Der Amisanwalt stieß es hervor, unwillig, böse den Zeugen von oben bis unten musterr.d. Und der Amtsrichter stimmte bereit willig zu, es war gerade Frühstückszeit:
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,, Aiso vertagen mir. Und der Herr Zeuge, der die Firma vertritt, stellt aus den Büchern feft, wann die neuen Schlösser kamen." Stille in der Runde. Der Abgeordnete leise mißbilligend: So werden die Staatsgeider veraft."
Der Redakteur aber drängte den Erzähler:„ Und? Ist der Amtsanwalt zu seinem Triumph gekommen?"
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Der Erzähler setzte sich aufrecht, straff und hart. Fest seine Stimme: Wenn der Zeuge gesagt hätte, was ihm- vielleicht noch in der Erinnerung war, daß die neuen Schlösser erst angeschafft wurden, als auch das letzte entzweigeschlagen war dann hätte wohl niemand den Angeklagten retten fönnen. Aber da aus den Büchern nur hervorging, daß die Schlösser fünf Tage nach der Eniwendung des Messings angeschafft wurden, tam er mit einer Geldstraße davon. Und trotzdem schlimm, denn seine Frau hatte in der Aufregung eine Frühgeburt erlitten
Die Uhr tidte: ei- ne, ei- ne und zeichnete das rinnende Leben. Fahles Grau ftahl sich durch die Läden und fündete neuen Tag, neue Arbeit, neuen Kampf. Bald würden wieder überall, in den Gerichten der Welt, harte, würdige Männer würgen und rigen, um die Reibungen des Lebens in gute und schlechte, notwendige und lächerliche Paragraphen zu fassen.
Die Verschiedenheit der Sprachen.
Von Erich Pagel.
Keine Sprache stimmt mit einer anderen überein, und innerhalb einer Sprache gibt es oft noch so sehr unter sich verschiedene Mundarten, daß z. B. einem Alemanisch- Sprechenden das Mecklenburger Platt unverständlich ist. Nicht nur die Verschiedenheit der Wörter fommt in Frage, sondern auch die Verschiedenheit des Sprachbaues. Faft alle 1000-1500 Sprachen der Erde weichen auch in dieser Hinsicht von einander ab, jedoch haben Gruppen von Sprachen oft einen ähnlichen Bau. Diese Aehnlichkeit wird vor allem dann vorliegen, wenn die Sprachen verwandt sind. Von dieser VerwandtIchaft foll hier aber vorläufig abgesehen und die Sprachen nach einem anderen Gesichtspunkt, nämlich in bezug auf ihren Bau, betrachtet werden. So heißt z. B. im Sanskrit faroti er macht", cafrathuh ,, ihr beide habt gemacht", frineta wenn er doch gemacht würde"; es ist also sowohl das Fürwort, als auch das Aktiv oder Passiv und die einfache Aussageform oder die Wunschform schon in der Form des Zeitwortes enthalten und braucht nicht( wie etwa im Deutschen ) durch besondere Wörter ausgedrückt werden. Die Endungen sind nicht deutlich vom Stamm trennbar, sondern mit ihm verschmolzen. Es gibt ferner neben der Einzahl und Mehrzahl auch noch eine Zweizahl, die gebraucht wird, wenn von zwei Personen oder Dingen die Rede ist. Das Sanskrit hat diese Zweizahl auch in der Beugung der Hauptwörter, und es hat statt der vier Fälle des Deutschen acht; so heißt devah der Gott ", deve in( oder bei) dem Gott ", devau, die beiden Götter" usw. Das Griechische hat ein ebenso reiches Zeitwortsystem; die acht Fälle allerdings find nicht erhalten. Nun gibt es Sprachen, die alle die Personen, Zustands- und Zeitformen durch dem Zeitworistamm( meist) angehängte Silben ausdrücken, ähnlich werden die verschiedenen Fälle des Hauptwortes durch angehängte Silben ausgedrückt. Jedoch sind alle diese Anhängsel sowohl von einander als auch vom Stamm des Wortes deutlich trennbar und nicht mit ihm verschmolzen. Derartige Sprachen sind z. B. das Ungarische und das Türkische.
Dann gibt es noch eine dritte Art von Sprachen, da wird nichts an den Wortstamm angehängt, weder feft noch lose. Die Wörter stehen nackt nebeneinander. Die gegenseitigen Beziehungen der Wörter werden entweder durch besondere Wörter oder durch die Wortstellung oder zum Teil auch gar nicht bezeichnet. Da die Wörter alle isoliert" stehen, spricht man von isolierenden Sprachen. Besonders scharf tritt diese Eigenschaft hervor, wenn die Sprache nur einfilbige Wörter hat wie das Chinesische. Das Chinesische ist vom Sanskrit oder vom Griechischen geradezu der Gegenpol.
Am 20. Mai 1799 murde in Tours in Frankreich ein Mann geboren, der bestimmt war, in seiner Arbeit das Fazit zu ziehen, das die Revolution des dritten Standes und ihr Abgesang unter Napoleon in der Geschichte geschaffen hatte.
Balzac , der Sohn eines Spitalverwalters, barg in sich, in seiner genialen Menschlichkeit alle Tugenden, alle Größe, alle Eitelkeit und alle Goldsucht, die er in den zahllosen Gestalten der Menschlichen Komödie" geschildert hat. Balzac begann als ein Kolportageschriftsteller. Er schrieb mulftige, ungeformte Geschichten, die er später verleugnet hat, und die ihm dazu dienten, seine schwere Hand zu erziehen. Er schreibt eine Cromwell- Tragödie, von deren Erfolg er fich Ruhm und materielle Vorteile verspricht. Wie viele junge Dichter letzte er alle Hoffnungen auf diese eine Karte, ist jedoch nachher umso mehr enttäuscht. Doch bei einem Kraftmenschen wie Balzac hält Mutlosigkeit nicht lange an; er glaubt an sich, seine Begabung, pofaunt laut in die Welt, daß er einft von europäischer Bedeutung fein würde. Er will mit der Feder vollenden, was Napoleon mit dem Schwert begonnen hat. Doch zunächst gründet er einen Verlag, erleidet ein jämmerliches Fiasto und kommt tief in Echulden. Ein treuer Wegbereiter und Begleiter, Frau von Perny, steht dem Dichter mit Rat und Tat zur Seite; sie gibt seiner fritiflosen Produktion eine fultivierte Richtung; erzieht ihn zu Geschmack und ebnet ihm die Wege in die große Weft.
Hier schon entsprang in Balzac der Plan zur Menschlichen Komödie", die sein Lebenswerk geworden ist. Sie ist eine Reihe von Romanen, die einen Durchschnitt durch alle gesellschaftlichen Lagerungen ergeben, einen wahren und unerbittlichen Durchschnitt durch das Gewebe des gesellschaftlichen Lebens, Balzac hat sich nicht um fcnft mit Cuvier verglichen. Der Dichter entdeckt das„ Gesetz der fozialen Gattungen", wie Buffon die zoologischen Gattungen geordnet hat. Nur daß das Berhäitnis, Ser Kampf unter den Menschen ungeheuerlich verwickelter ist. Das Tier hat nur wenig Mobiliar, es fennt feine Künste und Wissenschaften; der Mensch strebt dagegen auf Grund eines noch zu erforschenden Gesetzes da nach, seinen Sitten, seinem Denken, seinem Leben in all dem Ausdruck zu verschaffen, was er feinen Bedürfnissen anpaßt." P
Balzac war wahrhaftig selbst wider seinen Willen.
Es gibt feine wissenschaftliche Errungenschaft des Jahrhunderts der Aufklärung, keine Philofophie, feine Mystit, fein Gesellschaftsdogma, das nicht seine Spuren in Balzacs Werf gegraben hat. Er hatte den Ehrgeiz, eine Glorifizierung der Moral seiner Zeit zu schreiben. Immer wieder verteidigt er sich, daß er die Tugend und nicht das Laften gezeichnet habe: aber sein Schöpfergeist zwingt ihn, die Wahrheit zu sagen, und so entstehen die großen Typen, die Bere förperungen der Lasterhaftigkeit, der Schande, des Kummers. Der Bater" Gloriot", der König Lear des Romans, der von der Lebensgier feiner Töchter aufgezehrt wird;„ Gebfed", der den Geiz in feiner genialen Fürchterlichkeit darstellt; Rastignac, der Typus des großen Egoisten, der von der Arbeit anderer lebt: zahllos sind diese Gestalten, in unendlicher Vielfalt, jede ein Kosmos für sich. Schon in einem der ersten Romane, die Balzacs Name unSterblich machen sollten, im Chagrinleder", sieht man die mächtige
Kiaue des Löwen. Denn das Genie entwickelt sich nicht im her fömmlichen Sinn einer Wissensbereicherung, es entwickelt lediglich die in ihm ruhenden Anlagen. Das Chagrinleder ist das große Bild des menschlichen Lebens. Dieser Talisman, das Leder, das das Symbol der menschlichen Sehnsucht. Jeder erfüllte Wunsch verbei jedem Wunsch, den sein Befizer ausspricht, verkleinert wird, ist Meinert das Lehen, bis der Alternde nichts mehr zu wünschen wagt.
Balzac hat nicht leicht gearbeitet. Er sah die Erscheinungen des Lebens zu vielfältig überkreuzt, zu reich geschlungen, um nicht von der Fülle der Gefichte verwirrt und zerrissen zu werden. Er schrieb stürmisch und ohne Aufenthalt seine Manuskripte, und wenn er die Fahnen vom Setzer zurückbekam, überschüttete er sie mit Korrefturen: mit den Ausströmungen seiner Ideen und veränderte sie derart, daß ein fleinerer Geist zwei Romane aus einem hätte machen
fönnen.
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Abseits von der Menschlichen Komödie", wie das Scherzo des unerschöpflichen Motics, sind die Contes drolatiques" entstanden. Geschrieben in einem Stit, den man diesem Formlosen nicht zugetraut hätte, in einer verwegenen Freiheit, Sie trotzdem edel ist, meil die süße Melodie des Blutes fie lebendig durchströmt. Auch hier sind die Menschen einmalig und typisch zugleich. Imperia", die trotz aller Verderbnis jungfräulich Zärtliche, und die Männer: Rönige, Bischöfe, Feldherrn, die man nackt sieht und nur in ihrem allzu Menschlichen: sie olle sind verhöhnt und dennoch geliebt; mit der souveränen Herzlichkeit und Wärme gegeben, die das Signum des echten Humors ift: ein Humor wie der seines Landsmannes und Borbildes Rabelais.
Sprachen wie das Ungarische oder Türkische werden a galetini rende, d. h. anleimende" genannt, weil sie die Endungen an den Wortstamm ohne Verschmelzung anhängen, also„ antieben". Sanskrit, Griechisch und ähnliche Sprachen heißen flettierende ( abwandelnde) Wern nun alle Sprachen einfach in das Schema flektierend", agglutinierend" oder„ isolierend" eingereiht werden fönnten, so wäre die Sache sehr einfach, und wir hätten ein gutes und bequemes Einteilungsprinzip. So liegen jedoch die Dinge nicht; denn es gibt eine große Menge Zwischenstufen und ferner auch Sprachformen, die sehr schlecht in das Schema paffen. Zudem hat die Sprachwissenschaft gezeigt, daß die verschiedenen Sprachtypen ineinander übergehen können: Ehe eine Sprache flektierend war, muß sie agglutinierend gewesen sein; fallen im Laufe der Sprachlichen Umlagerungen hinaus, denn es schildert die ewigen Triebe entwicklung die Endungen ab, so wird eine feftierende Sprache zu einer isolierenden( auf dem Wege dazu ist das Englische). Aus einer isolierenden Sprache wieder kann eine agglutinierende oder reflek tierende werden( das Nordchinesische zeigt Ansätze dezu). Allein schon die Geschichte der indogermanischen Sprachen und der Bergleich etwa des Englischen mit dem Altgriechischen( die beide dazu gehören) zeigt, weiche Veränderungen eine Sprache erleiden fann. Die Einteilung nach den drei Typen ist also gleichfalls ein Notbeheif, aber jonit wenig brauchbar. Es gibt eben teine starren Typen; auch im Dasein einer Sprache ist alles, Form und Inhalt, im steten Fluß.
Das Werk Balzoes ist noch immer lebendig über alle gesellschaftdes Tieres Mensch, die subtil oder roh, veredelt oder verdorben, in uns allen vibrieren. Balzac wird, gerade weil die künstlerische Kraft ſo zwingend über die gesellschaftliche Struktur hinausgeht, ein ungeheures Kulturdokument feiner Zeit bleiben; eine Enzyko pädie alter menschlichen Sehnsüchte, Arbeit, Gier, Liebe und Sterben; ein Brenier des lebendig pulierenden Lebens; voll von der Weisheit der Erkenntnis, und der Demut vor der Göttlichkeit der natürfichen Kräfte.
( Eine Ausgabe der gesammelten Werte Balzacs erscheint in einer handlichen Taschenausgabe im Ernst Rowohlt Berlag, Berlin .)