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Nummer 7

Heimwelt

27. März 1924

Unterhaltungsbeilage des Vorwärts

Menschen wie arm eure Feste! Jazztanze schrill von verruchter Zelf! Eure Lebensangft

Anturbelt die Autos der Selbstflucht, Illuminiert

Die Seele

Mit Camplons elektrischer Gler

Und wähnt:

Sle fel geborgen.

Aber sie ist geborgen nicht

All Euer Lärm, Euer Getreisch, Euer Gefrächsz, Euer Frendeplatatieren, Cuffigfindwirt

Hahaha

Uebertönt nicht

Da lelfe trahende

Nagen

Der drei heimlichen Ratten

Leere Furcht

Verlassenhelf

Aber schon schaue ich Dich,

Gewandelte Jugend der Revolution.

Deine Tat: Zeugung.

Deine Stille: Empfängnis. Dein Fest: Geburt.

Opfernd

3m todnahen Kampfe heroischer Fahnen Schreitend

3m reifenden Feld fräumenden Frühlings, Jauchzend

3m bindenden Tanze gelöfter Celber,

Ahnend

3m magischen Schweigen geffirnter Nacht.

Schon schaue ich Dich,

Gewandelte Jugend der Revolution.

Ernst Toller , der Gefangene von Niederschönenfeld , hat in der Einsamkeit seiner Belle im Sommer zwei Schwalben zu Ge fährten gehabt, die darin nisteten. Die Erlebnisse mit ihnen die Ge. fühle und Stimmungen, die sie in ihm wedten, hat er zu zarten und innigen Dichtungen voll Liebe zu Tier und Mensch gestaltet. Das Schwalbenbuch", das bei Gustav Kiepenhauer in Potsdam herauskommt, enthält, wie die Festungsverwaltung feststellte, auch eine Reihe von Stellen, deren Bertreitung dem Strafvollzuge Nach teile bereiten würde, weswegen sie sie beschlagnahmte. Ob die von uns atgedruckte Probe auch dazu gehörte?

Der Paradiesvogel.

Bon Wilhelm Scharrelmann .

In einer der Großstadtstraßen steht in einem Schaufenster zwischen einem prunfpollen Tafelaufsatz, ein paar alten Borzellan­vafen, filbernen Teelöffeln, einer Stristallschale und gebrauchten Bigarrenspitzen der ausgestopfte Balg eines Paradiesvogels und schaut mit gläsernen Augen befremdet auf die bunt zusammen gewürfelte Welt, die ihn hier umgibt.

Es ist kein gewöhnlicher Trödelladen, in den er aus der Stube feines früheren Besitzers gelangt ist. Aringewordene aller Stände tragen ihren entbehrlichen Hausrat hierher, wo ihre Tafeltücher und Bestecke, ihre Schalen, Krüge und Kleinmöbel zum Verkauf gestellt werden und jedem Gelegenheit geboten ist, ohne Bekanntgabe von Namen oder Wohnung, nur gegen einen geringen Abzug von der Bertaufssumme, in dem Kampf gegen die immer stärter anschwel­lende Teuerung feine Sachwerte zu veräußern..

Die filbernen Teelöffel finden noch am selben Tage ihren Ab­nehmer. Ein paar Ziervasen stehen längere Zeit, aber auch sie werden eines Tages aus der Auslage genommen. Selbst der Tafel­aufsatz, der wie ein entthronter König und eines Hauptes länger als

*

alles übrige in der Ede des Fensters stand, wird eines Tages vera tauft. Nur der Paradiesvogel, der es mit seinen erhobenen Flügelm am elligsten zu haben scheint, bleibt stehen, als gehörte er zu ber Dauerausstattung des Fensters.

Jeden Abend, um die Dämmerstunde, tommt eine alte Dams Die Straße herauf und streift mit einem haftigen und scheuen Blic das Fenster, um dann, sobald sie den Bogel noch an seinem Blaze erblicht, noch ein wenig haftiger, als sie gekommen, ihren Weg forta zufezen.

Immer ist er noch da, und die Not frißt und frißt...

Sie erinnert noch die Zeit, als sie den Bogel geschenkt bekam. Zweiundzwanzig Jahre find das heute, feitdem ihr Mann damals von Neuguinea zurüdtam. Gut, daß er die Zeiten heute nicht mehr erlebt hat.

Wenn nur endlich der Vogel einen Liebhaber fände. Der No-. Dember ist schon darüber vergangen, und selbst der Weihnachts. monat scheint niemand willig zu machen. Immer noch hebt er die Flügel hinter der großen Schaufensterscheibe und breitet sein schillern des Gefteder.

Eines Tages tommt bie Besitzerin abermals. Ihre Erregung ist so groß, daß sie von einem Zittern befallen wird, als sie vor das Fenster tritt.

Kaum wagt sie ihren Augen zu trauen. Der Vogel ist nicht mehr da. Sollte er wirklich verkauft sein.

Nach langem Zögern und unentschlossenem Umhertrippeln wagt fie es endlich und tritt mit Herzklopfen in den Laden, den Kaufpreis abzufordern.

Schluckend und verwirrt nach Worten suchend, tritt sie zu der Berkäuferin.

Wegen des Paradiesvogels, ja, 21 397. Bitte hier ist der Aus­weis. Wenn Sie einmal nachsehen wollten.

Aber der Vogel ist noch da. Nur aus dem Fenster genommen hat man ihn.

Ihre Enttäuschung ist grenzenlos.

Was meinen Sie, stammelt sie, wenn wir den Preis herabsetzen? Bielleicht haben wir wirklich ein wenig zu viel gefordert.

O nein, entgegnet die Dame, welche die Geschäfte führt, freund­lich. Ich glaube nicht, daß es am Preise liegt. Bis jetzt hat sich noch nicht einmal jemand nach dem Preise erfundigt.

Als hätte sie einen Streich auf die Backen bekommen, so brennen ihr die Wangen.

Immerhin, tröstet die Berkäuferin, wir fönnen ihn ja ruhig noch einige Zeit hier lassen, nicht wahr? Vielleicht, daß sich doch noch jemand findet. Große Aussichten bietet ein solcher Gegenstand ja freilich nicht.

So, meinen Sie? Ja, nur ich kann nicht mehr sehr lange warten. Ich brauche Geld.

( Gott sei Dant, es ist gesagt, so schwer es fiel.)

Ja, wenn Sie da vielleicht etwas anderes hätten, was Sie ent behren fönnten? Gebrauchsgegenstände finden natürlich viel schneller Absah.

Hat sie nicht alles Entbehrliche längst verkauft? Sie weiß wirk lich nicht, und steht zögernd und ratlos.

Da fällt ihr Auge auf den Schirm, den sie im Arme trägt. Ein wenig verschlissen ist er freilich schon, aber der elfenbeinerne Griff, nicht wahr?

Ja, wenn Sie dann den Bogel gleich wieder mitnehmen wollten? Es ist immerhin eine Entlastung für uns. Sie sehen selber, wie ein geengt wir sind....

Die Berkäuferin reicht ihr den Vogel. Dafür wandert der Regenschirm ins Fenster.

Und dann steht sie wieder draußen. Ein feiner staubähnlicher Regen beginnt herabzurieseln, und sie huschelt durch die Straßen, den glänzenden Vogelbalg im Arm, auf dessen Federn die blanken Regentropfen zu erschimmern beginnen, als müßten sie das farben­prächtige Seid des Vogels zum leberfluß mit tausend Diamanten schmücken.