Kr. 223.
Grscheint täglich außer Montags. Abonnements Preis für Berlin : Vierteljährlich 3,30 Mart, monat: lich 1,10 Mart, wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags Nummer mit dem ,, Sonntags: Blatt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mart pro Quartal. Unter Kreuzband : Für Deutschland u.Desterreich- Ungarn 2 Mark, für das übrige Ausland 3 Mart pro Monat. Eingetragen in der Poft Zeitungs- Preisliste für 1891 unter Nr. 6469.
Vorwärts
8. Jahrg.
Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins: und Versammlungs- Anzeigen 20 Pfg Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochentagen bis 7 Uhr Abends, an Sonnund Festtagen bis 9 Uhr Vormittags geöffnet.
Fernsprech- Anschluß: Amt VI, Nr. 4106.
Redaktion: Beuth- Straße 2.
Demokratie
Donnerstag, den 24. September 1891.
und Sozialdemokratie.
"
Am 9. November des vorigen Jahres hielt der bayrische Rechtsanwalt Ferdinand Heigl, den meisten unserer Leser bekannt durch seine Spaziergänge eines Atheisten", ein echter Demokrat, obgleich er sich noch der Deutschen Volkspartei in Bayern " zuzählt, zu Nürn berg einen Vortrag über„ Freistaat und Monarchie", in welchem er sich offen und rückhaltlos zur Republik bekannte, und sich am Schluß über sein Verhältniß zur Sozialdemokratie und über das famose Zukunftsstaat- Frageſpiel aussprach. Dieser Theil der Rede die gedruckt in Broschürenform vor uns liegt, verdient mitgetheilt zu werden. Heigl sagte:
-
-
Ich komme nun auf das, was uns nach links d. h. von der Sozialdemokratie trennt. Ich bin der Lette, der die heutigen Forderungen der Sozialdemokratie bekämpft. Ich danke es ihr und Jeder sollte es ihr mit mir danken, daß sie diese( die soziale) Frage in die breiten Massen der Arbeiter getragen und auf die Tribüne der Gesetzgeber gebracht hat. Ich bin ihr in manchen Fällen, als ihr die eiserne Faust des Ausnahmegesetzes auf dem Nacken lag, als treuer Freund zur Seite gestanden und habe mit manchem ihrer Führer näher verkehrt.
Ich halte es für die Pflicht eines jeden Ehrenmannes, den Unterdrückten beizustehen, namentlich dann, wenn ihr Streben, um deffentwillen sie verfolgt werden, einen Widerhall findet in der eigenen Brust.
Was mich von der Sozialdemokratie scheidet, ist Folgendes: Go offen ich die Ziele der deutschen Volkspartei bekannt, so wenig hat auch die Sozialdemokratie aus ihrem letzten Ziele ein Geheimniß gemacht es ist dieses der Umsturz der heutigen Gesellschaftsordnung. Mir scheint nun die Sozialdemokratie, indem sie einerseits dieses Endziel hat, andererseits aber die Zustände innerhalb der heutigen Gesellschaftsordnung erträglicher zu machen sucht, in einem Widerspruche sich zu befinden, den i ch nicht mitmachen kann. Dieses Verhalten kommt mir vor, wie wenn Jemand ein Haus, das er einreißen will, vorher reparirt oder einen Nagel, den er herausziehen will, vorher noch tiefer hineinschlägt.
Denn wer sich innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung halbwegs leidlich fühlt, der ist für eine Aenderung derselben schon nicht mehr recht zu haben und wird gewiß für
gestellt vor das Dilemma von Humanität und rück fichtsloser Verfolgung des einmal gesteckten Zieles hat sie der ersteren den Vorzug gegönnt, das Recht der Leben den anerkannt und das gereicht ihr zur vollen Ehre.
Wie sich die Gesellschaftsform der Zukunft gestalten wird, das vermag kein Mensch zu sagen.
Hiernach zu fragen, ist eine eben so große Thorheit, als darauf antworten zu wollen.
Expedition: Beuth- Straße 3.
handeln, verzichtete er in dieser Zeit auf jede nothwendige Reparatur und Verbesserung.
Wir wohnen aber jetzt noch in dem alten Bau. Und was wir an ihm zu bessern im Statten, als alles Gute, was der alte Bau aufzuweisen, Stande sind, das kommt uns um so mehr zu
-
Beides können fich nur Menschen unterfangen, denen die in den neuen Bau, oder um das Gleichniß nicht todt Philosophie der Geschichte völlig fremd ist. zu reiten in die neue Gesellschaftsordnung Niemand und stünde er auf dem weitestschauenden übergeht. Standpunkte kann in dem einen Jahrhunderte sagen, wie Die menschliche Gesellschaft ist ja kein
es in dem anderen sein wird; denn Welt- und Kulturgeschichte mechanischer Bau, sondern ein Organismus, der fortresultiren aus einer solchen Unzahl von Fattoren, deren Zu- während wächst und als Organismus der sammenwirken in dem Parallelogramm der Kräfte jedem Ein- nämliche bleibt, wenn auch die Organisation sich zelnen und der jeweiligen Gesammtheit verborgen ist, daß nur noch so sehr verändert. Der Inhalt des Gesellschaftsein Allwissender darüber Aufschluß geben könnte und den organismus, d. h. die Gesammtheit der Gesell
giebt es nicht.
Es wird jetzt ein Buch viel gelesen, das den Titel führt: schaftsglieder, findet sich in der alten Gesellschafts,, Rückblick aus dem Jahre 2000." ordnung so gut wie in der neuen; nur die Form und Ich bin vor wenigen Wochen seines Vorläufers habhaft die Einrichtung sind verschieden. geworden, eines französischen Buches, das im vorigen Jahr- bürgerliche Gesellschaftsordnung alle Kulturerrungenschaften Und wie die hunderte vor der großen Revolution geschrieben, die Zustände
des Jahres 2400 zu vergegenwärtigen strebt- wir lachen heute der antiken und feudalen Welt übernommen hat, so wird schon 1890- über die Naivetät des Verfassers! auch die neue sozialistische Gesellschaftsordnung alle KulturWenn es uns nun auch nicht möglich ist, vor Sie mit errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaftsordnung in einem anderen Progranim der Zukunft hinzutreten, als dem des bereits in die geschichtliche Erscheinung getretenen Frei- fich aufnehmen.
-
staates, wenn wir der armen, der in Leiden arbeitenden Mensch heit auch keine Fata Morgana vorspiegeln, welche den in der Wüste Schmachtenden täuscht und enttäuscht, Einen Glauben haben wir und den werden Sie mit uns theilen: wenn einstens dasjenige, was wir wollen, erstrebt, unserem Wolfe Charakter wieder gegeben sein wird, so daß Männer zu finden nicht mehr eine eingestandene Seltenheit, sondern die Regel fein wird, wenn Jeder, der in des Tages Laft und Mühen schafft, Raum gewonnen hat, um seiner Familie zu ander. Immer derselbe Fleischtopf ohne Fleisch, mit dem man Die Bourgeois- Reformen folgen einander und gleichen eingehören und an den Errungenschaften des geistigen Lebens die Hungernden befriedigen will! Theil zu nehmen, wenn aller Alpdruck des heute noch herrschenden Gößenthumes von der Brust der Menschheit genommen beitsrath berichtet, dessen Zusammensetzung durch Dekrete Ich habe seiner Zeit von dem famosen obersten Ars sein wird: dann wird es besser sein auf dieser erfolgte, und in welchem die Arbeiter durch den einstigen„ Minister Erde, vollkommen wird es niemals werden." von Decazeville ", Barhaut, den Finanzmann Léon Say und
-
-
Was vorstehend über deu„ Zukunftsstaat" gesagt ist, Andere dieses Schlages vertreten waren. Ein solcher Baum hat fann nur voll und ganz von uns unterschrieben werden. die entsprechenden Früchte getragen. In der Frage der StellenFalsch ist aber unzweifelhaft die Behauptung, die und Arbeiterinnen einmüthig forderten, erklärte fich der Rath vermittelungs- Geschäfte zum Beispiel, deren Beseitigung Arbeiter Sozialdemokratie, welche den Umsturz der bestehenden Ge- für die Beseitigung der vorherigen Genehmigung, Logisch gedacht, meine ich, müßte die Sozialdemokratie im sellschaftsordnung erstrebe, mache sich, indem sie für die welche nach einem Dekret vom Jahre 1852 für die Ausübung Hinblicke auf ihr letztes Ziel sich die Hände reiben, wenn es immer mehr Unzufriedene giebt, wenn es zahlreichen Kreisen Verbesserung dieser Gesellschaftsordnung thätig sei, dieses Geschäftes nöthig war. Die Arbeitslosen sollten von der so schlecht als möglich geht. eines Widerspruchs schuldig. Das Zugeständniß, werden die Stellenvermittler von jeder die Ausbeutung beAusbeutung durch die Stellenvermittler erlöst werden; statt dessen daß die Sozialdemokratie, indem sie so handelt, das Noth- schränkenden Aufsicht erlöst. Selbst die Opportunisten der Kammer wendige und Mögliche" thue, hebt eigentlich schon die Be- haben darin einen Mißbrauch des Rechts, das Bolt zu naseine solche nicht seine Haut und Knochen zu Markte tragen. hauptung auf, von welcher der Redner ja auch ausdrück- führen, gefunden. Wenn sie auch nicht so weit gingen, den GewertDieser logische Widerspruch, in dem sich Theorie und lich erklärt, daß es kein Vorwurf sein solle. Auch das schaften allein den Arbeitsnachweis für ihre Mitglieder zuzuweisen, Praris in der Sozialdemokratie zu befinden scheinen, ist Gleichniß, durch das die Behauptung gestützt werden soll, ein Geschäft zu sein, und sie schlagen vor, sie durch die Verso begriffen fie doch, daß die Stellenvermittelung aufhören müsse, auch scharfblickenden, kühnen Geistern innerhalb derselben nicht spricht gegen dieselbe. Denn Jemand, der den Plan bände der Arbeiter und Unternehmer gemeinsam ausüben zu lassen. entgangen. Ich mache mun sicher der sozialdemokratischen Reichstags- gefaßt hat, ein Haus neu zu bauen, wird das alte Hauts, Senat vor den Ferien beschlossen, das zu organisiren sie aber Das Arbeitsamt, dessen Einrichtung Kammer und er noch in ihm wohnen muß, sich möglichst gethan, was nothwendig und möglich gewesen istlich zu machen suchen. Und er würde sehr thöricht Fortschritt sein, als der oberste Arbeitsrath. Nicht, daß der
Feuilleton.
Nachdruck verboten.)
Er kehrt zurück!
-
[ 24
-
fonnte.
Aber sein an Einfällen fruchtbarer Kopf rettete ihn. erlangte und ruhiger und weniger finster erschien, der Er blieb plötzlich stehen und schrie sich zur Statue Mutter Michel Ferrand's genähert und ihre Hand erHeinrichs IV. sich wendend, mit einer Aufregung, wie er sie griffen. nur erheucheln konnte, während er gleichzeitig eine tiefe Sein unschönes, ja abstoßendes Gesicht überflog ein Verbeugung machte: Schatten von Traurigkeit beim Anblick dieser tapferen Oho! zu Pferde! Monsieur Heinrich IV. ! wollen Mutter, die sich als solche doch der Thränen nicht erwehren Sie mit uns kommen? Originalroman von Jean Meroz. Sie hatten uns alle Sonntage ein Huhn im Topfe Auch hatte er Mijoulet auf die Seele gebunden und versprochen, inzwischen sind wir auf dem Wege, den Hahn ibn inständigst gebeten, sich, falls er Collard durch die zu rupsen! Menge bedroht sehen sollte, vor ihn zu stellen und zu verlebe die Republik !" schrie, brüllte Mijoulet ihnen allen Da die ganze Bande aus vollem Halse lachte und„ Es hindern, daß man auf ihn schieße. Dieser Theil des Auftrages war es, welcher den jungen voraus und die Kolonne zog vorüber. Der Lehrling stieß Lehrling in Verlegenheit setzte, ja erschreckte.
einen schweren Seufzer der Erleichterung aus.
"
Unfaßbar schien es ihm, wie man einen Polizeispion Wenn nur dieser Lump dort bleiben möchte! beschützen könne. Bei einem anderen Menschen als Marche, Er wünschte ihm nicht mehr in der Menge zu Seul wäre ihm dies als wirklicher Verrath erschienen. begegnen. Endlich langten sie auf dem Platz des Palais Aber am Ende mußte er schwerwiegende Gründe haben. Aber er fühlte sich gepeinigt durch den Gedanken, Royal an. die Menge möchte, Die Straßen, welche auf denselben einmündeten, waren wenn sie bemerkte, daß er einen Agenten der geheimen Polizei beschütze, ihn von Menschen erfüllt. Von Zeit zu Zeit trug man einen ebenfalls als einen Polizeispion ansehen. Bei dem Verwundeten aus dem Gedränge, welcher laut jammerte bloßen Gedanken daran schauerte er am ganzen Leibe und und dessen Geſchrei den kärm des wilden Kampfes, der in falter Schweiß perlte auf seiner Stirn. In dem Augenblicke, als er sich einige Schritte von der Bildsäule Heinrichs IV befand, bemerkte er Collard, der sich in die Ecke eines Thürfutters drückte, und Schrecken er griff ihn.
Bei der Bande, die er anführte, gleich in der vordersten Reihe befand sich ein Schlosser, einer von den Männern, welche in dem Keller unter Larirettes Laden zusammen tamen. Dieser kannte den Polizeispion.
der Nähe tobte, überfönte.
Wie Marche- Seul vorher gesehen, lieferte auf diesem Punkte die Monarchie ihren letzten Kampf.
Die gegenseitige Wuth war auf den Höhepunkt gelangt, als Mijoulet und seine Bande auf dem Plaze ankamen.
VIII.
Nachdem Mijoulet fortgegangen war, hatte sich Deshommes, der allmälig seine Kaltblütigkeit wieder
-
Wohlan! Madame, fassen Sie Muth! Michel wird die Sache bald überwunden haben, die Wunde ist schmerzhaft, aber sie wird rasch heilen.
ich einen Arzt, der nur einige Schritte von hier auf dem Ich muß wieder fort, und im Vorbeigehen werde Quai wohnt, bitten, daß er herkommt, um Ihren Sohn zu
verbinden.
sobald das Fieber nachgelassen hat. Wir werden ihn dann nach Ihrer Wohnung schaffen,
Deine Mutter wird an Deiner Seite bleiben. Nicht wahr, Michel, Du willst einige Tage hier bleiben,
Michel hatte einen tiefen Seufzer ausgestoßen. Er antwortete ein schwaches" Ja" und schaute mit seinen schönen, schwarzen Augen, die für gewöhnlich einen sanften Blick hatten, jezt aber vom Fieber glänzten, Charlotte an, welche am Bette stand.
-
Nun wohl, einverstanden! nahm wieder MarcheSeul das Wort, ich werde jetzt nach dort unten zurückkehren, seid unbesorgt, wir werden sie rächen, alle rächen!
Und er machte eine drohende Handbewegung. Nach dem er dann Michel Ferrand und seiner Mutter die Hand licher denn je ans Herz drückte, verließ er das Zimmer. gedrückt und Charlotte umarmt hatte, die er leidenschaftCharlotte begleitete ihn bis an die Treppe und sagte