Nummer 26
18. Dezember 1924
Heimwelt
~
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
Die Rätsel der indischen Fakire.
Von Zauberkünstler Lamari, Frankfurt a. M.
Die Kunststücke der indischen Fatire übten auf den europäischen Beschauer seit jeher einen unwiderstehlichen Reiz aus. Die hin und wieder nach Europa verpflanzten und hier gastierenden Fakire stellten mehr ethnographische Schaustellungen dar und ihre Künste, Icsgelöst von dem die Phantasie erhitzenden Milieu ihrer Heimat, we die Natur selbst die stilgerechte Staffage dazu bildet, büßen von der ursprünglichen Eigenart ungemein viel ein. Dieses Umstandes sind sich die Fakire, die Europa besuchen, voll bewußt und bringen daher hier nur solche Kunststücke zur Vorführung, die unabhängig von der malerischen orientalischen Szenerie noch gute Wirkungen erzielen. Jene Experimente dagegen, welche von erotischen miseen- scene untrennbar sind, tommen nur selten, ja jogar nie nach Europa , und diese beiden Experimente sind: der echte Mango- Baumtrick und der Seiltrid. Deshalb wird vielfach an der Existenz dieser beiden Kunststücke überhaupt gezweifelt, und ganz besonders der Geiltrid wird in das Reich der Fabel verwiesen. Beide Experimente eristieren aber tatsächlich. Viele europäische und amerikanische Zauberkünstler und mit der Zauberkunst wohlvertraute Amateure unternahmen Reisen nach Indien , um diese Experimente an Ort und Stelle zu studieren. Aber nicht alle waren von dem Glück begünstigt, sie auch wirklich zu Gesicht zu bekommen. Schon im Jahre 1902 bemühte man sich anläßlich eines Besuches des Prinzen von Wales, des nachmaligen Königs Eduard VII. , in Indien , einen Fatir, der den Seitrick vorführte, für das Programm der Hoffeftlichkeiten zu akquirieren. Der damalige Bizetönig Lord Laws bane bot 10 000 Pfund für einen Fafir mit diesem Kunststück. und doch hat sich keiner gemeldet. Auch der holländische Zauberkünstler Theo Ofito, der zur Auffindung des Seiltricks eigens nach Niederländisch- Indien reiste, erließ in allen dortigen Beitungen, oft in drei und vier Sprachen, ähnliche Aufrufe unter Zusage von hohen Belohnunge 1, aber ebenfalls vergeblich.
Erst dem amerikanischen Amateur Ing. John Dittmar aus San- Antonio, Texas , ist es geglückt, das wahre Geheimnis diefer beiden Experimente zu lüften. Er reiste zu diesem Behuse nach Britisch- Indien, wo er merkwürdigerweise überhaupt keinen Fatir vorfand. Man sagte ihm, daß die Fafire es vorzögen, die großen Heerstraßen des Weltverkehrs in Aegypten aufzusuchen. Ing. Ditt mar nahm für die Rückreise seine Route über Aegypten , wo ihm die Anwesenheit mehrerer Fatire gemeldet wurde. Besonders einer wurde ihm als derart wundertätig geschildert, daß Ing. Dittmar selbst einen zweitägigen Kamelritt nicht scheute, um den Wundermann einzuholen. Es gelang ihm, den Wundermann gerade zur rechten Zeit anzutreffen, als er Borbereitungen zu einer Vorstellung traf. Dieser Fatir führte den echten Mangobaumtrick wie auch den Seistrid tatsächlich vor. Ing. Dittmar gab im Jahre 1910 eine ausführliche Schilderung dieser Kunststücke. Nach der Erzählung des Ing. Dittmar, der ein vorzüglicher Kenner der moderne Bauberkunft ist, spielte sich die Vorstellung wie folgt ab:
Dieser Fafir grenzte zuerst einen großen Kreis, zirka 30 Fuß im Durchmesser, durch Steine ab, und die Zuschauer durften den abgegrenzten Kreis unter feiner Bedingung überschreiten, sondern mußten an der Steinkreisgrenze Aufstellung nehmen. Bor Be ginn mußten sämtliche photographischen Apparate beiseite gelegt werden, denn das Photographieren wurde streng verboten. Die Eintrittsgebühr" betrug ein Pfund. Die Borstellung wurde zur Beit des Sonnenunterganges anberaumt, fand also im Dämmerlicht statt. Der Fakir agierte inmitten seines abgestedica Raumes, fomit etwa 15 Fuß von den Zuschauern entfernt. Nach einigen ein leitenden Kunststücken fam der Mangobaumtrick an die Reihe, der sich in der Regel wie folgt abspielt: Ein Mangofern wird in die Erde vergraben, darüber ein fleiner Hügel von Sand oder Erde geformt, worauf der Hügel mit einem Luche bedeckt wird. Nach dem Abheben des Tuches ist aus dem Mangofern ein fleiner Zweig hervorgesproffen. Der Zweig wird abermals bedeckt und nach dem Abheben ist der Zweig zu einem feinen Stamm nebst Zweigen emporgewachsen, ist aber ganz fahl. Nach neuerlichem Bedecken und Wiederaufdecken sind die Zweige voll grüner Blätter. Beim nochmaligen Zu- und Abdecken trägt der Mangobaum Früchte. Die Einrichtung des Trics, wie ihn Ing. Dittmar beobachtete, war, wie er sich nach später peinlichst genauer Untersuchung des Operationsfeldes und des zufällig in seine Hände geratenen Mangobäunnchens überzeugte, die folgende: In der Mitte des Spielplates
grub der Fakir im Erdboden ein ziemlich tiefes Loch, welches er mit dem überaus leichtflüssigen Sickersand vollfüllte. Dieser Sand erlaubte es, Gegenstände förmlich wie ins Wasser unterzutauchen oder sie, falls sie darin vergraben sind, mit ebensolcher Leichtigkeit hervorzuziehen. Das verwendete Mangobäumchen ist ein dürrer, mehrfach verzweigter Aft des Mangovaumes, dessen Zweige aus. gehöhlt sind, so daß sie gewissermaßen hohle Holzkanäle darstelle.1. In diese Kanäle werden durch angebrachte Deffnungen junge Tiere der Blattheuschrecke hineingestedt, und damit sie nicht zu tief in die Kanäle eindringen, werden sie an den Hinterfüßen mit einem feinen Bastfaden angeburken. Die Heuschrecken halben sich in diesen Verstecken gerne auf. Der Fafir versenkte einen so präpa | rierten Baum in den Siderfand und hat, um sein Wunder zu vollführen, eigentlich nichts anderes zu tun, als beim Bedecken des in die Erde gelegten Mangofernes das Bäumchen jeweilig entsprechend hochzuziehen. Als die Blätter an dem Baum erscheinen sollten, staubte der Fakir unter dem Tuche irgendein Pulver aus( Insekten. pulver?), wodurch die Heuschrecken zum Verlassen ihres Berstedes gezwungen wurden und, da sie angebunden sind, an den Aesten fißen bleiben. Da ihre Flügel Baumblättern täuschend ähnlich sehen, scheint der Baum dicht belaubt. Die Früchte werden unter dem Tuche vermittels Bastfäden an die Aeste befestigt, was sich bet der Fruchtlese" leicht verbergen läßt.
-
Der Seiltrid wird in phantastischer Ausschmückung wie folgt geschiert: Der Fakir nimmt ein um seinen Körper gewundenes Seil, wirft dieses in die Luft und das Geil bleibt an irgend einem unsichtbaren Punkte in der Luft hängen. Hierauf klettert eine Person an dem Geile empor, verschwindet vor den Augen der Zuschauer, worauf das Seil zusammenfällt. Im wesentlichen stim men einige Handlungen bei der Vorführung mit der wunderbaren Schilderung überein. Das Seil wird wirklich hochgeworfen und bleibt aufrecht stehen, was durch eine ganz außerordentlich kunstvolle Flechtart des Geiles, das Ing. Dittmar in der Hand hielt und mit eigenen Augen untersuchte, erzielt wird. In dem Geile scheinen eigenartige Beinfnorpel eingeflechten zu sein, die bei einer gewissen Haltung des Seiles fich ineinanderschachteln und dem Seile eine relative Festigkeit geben. Das In- der- Luft- hängenbleiben ist Fabel, denn tatsächlich hat das Geil eine Verbindung mit der Erde. Eine Windung des Seiles bleibt nämlich auf der Erde liegen und bildet so einen genügenden Stüßpunkt für das aufrechtstehende Seil. Das Wesen, welches nun auf dem Seile emporzuflettern hatte, war ein Affe. Der Fakir ließ den kleinen Bierhänder an dem Selle empor- und herunterflettern und sobald sich das Tier wieder auf der Erde befand, erfaßte er das untere Ende des Geiles, das er mit einem geschickten Zug an sich riß, wodurch die Versteifung des Geiles gelockert wurde und das Seil in sich zusammen fiel. Anschließend murde mit dem Affen ein Kunststück vorgeführt, welches infolge zweier verschiedener Begebenheiten zu jener Behauptung Veranlaffung gegeben haben mag, daß das emportetternde Wesen in der Luft verschwindet. Der Affe wurde nämlich, nachdem er fein Sell. tunststück beendet hat, in einen Korb aus Binsen gesteckt und mit einem Deckel, der mit Bastfäden zugenäht wurde, eingeschlossen. Hierauf nahm der Fafir eiere brennende Fackel und zündete den Korb von allen Geiten an. Nachdem der Korb zu Asche verbrannt war, fand sich in dem Korb ein Affen felett vor. Dieses nahm der Fakir, deckte es mit seinem Zaubertudye zu und nach dem Wiederaufteden war der Affe wieder lebendig und das Steleit war verschwunden. Auch bei diesem Kunststück spielte die Grube mit dem Eickersand die Hauptrolle.
-
Zum Schluß sei noch ein drittes indisches Wunder besprochen, das zurzeit alle Europäer im Banne hält. Man schildert das KunstStück in folgender Weise: Ein Inder wirft eine Kugel in die Luft, die erst nach drei Minuten wieder mit einer derartigen Bucht zur Erde fällt, daß sich dieselbe einige Meter tief in die Erde eingräbt. Auch hierin ist das Geheimnis im Siderfande zu suchen. Das Hoch werfen der Kugel ist nur eine Täuschungsbewegung, die derart hefdicht ausgeführt wird, daß jeder schwört, er hätte die Kugel tatfächlich hochfliegen sehen, eine Täuschungsmethode, die jeder europäische Bauberkünstler mit Erfolg anwendet,
Jedenfalls verdient die Lösung der drei Kunststücke, die bis nun ein geheimnisvoller Nimbus der Unerklärlichkeit umgab, das vollste Interesse. Durch die Lüftung ihres Geheimnisses ist ihr Reiz feineswegs verb'aßt, im Gegenteil, man muß die angewendeten Hilfsmittel um so mehr bewundern, und die Menschen belachen, die immer von den Dingen reden, von denen sich unsere Schulweis heit" nichts träumen fäßt.