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Benn Kaufmann und Politiker verpflichtet sind, sich regel­mäßig den Stand ihrer Verhältnisse zu vergegenwärtigen, ständig auf Teilinterviews zu antworten, so ist das beim Einzel­menschen, beim lieben Selbst nicht der Fall. Dennoch: Alles Ereignen ist nur Station..." In jedermanns Leben kommt einmal ber Zeitpunkt, wo er feststellt: jetzt hat die Kindheit ein Ende! Oder die Gelegenheit, bei der dem jungen Menschen die Erkenntnis wird: mit diefer und jener Stunde ist die Jugendzeit endgültig perfunten. Schmerzlich das Bewußtsein, das ein Besinnen plöglich bringen tann: die Hochzeit des Lebens, das Mann- und Weibsein tst vorüber, was jetzt kommt, ist Abklang Senilia.

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Fast immer bedarf es irgendeines aufwühlenden, freudigen oder Schmerzlichen Ereignisses, ehe man die Station bemerkte, die unsere Lebenseisenbahn eben verläßt. Wir müssen wieder lernen, auf diese inneren Mahner zu achten, die der Einzelmensch braucht, um sich der Lebensstationen bewußt zu werden. Und wie der Kaufmann oft nicht das Ende des Geschäftsjahres abwartet, um einen flaren lleber blick zu bekommen, sondern 3 wischenbilanzen macht, so sollte auch der einzelne nicht auf die großen Haltestellen warten, die Kind­heit, Jugend, Lebensblüte und Alter trennen, vielmehr auch öftere Zwischenbilanzen einschieben. Wir müssen auf die zweifelnden und mahnenden, die frohen und sieghaften Stimmen unseres Inneren achten, um ständig zum Interview mit uns selbst bereit zu sein.

Bereit sein ist tatsächlich hier alles, bereit sein, der Wahrheit in die Augen zu schauen! Die persönliche Lebensbilanz darf nur ein Geficht baben, muß unerbittlich wahr sein; Gerichtsstunde ift fie, pedantische Inventaraufnahme. Diesem Interview darf nichts ent gehen, nichts darf beschönigt werden. Die nackten Tatsachen müssen fich nüchtern summieren zu festen Posten in der Bilanz. Jedoch: was Berluft ist und Gewinn beim Kaufmann leicht zu sagen ist im Einzelmenschenleben selten flar zu beantworten. Die Ent fcheidung darüber ist Sache des Charafters, der Erfahrung, der Lebens- und Weltanschauung. Sie muß aber gefällt werden, will man die Führung über sein Lebensschiff nicht verlieren. Und sie tann sich nur dem Entweder- Oder zuwenden, darf feine Kompromisse tennen, wie die Interviews der Politiker.

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Nur beachte jeder Selbftinterviewer, daß der Mensch sozial gebunden ist. Die Gesellschaft richtet auch über sein Berhalten. Daran fühle er fich während des Interviews und bei der Aufstellung der Schlußregelung erinnert. Sind aber die Posten gesichtet, ist alles eingefegt und abgewogen im eigenen Rechenschaftsbericht- dann ein fauberer, entschiedener Abschlußstrich! Alles Ereignen ist nur Station..." Es winken neue. Bu neuen Ufern lockt ein neuer Tag." Kurt Hirche.

Ferientage der Arbeiterjugend.

Bähe gewerkschaftliche Arbeit hat endlich auch uns jungen Ar­beitern in den Genuß einiger Ferientage gebracht. Wie sollen wir fie verleben? Unser Lohn reicht nicht aus, um eine Sommerfrische" mit Saisonpreisen aufzusuchen. Außerdem wollen wir ja in unserer Ferienzeit so wenig wie möglich von der sogenannten Kultur" sehen. Wir sehnen uns nach ein paar Tagen irgendwo, weitab vom Groß stadtgetriebe. Unmittelbar am Herzen der Natur wollen wir unsere Freizeit genießen und uns erholen!

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Und dieser Wunsch fann Erfüllung finden! Wanderfrohe Jugend hat im Berein mit einsichtsvollen Erwachsenen eine Anzahl hübscher Jugendherbergen geschaffen, die, mit angenehmen Aufenthaltsräumen und guten Verpflegungsmöglichkeiten verfehen, fich für einen furzen Ferienaufenthalt trefflich eignen. So entschieden wir uns, eine solche Jugendherberge zu unserem Ferienheim zu erwählen. Legter Ar beitstag! Träge, allzu träge scheint der Zeiger der Kontrolluhr vor­wärts zu schleichen, Endlich ist Feierabend! Eilends geht's heim ein turzer Imbiß, den hochbepadten Rudsad aufgeschultert und schon find wir auf dem Wege zum Bahnhof. Dort treffen wir uns mit den übrigen, und eine halbe Stunde später figen wir schon im Bug, der uns in rascher Fahrt in das obere Flöhatal hinaufbringt. Das freudige, befreiende Gefühl, das uns immer wieder ergreift, wenn uns der Zug aus der dunklen Stadt in das Reich der Berge und unermeßlichen Wälder führt, ist heute stärfer als sonst. Sind es doch nun mehrere Tage, die wir da oben verleben dürfen!

Hinter Olbernhau steigen wir aus und wandern dem Heim zu, bas die Ortsgruppe Chemnitz des Verbandes deutscher Jugend­herbergen im Mortelgrund bei Sanda errichtet hat. Sieh, ein erster Willkommengruß der unberührten Natur: Ein Reh huscht über die Straße und äugt dann von der Höhe zu uns herab. Erst als mir uns nähern, verschwindet es im Balb. Ein schmuckes, malerisch erhöht inmitten einer fleinen Ansiedlung gelegenes Häuschen wird fichtbar: Wir haben unser Ziel erreicht! Nach Anmeldung beim Herbergsleiter gehen wir in einen der beiden freundlich eingerichteten Aufenthaltsräume, wo bereits eine Schar Wanderer beim Mahle figt. Auch wir suchen aus der Tiefe unseres Rußsaces etwas Epbares heraus und stärken uns. Nachdem wird schon eine tleine Exkursion in die Umgebung vorgenommen und dabei mit Befriedi­gung festgestellt: Das ist das Fledchen Erde, was wir uns wünschten!

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Wir fehren zurück ins Heim, und bei Gesang und Klampfenspiel tommt schnell die Zeit zum Schlafengehen. Zwar sind nur einfache eiserne Bettstellen mit Strohfäden unser Nachtlager. aber wir sind an solche spartanische Einfachheit schon gewöhnt und schlafen auf thnen genau so gut wie auf den weichsten Federpfühlen. Noch ein Turzes Hin- und Her, Hinauf- und Hinunterreden( die Betten stehen zum Teil übereinander!) dann wird es still, und nur das leise Rauschen des nahen Waldes dringt durch die offenen Fenster herein.

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Am Morgen wedt uns nicht wie gewohnt die ratternde Straßen bahn, sondern des vielstimmige Konzert der gefiederten Wald­musifanten und Haynenschreie. Hurtig und gern erheben wir uns von unserer Ruhestätte. Geht's doch heute nicht zur Fron in die Fabrik! Hier dürfen wir einmal Mensch sein! Nach einer gründ lichen Reinigungsprozedur im Waschraum frühstücken wir und schlür. fen dazu die töftliche frisch gemoltene Milch. Dann geht es hinaus in die schöne Umgegend unseres Heims, in die stillen Wälder, auf die aussichtsreichen Berge, und auf Schritt und Tritt entdecken wir neue Wunder. Nur der rebellierende Magen vermag uns wieder heim. wärts zu treiben, um das schmackhaft zubereitete Mahl der Her bergsmutter einzunehmen.

An einem regnerischen Sonntag fommen eine Anzahl Wander vögel zu Besuch. In gemeinsamem Gesang, und bei lustigem Ge sellschaftsspiel vergeht auch der Regentag schnell, und gern geben wir den munteren Gästen des Geleit zum Bahnhof. Ab und zu stellen sich auch Einzelwanderer ein, die, ron Herberge zu Herberge tippelnd, einen Ort suchen, mo ihnen Arbeit und Brot winkt.

So bietet unser Ferienaufenthalt auch Gelegenheit, unsere Menschentenntnis, unser Gemeinschaftsgefühl zu vertiefen und zu stärfen. Wertvoll in dieser Beziehung ist auch eine Durchficht des Gästebuches, in das sich die Befucher, zumeilen unter Anfügung eines mehr oder weniger verunglüten, Gedichts" einzuschreiben pflegen. Schulkinder, höhere Schüler, Studenten wechseln mit jungen Arbeite rinnen und Arbeitern ab. Besonders gefreut hat es uns, daß nachy dem Gästebuch die Mitglieder der SAI. zu den fleißigsten Besuchern dieses Heims gehören.

Nur zu schnell vergehen die Ferientage! Bald schlägt die Stunde zur Heimreise. Nech herzlichem Abschied von den Zurück. bleibenden wandern wir wieder hem Bahnhof zu. Die Mortel be. gleitet uns noch ein gutes Stüid Begs und dann noch ein letzter Blick auf die liebgewonnene Gegend bringt uns das Dampfroß in Kürze mieder aur lärmenden, uns schon ein wenig fremd ge wordenen Großftadt zurück.

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Dant denen, die den jungen Arbeitern so billige und doch gute Erholungsmöglichkeit verschafften! Zu unseren Hauptforderungen muß mit gehören die Errichtung einer genügenden Anzahl von Ferienheimen für die Arbeiterjugend. Rege Anteilnahme am ge merkschaftlichen und politischen Leben wird uns diesem Ziele näher führen!

DOO

Aus der Bewegung

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Sigung des Reichsausschusses der Arbeiterjugend.

Der Reichsausschuß trat während des Parteitages zu einer Sigung in Kiel zusammen. Der wichtigste Tagesordnungspunkt war die Beratung über die Aufgaben der Beweguna nach der Er. höhung der Altersgrenze. Die Aussprache ergab völlige Unberein­Stimmung über die zu treffenden Maßnahmen.

Einleitend gab Genosse Westphal einen ausführlichen Bericht über den Stand der Organisation. Er stellte fest, daß Erhebungen über bie Mitgliedschaft unserer städtischen Gruppen ergeben haben, daß die Möglichkeit für eine Erhöhung der Mitgliederzahl gegeben ist. Das Biel muß sein, die bestehenden Ortsgruppen zu verstärken und darüber hinaus in allen Orten, in denen Parteivereine bestehen, Jugendvereine zu gründen.

Notwendig ist vor allem auch eine größere Verbreitung der ,, Arbeiter- Jugend". damit wir selbst in fleineren Orten mit wenigen Jugendlichen die Jugend erfaffen. Engste Zusammenarbeit mit der Partei ist auch hier erforderlich.

Außerdem müffen die organisatorischen Einrichtungen weiter ausgebaut werden. Notwendig ist besonders die Befferung der Finanzen. Die Einführung des Verbardsbeitrages auf der letzten Reichstonferenz bat zu befriedigenden Resultaten geführt; die Be zirke dürfen allerdings hier in ihren Bemühungen nicht nachlaffen.

Die Arbeiter- Jugend" hat in ihrer neuen Geftalt viel Anklang gefunden. Es muß jetzt aber vor allem noch der Bertrieb in der Deffentlichkeit und unter der Arbeiterschaft organisiert werden, damit die Auflage weiter steigt.

Die Oppofition" hat den Verband an feiner Stelle ernsthaft gefährdet. In Berlin sind die Abgänge durch Neuaufnahmen längst erfekt. Selbst im Bezirk Westfachsen, in dem die Dinge etwas khwieriger lagen, hoben wir alle Ortsgruppen halten können. Die Mitgliederverluste sind auch hier gering. Im übrigen hat die Opposition" im Verband nirgends nennenswerten Widerhall ge funden.

Dem Bericht folgte eine sehr ausgiebige Debatte über die durch den Bericht aufgeworfenen Fragen. Sie ergab llebereinstimmung in allen wichtigen Fragen. Beschlossen wurde die Erhöhung des Organisationspreises der Arbeiter- Jugend" auf 16 Bfennig für das Stüd ab 1 Juli 1927. Die Preissteigerumą mar durch die Erhöhung der Drudtoften notwendia geworden. Der Bezirk Thüringen hatte erneut einen Antrag auf Austritt aus dem Schillerbund eingebacht. Der Reichsausschuß befchloß Uebergang zur Tagesordnung, da der Reichsausschuß seine Stellung in dieser Frage durch den Beschluß von Tännich zum Ausdruck gebracht hat. Der Hauptvorstand wurde beauftragt, einheitliches Verwaltungs- und Kaffenmaterial heraus­zugeben.

Nach kurzen Ausführungen des Genossen Hofmann- Dortmund beschloß der Reichsausschuß, den nächsten Reichsjugendtag Anfang August 1928 in Dortmund abzuhalten.