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Nummer 16

Heimwelt

Unterhaltungsbeilage des

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Die Friedenspfeife".

Von J. Ehrenburg.

( Aus dem Russischen   übertragen von Hersto.)

Der ruhige Lichtstrahl braucht Tausende von Jahren, um von uns zu den Sternen zu kommen, wie furz dagegen ist des Menschen Leben die Kindheit mit ihren Spielen, Liebe, Arbeit, Krankheit, Tod. Es gibt Teleskope von großer Stärke, Tabellen mit großen Zahlen, der Mensch besitzt Augen und Verstand, doch wie kann man eine Wage bauen, um unser furzes Leben abzuwägen: auf der einen Schale den ruhigen Strahl, die Zahlenreihen, den Raum, die Welten, auf der andern das Wachsen des Menschenkörnleins, wie es feimt, förnt und verdorrt? Wer weiß, vielleicht wiegen die vierzig so un­bedeutenden Jahre doch am schwersten.

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Es war Krieg. Irgendwann wird man schon das richtige Bei­wort finden großer Krieg oder kleiner Krieg das diesen Krieg sogleich von allen anderen Kriegen der Vergangenheit und Zukunft unterscheidet. Für die Menschen, die damals lebten, war es einfach der Krieg, wie man einfach sagt: die Best oder der Tod.

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Es war Krieg. Auf dem kleinen Fled nahe bei einem Stein­haufen, der früher Vpern hieß, lagen, saßen, aßen und starben, starben schnell, die Hände hochwerfend, landfremde Männer. Man nannte sie das 118. Linienregiment des franzöfifchen Heeres. Dieses Regiment wurde im Süden gebildet, in der Provence  , und bestand aus Bauern Weinbauern und Hirten. Sechs Monate lang aßen und schliefen die kraushaarigen, braunen Männer in ihren Lehm löchern, sie schossen und starben, die Arme hochwerfend einer nach dem andern, und im Stab des Armeekorps hieß es, daß das 118. Linienregiment die Stellungen an der Schwarzen Furt" verteidige. Gegenüber, fünfhundert Schritte entfernt, faßen andere Männer und schossen auch. Unter ihnen gab es nur wenige fraushaarige und braune Männer; meist blond und blauäugig, schienen fie größer, derber als die Weinbauern. Gie sprachen eine unverständliche Sprache. Es waren pommersche Ackerbauern und wurden in dem andern Stab das 87. Reserve- Bataillon des preußischen Heeres ge­nannt.

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Es waren Feinde; zwischen ihnen lag das Land, von dem die Weinbauern und Acerbauern sagten, daß es niemand" gehöre: Es gehörte weder dem deutschen Kaiserreich noch der französischen  Republik, noch dem belgischen Königreich. Von Geschossen zerklüf­tet, von verlassenen Schüßengräben freuz und quer durchzogen, an­gefüllt mit faulenden Menschenknochen und verrosteten Metall­stücken, war diese Erde tot und gehörte niemand. Rein einziges Grashälmchen war auf der zerrissenen Erdhaut geblieben, und am Mittag des Julitages roch sie nach Kot und Blut. Jedoch niemals war für den gesegnetesten und schönsten Garten so gefämpft worden wie für diese heiß ersehnte faulende Einöde. Jeden Tag troch jemand aus der französischen   und deutschen Erde auf die Erde, die niemand gehörte, und vermengte fein flebriges, zimtbraunes Blut mit dem gelben Lehmboden.

Die einen fagten, daß Frankreich   für die Freiheit kämpfe, die andern, daß es Kohlen und Eisen stehlen wolle, doch der Soldat des 118. Linienregiments, Pierre Dubois, tämpfte, weil es Krieg war. Vor dem Krieg hatte er Weinbau betrieben. Wenn es oft regnete, ober die Phyllogera in die Reben fam, machte Pierre ein finsteres Gesicht und schlug mit einem trockenen Reisig den Hund, damit er ihn nicht auffressen" sollte. Doch in einem guten Jahr, wenn er die Ernte mit Gewinn verkauft hatte, zog er ein gutgeplättetes Hemd an und fuhr in das nächste Städtchen. Dort in der Schente" Bum Rendezvous des Prinzen" vergnügte er sich nach Herzenslust, das heißt, er flatschte der Magd auf den breiten Rücken, warf zwei Sous in den Mufitautomat und hörte mit offenem Mund ein Bot­pourri an. Einmal wurde Pierre frant, er hatte ein Geschwür am Ohr und das tat sehr weh. Als es klein war, ritt er gern auf der Ziege und stahl der Mutter die trockenen Feigen. Pierre hatte eine Frau mit Namen Jeanne. Oft streichelte er zärtlich ihre feste Brust, die jo dunkelverbrannt war wie Pierre Dubois, Dann begann

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31. Juli 1924

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Frankreich   für die Freiheit zu kämpfen oder nach Kohlen zu gieren und er wurde Soldat im 118. Linienregiment.

Fünfhundert Schritte von Pierre Dubois entfernt saß Peter Debau. Sein Leben war dem Pierre Dubois' nicht ähnlich, wie die Kartoffel nicht der Weintraube, der Norden nicht dem Süden gleich. Und doch war es dem andern unendlich ähnlich, wie sich ähnlich find alle Früchte der Erde, alle Länder, alle Leben. Peter hat nie in feinem Leben Weintrauben gegeffen, er sah sie nur im Fenster eines Badens liegen. Musik liebte er nicht, an Feiertagen spielte er Regeln. Er wurde mürrisch, wenn die Sonne zu stark brannte und es nicht regnete, weil das Gras dann gelb wurde und seine Kühe wenig Milch gaben. Sein Ohr tat ihm nie weh: Einmal erkältete er sich und lag die ganze Woche in hohem Fieber. Als er klein war, spielte er mit dem Dackel seines Vaters und fing die Sonnenstrahlen in seiner Mütze auf. Seine Frau Johanna war weiß wie Milch, mollig und weich wie gekochte Kartoffeln und dem Beter gefiel das. So lebte Beter. Dann jagten die einen, daß Deutschland   für die Freiheit fämpfe, die andern, daß es Kohlen und Eisen rauben wolle und Peter Debau wurde Soldat im 87. Reserve- Bataillon. Auf der Erde, die niemand gehörte, waren weder Freiheit noch Kohlen nur Knochenrefte und verrosteter Eisendraht, doch die Leute wollten die niemand gehörende Erde tofte es was es wolle erobern. In dem einen wie in dem andern Stab wurden Blane darüber entworfen und Dokumente verfaßt. Am 24. April 1916 ließ ein Leutnant den Pierre Dubois zu sich rufen und befahl ihm, um zwei Uhr nachts über den verlassenen Schüßengraben, " Razenkorridor" genannt, bis zu den deutschen Stellungen zu friechen und die deutschen Vorposten zu erkunden.

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Pierre Dubois war achtundzwanzig Jahre alt. Das ist sicher nicht viel denn der ruhigste Strahl durchläuft hunderttausend Jahre. Doch als Pierre den Befehl erhielt, dachte er nur, wie früher die Phyllogera die Reben zerstörte und Krankheiten den Menschen heimsuchten, so ist jetzt Kriege und der Mensch soll nicht nach Jahren, sondern nach Stunden zählen. Bis zwei Uhr nachts waren es noch drei Stunden fünfzehn Minuten. Er hatte noch Zeit, einen anzunähen und Jeanne zu schreiben, daß sie nicht vergesse, Gefel auf die jungen Reben zu streuen. Er hatte noch Zeit, mit kurzem lauten Schlucken seinen schwarzen schlechten Kaffee zu trinken und sich dabei an dem Becher die Hände zu wärmen.

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Um zwei Uhr nachts troch er über den flitschigen Lehmboden, um die Erde, die niemand gehörte, zu erobern. Er schlich langsam den Katzenkorridor entlang, stieß sich an Knochen und Drahtverhauen. Dann endete der Korridor, rechts und links liefen leere Schützen­gräben, so verlassen wie verwaiste Häuser. Pierre überlegte, welchen Schützengraben er gehen solle den rechten oder den linken, beide führten zum Feinde, das heißt zum Tode. Er wollte sich eine Atem= pause gönnen, und da der Platz wohlverborgen lag, begann er seine Pfeife zu rauchen, eine armselige Soldatenpfeife, mit Lehm be­schmußt. Ringsum war es sehr still. Gewöhnlich schossen die Leute nur am Tage, in der Nacht töteten sie sich gegenseitig auf geräusch­lose Art, sie schickten einzelne Soldaten aus, die wie Schlangen trochen, oder legten unterirdische Minen. Pierre rauchte seine Pfeife und schaute zu dem sternenbesäten Himmel empor. Er maß nicht und weissagte nicht, er verglich nicht die großen Welten mit seinem Dörfchen in der Provence  . Er dachte nur, ob es wohl im Süden auch solche Nacht wie hier gebe, daß es dann gut für die Weintrauben sei und für Jeanne auch, da Jeanne warme Nächte so sehr liebte. Er lag da und rauchte; mit aller Glut seines behaarten tierischen Kör­pers freute er sich, daß er hier, auf der toten, niemand gehörenden Erde immer noch lebte, atmete, rauchte und sich mit Händen und Füßen noch rühren konnte.

Noch hatte Pierre nicht Zeit gehabt, seine Pfeife völlig auszu­rauchen, als um die Biegung ein menschliches Angesicht auftauchte und sich vor ihm aufrichtete. Jemand froch auf ihn zu. Pierre sah das Gesicht, blond und breit, so anders als die Gesichter der Weinbauern und Hirten in der Provence  . Pierre sah das fremde Gesicht, den fremden Helm und die fremden Knöpfe. Es war Peter Debau, doch für Pierre war es der Feind, wie es Krieg und Tod war. Er wußte