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Das junge Deutschland rief!

bekannt, lebt muß gehandelt werden, jetzt muß sich zeigen, ob die­felben Parteien, die durch den Erlaß der sogenannten Jugendschutz­gesetze vom Charakter des Gesetzes zum Schuße der Jugend bei Lustbarkeiten und des Gesetzes zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmuhschriften ihre Sorge um die Jugend bezeugen als wirklichen und wahren Jugendschuß selbst fordert.

Am 5. Oktober dieses Jahres hat die Ausstellung Das junge Deutschland  " endgültig ihre Pforten geschlossen. Rund 100 000 Be­fucher find in sechs Wochen durch die Säle des früheren Hohenzollern  Schlosses Bellevue   im Berliner   Tiergarten   gegangen. Darunter viele Politiker und beamtete Persönlichkeiten, Regierungs- und Behörden vertreter, Bertreter von Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-, von Wohlwollten, bereit sind, die Gesetze zu erlassen, die die deutsche   Jugend fahrts- und Lehrerarganisationen. Auch Gäste aus dem Ausland und maren da: aus Dänemark  , Holland  , Schweden  , der Schweiz  , Nor­ wegen  , Rumänien  , Ungarn  , Desterreich, Amerika   und zuletzt noch der Direktor des Internationalen Arbeitsamtes in Genf  , Albert Thomas  . Die Ausstellung war also in dieser Hinsicht ein Erfolg. Wird das alles sein?

Als der Reichsausschuß der deutschen Jugendverbände im Oktober 1925 in Kaffel in Anwesenheit von zahlreichen Bertretern der Be hörden, der freien Wohlfahrtsorganisation und der Arbeitnehmer­und Arbeitgeberschaft seine erste große öffentliche Kundgebung für die Forderungen zum Schuße der erwerbstätigen Jugend erhob, als er verlangte:

1. Grundsäßliche Ausdehnung der Schutzbestimmun. gen für die Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter und An gestellten auf das Alter vom 14. bis zum vollendeten 18. Jahre; 2. 3 Wochen bezahlte Ferien für erwerbstätige Jugend liche( einschließlich Lehrlinge) unter 16 Jahren und 2 Wochen bezahlte Ferien für Jugendliche( einschließlich Lehrlinge) zwischen 16 und 18 Jahren;

3. Festlegung einer Arbeitswoche von höchstens 48 Stun=

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Bon den rund 9 Millionen deutschen   Jugendlichen im Alter von 14 bis 21 Jahren find rund 80 Broz. erwerbstätig. Also vier Fünftel der deutschen   Jugend stehen im Erwerbsleben und damit in einem Gefahrenbereich, von dessen Art und Umfang die sozialpolitische Ab­teilung der Ausstellung ,, Das junge Deutschland" ein flares und ein­drucksvolles Bild gab. Große Teile der Jugend kämpfen gegen diese Gefahren, fie fordern Schonung und Hilfe, fordern ihr Menschenrecht. Sie wollen nicht weiterhin sogenannten Wirtschaftserforderniffen" geopfert werden. In der Reichsverfassung heißt der Artikel 122: Die Jugend ist gegen Ausbeutung fowie gegen sittliche, geistige oder förperliche Verwahrlosung zu schüßen. Staat und Gemeinde haben die erforderlichen Einrichtungen zu treffen." Die Jugend will nicht bei schönen Proklamationen verelenden, sondern unter ver­nünftigen Bedingungen arbeiten und schaffen, sie will feine Ber­sprechungen, sie will Taten sehen. den Ruf gehört? Das junge Deutschland   hat gerufen! Hat die Reichsregierung Mar Westphal E ihn d

den( einschließlich des Fachunterrichts und der Zeit, die für Die Alten und die Jungen."

Aufräumungsarbeiten beansprucht werden könnte);

4. Beginn der fonntäglichen Arbeitsruhe mit Sonnabend­mittag oder Gewährung eines freien Nachmittags in der Woche;

5. Festsetzung ausreichender Arbeitspausen; 6. Berbot der Nachtarbeit für Jugendliche, Jing da sind der Jugend von allen Seiten größte Sympathien bezeugt worden; auch von den Regierungsvertretern und den Vertretern der Arbeitgeberorganisationen. Das war recht nett und wäre mindestens ein Beweis für ein gutes Herz gewesen, wenn man nicht zugleich auch die Forderungen nach stichhaltigen Beweisen für die Not der Jugend und nach Sicherheiten für die gute Verwendung der zu ge­währenden Freizeit erhoben hätte. Man bedente, unter welch schweren Gewissensbiffen z. B. ein Arbeitgeber zu leiden hatte, der dem Lehrling oder jugendlichen Arbeiter Urlaub gewähren mußte, ohne die Gewißheit zu haben, daß der junge Mensch ihn nun auch recht vorteilhaft zu feiner Erholung verwendet. Ja, ja, es muß eine fchreckliche Zeit für die Arbeitgeber gewesen sein, als die Jugend in den vergangenen Monaten zu Zehntausenden erwerbslos auf der Straße lag. In Raffel hatte man jedenfalls mit solchen Floskeln Beit gewonnen, denn die Jugend konnte keine großen statistischen Beweise führen; aber sie nahm sich vor, das Bersäumte schleunigst nachzuholen. Darum ließ sie die Ausstellung Das junge Deutsch­ land  " erstehen.

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Und wen erschrecken nun nicht diese Zahlen? Von 91 507 be­fragten Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren aus Groß, Mittel und Kleinstädten aller Länder Deutschlands   hatten nur 57 640 oder 63 Proz. die 48- Stundenwoche; aile übrigen mußten länger arbeiten und 7137 Jugendliche oder 7,8 Proz. mußten sogar über 60 Stunden wöchentlich arbeiten. Von 103 044 männlichen Jugendlichen leistete jeder 8. und von 54 661 weiblichen Jugendlichen leiftete fast jede 7. Sonntagsarbeit. Bon 107 201 Jugendlichen hatten nur 4542 oder 4,2 Broz. einen Urlaub von mehr als 14 Tagen, einen 10 bis 14tägigen Urlaub hatten nur 7815 oder 7,3 Broz. 70 111 Jugendliche hatten weniger als 10 Tage Urlaub und 24 733 oder 23,1 Proz. der befragten Jugendlichen hatten überhaupt keinen Urlaub. In der Ausstellung zeigte eine Tafel folgende Feststellungen: Jeder 5. Jugendliche hat kein eigenes Bett, jeder 10. Jugendliche schläft mit Fremden in einem Schlafzimmer, jeder 200. Jugendliche Schläft mit Fremden in einem Bett. Befragt waren 144 676 ermerbs: tätige Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren im Frühjahr 1927.

Diese Aufzählung fönnte noch längere Zeit fo fortgesetzt werden. Aber will jemand noch mehr beweisen, hat noch jemand den Mut. über sein gutes Herz für die Jugend zu reden, ohne nun auch fofort zu guten Taten zu schreiten? Die Arbeitgeber haben sich in startem Maße an der Ausstellung beteiligt und haben sich bemüht, ihre Fürsorge für die Jugend zu zeigen. Sie haben sich so start vor gedrängt, haben ein so buntes Material zusammengebracht, daß in manchen Kreisen ein starter Unwille darüber herrschte, und gewiß nicht mit Unrecht, denn man merkte die Absicht und wurde ver­ftimmt". Die Arbeitgeber wollten bei den Besuchern den Eindruck fchaffen, als ob alles Mögliche geschehe, um den jugendlichen Ar­beitern das Leben so angenehm wie möglich zu machen, und daß mehr Fürsorge eigentlich nicht gut angängig fel.

Man braucht die Leistungen einzelner Großbetriebe, die aller dings aus gar nicht so uneigennüßigen Motiven entspringen, nicht zu unterschätzen, aber was ändert das an den jederzeit nachfontrollier baren Ergebnissen der statistischen Erhebungen des Reichsausschusses der deutschen   Jugendverbände? Gar nichts. Stimmungsmache ist gegenüber den Elendszahlen nicht mehr am Plate. Jegt muß Farbe

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Die Altersstatistik der Parteimitglieder( Jahrbuch 1926, S. 24: etwa 72 Pro3. im Alter von 35 Jahren aufwärts, gegen etwa 28 Proz. im Alter unter 35 Jahren) macht zur zwingenden Not­wendigkeit, den Ursachen dieser durchaus ungünstigen Tatsache nach zuforschen. Es genügt nicht, zu tonstatteren, daß die Jugend natur gemäß bel den radikalen Flügelparteien stehen muß, deren illusions reiche und effektvolle Bolitif jugendlicher Haltung mehr entspricht als die auf eine Summe fleinerer, dafür stetiger Erfolge abztelende Bolitit unserer Partei. Es ist bequem, jebcch nicht zweckmäßig, fich der Hoffnung zu überlassen, die Jugend wird gewissermaßen automatisch den Weg zur Partei finden, wenn sie in die ver­nünftigen Jahre" gekommen ist.

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Neben der intensiven Unterstützung der Arbeiterjugend muß daher in den Kreisen der Zwanzig bis Dreißigjährigen, die nicht durch die Arbeiterjugend gegangen find, geworben werden. Eine sehr wesentliche Ursache für den Mangel an jugendlichen Mitglie­dern liegt in der Art, dte von vielen älteren Parteigenoffen in der Behandlung Jugendlicher für pädagogisch gehalten wird. Ein Beis spiel, das in der Peripherie variationsfähig ist, ohne sich im Kern zu ändern: in einer Mitgliederversammlung oder in einem Zahl abend äußert ein jugendlicher Genoffe feine Meinung. Er ist tempe­ramentvoll, leidenschaftlich, unbewandert in den Gängen einer nach der Lattik ausgerichteten Redekunst. Wehe ihm, wenn er neben diesen Untugenden" noch das Pech hat, seine Ueberzeugung in einer radikal flingenden Form aussprechen zu müssen. Sofort wird das Ungeheuer Erfahrung", deren recht bedingter Wert meist über­Schäßt wird, gegen ihn losgelassen. Werde erst so alt wie wir! Als wir jung waren, haben wir auch so geredet!" das sind noch die höflichsten Argumente, die ihm um die Ohren fliegen. Zwar wird vor dem jugendlichen Elan, den die Partei braucht", eine Berbeugung gemacht, aber nicht ohne eindeutig und massiv zu offen­baren, daß der tatsachenfremde Jugendidealismus das Pubertäts­stadium des Politikers und Funktionärs ift. Hat sich der Jugend­liche nicht Heinrich Heines   Bekenntnis Damals war ich jung und töricht; jezt bin ich alt und töricht" zur Abstand schaffenden Marime erwählt, wird er allemal als der Erschoffene auf dem Zahlabend­schlachtfeld liegen. Das erscheint mir die verkehrteste Art der Wer­bung unter Jugendlichen.

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Die natürlichen Grenzen, die in der Politik unserer Partei dem hemmungsfreien Jugendidealismus gezogen sind, verpflichten unsere älteren Genossen zur absoluten Toleranz. Mag ein Jugendlicher offenbaren Unsinn reden für ihn wird es immer sein ehrliches Bekenntnis sein, die älteren Genoffen haber die Pflicht, thre Argumente so zu wählen, wie sie in der Debatte mit gleichaltrigen Genoffen gebraucht werden. Nur durch eine streng fachliche Arqu mentation, die den Jugendlichen als voll debattefähig gelten läßt, wird die jugendliche Mitarbeit der Partel gewonnen und erhalten werden können.

Damit ist nicht gesagt, daß der politische Umgang mit Jugend­lichen Glacéhandschuhe erfordert. Eine solche Schlußfolgerung würde nur beweisen, daß man in der Pädagogit nicht außerhalb der Extreme denken kann.

Wir tennen nicht den Kampf der Jungen gegen die Alten, menn wir auch ehrlich genug sind, einzusehen, daß jeder Generation in der Partei auf dem Wege zum gemeinsamen Ziel eine andere Etappe vorgezeichnet ist. Wir huldigen auch nicht der Phrase: Wer die Jugend hat, hat die Zukunft". Aber wir glauben, daß die Schlagkraft der Partei in den nächsten Jahrzehnten entscheidend davon beeinflußt wird, inwieweit das Recht der Jungen auf Achtung und Duldung ihrer Ueberzeugungen und auf verantwortliche Mit­arbeit anerkannt und verwirklicht wird.