Einzelbild herunterladen
 

Landry wußte aber so gewichtige Gründe ins Feld zu daß er das brave, von diesem Glücksfall geblendete Mädchen lich von dem Ernst seiner Absichten überzeugte.

Cen,

-

der der Kapitalismus fchon zur letzten Blüte, zur äußersten Konzen schließtration gelangt ist. Spieltum, Zeugenbeftechung, Menschenfolterung in den Gefängnisfen, forrupte Justiz, Wahlschwindel, fäufliche Polizei, es ist ein furchtbares und unbarmherziges Bild. Dennoch selbst wenn man nicht wüßte, daß Sinclair ohne Uebertreibungen und Entstellungen auf einwandfreiem Material über amerikanische Zus jtände fußt, würde man doch diesen Hauch von leidenschaftsloser, unerbittlicher Gerechtigkeit die ja die Krönung der allerglühendsten menschlichen Leidenschaft ist, aus seinen Büchern felbst und aus der Menschlichkeit des Dichters verspüren. Ihm ist der Kapitalist nicht verhaßt, sondern das System, das Haß und Feindschaft zwischen den Menschen erzeugt.

Das Aufgebot wurde bestellt, die Hochzeit fand statt. Bu Zu Hause angelangt, fragte er, sich vergnügt die Hände reibend: Brigitte , meine Tochter, wa haft Du sie hingelegt, Deine Welche Nummer?"

Nummer?"

habe

,, Deine Lotterienummer."

Meine Lotterienummer?"

Na Du weißt doch... die zwanzig Sous, die ich Dir geschenkt

damals...?"

Ach die zwanzig Sous!" fagte sie. Der Herr müssen nämlich wiffen. man gewinnt nicht oft in solchen Lotterien... und dazu war es in dem letzten Winter so bitter talt...

11

Nun und...?" fragte Landry erbleichend.

Nun und... fehr einfach!" vollendete sie. Ich habe gar kein Los genommen. Für die zwanzig Sous habe ich mir zwei Paar Schöne wollene Strümpfe gekauft..."

Upton Sinclair .

Bon Werner Hirsch .

-

Die Literaturfritif hat sich hundertmal den Kopf darüber zer brochen, ob ein Kunstwerk Tendenz haben darf oder nicht. Diese Fragestellung ist müßig. Der Künstler gestaltet die Welt, die Menschen, die Probleme aus dem Gesichtswinkel, den seine eigene Zeit ihm aufzwingt. Er hat stets die Ideologie, die Vorurteile, die Nebengedanken einer Klasse. Weil er nach dem Absoluten jenseits der schwankenden Erscheinungen des Lebens ftrebt, kann er vielleicht den Horizont und den Geschmack der Klasse überwinden, der er selbst entstammt, fann zum geistigen Bertünder einer sterbenden, einer erst werdenden Generation erwachsen, ohne ihr selbst anzugehören, immer aber dichtet er aus der feelischen Atmosphäre feiner Zeit, nimmt, wenn auch vielleicht unfreiwillig, für oder gegen deren geiftigen Gehalt Stellung und ist also in irgendeiner Form abhängig von ihrer Ideologie. Die ganz großen Dichter aller Bölfer und Epochen sind gerade darum unsterblich und als Künstlerzeit los, weil in ihrem Wert die Seele ihrer Zeit den dichtesten, tiefsten und wahrsten Ausdruck findet. Das ist Homer für das flaffische Griechenland , Shakespeare für das England der Renaissance, Dosto­jewsti für das Rußland des vorigen Jahrhunderts: wahre Ber­tünder einer Zeit, eines Boltes, einer Gesellschaft.

-

Bis auf den heutigen Tag hat die Arbeiterklaffe noch keine Kunst in diesem überragenden, vollkommenen Sinne erzeugt. Biel leicht vermag erst die zur Herrschaft gelangte Klaffe eine eigene Kultur zu schaffen. Dichtungen von Wert, in denen der Proletarier Stoff, Figur, Inhalt war, gibt es viele, alle jedoch ob sie vom jungen Gerhart Hauptmann , von Leonhard Frank oder von Heinrich Mann geschrieben wurden, find aus der Gefühlswelt des bürgerlichen Mitleids mit der sozialen Not heraus geformt. Die feelische Welt des Proletariers findet in den Büchern des amerikanischen Dichters Upton Sinclair zum erstenmal eine hellhörige und auch plastische Gestaltung.

-

-

Sinclair ist Sozialist. Seiner Herkunft nach wohl bürgerlicher Intellektueller, hat er sich doch vollkommen seiner Klaffe entledigt, ist so tief und vollkommen Arbeiter", daß er als erfter den Arbeiter als dichterisches Problem bewältigt. In feinen Büchern wird immer wieder der Weg des Arbeiters zum Sozialismus gezeigt. Doch hat dies nichts von banaler Tendenz an fich, niemals wird die seelifche Wahrheit in den Schicksalen seiner Menschen augunsten seiner politi fchen Meinung verfälscht oder künstlich umgeprägt. Wie der Sozia lismus feine Erfindung fluger Leute, feine Dottrin, sondern bie natürliche historische Aufgabe des Proletariers, nur ins Bewußte erhoben, darstellt, jo zeigt Sinclair feinen Einfluß auf die Menschen. Diese Proletarier werden nicht etwa durch die Unbilden des Lebens langsam von der Richtigkeit" des Sozialismus über­zeugt" das wäre plump sondern irgendwann, in allen Un­bilben, allen Schicksalsfchlägen, ereignet sich auch für fie, ganz zwang­los und selbstverständlich, die Begebenheit ihrer Ermedung. Wie ein Flügelschlag geht über sie hinweg, nimmt die Binde von ihren Augen, nichts besonderes Neues geschieht mit ihnen, sie sehen nur plöblich ihr Klaffenschicksal und sind dann Klassenfämpfer, indem fie alles das fortsetzen, was sie ihr Leben lang gefühlt und erlitten haben. Eine der echtesten Stellen in feinem Lebensbild des Polizi­fpitels Beter ift der Augenblick, wo das verkommene Produkt eines Systems von Schwindel und Ausbeutung irgendeinmal ganz ehrlich die Wut des Profeten gegenüber dem Gelblad empfindet und -für ein paar Sefunden alle bie fozialistischen Worte aufrichtig and aus pollem Herzen spricht, die er sonst nur auswendig gelernt hat, um sich an die Parteigenossen heranmachen zu fönnen. Dieses Buch, den Roman eines Polizeiipigeis, nennt Sinclair hundert Prozent". Es ist ein Buch vom hundertprozentigen Amerikanis­mus, vom Bollblutameritanismus das ist der Faschismus, das Alldeutschtum der Bereinigten Staaten. Ich glaube schwer. lich, daß je ein schärferes Buch gegen den Kapitalismus geschrieben wurde als dieser Roman. Der deutsche Sozialiſt emp­findet gelinden Schauder, wenn er die nüchterne und fachliche Dar­stellung einer Gesellschaft und ihrer politischen Berhältnisse lieft, in

-

So schreibt er das Buch vom wiedererstandenen Messias : ,, Man nennt mich 3immermann." Chriftus, in die moderne bür mal. Jede Station der biblischen Passion wiederholt sich und der gerliche Gesellschaft gestellt, erlebt seinen Leidensweg zum zweiten. Mob im Dienfte der Geldmagnaten verrichtet die gleiche Arbeit, wie die römischen Söldner vor zweitausend Jahren.

Die Religion und Kirche spielt im puritanischen Amerifa eine viel tiefere Rolle als etwa im heutigen Deutschland . Sinclair ge staltet das Schicksal des gläubigen Träumers, der den Sozialismus findet, nachdem er als Samuel, der Suchende" auszog. Sinclair schreibt das Buch der amerikanischen Großstadt, der Industriezentrale, wo der Mensch, der Werktätige, hoffnungslos zer rieben wird. Der Sumpf" ist Chikago, die Stadt der Schlachts höfe, der Fleischverarbeitung, der Wurstfabrikation. Fast an bie gigantischen Bifloren erinnert dieses Buch, in denen Zola Dinge der Materie, eine Stadt, ein Bergwert, Markthallen oder die Eisenbahn, schildert. Nur ist hier noch etwas Schöneres, eine liebevollere Kennt nis der Menschen, ihrer Seelen, ihrer Hoffnungen und Ent­täuschungen.

Der fozialistische Schriftsteller hat auch die Knechtschaft des Dichters in der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt. Er schreibt ein Buch der Ehe, das, wenngleich in manchen dünneren Partien den at.beren Büchern unterlegen, doch als Gesamtes bildhaft und era schütternd ist: Der Liebe Pilgerfahrt." Die Knechtschaft, zu der Ehe, wie Kunst für den Befiziofen zwangsläufig werden muß, findet hier Ausdruck. Zugleich enthält dieses Buch eine wunder volle und erschütternde Darstellung: die Geburt des Kindes.

Bielleicht das schönste Buch Sinclairs ist Jimmie Hig gins". Jimmie Higgins ist eine Art Gattungsname. Wie wir von einem Schlemihi als einer besonderen Gattung Mensch sprechen, so haben die Irländer ihren Jimmie Higgins. Das ist ein lamm­in der frommer, naio- gutmütiger Bursche, auf den man überall alles abladen kann, was Partei, in der Fabrik, in der Familie unangenehm ist und feiner gern tut: er nimmt es wie selbstver

-

ftändlich auf fich. Wie folch ein Jimmie Higgins zu einem feinen, wundervolles Buch. Jimmie Higgins ift fast ein mythischer Name. schlichten Helden in der Bewegung wird, davon handelt Sinclairs und Mythos ist es auch, was in Sinclairs Büchern spricht: der vors her ungeschriebene Mythos vom Arbeiter.

Sinclairs Romane gehören in die Stube des Arbeiters. Sie find gewiß für jeden Leser jeder Herkunft eine Bereicherung und Genuß: der Arbeiter aber findet sich darin wieder. Seine Sehn fucht, feinen Schmerz seinen Glauben und seine Seiterfeit. Dieser ganz einfache, fachliche und prachtvolle Mensch Sinclair hat noch ein weiteres für der Arbeiter getan. Er hat ihm ein philosophisches Buch geschenkt: Das Buch des Lebens." Das ist tein neues Wert der Weisheit, sondern ein praktisches Buch, aus dem jeder Mensch etwas lernen tann. Da steht von der Unsterblichkeit der Seele drin, doch auch von Küchenrezepten, von der Ehe, wie von Im manuel Kant. Es ist der Wissensstoff darin verarbeitet, deffen ein Mensch für sein Leben bedarf. Aber es ist vor allem darin etwas, das fein Federfuchser hätte hineinmischen können: die leuch­tende Güte eines ficheren und innerlich freien Menschen, der feinen Weg gefunden hat.

Inzucht.

Bon Otto Deigner.

Ift Inzucht schädlich? Ja und nein lautet die unbestimmte Antwort. Berfolgt man ihre Wirkungen, fo fann balb von Schädi gung, bald wieder vom Gegenteil die Rede sein. Wird die Inzucht im Dienste des Menschen zwar oftmals mit Absicht herbeigeführt, ohne sich von der gefürchteten Seite zu zeigen, fprechen hingegen wieder die zahlreichen Schuhmaßnahmen in der Lebewelt gegen sie. Am deutlichsten suchen die Pflanzen Selbstbefruchtung zu verhüten. Gerade Selbstbefruchtung, da ja die meisten Blüten einhäufig find, das heißt, fie vereinigen in fich beiderlei Geschlechtsorgane. Tro der scheinbaren Leichtigkeit einer Selbstbestäubung wird diese recht einfach ausgeschaltet. Die Staubbeutel öffnen fich wohl zur Zeit der Befruchtung. Aber in derselben Blüte bleiben die weiblichen Fortpflanzungsorgane noch unentwickelt, unfähig zur Aufnahme des männlichen Samens. Bei anderen Pflanzen wieder reifen Staub beutel und Narbe zu gleicher Zeit. Und fönnen sich dennoch nicht bes fruchten, weil.. nun weil Staubbeutel und Narbe nicht zuein­ander fönnen. Denn ein sinnreiches System hindert sie an der gegenseitigen Berührung. Oder in einem anderen Fall ragen die Staubbeutel weit über die Narbe und feinem Bollentorn ist es ver. gönnt, zur schwesterlichen Narbe zu gelangen. Manchmal tommt es allerdings zu einer wirklichen Selbstbefruchtung. Ift fie vor­übergehend, durch Zufall zustande gekommen, mag fie ohne Folgen bleiben. Doch wird sie ununterbrochen fortgesetzt, dann freilich