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die genaue Stelle, von wo er feine Schlußrede hielt, ehe er zum Richipleh geführt wurde. Und im Sigungsfaal des Unterhauses Hogen auf dem langen und breiten Tisch, der die Regierungsbänte von denen der Opposition trennt, die gesammelter Brotokoll und Gesetzbücher seit Beginn des 17. Jahrhunderts. Auf diesem heiligen Tisch, wo heute Macdonald feine Füße ausstrecken darf auch ein eigenartiges traditionelles Vorrecht des Ministerpräsidenten und des Führers der Opposition, daß sie allein ihre Füße auf diesem Tisch ausstreden dürfen, lagen in früheren Zeiten die Füße Gladstones, der beider Bitt und Cromwells. Und von diesem jelben thronartigen Seffel, mo heute der Präsident, der Spreder mit der weißen Berücke, so streng amtiert, daß ein einziger Blick von ihm genügen würde, um Koenen oder Rommele a tempo in Marmorstatuen zu verwandeln( der Kommunist Newbold hatte im letzten Unterhaus versucht, den„ Sprecher" durch Renitenz auf die Probe zu stellen und es t ihm schlecht bekommen), da stand vor 300 Jahren der Sprecher" auf, um gegenüber dem eingedrungenen König Kart I. die ver brieften Rechte des Parlaments und die Immunität der Abgeordneten furchtlos zu schützen.
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In einem solchen Rahmen, in einer solchen Atmosphäre, ir einem solchen Milieu, auf dem die Wucht von vielen Jahrhunderten einer glorreichen, ehrfurchtgebietenden parlamer tarifchen Tradition aftet, wird in der Tat manches Unverständliche durchaus erklärlich, und manche veraltete Tracht und Sitte erscheinen fast wert, über alle wechselnden Moden und rasenden Fortschritte hinaus weiter Dehalten zu werden.
Träfe man heute auf dem Potsdamer Platz Männer und Frauen im Gewande der Hans- Sachs - Zeit, es fäme einem grotest bor. Aber nach stundenlanger, religiöser Wanderung in der Nürn berger Burg , im Albrecht Dürer- Haus und im Bratwurstglödlein, wäre man über solchen Anblick erfreut, gerührt, vielleicht gar während des Bruchteils einer foftbaren Gefunde irregeführt und in jene Seiten zurüdversetzt.
Die im„ Borwärts" fürzlich angeführten Beispiele alter leber Heferungen des englischen Barlamer ts will ich nun mit einer amüfanten Einzelheit ergänzen, zu deren Kenntnis ich in awel ganz getrennten Etapper gelangt bin.
Es war auf dem Hamburger Kongreß Ende Mai vorigen Jahres. In eir er Kommission sollte eine besonders harte Nuß gefnackt werden: es galt, die Annäherung zwischen den tschechischen und deutsch - böhmischen Geneffen zu vollbringen, und nacheinander marschierten alle Sünden der alten Habsburg- Monarchie und des reuen tschechischen Staats wieder auf. Es wurde geredet, verhandelt, vermittelt und wieder geredet. Vor allem das letztere. Um 8 Uhr abends hatte die Sitzung begonnen, um% 12 Uhr standen fich die beiden Parteien noch immer jo nahe wie Neuzeland und Grönland . Für die englischen Ger offen, die gewöhnt find, innerhalb von höchstens 25 Minuten die schwierigsten Probleme zu lösen und die schicksalsschwersten Entscheidungen zu treffen, gewiß ein auserlesencs Schauspiel und Bergnügen. Dennoch hatte Genosse Her derfon mit Engelsgeduld den Borfiz geführt und allen lleber fegungen zugehört, aber um fünf Minuten vor 12 Uhr erhob er fich, zog Mantel und Hut an, flopfte mit dem Sted mehrfach auf den Fußboden und rief den anderen anwesenden Engländern zweimal mit Stentorstimme zu: Who goes home? Who goes home?")( Wer geht heim?) Hendersons Landsleute, Tom Shaw und Gillies, schienen sich über diefen Einfall föftlich zu amüsieren, Wir anderen lachten mit, aber ich muß gestehen, etwas war mir om der Sache nicht ganz klar.
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Im vorigen Dezember unterhielt ich mich nur im Bureau des Internationalen Setretariats in London mit dem Genossen Friz Adler über jene eigenartigen Gebräuche des englischen Bartoments und da erzählte er mir unter anderem, daß bei längeren Nachtfikun gen, die im Unterhaus häufig vorkommen, furz vor Mitternacht ein Sergeant der Westminstergarde in voller alter Galauniform den Scal betritt, mit seiner Hellebarde auf den Boden klopft und zweimal ruft:" Who goes home? Who goes home?"
Diefer Brauch stammt aus früherer Jahrhunderten, als die Straßen Londons eng, dunkel und unsicher waren; da sammelten fich die Abgeordneten, die der Debatte überdrüffig waren und heim wollten, bei diesem Ruf am Ausgang und sie wurden unter militärischem Schuße und mit Bechfaceln und Laternen ficher und gefahrios nach ihren Wohnungen geleitet. Und so erscheint heute noch, Im Zeitalter der unzähligen Bogenlampen, Autos und Policemen der Sergeant und bietet, wenigstens theoretisch, seine guten Dienste mit Stentorstimme und ohne mit den Wimpern zu zuden, an!
Jetzt erst wurde mit die Episode vom Hamburger Kongreß flar. Als wir aber, Genoffe Abter und ich, am Abend danach nach Battersea, einem Vorort Londons , hinauspilger'en, um das Schauspiel bei der Berkündung eines bei der Verkündung eines Wahlrefultats zu erleben, da stieg plöglich aus der Themse ein dichter Nebel und innerhalb von wenigen Minuten fonnte man buchstäblich feine zwei Schritte vor sich sehen. Selbst ein Ortsfun. diner, der bereitwilliaft angeboten hatte, uns zum Rathaus zu führen, fand der richtigen Weg nur mit Mühe. Und da konnte ch die Bemerkung nicht unterbrüden„ Die Geschichte mit dem Sergeanten ist gar nicht so dumm. Wieviel wohler wäre uns Jeb, wenn so eine Rohorte mit Bechfaccin und Hellebarden durch Recht and Nebel uns nach Hause begleiten würde!"
*) Sprich: Huh gohs hohm.
Tanz.
Bon Mary igman.
Die Füße.
Sie schreitet über den Boden mit langfamen Schritten, schneßf die Augen, fühlt nichts als den leisen Rhythmus des Schreitens. Länzerfüße lieben die Erde. Gebändigten fleinen Tieren gleich fchleichen fie mit verhaltener Sprungfraft, mit zurückgedrängter Bosheit. Sie streicheln den Boden, greifen ihn mit den Zehen, drängen fich feft an ihn, flüstern ihm Geheimnis zu. Der Boden antwortet, gibt jeden Druck zurüd, breitet sich in ihnen in dumpfliebender Mütterlichkeit. Jeder Schritt ist Liebfosung, 3ärtlichkeit. Manchmal werden die Tänzerfüße wild; dann toben sie gegen die Mutter in zornigen Rhythmen, tanzen verhaltene But in den Boden hinein, drohen Vernichtung. Unverändert unter ihrem Haß atmet Erde tiefe, ruhige Züge. Die wütenden Füße halten ein, erstaunt, verwirrt, streden sich hochmütig in den Gelenken, drehen fich lachend auf den Spitzen Denn sie sind auch leichtsinnig. Das Drehen.
In der Mitte de. Raumes dreht sie sich mit Schritten, die flein , schnell find, um fich felbft. Schneller werden die Schritte, höher die Stredung auf den Spigen, stärker die Spannung des Körpers. Rajend im Schwung dreht sie sich um den eigenen Mittelpunkt. Plötzlich geschicht das Seltsame: fie hebt sich über den Boden, steht still in der Luft, ruhige Schwebe.
Moht weiß fie, daß fie weiter dreht, aber fle fühlt die Bewegung nicht mehr. Gehoben, ganz leicht, schwebt sie, die große Seligkeit tragend. Die schwingende Drehung gab sie an den Tanzraum weiter, es umkreisen die Wände, deutlich wahrnehmbar zuerst, dann mehr und mehr ineinander verschwimmend, unendlich erweitert zur einzigen rafenden Umdrehung.
Ward sie nicht Mittelpunkt der Welt für einen Augenblic, Mittelpunkt des großen Bewegungsgeschehens, Teil der schwingenden Weltförper alle, Symbol?
Und im nächsten Moment das Bewußtsein, diesen Zustand dev Leichte nicht ertragen zu können, fein Glüd vernichten zu müssen, zurückzurollen zur Schwere, aus der sie sich erhob, den Schwung zu zerbrechen, die Einheit mit dem Element zu vernichten.
Alles schwankt( dhon, taumelt ineinander, löft fich in einzelnes. Sie fühlt ihren Körper wieder; Stillstand, Ruhe, Beherrschung, lezte Sehnsucht darin, vorüber die Kommunion mit dem Raum. Der Sprung.
Sie( pringt, weil sie fliegen möchte, fämpft im Sprung um Schwere und Leichte, liberwindet die eine, um von der anderen überwunden zu werden. Jeder Sprung ist ein Kampf
Sehnsucht aufwärts ins Leichte, Lichte; Gesez abwärts ins Dunile, Schwere: fie läßt nicht von der Sehnsucht. Kampf mit der Schwere macht fart , wenn es gilt zu fliegen. Ueberwindung macht achen heller, Aimen glücklicher. Sie flößt sich vom Boden ab, wirft fly in die Luft, troßig, ohne Angst; schwebt, fliegt für einen furzen Augenblick zwischen Himmel und Erde.
Rufft du, Erde, schwere, dunkle? Sie fliegt dir wieder davon, über dich, greift mit entfernten Händen Gebilde der Luft, erfüllt sich immer wieder, springt in weiten Bögen, spannt die gewölbte Brüde mit Kraft.
Der Kreis.
Thr Körper zeichnet einen Kreis in den Raum, die Füße laufen mit großen, tiefen Schritten feine Linie, treffen im Lauf stets dies felben Buntte des Kreifes. Sie bannt diefen Kreis in diesen Raum, ward von ihm gebannt. Geheime Kraft geht von ihm aus, hält die Füße. Eine zweite Kraft strömt von seiner Mitte aus, zicht den obenen Rörper zu fich; von der Mitte regiert, verfolgen die Füße vorgeschriebene Bahn. Lebender Zirkel ist sie, dem Gesetz unterliegend, das sie selbst beschwor.
fremder Gewalt gejagt, rafen die Füße den qualvollen Kreislauf. Wer fann fie erlösen? Sie verlor die Macht über sich. Bon Es brennt ihr der Kopf; der Körper, ganz Boden unter ihr, wird glühender Kreis. Sie findet den Weg nicht, der nach außen führt. Da: ein Gedante, blizhaft entstanden: die Mitte. Selbst Mitte werden, von dort den felbfigeschaffenen Bahn vernichten. ftredend die Arme, neigt sie den Kopf zur Mitte, wankt. Die Füße lösen sich von der Kreisbahn ab, fie fällt schwer zu Boden, zittert in der Mitte ihres Kreifes, der nicht mehr ift.
Der Raum.
Aus
In der Mitte des Raumes steht sie, die Augen geschlossen, fühlt, wie dle Luft auf ihren Gliedern lastet. Der Arm hebt sich, zaghaft tafend, durdfchneidet den unsichtbaren Raumförper, dringt vor wärts. die Füße folgen: Richtung entfland. Ta greift der Raum nach ihr, drängt auf neugefchaffenem Weg rückwärts: Gegenrichtung; ein Spiel, auf und nieder, vor und rüdwärts, Selbstbegegnung, Kampf in dem Raum um den Raum: Tanz. Leise zärtlich und heftig wild.
Erkennen bliẞt in ihr auf. Der große unsichtbare, durchsichtige Raum breitet sich formlos wogend, ein Heben des Armes verändert, gestaltet ihn. Ornamente stelgen auf, wuchtig, groß. tauchen unter; zierliche Arabesten tänzein vorüber, versinken; ein Sprung mitten hinein: böse zilcht es von zerplatzenden Formen; ein schnelles Drehen: die Wände weichen.
Sie fenft die Arme, steht wieder still, schaut den leeren Raum, das Reich des Tänzers.