Nummer 12
Heimwelt
5. Juni 1924
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
Malickes Goldstücke.
*
Malide war ein Glied in der eisernen Rette unserer Rorporalschaft, sonst hätte ich das gute, anspruchslose Kerlchen, das im Frieden einen schwunglosen Sandhandel von Haus zu Haus trieb, wohl taum| tennen gelernt. Ich konnte Malice nicht übel leiben. Er war der ftille Teilhaber meiner Zigarrentifte, aber dafür pugte er meine Knöpfe; denn er war Besizer einer Knopfgabel, eines jener vielen unsympathischen Instrumente, das der naive Mensch erst im Kriege Bennen lernte.
mal
-
-
Bei uns wurde aus einer Gewehrfettbüchse geschmiert, mandj wenn ich auf Wache war war es auch die Butterbüchse. Malices Glück beim Militär wäre vollkommen gewesen, wenn wir nicht einen ganz besonderen Charaktertopf von Feldwebel ges habt hätten. In dem Mann steckte nicht nur ein Gendarm, sondern eine ganze Gendarmeriebrigade.„ Die Süßigkeit habe ich verlernt im Dienst," stand ihm auf der Stirn geschrieben. Man sagte von ihm, daß die Vögel verstummten, wenn er über den Kafernenhof schritt. Die Menschen teilte er ein in Helden, Hammel und Halunden, unb Malice flog abwechselnd in eine der beiden letzten Kategorien. Wie tief er in seiner Achtung stand, wurde ihm zum ersten Male tlar, als er um Urlaub eintam.
Sind Sie normal, Sie Rommißbrotvertilger? Kopilnic ift Striegsgebiet; Urlaub is nich, selbst wenn Sie ne schwerkrante Rufine zu Hause hätten!"
Im Sommer ward die Stimmung etwas freundlicher. ,, Wer Ernteurlaub haben will, soll vortreten!" Unter der Wolfe, die drohend um die Kompagnie- Stiefmutter fich sammelte, war auch Malice.
Marfch, wenn Sie vielleicht denten, Ihre brei Blumenstöcke find ein Grundstück, da irren Sie sich! Troll Dich fort, fanger Baban!"-- Die Dinge nahmen den Verlauf, der allen zur GeDie Dinge nahmen den Verlauf, der allen zur Genüge bekannt ist. Das Portemonnaie des Staates wurde dünner; man brauchte Gold. Bald gab es ein Raunen und Flüstern auf den öden korridoren; ein unerhörter Bataillonsbefehl hatte das Licht der Welt erblickt:„ Wer Gold abgibt, erhält für jedes Zwanzigmarkstüd emen Tag Urlaub." Nach ein paar Tagen hieß es: Malice hat Golburlaub." Nicht möglich! Alle Adermänner staunten. Auf Stube 17, wo das Wunderfind lag, brängte sich eine feldgraue Menge. In dem Paß, den ihm der Spieß mit giftigem Bafilisten blic ausgehändigt hatte, ftand ordnungsgemäß zu lesen: Soldat 6 Tage Urlaub." Das anspruchslose Blättchen war ihm in diesem Augenblid wohl lieber als seine fämtlichen Impfscheine. " Mensch, wie tommste bloß zu dem villen Zimt?" Denn man Bannie Malides chronischen Brustbeutelschwund.
Malide
-
Aus der Großmutter ihrem Sparstrumpf ist'r, mitm Bfund patet bergerutscht, Leichtsinn, was? Nischt dagegen zu machen, den Urlaub tann mir feener vergipsen laut Bataillonsbefehl."
-
Einem goldbeladenen Esel öffneten sich schon in alten Zeiten die Tore der Stadt, und es ließ auch damals manchen Esel zum Kafernentore hinaus unter anderen auch Malice. Mit der scharfen Müße und dem verbotenen Glanzgürtel angetan, wippte er davon. Die Stimme des Diensttuenden hatte seine Schrecken verloren; bem mürrifch dreinschauendn Posten vor Gewehr machte er Winte, winte", dem Einlaßdienst warf er großmütig ein Stäbchen zu, und dann eilte er nach dem Bahnhofe. Das Glück verfolgte ihn. Da die 3. Klaffe befeht war, mußte er in der 2. Klaffe Plaz nehmen. Wie der Schaffner darauf hinwies, daß er sein wenig wertvolles Patet vom Polster nehmen sollte, rief er ihm verheißungsvoll zu: ,, Mach Dich bloß fort, alter Junge, sonst tommst'e in die Berluftliste." In Leipzig unterbrach er die Fahrt, um erst einmal in großstädtischem Sinne einzukehren. Er aß brei Nudelsuppen und hatte dabei bas Glüd, die wohlwollende Aufmerksamkeit eines älteren Herrn zu erwecken, der ganz begierig auf Kriegserlebnisse war. Wer welche hören will, der soll auch das Vergnügen haben, dachte Malice. Dann entschwebte er, so gut ein beutscher Krieger schweben fonnte, in Richtung Heimat. Nach einem
turzen Besuch bei der guten Großmutter ging er daran, seinen Urlaub in großzügiger Weise zu genießen. Aber so ist's: wenn sich mal ein armer Kerl einen guten Tag machen will, geht's gewöhnlich schief aus. Die beliebten und bequemen Beförderungsmittel der modernen Kultur standen ihm nicht in dem Maße zu Gebote, wie dem Mann mit ber vollen Brieftasche, und so tam es, daß er bei der herzergreifenden Abfingung des Liedes:„ Drei Lilien, drei Lilien, die pflanzet auf mein Grab" von der Nachtpatrouille gepackt wurde.
Bald gingen durch die Kaserne Gerüchte von Malides baldigen Wiederkunft. Durch ein Telegramm war er vorzeitig zurüdberufen worden, das einzige Telegramm, das er in seinem Leben erhalten. Die tragischen Gestalten der deutschen Kriegsgeschichte wurden um eine vermehrt, als er im Geschäftszimmer mit dem Feldwebel Wieberfehen feierte. 3 Tage Urlaub verbüßt" wie's im militärischen Boltston hieß, und die übrigen bei Vater Philippen!" schnarrte der Spieß" im Bollgenuß seines Triumphes.
Malides gute Tage waren nun gezählt, und als er eines Mittags mit seiner gefüllten Graupenschüffel an einer scharfen Ede des Korribors mit dem Feldwebel ohne seinen Willen zusammenprallte, so baß fich der Inhalt wie ein Katarakt über dessen tadellose Litewfa ergoß, wurde er reif zum Abtransport ins Feld. Man wollte nun andere Taten von ihm sehen. Unser Abschied war furz, aber rührend, und Malide versprach, mich später einmal zu besuchen, falls wir uns nicht im Massengrab wiedersehen würden.
Nun ist der sogenannte Friede längst da, Malice hat sich noch nicht eingestellt, aber jedenfalls, wenn es heißt:„ Ein Sandmann ist braußen", muß ich an den alten guten Burschen denken. Neulich jedoch stellte er sich ein. Ich wollte gerade nach sauren Wochen die Boltsbühnenvorstellung von Tollers Masse Mensch" besuchen. Ma de schien es nicht im geringsten zu imponieren, daß ich mich verhält mismäßig feierlich zu seinem Empfang gerüstet hatte; er zeigte im melancholisches russisches Wälderrauschen. Dann teilte er mir einiges Gegenteil eine todtraurige Miene, und seine Stimme tlang wie Biographische mit und gab seiner Freude Ausbruck, daß ich ihn so freundlich aufgenommen.„ Die anderen haben mich hinausgesteckt, ble feinen Herren tennen unfereines nicht mehr", tlagte er. Wir sprachen von diesem und jenem, ich lenkte die Nebe schließlich auch auf Malides unfeligen Goldurlaub. Damit hatte ich in eine schlecht vernarbte Wunde gegriffen.„ Dh", sagte er und schaute finster zu Boden, „ die paar Goldstücke waren mein Unglüd." Ich versuchte ihn zu trösten und meinte:„ Noch gescheitere Leute als du es bist haben ihr Gold dahingegeben auf Nimmerwiedersehen."„ Das mag schon sein," entgegnebe er, aber wenn bu nur wüßtest, wie man mir später zugesetzt hat, daß ich der Großmutter das Geld abgelurt, Erbschleicher und alles Mögliche haben mich die lieben Verwandten genannt. Als das Gold am höchsten stand, war ihr Zorn am größten, in Stude wollten sie mich reißen, nach Amerita schicken, ach, hätten sie's boch getan! Weißt du, es war eine wahre Erlösung für mich, als der Dollar nicht mehr stieg."
„ Tröstet euch," sagte ich, heute bekommt ihr für den ganzen Kram ausgerechnet 300 Bananen, heute sind wir alle beide arme Luder."
Und Malide tröstete sich an meinem Doppeltümmel und griff noch einmal in meine schwindsüchtige Zigarrenfifte wie einst im Mat. Auf der Treppe noch hörte ich ihn fingen: D du lieber Augustin, alles ist hin... Ich mußte über den alten Burschen lachen, aber ich fürchte, er läßt sich wieder belämmern", wenn A. B.
Wenn dieser Sommer auf der Höhe steht, hat Ernst Toller fünf Jahre seines Lebens hinter Gefängnismauern zugebracht. Ende seiner ungerechten Strafe, der neue Anschlag zunichte_wird, Deutschland wird dafür zu sorgen haben, daß wenigstens bann, am ben die bayerische Un- Rechtspflege gegen ihn vorbereitet: Toller, beffen Strafe abgelaufen ist, obne Umschwelfe in Subbaft zu nehment