Jugend- Vorwärts
Nr. 6
Beilage zum Vorwärts
27. Juni 1926
Die großen Tage in Amsterdam sind vorüber. Aber noch zittert die Freude in uns nach, noch sind wir gepadt von dem großen Erleben jener Lage und es brängt uns, zurückzuschauen auf den Weg, den die sozialistische Arbeiterjugend ging bis zu dieser imposanten Tagung in der Hauptstadt unferes Nach barlandes.
Wieder steigen vor uns auf jene unvergeßlichen Tage in Weimar , die einer ganzen Generation zutunftsgläubiger Jugend ben neuen Schwung, ben starten Impuls gaben, ber nun, in den Tagen von Amsterdam noch nachzitterte. Wir find im Innersten erschüttert, wenn wir sehen, wie herrlich die Saat, die damals im engen Baterlande gesät wurde, nun in Europa aufging. Und schöner aufging, als jemals einer von uns geahnt. Denn das wurde uns allen flar in Amfterdam: Die Lage von Weimar sind die größten in der Geschichte der Arbeiterjugend nicht mehr. Der erste Jugendtag der Sozialistischen Jugend- Internationale hat sie überholt. Was damals nur Bersprechen war, wurde hier eingelöft. Gewiß, es wurde manches Schöne von damals in den Hintergrund gedrängt, aber das Größere, bas höhere wurde allen um fo tieferes Erlebnis.
Nürnberg mit seinen dreißigtausend demonstrierenden Jugendlichen, Hamburg mit seiner unvergleichlichen, alle einenden Schlußfeler, wurden immer noch überftrahlt vom Glanze jener Tage in Weimar , an denen die deutsche Arbeiter jugend zum ersten Male nach jahrzehntelanger Feffelung fich frei entfalten fonnte, zum ersten Male zeigen fonnte, daß auch unten im Reiche der Berdammten und Sequälten zertretenes Menschentum nach Entfaltung drängt, daß auch im Dunkeln Schönheit und Helle ersehnt werden. Und daß eine Jugend unterwegs ist, der die Baritade nicht mehr einziger Weg in die Freiheit, sondern eine Mauer wurde, in derem Schuße eine neue Jugend thr neues Leben erbaut. Nicht mehr tatlose Klage, nicht mehr unfruchtbarer Zorn, nein, Arbeit war die Losung sett jenem Tage. Das Erreichte zu schützen, das Mögliche erreichen, das Kommende lebendig machen, wurde Die Losung von Laufenden in der Arbeiterjugend. Das End8tel ihrer Arbeit, der Sozialismus, schten langfem sich zu entfernen, aber die Gegenwart gewann. Absage vom Ent behrlichen machte das äußere Leben einfacher, aber im Geistigen erstrebte man das höchste: Entfaltung aller Rräfte mit dem Ziel: Menschlichkeit und Gerechtigkeit für alle Schaf fenden.
So geartet, so vorbereitet, tamen wir nach Amsterdam . Bereit, das neue in uns aufzunehmen, bereit, bas zu leben, was unfere Sehnsucht war. Und doch, größer als unfere Sehnsucht war, was auf uns wartete. Da stand eine ganze Stadt, deren Straßen die Namen unserer großen Führer trugen, aus luftigen Selten auf freiem Felde erbaut von den Händen opferbereiter Genoffen, aufzunehmen einen jeben und fede. Ein blumengeschmüdtes Tor, von dessen Bfellern die Fahnen der Freiheit grüßten, öffneten sich dem Schreiten endlos marschierender Jugend, die gekommen war aus Norb und Oft und Süd und West, fich zu einen unter dem Turme der Rameradschaft. Rein Wort war dieser Turm, teine Idee, blaß an einen fernen, versinkenden Himmel gemalt, nein, groß und tlar stand er in der Mitte unserer Stadt; überweht von der tnatternden Fahne der Internationale, lebendigster Ausdrud für das neue Wollen in der Jugend, für die Kameradschaft der Alten und Jungen, als Zeichen aber auch für den Willen zu einer neuen Kultur, die die bildende Kunft als tätigen Faftor in das Leben ftellt, daß es ausbrüde den Willen zu Schönheit und Freude, Arbeit und Kraft.
Dieser Turm, startster Ausdrud neuen Lebens, war Zeuge aller unserer Rundgebungen, aber auch Zeuge all
unserer Kämpfe, dieses neuen Lebens würdig zu fein; benn es waren viele, die erschüttert von all bem, bas man für fe getan, wohl das Große empfanden, das hier an sie herantrat, aber nicht vorbereitet genug waren, um es gleich leben zu tönnen; denn ein Bersuch war für sie erst die Stadt ber Gemeinschaft. Ein Versuch, an dem sie merkten, wie weit fie noch fort waren von ihren Worten.
Aus tiefer Dantbarkeit heraus brachten die Jungen ben Gastgebern einen leßten Gruß, der alle Müden emporhob, und so den Abschied banach zum tiefen Gelöbnis werden ließ Nicht nur zu wachsen und reif zu werden für diese Welt ber Rameradschaft, sondern hinauszuwachsen über die Gastgeber, bie einft als gläubige Jünger in unserer Mitte das erste Samentorn empfingen, und nun Vorbild wurden für die Lehrer von gestern. Mögen wir Deutschen zurückgewinnen, was wir verloren, aber laffen wir uns nicht verletten im Aeußerlichen den Sinn zu sehen, so dürfen wir hoffen, das Empfangene demnächst vertieft und bereichert zurückgeben zu tönnen, wie uns das einst in Weimar Gegebene gewachsen und gemehrt zurüdgegeben wurde. und gemehrt zurückgegeben wurde. Und wir wollen leben und fämpfen in dem Bewußtsein dessen, daß wir es sind, die bie Welt dem Neuen und Schöneren, dem Besseren und Größeren entgegenbringen. Das Belflager von Amsterdam wird unferm Geifte stets sein das Feldlager der Internationale. Roch ruht die Armee der jungen Kämpfer, noch ist fie dabei, fich zu rüften, aber gewachsen und start wird sie einst hervor brechen aus ihren Quartieren, um Besitz zu nehmen von der verroteten Welt des Rapitals und wirklich zu machen für alle Menschen die schönere Welt des Sozialismus.
Der Sozialismus nach dem Kriege.
Antäglich bes Internationalen Pfingstjugendtages find au foglaltfiifche Studenten aus verschiedenen Ländern nach Amberba gekommen. Am Pfingstfonntag wurde eine internationale Bep einigung fosialistischer Studentenvereine als Sektion der Gostal ftischen Jugend- Internationale gegründet. Au den Stubenten spra am erften Pfingsttag unfer Genoffe Banbervelbe, ber lehige auswärtige Minister Belgiens . Lauter Jubel begrüßte Banbervelde, als biefer zusammen mit Wibaut den Gaal betrat. Die nad stehenden Reilen fnb ein Auszug aus dem Vortrag.
Bor 40 Jahren war ich selber Student, ich muß Ihnen jetzt wohl faft wie ein Gespenst erscheinen. Liegt doch zwischen uns Melteren und Ihnen, den Jüngeren, ein blutiger Abgrund: der Krieg. In meiner Erinnerung gehe ich zurüd auf den Auguftmonat vom Jahre 1914, in dem auf dem Wiener Rongreß das fünfzigjährige Bestehen der Sozialistischen Internationale gefeiert werden follte. Da hätten Jaurès und Scheidemann , Plechanoff und Lenin Liebknecht und Rosa Luxemburg in völliger Einhelt auf einem Rongreß zusammen sein sollen. Der Krieg aber hat die inter nationale Bewegung in zwei Lager getrennt, einerseits die Kommunisten, andererfetts bie Sozialdemokraten.
Die Rommunisten sind, wenigstens der Theorie nach, auf den primitiven Kommunisinus des fommunistischen Manifeftes von 1847 zurückgegangen, deffen Grundideen Ihnen ja bekannt sind: die Attumulation des Rapitals in den Händen einer immer fleineren Gruppe und das immer stärkere Wachstum, auch quantitativ, des Proletariats und schließlich der revolutionäre Endkampf zwischen beiben Gruppen. Die Dittatur des Proletariats ist in Rußland verwirklicht worden, so welt sie in einem Lande mit vier Millionen Broletarter und hundert Millionen Bauern überhaupt verwirklicht werden kann. Tatsächlich ist sie aber eine Diktatur der Proletarier und der Bauern. Die Lage in Rußland zur Zeit ber russischen Revolution stimmte im Grunde genommen überein mit ber des wenig industriellen Europa zur Zeit des fommunistischen manifestes. Bir dürfen aber nicht bei Marg und beim Marrismus