Sturmvögel. Eine Berliner Jugendversammlung vor zwanzig Iahren. .Aufgewacht? Wecke andere aus!" Dieser Ruf bewegte die Herzen der wenigen jugendlichen Arbeiter, die früh den Weg zum fozialistischen Ideal gefunden hatten und nun daraus brannten, den Widerhall ihres sehnsüchtigen Verlangens auch in den Kreisen ihrer Lehr- und Arbeitskameraden zu finden. Das Los des Lehrlings war damals weitaus härter als es die Natur jeder Lernzeit bedingt und nur zu lehr geeignet, dem zur Welt erwachenden Sinn des Jungen die herrschende Gesellschaftsordnung in ihrer abscheulichen Ungerech- tigkeit zu zeigen, wenn nicht hinter der Lehrzeit der trügensche Schein der Unabhängigkeit und des auskömmlichen Verdienstes ge- winkt hätte Trostloser hatten es aber die Burschen, die auch beim Meister in Kost und Logis waren. Was feine Eltern entlastete, war für den Jüngling oft die Hölle. Langsam aber unerbittlich vom Großkapital ins Proletariat ge- drückt, suchen die kleinen Handwerksmeister in den meisten Fällen die Arbeitskraft der Lehrlinge dazu auszunützen, das ihnen drohende Schicksal abzuwenden. Vom frühen Morgen bis zur sinkenden Nacht in der Werkstatt, dann noch im Haushalt beschäftigt, lieblos behandelt, in zahlreichen Fällen mißhandelt, hatten manche Jugendliche ein wahres Sklavendafein auszuhalten. Wie oft geschah es dann, daß der Junge nicht einmal bei den Eltern den erflehten Schutz fand. Sie glaubten dem Lehrherrn und wiesen die Klagen des Kindes mit den Worten ab:.Wir haben es in unserer Jugend auch nicht besser gehabt'" Wir oft hört man auch heute noch von Eltern diese gedankenlose Redewendung, denn wäre es mehr als eine Gedankenlosigkeit, man müßte von liefer Traurigkeit erfaßt werden über die Menschen, die selbst nach Aufstieg streben, aber ihren Kindern zumuten, ebenfalls die beklagte schwere Jugend mit all ihren seelischen und körperlichen Folgen zu erleben. Die jungen Leute fühlten dumpf, daß die Zustände nach öffent- licher Kritik schrien. Wenn auch die sozialistische Presse gelegentlich einen Lehrlingsschinder an den Pranger stellte, wurde im all- gemeinen von den Behörden wenig getan, und so manche stille Knabentragödie endete in den trüben Gewässern des Kanals oder am Balken auf dem Dachboden der Meisterwohnung. Als in Berlin wieder kurz hintereinander zwei Lehrlingsfelbstmorde zur Kenntnis der Oeffentlichkcrt kamen, war der Ruf nach Selbsthilfe das natürliche Echo unter den Schicksalsgefährten der Unglücklichen und die Grün- dung des„Vereins der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter" die darauffolgende Tat. Um ihre Ziel« zu verkünden und zu werben, schuf sich die junge Kompforganisation auch ein bescheidenes Monatsblatt und tat alles, um alsbald dos Interesse auf sich zu lenken. Seltsamerweise begriffen die Gegner der Arbeiterbewegung rascher als ihre Anhänger, was das Erwachen der Jungen bedeutet«. Der Klasieninstinkt war bei jenen stets feinnerviger und macht« sie weitsichtiger, während die Jungen oft in den eigenen Kreisen auf hartnäckiges Unverständnis stießen. Erklärt« doch noch nach Jahren auf dem Hamburger Gewerkschoststongreß«in Führer und nach- maliger Reichsminister, die jungen Leute täten besser, sich sür die 10 Pfennig« Monatsbestrog, die sie im Berein leisteten, ein Stück Wurst zu kaufen. Der aus kurzlebiger Verblüffung sich entwickelnde Zorn der fort- schrittsfeindlichen Element«, der Jnnungsmeister und nicht zuletzt der konservativen Parteien schrie noch Polizei und Gesetzgebung. Die Jnnungsoorstände, die Fortbildungsschulbehörden wurden mobil ge- macht und schließlich trat der„Kampf um die Jugend" aus dem papierenen Stadium in die Arena der politischen Versammlungen. Der erste Politiker, der sich in dies«r Weise mit der jungen Garde beschäftigte, war der alte Heißsporn und Hofprediger a. D. Stöcker, der Führer der kleinen Christlich-sozialen Partei, deren antisemitischer Einschlag eine Kampfesweise mit sich bracht«, wie wir sie aus den Versammlungen der Völkischen kennen. Sein Name stand eines Tages auf einem Plakat, das in den großen Saal der Tonhalle in Berlin einlud. Ich war mittags aus Harburg a. d. E. zurückgekehrt, wo ich monatelang der Vertreter eines Genossen von der„harburger Volkszeitung" war, den die preußisch« Klassenjustiz auf längere Zeit tns Gefängnis geschickt hatte, eine Justiz, deren Volksseindlichkeit Ich inzwischen am eigenen Leib« zu spüren bekam. Abends war ich natürlich mit Freund L. in der überfüllten Tonhalle. Mein Wieder- auftauchen war im Nu in der kleinen Schar der Freunde unserer Sache bekannt geworden und so war es bald ausgemacht, daß ich out Wunsch der Genossen als erster in der Diskussion das Wort nehmen sollte, obwohl wir uns von vorneherein bewußt waren, daß es ein ungleicher Kampf werden würde. Zunächst gab es bei uns und wohl auch bei unseren Gegnern eine kleine Enttäuschung. Der «hemalig« hofpvediger erschien nicht aus Gesundheitsrücksichten, dafür sandte er seinen Schwiegersohn, den damaligen Lizentiaten Mumm, der zivar auch den Stöckerschen Geist besaß, aber nicht sein Temperament. Cr brachte alle die bekannten und längst widerlegten Vorwürfe gegen die Sozialdemokratie aufs Tapet und ging dann auf die Jugendfrage über, die er besonders vom Standpunkt des Geift- lichen aus betrachtete, für den alles, was die damalige Klaffen- rcgierung tat, Gott wohlgefällig war. Er zetert« gegen den ver- hetzenden internationalen Geist, der nunmehr in die Jugend getragen werden sollte, als ob es jemals ein« stärkere und zu allem Verbrechen fähiger« International« gegeben hätte, als die Internationale des Besitzes. Sein« Rede entbehrt« der geistigen und rhetorischen hohe- punkte. Die Redezeit wurde, da schon allen Versammlungsteilnehmern das Kommende in den Nerven prickelt«, auf zehn Minuten festgesetzt. Leiter der Versammlung war der christlich-soziale Arbeitersekretär Behrens, der in der Gegenwart wieder mit seinen Freunden genannt wurde, als das dunkle Kapitel der Schwarzen Reichswehr zur Sprache kam, und der heute zu den schlimmsten Reaktionären gehört. Ich begann mein« Polemik damit, daß ich, zwar nicht gern«, aber unter diesen Umständen nötgedrungen, von der tiefen Frömmigkeit Im kirchlichen Sinne sprach, die mich bis zum acht, zehnten Lebensjahr erfüllt«, wobei ich von Studenten und deutschnationalen handlungs» gehilfen mit höhnischen zweifelnden Zurufen unterbrochen wurde. Ich erzähste dann, wi« ich bei meinem Eintritt in das Leben(aus der Soldatenschule) Kirche und Vaterland so ganz anders fand, als ich es mir vorgestellt hatte und sehen mußt«, daß besonders die evangelische Kirche in ihrer sklavischen Abhängigkeit von der Regierung alles deckte, was an sozialer Ungerechtigkeit von dieser begangen wurde, wie ich sah, daß ich mir mein Vaterland und wohl auch meinen Glauben erst erkämpfen müßte. Ich sprach von der Not der arbeitenden Jugendlichen, von der seelischen und körperlichen Sklaverei des Arbeiters, die nach der herrschenden Ordnung sür den Arbeiter lebenslänglich und für die Gesellschaft ewig sein sollte. Diese Kritik an den Zuständen, von meinen Freunden mit Beifall beglestet, rief in der Versammlung bei Studenten, Handlungsgehilfen und christlich-sozialen Porteianhängern Stürme der Entrüstung hervor. Minutenlang konnte ich nicht weitersprechen. Di« Studenten mst den deutschnationalen Jüngern stürmten zur Tribüne, die Stufen hinan, umringten dos Rednerpult und schrien:„Raus! Runter mit dem KerN Schluß!" Im Augenblick schien es, als ob die Versammlung in«in allgemeines Chaos ausarten sollt«. Meine Ruh« und Kalt- blütigkest hielt die Gegner von tätlichen Angriffen ab. Als Behrens sich Ruh« verschafft hatte, erklärte er, die zehn Minuten Redezeit seien um, obwohl davon die melste Zeit von dem Skandal in Anspruch genommen war, den sein« Freunde machten. Ich bestand darauf und setzte durch, daß ich den Rest der zehn Minuten noch sprechen durfte, was nicht ohne mehrmalige Unter- brechung geschehen konnte. Wütende Entrüstungsstürme der Gegner begleiteten mein« Feststellungen, baß Schule und Kirche in jener Zeit nur«in polittschcs Instrument zur Beeinflussung der Jugend waren. Die Studenten waren besonders aufgebracht, als ich nachwies, wie wenig sie vom sozialen Leben kannten und wie jeder junge Arbeiter, der sich bereits in der zartesten Jugend sein Brot verdienen muß, viel eher berechtigt sei, über wirtschaftliche und sozial« Ding« zu urteilen, als sie. Mst dem Aufruf des alten demokratischen Dichters Ludwig Pfau an die Jugend schloß ich meine Rede, und als die Worte: „Sie sollen nicht mehr rauben, Dem Volk den Erntertrag, Wir wollen nichts mehr glauben, Was man nicht greifen mag. Und wer nicht Hilst erwerben D«m Volk fein gutes Recht, Den möge Gott verderben, Das ist ein seiger Knecht!" durch den zuletzt doch ruhigen Saal hallten, da wurde die Tonhalle wieder zu einem kribbelnden Ameisenhaufen, und als ich auf meinen Platz ging, Hagelten wie beim Spießrutenlaufen Zurufe auf mich nieder. Herr Behrens hatte feine Anhänger kaum noch in der Hand. Sie schäumten, während wir im Bewußtfein unserer guten Sache dem tobenden Meer zuschauten in der Erwartung, was es gebären würde. Schließlich gelang es doch, die Versammlung zur Fortsetzung zu bringen, wodurch unser Freund und Jugendgenosi« Böttcher noch zum Wort kam, allerdings nicht bis zum Schluß seiner Redezeit. Denn ein« nochmalig« Bestätigung unserer Anschauungen konnten die Stöckerschen Anhänger anschemend nicht vertragen und so ließen sie ihr« eigene Bersammlung in Tumult aufgehen, bis Herr Behrens hilflos erklärte, daß sie geschlossen sei. Es dauert« lange, bis die Gemüter sich zum heimgehen beruhigt hatten und nur langsam leerte sich der Saal. Irgendwelchen Angrissen waren die Anhänger der Bewegung für die Arbeiterjugend nicht mehr ausgesetzt. Ihre Gegner brachten ihre Entrüstung in gegenseitigem Austausch zum Verebben. Als sich der Saal langsam leerte, gerieten wir am Ausgang hinter zwei Herren, dem Habitus nach Großindustrielle, von denen der eine sein« Befürchtung über diese„Verhetzung der Jugend" zum Ausdruck brachte. Der andere erwiderte nach kurzem Schweigen:„Imponiert hat er mir aber doch!" So rang die Zielklarheit wid Entschiedenheit der jungen Be- wegung bei dem ersten öffentlichen Turnier den Feinden zwar keinen Sieg, ober doch einen Achtungserfolg und, wi« wir später sahen, auch manchen jungen Anhänger ab. Otto Krilk«. Die lleber zeugung ist des Mannes Ehre— Ein golden Vlies, das keine Fürstenhand And kein Kapitel um die Brust ihm hängt. Die Aeberzcugung ist des Krieg«?? Fahne, Mll der er, fallend, nie unrühmlich fällt. Der Aermfie selbst,'verloren in der Masse, Erwirbt durch lleberzeugung sich den Adel. Ein Wappen, das er selbst zerbricht und schändet, wenn er zum Liftjner seiner Meinung wird. Gutzkow .
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