Nr. 135.
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Sonntag, den 14. November 1875.
Neuer
5. Jahrgang.
34
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Inhalt.
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Defterreich. Spanien . Die Germania ". Das„ gerettete" Barmbeck. - Ein Krach nach Schulze- Delitzsch .
Die dänische Arbeiterbewegung. Innere Parteiangelegenheiten. Korrespondenzen: Berlin . Frankfurt a. d. D.- Frankfurt a. M. Eutin. Riel. Osnabrück . Didendorf. Offen
aach.
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Altona . Friedrichsberg. Magdeburg . Vermischtes. Fenilleton: Ueber die Kost in den öffentlichen Anstalten.( Forts.)
Rechtshülfe oder Rechtshülflosigkeit?
Die neuere Gesetzgebung hat die Zünfte der Handwerker beseitigt und die Gewerbefreiheit eingeführt, aber für jene Erwerbszweige, aus welchen sich die Gesetzgeber selbst vorzüglich rekrutiren, haben dieselben wohlweislich die Fleischtöpfe des Zunftwesens beibehalten, und so be= sigen wir denn thatsächlich noch heute eine Advokatenzunft und eine Zunft der Aerzte im vollsten Sinne des Wortes. Sicherlich wäre gegen diesen mittelalterlichen Bau schon längst erfolgreich Sturm gelaufen worden, wenn nicht, Dank ihrer bevorzugten Stellung in der Gesellschaft, Juriften und Aerzte die Wortführer der Bourgeois- Parteien wären, deshalb in ganz unverhältnismäßiger Anzahl in die gefeßgebenden Körperschaften gelangten und dort in schönster Weise ihre Geschäftsinteressen vertheidigen könnten.
Was wir, dank diesem Zustande, den beiden Gelehrten Zünften für Riesenzöpfe verdanken, wie das Volk unter ihren beschränkten Kastenvorurtheilen, welche mit der Macht des Privilegiums sich geltend machen, leidet, hat wohl ein jeder unserer Leser schon einmal persönlich erfahren. Das Wort Impfzwang allein genügt schon, um das unfehlbare Medizinpfaffenthum in genügender Weise zu charakterisiren. Aber nicht mit diesem wollen wir uns heute befaffen, sondern mit der Advokatenzunft und ihren Vorrechten, um so mehr, als die Gesezesvorlage über die Prozeßordnung diesen Mißstand im Reichstage zur Sprache bringen wird.
Es giebt nichts, was einem gesunden Rechtszustande mehr widerspricht und was außerdem in der Kulturentwickelung des deutschen Volkes weniger begründet ist, als das Advokatenwesen.
Die erste Anforderung an das Gesetz ist nämlich, daß es für Jedermann verständlich sein muß, denn sobald es einer künstlichen Auslegung bedarf, um im Einzelfalle angewandt zu werden, so wissen von hundert Staatsbürgern neunundneunzig nicht was recht ist, sie verstoßen also ohne wirklich böswillige Absicht gegen das Gesetz und erleiden somit bei Bergehen Strafe respektive im Civilprozeß Verluste. Man wende uns daher nicht ein, daß es einen besonderen Stand Rechtskundiger geben müsse, sondern man lege Hand an die Wurzel des Uebels, schaffe flare Gesetze und gute Volksbildung und Jedermann wird befähigt sein, seine Handlungen, schon bevor er sie begeht, rechtlich z würdigen, nöthigenfalls aber sein eigener Anwalt zu sein.
Und so war es seit Alters her in Deutschland , bis zur Einführung des römischen Rechts. In diesem allein ist die Advokatur begründet, denn weil in Rom der Provinziale, der Schutzbürger, thatsächlich rechtlos war, so mußte er sich einen mächtigen Bürger der Stadt als Schüßer zur Durchführung seiner Prozesse annehmen und ihm Tribut zahlen. Seit das römische Recht am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts die einfache altdeutsche Gemeindegerichtsbarkeit verdrängte und manche freie Landgemeinde nun durch Advokatenkniffe in die Leibeigenschaft gebracht wurde, hat die unglückliche Rechtsunkunde der Volksmasse und das Monopol der Rechtsgelehrtenzunft fortgedauert bis zur Gegenwart. Und noch jetzt wird mit äußerster Heftigkeit dafür geftritten.
Einen interessanten Beleg hierfür liefert uns ein Vorfall aus Berlin , über welchen der Betroffene uns berichtet hat. Eines der Vorrechte der Advokaten ist, daß die Nichtigkeitsbeschwerden, welche in letzter Instanz im Prozeßverfahren eingebracht werden, von einem Rechtsanwalt verfaßt oder legalisirt sein müssen. Dem uns vorliegenden Thatbestande zufolge sollen Berliner Rechtsanwälte sich nun häufig weigern, eine Legalisation zu vollziehen, wodurch natürlich der prozessirende Staatsbürger in die größten Mißhelligkeiten geräth. Der Beschwerdeweg gegen dieses Thun ist aber vergebens bis zum Justizminister verfolgt
worden.
Nachstehend wollen wir die gewechselten Aftenstücke unseren Lesern mittheilen. Der Beschwerdeführer wandte sich mit folgender Eingabe zunächst an das Kammergericht in Berlin :
An
das Königliche Kammergericht
hier.
In der bei dem Königlichen Kammergericht in II. Instanz
schwebenden summarischen Prozeßsache... hatte ich am 25. d. den hiesigen Justizrath R. ersuchen lassen, die von mir angefertigte Appellations- Rechtfertigungsschrift gegen Entrichtung der tarmäßigen Gebühren zu legalisiren.
Nachdem die Noten einen Tag bei ihm gelegen, ließ er mir durch seinen Bureauchef sagen, er lehne die Legalisation ab, weil er feine Zeit habe.
Hierauf stellte ich am 26. d. Mts. an den Justizrath W. dasselbe Ansuchen, dieser lehnte jedoch ebenfalls ab mit dem Bemerken, er könne den Schriftsag nicht legalisiren.
Durch diese ganz unmotivirten Ablehnungen fühle ich mich beschwert.
Die Rechtsanwälte haben das Privilegium, Schriftsäße zu legalisiren, das bezügliche Publikum ist also genöthigt, sich dieserhalb an die Anwälte zu wenden. Dieses Vorrecht schließt Dieses Vorrecht schließt selbstverständlich( abgesehen von speziellen, dies anordnenden Beftimmungen) die Pflicht zur Legalisation auf Ansuchen des stimmungen) die Pflicht zur Legalisation auf Ansuchen des Publikums in sich. Dieser Pflicht dürfen sich die Anwälte ohne bestimmte legale Gründe nicht entziehen. Legtere liegen in concreto nicht vor. R. hat später vielfache Mandate entgegenge= nommen und thut dies noch jeßt, die Ausrede, er habe keine Zeit, ist also nicht stichhaltig. Der Sinn des Ablehnungsgrundes des W. ist mir dunkel.
selbst zu fertigen, dieses Recht wird aber illusorisch, wenn die Ich bin offenbar berechtigt, meine eigenen Prozeßschriften dazu verpflichteten Anwälte sich weigern, diese Schriftstücke zu legalisiren.
Ich bitte ganz gehorsamst, den gedachten beiden Anwälten unter Androhung von Disziplinarstrafen aufzugeben, sich der Legalisation der ihnen von mir vorzulegenden Schriftfäße, in specie der von mir Eingangs bezeichneten Schrift, falls gesetzliche Bedenken nicht entgegenstehen, zu unterziehen.
Da die Frist zur Einreichung des Schriftsaßes in diesen Tagen abläuft und ich eventuell riskire, präcludirt zu werden, so bitte ich um geneigte größtmöglichste Beschleunigung. Berlin , den 31. August 1875.
D. 2.
Der Beschwerdeführer erhielt folgenden abschläglichen Bescheid:
Auf Ihre Beschwerde über die Rechtsanwälte, Justizrath N. und W., sind diese beiden gehört worden. Sie haben beide erklärt, daß sie sich der Sache nicht mehr entsinnen und daß, wenn fie die Legalisirung des von ihnen bezeichneten Schriftstückes abgelehnt haben sollten, sie durch andere dringende Geschäfte daran verhindert gewesen seien. verhindert gewesen seien. Unter Androhung von Disziplinarstrafen kann ein Rechtsanwalt zur Legalisirung eines Schriftsaßes nicht angehalten werden, weil nach§ 33 der Verordnung unterzeichnet, für deren Inhalt ebenso verantwortlich ist, als vom 21. Juli 1846 der Rechtsanwalt, welcher eine Prozeßschrift wenn er die Schrift selbst abgefaßt hätte; er kann deshalb nicht gezwungen werden, eine Schrift zu unterzeichnen, wenn er Bedenken trägt, die Verantwortlichkeit für deren Inhalt wegen ihrer Fassung oder weil es ihm an der genügenden Information fehlt, zu übernehmen. Wenn daher die Herren Justizräthe R. und W. die Legalisirung des denselben von ihnen vorgelegten Schrift: stückes abgelehnt haben, weil sie durch andere dringende Geschäfte verhindert worden, den Schriftsaz einer eingehenden und sorg fältigen Prüfung zu unterziehen, so kann denselben ein Vorwurf fältigen Prüfung zu unterziehen, so kann denselben ein Vorwurf daraus nicht gemacht werden. Noch weniger können dieselben im Allgemeinen angewiesen werden, sich der Legalisation der ihnen von Ihnen vorzulegenden Schriftsäße zu unterziehen, weil es in jedem einzelnen Falle der Beurtheilung des Rechtsanwalts überlassen bleiben muß, ob er die Verantwortlichkeit für den Inhalt eines Schriftfaßes übernehmen kann.
v. Strampff.
artigen Arbeiten unterziehen, falls gefeßliche Bedenken nicht entgegenstehen. Die beiden angegebenen Momente sind aber an und für sich keine Bedenken, in jedem Falle mußten sie eingehend motivirt werden. Die Verantwortlichkeit der Anwalte für eine Legalisation erstreckt sich übrigens nicht auf den thatsächlichen Inhalt, sondern nur auf die äußere Beschaffenheit, auf das rein Formelle und daß keine Beleidigungen oder sonstige Verstöße in dem Schriftstück enthalten sind. Dies Alles ist aber sehr leicht und in etwa 5 bis 10 Minuten zu übersehen.
Thatsächlich befinde ich mich in der Lage, daß zwei Anwälte sich geweigert haben, ein von mir verfaßtes Schriftstück, gegen welches Bedenken nicht vorliegen, zu legalisiren, und ist es flar, daß hier Abhülfe Noth thut.
Ich bitte deshalb, dem Antrage in meiner Beschwerde vom 31. August c. zu deferiren.
Eventuell dürfte es angezeigt erscheinen, die Anwaltstellen hier in Berlin bedeutend zu vermehren oder freie Advokatur einzuführen. Dann würde ein Fall, wie der vorliegende, nicht mehr zur Erörterung kommen.
Hierbei bemerke ich noch Folgendes: Es ist ein offenes Geheimniß, daß unter hiesigen Anwälten eine Abmachung besteht, überhaupt nicht zu legalisiren, wahrscheinlich um das Publikum dadurch zu veranlassen, ihnen die ganzen Mandate zu übertragen, vielleicht aus dem leicht erklärlichen Grunde, weil die Gebühren eines Prozeßmandats erheblich höher sind, als die einer Legalifation.
Diese ganz offenkundige Thatsache bin ich zu erweisen bereit, zunächst durch das diensteidliche Zeugniß der Rechtsanwälte D., L., J. und sodann durch das Zeugniß der Bureauvorsteher der Anwälte hier und noch anderer Personen. Namen werde ich später nennen. später nennen. Diese Verhältnisse erheischen ein energisches Einschreiten Seitens der vorgesetzten Behörde, und gebe ich dem Königlichen Justizministerium das Erforderliche anheim. Berlin , den 13. September 1875.
D. 2.
Der Justizminister antwortete gleichfalls abschläglich,
wie folgt:
Justiz Ministerium.
Berlin , den 30. September 1875. Auf Ihre Vorstellung vom 13. d. Mts. wird Ihnen eröff= net, daß der Justiz Minister die von dem Königlichen Kammergericht unterm 6. d. Mts. erlassene Verfügung, betreffend die Legalisirung von Schriftstücken durch Rechts- Anwälte, nicht zu mißbilligen vermag, sich auch zur Zeit nicht veranlaßt findet, auf den eventuell gestellten Antrag näher einzugehen. Der Justiz Minister.
So weit die vergebliche Beschwerdeführung. Wir fragen, ist dies fragliche Vorrecht der Advokaten nicht geradezu verhängnißvoll für den Staatsbürger? Wie oft ereignet es sich nicht, daß, besonders bei politischen Prozessen in kleinen Städten, der Angeklagte feinen Advokaten als Vertheidiger erlangen kann, wie viel öfter noch fehlen dem Manne aus dem Volke die Geldmittel für die Rechtshülfe". Und trok sonnenklaren Rechtes ist der Staatsbürger dennoch auf die Gnade des Advokaten angewiesen, ob der studirte Herr geruht, den Prozeß anzunehmen oder die Nichtigkeitsbeschwerde zu legalisiren!
Nein,
Ist da„ Rechtshülfe" das richtige Wort? Rechts hülflosigkeit" muß es heißen, so lange nicht ein Jeder für sich selbst durch alle Instanzen hindurch den Prozeß führen und jeden anderen unbescholtenen Staatsbürger zur Vertheidigung heranziehen kann.
Diese„ Rechtshülflosigkeit" und mit ihr die zünfHierauf erging nachstehende Beschwerde an den Justiz- tige Advokatur muß fallen, und sie wird fallen, sobald minister: das Volk sich besser um die Gesetzgebung bekümmert und diese nicht hochgelahrten Herren Doktoren überläßt.
An
das Königliche Justizministerium
hier.
Anbei gestatte ich mir Abschrift meiner Beschwerde vom 31. August c. an das Königliche Kammergericht und des darauf ergangenen Bescheides mit dem Bemerken zu überstreichen, daß ich mich durch denselben nicht beruhigt fühlen kann.
Ich habe nachgewiesen, daß die Justizräthe R. und W. ohne gefeßliche Gründe die Legalisation abgelehnt haben. Mangel an Zeit ist kein Entschuldigungsgrund, denn beide haben noch am selben Tage und später vielfache Mandate angenommen, wie ihre Bureauchefs bezeugen, sie selbst auch diensteidlich nicht leug
nen können.
An Information hat es ihnen auch nicht gefehlt, denn ich hatte ihnen die sämmtlichen Anteriora des Prozesses vollständig übergeben lassen.
Beweis: Zeugniß des Herrn Sch.
Ich hatte ferner beantragt, die 2c. R. und W. anzuhalten, den fraglichen Schriftfat, falls feine gesetzlichen Bedenken entgegenstehen, und solche sind von ihnen nicht geltend gemacht, noch jetzt zu legalisiren, worauf das Königliche Kammergericht zu der Ansicht kommt, daß, wenn ein Anwalt erklärt, durch andere dringendere Geschäfte an der Legalisation behindert zu sein, resp. wenn er die Verantwortlichkeit für den Schriftsatz nicht übernehmen will, er nicht zur Annahme des Auftrages angehalten werden könne.
Diese Ansicht ist nicht stichhaltig. Die Anwälte sind allein berechtigt und verpflichtet, zu legalisiren, sie müssen sich also der
Deutscher Neichstag.
Der Reichstag hat gestern die Kommission für Berathung der Gewerbeordnungs- Vorlage und des Gefeßes über die gegenseitigen Hülfskassen gewählt. Ihre Zusammensetzung giebt feine Hoffnung, daß die berechtigten Forderungen der Arbeiter in Bezug auf die Selbstverwaltung ihres Eigenthums Berücksichtigung finden. Neben verschiedenen Mitgliedern der ultramontanen Partei, die sich nächst uns durch ihre Sprecher in der Freitags= Sitzung am entschiedensten gegen das Gesetz erklärte, siyen die beiden Häupter der nationalliberalen Partei, Bamberger und Oppenheim , Beide heftige Gegner der Arbeiterforderungen darin. Bamberger ist Vorsigender der Kommission, sein Erfaßmann der Buchhändler Dunder, dessen ganzes Bestreben nur auf möglichste Sicherung der sog. Hirsch Duncker'schen Gewerkvereine gerichtet
sein wird. Das zünstlerische Element ist durch den Hamburger Abgeordneten Schmidt, den einzigen Vertreter, den das zünftle= risch gesinnte Handwerk im Reichstage besigt, vertreten; das Fa britantenthum hat in der Person des Fabritbesizers Heyl seiner Zeit ein eifriger Vertheidiger der berüchtigten Kontraktbruchs- Novelle war noch einen besonderen Vertreter erhalten;
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der
er wird unterstützt werden durch die verschiedenen adligen Rittergutsbesitzer und Beamten, die ebenfalls einen Platz in der Kommission gefunden. Auch der sächsische Hofrath Ackermann giebt