Zunft dieser Armen, und darum hingen sie mit einer Treue an der Familie Lutas, die in den jüngsten Zeiten schwer und schwerer zu tragen war.
Der Bettler fah wohl die Verwirrung und Enttäuschung des forgenverklärten Mannes, aber solche Menschen sind an die plötzlich ausgetauschten Mienenspiele gewöhnt. Wiffen sie doch, daß man statt ihrer stets jemand anderes erwartet. Freilich sind manche auch froh, daß es nur ein Bettler und nicht gar ein Gläubiger oder Mahner ist. Schließlich find Bettler nur Mahner des Herzens. Der sehr verschliffene Pilger der Not vermerkte es auch nicht fonderlich, daß Profeffor Lufas einige hilflose und zerstreute Worte über die Lippen stolpern fieß; ihm genügte, daß die Tür offen geblieben und das hagere Männlein in eines der Zimmer verschwunden
war.
Ja, wirklich, Professor Lutas hatte sich in die Küche zurück. gezogen, in der er nun schnell sein Gedächtnis durchhaftete. Da fiel ihm ein, daß seine Frau thm vor dem Weggange am Nachmittag gefagt hatte, fie nehme das letzte Geld mit es waren 1% Mart mit dem, was er in seinen Taschen noch dazu zusammengesucht hatte. Dafür wolle fie einiges Eßtare eintaufen, einiges, da am anderen Tage doch ein Weniges an Geld einlaufen müsse. Und sie müsse heute etwas anderes als Kartoffeln haben und ohne warme Stube tönne sie heute nicht sein. Ja, so war es. Aber Schränke und Kästen in der Küche waren auch feer. Nichts war da als ein Stück Brot. Der Professor atmete auf in seiner Glückseligkeit, einen Hungrigen nicht verbittert von seiner Türe melsen zu müssen und gab dem Manne ein großes Stüd von dem Brote.
Der Bett'er nahm es, wie man eben ein Brot nimmt; freilich, ein Stück Geld wäre ihm wohl fleber gewesen. Denn der Mensch lebt doch nicht von Brot allein
Professor Lukas begab sich in seine dürftige, falte Studierstube zurück und weilte alsbald wieder unter seinen Gleichnissen. Wahr lich, so ihr Glauben habt als ein Senftorn, so möget ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin! So wird er sich heben und nichts wird unmöglich sein."
Mit was in der Welt'iteratur ließ sich dieser Reichtum der Sprache, die Bilderpracht biefer Offenbarungen vergleichen! Er reihte auf dem Papier Gebanfenlicht an Gedankenficht. Eine furze Unterbrechung lang streifte fein Blick bie Lüden in den Blicherreihen. Buch um Buch war zum Antiquar gewandert, aus geistigem Brot felbliches zu machen. Die Beben. Ciceros , die einft Stom in Spannung
Bor ihm lag ein Exemplar der Dürer- Bibel, Erbstück der alten Pfarrersfamille, der er entsprossen. Sie war unter Schiebern eine Summe wert, die er nach heutigen Begriffen nur mit Hilfe des astronomischen Multiplikators ausrechnen tonnte. Aber diese Bibet war ihm nicht feil. Sie war der einzige Besitz, an dem sein Hers noch hing, nachdem alles andere wertvolle: Bilder, Möbel, Bücher, das wenige an Schmuck in papierne Bögel umgemtingt, seinem Käfig entflohen war.
Was jetzt noch da war, ließ sich nur en masse abschätzen. Er hörte schon die Stimme des Schacherers: Nichts Besonderes! Nichts Originellest Reine Käufer für solche Sachent Antiquitäten sind gesucht, Antiquitäten! Da werden Preise bezahlt. Die neue Aristofratie des Geldes braucht die Ausstattung der alten und zahlt dafür jeden Preis. Jeben! So eine Wohnung muß ein Museum sein. Gie tauft alles mit den Ahnenbildern und den Rüstungen. Alles, was Wert hat. Kunstwert oder Metallwert Schieber?! Dumm wern se sein. Der Weg zum Reichtum geht durch fein Nabelöhr unb den Himmel schenken sie den Armen im Geiste.
Professor Lutas war schon im Begriffe, den Händler, wie weiland Jesus die Wechsler zum Tempel, hinauszuweisen, als er noch rechtzeitig merfte, baß er, wie öfter in letzter Zeit, feinem verfammelten Gedankenparlament eine Rede gehalten hatte. Auf einmal flingelte es, und als er nachfah, war es wieder ein Bettler, dem er unter entschuldigenden Verbeugungen das kleine Restchen Brot gab. Nach einer halben Stunde betrat seine Frau das Zimmer; sie hatte für das Gefd ein Abendbrot und einen Eimer Rohlen ein
getauft.
„ So, nun wollen wir uns endlich wieder einmal ein warmes
Zimmer machen und ein Mahl auftragen, das wie ein ganz leises, weit herkommendes Echo befferer Zeiten flingt. Ich habe einen Büding gekauft, ein Stückchen Welchkäse, dazu als Delikatesse weil heute unser Hochzeitstag ist ein Stückchen Schinken und eine Flasche Bier. Der felige Herr Konsistorialrat Lutas, Hofprediger a. D., fann heute abend mit einem verzeihenden Lächeln auf die Entwicklungslinie feiner Theologengeneration herab- und unsere
Armut übersehen"
"
Ja, ja," und da umarmte, verjüngten Glüdes voll, der Brofessor Lutas feine Gattin. Du bist herrlich in deinem Leichtsinn. Und haft an unseren Hochzeitstag gedacht, den ich natürlich vergessen habe. Wenn wirklich einer unserer Ahnen uns heute in unserem Festsaale sieht und unerwartet die Auswanderung wertvollen Familiengutes in den neuen Rontinent der Schieber entdecken sollte, so werden wir ihm sagen:„ Die Lücken in unserer Bibliothek haben wir mit unserem imperialen Geist ausgefüllt, und an den Plätzen, wo die vererbten Bilder und Truhen waren, find die Bilder und Truhen unserer Erinnerung, die ein taufenbjähriges Reich über
dauern."
Go. verstanden sich die beiden Alten, deren Seelen an nichts hingen, das die Metten und der Rost fressen.
Die Frau Professor helzte ben Ofen ein und begab sich als. dann in die. Küche, um das Jubiläumshochzeitsmahl herzurichten. Nach einer Weile tam sie berein und sagte:" Wilhelm, wie hungrig mußt du gewesen sein, daß du das trockene Brot gegessen haft. Sie Jammerte ob dieser Entdeckung, einesteils aus Milleib, andernund das war der größere Teil weil sie das Brot nicht gekauft hatte in der Berechnung, daß ja noch eines da sei. Ansonsten hätte ja das Geld nicht mehr zu dem Bier gereicht.
tells
Professor Lutas war es, als felen seine sämtlichen Bücherregale über ihm zusammengebrochen. Er überlegte nur, ob er nun lügen oder die Wahrheit fagen solle. Er hotte feinen eitfen Sinn und es wiberstrebte ihm, über cine felbstverständliche gute Tat zu reden.