Erdgesang.
Wie brünftig liegt die braune Aderframe, Die sich in Wellen an die Höhe schmiegt. Die Sonne zittert durch die hagern Neste, Bon frischem Morgenwind gewiegt.
Ist auch der Winter noch in allen Wegen, So wartet doch im Hag der Frühling schon, Stimmt seine Geige auf die alten Lieder 1nd findet hier und da den rechten Ton. Schon hebt er leise seinen leichten Bogen, Die Erde atmet, wenn sein Lied ertönt, Und alles, alles wird sich neu beleben, Was sich nach Farben, Licht und Sonne fehnt.
Gefühlsäußerungen.
Nürnberg Reichsjugendtag 1923. Begrüßungsfeier. Burschen und Mädchen aus allen Gauen Deutschlands fißen beisammen. Ein Jugendchor fingt, ein Mädel spricht den Prolog, Heinrich Schulz, May Weftphal und andere sprechen. Alles das wect in mir Fest timmung und alle die jungen Menschen um mich find in Andacht ftumm, so wie ich. Kirchenstille herrscht im Raum, feierliche Andacht. All die Menschen im Raum sind mir so nah und doch so fern. Da, Piet Boogd, der Holländer, erscheint auf der Rednertribüne. Bewegung geht durch den Saal. Begeisterung glüht und bricht sich Bahn. Taufende Hände schlagen aufeinander gleich einem Regenguß, dessen Waffer in einen breiten Strom münden. Begeisterung des einzelnen wird Bewegung der Masse. Das war mein erstes Erlebnis der Gemeinschaft.
Revolutionsfeier der Berliner SAJ. 1926. Der große Raum des Großen Schauspielhauses ist bis auf den letzten Blazz besetzt. Auf der Bühne steht ein Genoffe und spricht. Als er geendet, flatschen einige in die Hände, sind begeistert. Aeltere Genossen sind es, die Jugend ist stumm. Bischen ermahnt die Klatschenden zur Ruhe. Klatschen ist„ bürgerlich". Zum Schluß ertönen hier und da Frei Heil!" Rufe. Aber die Seelen der Massen schwingen nicht mit. Die Rufe verflingen leer und dünn. Unbefriedigt gehe ich nach Hause, ohne Erlebnis.
„ Das Grabmal des unbekannten Soldaten" wird aufgeführt. Es wird mir zum Erlebnis. Neben mir sitt ein Mädel, dessen Augen tränenfeucht sind. Es fühlt den grausamen Krieg so wie ich. Pause Im Vorraum gehen die Besucher auf und ab, lachen und scherzen, erzählen von neuen Kleidern und anderen flachen Dingen. Keine Spur von Erlebnis.
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Die Vorstellung ist beendet. An der Garderobe drängelt und Ichimpft man fich. Das Mädel, das neben mir saß, steht abseits und weint. Auch mir stehen die Tränen in den Augen. Verständnislos schaut man das Mädel an. Eine Kluft tut fich auf zwifchen uns und ihnen. Für uns war es ein Erlebnis, für jene Theater.
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Stille ist in der Straßenbahn. Interesselos schaut einer den anderen an. Haltestelle. Drei luftige Mädels fteigen ein, lachen und scherzen. Entrüftet schauen die Fahrgäste auf, brummeln etwas vor sich hin. Ich aber lache mit.
Gefühlsäußerungen find heute verdammt. Man lächelt über Weinende, man entrüftet sich über Lachende und bei uns ist gar Das Klatschen unschicklich. Klatschen ist bürgerlich" und Ruhe foll auch die erste Bürgerpflicht sein. Ja, Friedhofsruhe ist bürgerlich, aber niemals Begeisterung und andere Gefühlsäußerungen, die wirklich aus dem Innern kommen. Verstand und Gefühl machen den Menschen erst zum Mensch und deshalb dürfen wir uns niemals gegen irgendwelche Gefühlsäußerungen entrüftet oder lächelnd Karl Birnbaum .
wenden.
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Das Buch der Roten Falken.
Vor einem Jahr ist an dieser Stelle zum erstenmal über die österreichischen Roten Fallen" berichtet worden. Damals befanden Sie sich erst im Werden; jezt zählen sie bereits viele tausend Jungen und Mädels im Alter von 12 bis 16 Jahren. Sie haben weder den Kinderfreunden noch der Sozialistischen Arbeiterjugend Abbruch getan. Sie bilden einen Teil der ersteren und beginnen prächtige Burschen und Mädel der letzteren zuzuführen. Mitglieder, die dank felbstgewollter Disziplin, durch ihre Selbsterziehung zur Pflichterfüllung, zur Treue, zur Ordnung, zur Kameradschaftlichkeit sich vorzüglich in das Leben der proletarischen Jugendorganisation ein
ordnen werden.
Wie in Desterreich die Roten Falten" entstanden sind, was fie wollen, über ihren Aufbau und ihr Leben und Treiben über all das berichtet in einem aufschlußreichen und erzieherisch wert vollen Bändchen der bei den österreichischen Kinderfreunden führende Genoffe Anton Teffaret. Er nennt es ,, Das Buch der Roten Falken"( Berlag Jungbrunnen, Breis 1,25 Mt.). Seine Zeilen richtet er an die Roten Falken selbst, an deren Führer und an alle Eltern, Lehrer und Erzieher. Und es ist wirklich ein Leitfaden für alle, die da glauben, daß die Roten Fallen eine notwendige Ergänzung zu den Kinderfreunden und der Sozialistischen Arbeiterjugend find. Aber selbst, die da meinen, daß Kinderfreunde und Sozialistische Arbeiterjugend all die Aufgaben zu erfüllen in der Lage wären, die sich die Roten Fallen stellen, werden in Teffarets Büchlein für ihre Arbeit äußerst wertvolle Hinweise finden: über Wandern und Orientierung nach Sternen, über Feste feiern, Spielen, Sport, Erzählen usw.
Das Büchlein ist jedoch auch im höchsten Maße dazu angetan, zu überzeugen, daß die Rote- Falten- Bewegung auch in Deutschland festen Fuß faffen müßte und dies auch fun wird. Anfänge dazu find bereits vorhanden, und ein Rotes- Fallen- Treffen ist ja schon für den Sommer in Kiel beabsichtigt. Ein großes Zeltlager für etwa 1000 Jungen und Mädel ist geplant. Ein jeder, der fich in der Altersstufe von 12 bis 14 Jahren auskennt, und diese femmt je in erster Linie für die Roten Fallen in Betracht, weiß, daß ein ungebundenes Leben in Freiheit und in selbstgewollter Disiplin bei selbstgewählten Führern für einen Teil diefer Jungen und Mädel unbedingte Notwendigkeit ist.
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Die Kinderfreunde- Gruppen und die Sozialistische Arbeiter jugend fagen gerade den„ lessen" Berliner Jungen in mancher Beziehung nicht zu. Gerade diese Jungen Mädels tommen ja weniger in diesem Falle in Betracht fönnte die Rote- Falken Bewegung zusammenfassen, damit sie sich hier in Pflichterfüllung. Ordnung, Bünktlichkeit, Hilfsbereitschaft, freiwilliger Unterordnung unter selbstgewählten Führern üben, sich der Natur, der Luft, dem Licht und der Sonne erfreuen. Zweifelsohne fallen hier die Auf gaben der Roten Falken mit denen der Kinderfreunde und der Sozialistischen Arbeiterjugend zusammen. Nur in der Form des Gemeinschaftslebens werden fie fich ein wenig unterscheiden. Sie werden in höherem Maße der Psychologie des Alters von 12 bis 14 Jahren angepaßt sein. Es ist ja kein Zufall, daß die Roten Falten in Desterreich in so furzer Zeit sich derart entwickelt haben. Man lese das Büchlein und überzeuge sich selbst davon, welch günstiger Boden gerade Berlin für die Entstehung der Roten Leo Rosenthal . Falkenhorden wäre.
Brief eines„ Erbfeindes".
Einer unserer deutschen Freunde übermittelte uns die Ueberfegung eines franzöfifchen Briefes, den er bekommen hat. Der fran zösische Verfasser ist ein junger 24jähriger Eisenbaukonstrukteur aus Paris . Aus Raumgründen sind einige starke Kürzungen vorgenom men worden.
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Ich denke immer daran und wiederhole: Ich habe einen Deutfchen gefunden, einen Menschen, dem viele Franzosen noch mißtrauen, und dieser Mensch denkt wie ich. Er ist jung und seine Ideen find pazifistisch wie die meinigen. Wenn Sie wüßten, mein Freund, wieviel man in Unterhaltungen fämpfen muß, um gana allmählich diese Volksmasse mit Gefühlen der Liebe für andere Menschen zu gewinnen. Wie oft ist meine Unterhaltung derart: Nehmen Sie zwei Kinder, eins deutsch , das andere französisch, flößen Sie ihnen auf gleiche Art eine gute Moral ein, und Sie werden sehen, daß, wenn sie Männer geworden sind, fie sich wie Brüder lieben werden. Oder das, was Sie ohne Zweifel kennen, ich richte es meistens an diejenigen, die den Krieg mitgemacht haben: Erinnern Sie sich, daß besonders 1915 und ebenfalls später, Deutsche fich ruhig während beftimmter Stunden in die französischen Gräben begeben haben, und die unsrigen in die ihrigen famen. Aber leider haben es die Befehlshaber erfahren( die französischen ebenso wie die deutschen), die Truppen wurden gewechselt, die Artillerie donnerte los. Haßten sich diese Menschen? Sicherlich nicht, aber der Krieg ist profitbringend für die Banfiers und politischen Männer, und man stirbt immer für die Induftriellen... Ich hatte Ihnen gefagt, man müßte die Schulbücher prüfen. Warum ist es nicht Sache der Nationen, daß sich eine Gesellschaft damit beschäftigt, sie nach einem einzigen Muster zu drucken, besonders für Geschichte, damit man nicht mehr mit diesen Schlachtenschilderungen die Phantafle der Jugend vergiften fann?
Wenn Sie vor zwei Jahren diese tausende Männer und Frauen gesehen hätten, die der Ueberführung der Afche von Jaurès ins Pantheon folgten, würden Sie sich sagen, der Krieg ist nicht mehr möglich. Was für Reden und Ansprachen an jenem Tag gegen dieses große Erbübel! Seien Sie gewiß, daß ich Ihnen die Bahrheit sage, und vielleicht ist bei Ihnen dasselbe passiert, als Rathenau beigesetzt wurde. Es gibt sicher in den unteren Ständen ein tiefes Gefühl für den Frieden. Was verlangt das Volt? Es will von feiner Arbeit leben können, Frieden haben und sicher sein, nicht geSie sehen, mein zwungen zu sein, das ganze Leben zu arbeiten.. Lieber, daß die Arbeit ungeheuer ist, aber nichts ist unmöglich, wenn man Mut hat. ( Pressedienst der Weltjugendliga.)