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Nummer 21 9. Oktober 1924 Unttrhaltungsbeilag« in vorwärts <> ?m postaut». Bon Charlotte Kirsten. Bon dem in einem deutschen Mittelgebirge idyllisch gelegenen Oertchen S. aus unternahm ich während meines diesjährigen Urlaubs ein« mehrstündige Fahrt mit dem Postauto nach dem Bade» ort I. Infolge ein»» Motordesekt» verzögert« sich die Abfahrt ein Weilchen, sehr zum Verdruß eines niedlichen, etwa 4jährigen kleinen Bengels, der alle zwei Minuten immer dringender die Frage stellte: Mutti, wann geht's denn nun los?-- Bali, sag' doch dem Mann, daß«r abfährt!" Bati, mit einem diskreten kleinen Hakenkreuz am Rockauffchlag, hob verweisend den Finger:Pst, ruhig!" was aber wenig Eindruck macht«. Mutter» Methode war entfchicden wirksamer; sie reichte dem Jungen«in« schön«, gelbe Banane, so war er für s erste abgelenkt. Mir gegenüber saßen zwei ältlich« Fräulein und musterten den Kleinen anfänglich mit gemischten Gefühlen. Schließlich stieg noch «in Tourist in grünem Lodenanzug und Wickelgamaschen ein, und im letzten Augenblick, als der Motor schon ratterte und fauchte, kam au» dem großen Zentral Hotel ein sehr wohlgenährtes Ehepaar an- gekeucht und fiel erschöpft in die Wachstuchpolster. Er schnappte wie ein Karpfen nach Luft und sah beforgniserregend rot im Gesicht «ms. Sie fächelt« sich mit einem zarten Spitzentüchlein, das sich merk» würdig zwischen den fleischigen beringten Fingern ausnahm, frisch« Lust zu und sagte noch ganz außer Atem: Du warst wdeder viel zu anständig mit dem Trinkgeld!" Dann ging die Fahrt los.-- Bubi, nimm mal die Füße vom Polster herunter, das ist hier nicht erlaubt!" ermahnte die Mutter den Kleinen. Bubi sah interessiert aus dem Fenster und tat. als ob«r nichts gehört habe. Willst du noch eine Banane, Bubi?" Rein, Bubi wollte diesmal«in« Birne, und die beiden Tanten neben ihm sollten auch mal abbeißen. Ein reizendes Kind!" meinte das eine Fräulein und bald waren sie in ein lebhaftes Gespräch mit Bubis Eltern verwickelt. Das Ehepaar aus dem Zentralhotel hatte sich inzwischen soweit erholt, daß es den Touristen fragen konnte, ob er auch auf dem Falkenberg gewesen wäre. Ja natürlich, das sei ja d«r lohnendste Ausstug in der ganzen Umgebung. Aber verflucht miftregend, rvas? Ist denn oben wenigstens «in anständiger Restaurationsbetrieb?" Nein, nur ein kleines Tempekchen, aber man hat von dort oben einen unbeschreiblich herrlichen Rundblick über die umliegend», Höhen, das Tol und dos Oertchen S." Ra. hören Sie mal. Berehrtester, was tue ich damitl Wenn man sich schon mal da raufgeed.'lt hat, will man doch auch jür seine Anstrengung roa» haben gemütlich« Diele oder so was. netten, kleinen Barbetrieb. Ausficht ist ja ganz schön, kann ich aber von 'ner Hotelterrass« aus auch haben!" Der Tourist erkundigt« sich nach den Preisen im Zentralhotel. Ra es ging ja, IS M. pro Tag aber alles tiptop. Neben dem Schlaszmuner gleich das Bad, wenn man gewollt hätte, hätte man jeden Morgen baden können." Das Auto hielt kurze Zeit vor dem Postamt einer kleinen Ort- schast, aber niemand stieg zu oder aus; weiter ging's zum Tor hinaus durch Kornfelder, Wiesen, und dunkele» Tannenwald. Bubis Eltern waren mzwischen mit den beiden Domen in eine sthr anregend« Unterhaltung über das schwierig« Thema der Kinder. erziehung gekommen. Bubi kniete still und artig in einer Fensterecke, wischte dabei feine Schuhe an Mutter» Hellem Mantel ab, sah aus dem Fenster und abwechselnd Birnen, Bananen und Schokolad«. Das erst« Wort, da» mein Sohn vor allem andern lernen mußte, war Rache." berichtete gerade der stolze Vater.Gib acht, Bubi, woran sollst du jeden Morgen beim Ausslehen denken? Run an....." Da aber Bubi gerade dabei war. sich mit einem größeren Stück Pflaumenkuchen auseinanderzusetzen, gab er nur ein vergnügtes, durchaus pazifistisch anmutendes Krähen von sich und lvar weder durch gütliches Zureden noch durch strenge Blicke zu Irgendwelchen »«cktionären Aeußerungen zu bewegen. Die beiden Domen lenkten schließlich ab und erzählt»,, daß sie am vergangenen Sonntag in Unterberg zur Kirche gewesen wären. Der Pastor dort Hot un» ganz außerordentlich gesollen. Wie wir hörten, soll der Aermsie in seiner Gemeinde einen recht schweren Stand haben. Die Leute wachten auch durchweg einen unangenehmen Eindruck auf uns. Da muß ich Ihnen übrigens ein reizendes E-eschichtchen erzählen, das beinah« wi« ein Märchen aus guten, alten Zeiten klingt. Ich iveih nicht, ob es Ihnen bekannt ist, daß sich die grau Fürstin hier vor einigen Togen aus«enem etwa» glitschigen Wege leider den Fuß vertreten hat." Jawohl, Bubi» Vater hatte bereit» von diesem bedauerlichen Borsall Kem>tnis genommen. Und nun denken Sie nur," fuhr die Dame fort,man sollt« so etwas in heutiger Zeit kaum für möglich hallen, und doch ist es er- freulich« Tatsache: beim Schlußgebet am Sonntag gedachte der Herr Pfarrer mit den wärmsten, herzlichsten Worten fürbittend des fürst- lichen Beins! Si« können sich gewiß vorstellen, wie ungemein sympathisch wir davon berührt waren!" Ich tonnt« mich des Eindrucks nicht erwehren, daß der lieb« Gott in dem dortigen Bezirk zurzeit nicht eben voll beschäftigt sein könne, denn sonst wäre es doch, selbst bei stiner Langmut,«in wenig viel verlangt, ihn in aller Oesfentlichkeit für«inen solchen Spezialsall zu interessieren, der in seinen Buswirkungen doch immerhin von bedingter Tragweit« ist. Bubis Vater ober nickt» zustimmend:Bravo ! Sehen Sie mal an! Das dokumentiert ja ein« höchst erfreuliche Geslnnungl Ja, wenn nur all« so dächten, dann wäien wir bald au» dem Schlamassel heraus, so ober--- Da heißt» eben vor allem, stramm auf die Jugend einwirken. Wollen Sie«« glauben, mein Junge hat hierher und dann stramm gestanden und dreimal hintereinander forsch Hurra geschrien l Bubi war in den letzten Minuten rnertlich unruhig geworden. Er rutschte nervös auf seinem Sitz hin und her und lehnte sogar die Bonbons ab, die ihm das eine Fräulein sreundlich anbot. Na Bubi, was soll denn das heißen! Nun komm mal brav hierher, so ist'» recht und nun wird Natt zählen, ein», zwei, drei Hure..." Aber da geschah etwa» Schreckliche»: Bubi mochte ei» weinerliche« Gesicht rmd sagte laut und deutlich etwas, was zwar so ähnlich klang, aber seine Ntern in peinliche Verlegenheit stürzte. Still Bubi, das geht hier doch nicht," flüsterte die Mutter be> schwichiigend.Komm, guck hier aus dem Fenster fleh mal, ich glaub« gar, da läuft ja«in Häschen?" Aber Bub: hatte für dieses von der mütterlichen Phantasie her- vorgejouberte Häschen kein Interesse, und allen noch so geschickten Ablenkungsversuchen zum Trotz, beharrte er energtsch auf seinem Standpunkt und stellt« seine» Eltern schlleßllch unzweideutig ein Ultimatum. Ein paar sreundlich« Worte und eine Zigarre verankaßlen de« Chauffeur zum Hollen, und Bubi stieg schleunigst mit seiner Mutter aus.--- Als wir nachher meitersuhren, hall« sich Bubi» Lebhasttgkeit merklich gelegt; er saß still und müde in einer Eck«, und sein Bater war einsichtsvoll genug, hur« weiteren pädagogischer, Resultat« au» ihm herauszulocken. Es war überhaupt stiller in unserem Postauko geworden» da» Ehepaar au» dem Zenlraihotel schlief den Dchkaf des Gerechten, der