Nr. 136.

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werden bei allen Bestämtern, in Berlin bei der Expedition,

sowie bei jedem Spediteur entgegengenommmen.

Mittwoch, den 17. November 1875.

Neuer

Social- Demokrat.

Organ der Socialistischen Arbeiter- Partei Deutschlands .

5. Jahrgang.

Redaction n. Expedition:

Berlin , SO.,

Kaiser Franz- Grenadier- Pl. 8a. 41

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werden pro fünfgespaltene Petits zeile mit 50 Pf. berechnet. Ver= sammlungs- Annoncen die fünfs gespaltene Petitzeile oder deren Raum 20 Pf. Sogenannte Res flame- Anzeigen werden nicht aufgenommen.

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Inhalt.

Allgemeine deutsche Affociationsbuchdruckerei zu Berlin . Wer ist Unruhstifter? Deutscher Reichstag .

Politische Uebersicht: Nachträgliches zum Arnim- Prozeß. Arbeiter- Pensions- Kaffen. Die Strafgeset Aus der Schweiz . Aus Bel

Die Bolkszeitung".

Novelle. Zur Socialistenheze.

gien.

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Norwegen .

Korrespondenzen: Leipzig .

Effen. Kehl. - Berlin .

Sprechsaal.

Vermischtes.

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Karlsruhe .

Gießen.

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Hamburg .

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Soffenheim.- Jhehoe.

großes National- Zuchthaus zu halten das Volk von seinem Versammlungsrecht Gebrauch machen will, dann wird diese Erfüllung der Bürgerpflicht von vorn herein schon als halbe Rebellion betrachtet. Jeder Redner, welcher das Wort ergreift, steht gewissermaßen schon in dem Ver­dachte, ein Verbrechen begehen zu wollen. Wie ein Zuchthäusler nach seiner Entlassung unter Polizeiaufsicht gestellt ist, sich melden und sein Thun und Treiben über­wachen lassen muß, da man ihn zu jeder Schandthat für fähig hält nicht viel beffer ergeht es dem unbescholtenen

Feuilleton: Ueber die Kost in den öffentlichen Anstalten.( Forts.) Ehrenmanne, der vor der Deffentlichkeit die Staatsange­

Allgemeine deutsche Associations- Buchdruckerei zu Berlin .

Wiederholt schon ist in diesem Blatte auf die Allge­meine deutsche Associations- Buchdruckerei und deren Bedeu­tung betreffs Förderung der Arbeiter- Interessen hingewiesen. Dies ist geschehen, um keinen unserer Freunde über die Trag­weite dieser Association im Unklaren zu lassen.

Die Leiter der Druckerei sagten sich, es sei Pflicht ihrer Gesinnungsgenossen, mit ihnen gemeinsam zur festen und dauernden Begründung des Neuen Social- Demokrat" zu handeln. Nachdem alle Bedenken, welche gegen das ursprüng­liche Statut der Druckerei hier und da bestanden, durch die im August stattgehabte außerordentliche General- Versamm lung gehoben worden sind, giebt es jetzt nur eine Parole: Tretet ein in die Allgemeine deutsche Associations- Buch­druckerei, um auch auf der durch sie betretenen Bahn der Arbeiter- Agitation Eure Schuldigkeit zu thun!

Seit Mitte September ist die Druckerei eröffnet; bis jest ist eine Schnellpresse in derselben aufgestellt; die zweite, und zwar eine doppelte, wird Ende d. Mts. gleichfalls in Gang gesezt. Nicht weniger als vier Arbeiterblätter wer­den vom 1. Januar an in der Association gedruckt werden, abgesehen von allen übrigen Aufträgen, welche der Druckerei aus den Kreisen unserer Gesinnungsgenossen und der Ge­werkschaften schon jetzt stetig zugehen.

Das Geschäft ist von vornherein derartig organisirt worden, daß es den Ansprüchen, welche in Berlin an ein solches Unternehmen mit Hinweis auf die fortschreitende Arbeiterbewegung gestellt werden, zweifellos zu genügen ver­mag. Um jedoch den Rahmen der gegebenen Organisation vollkommen auszufüllen, d. h. die Mittel zur lebhaften Be­thätigung der Organisation in die Hand zu nehmen, ist es nöthig, das erforderliche Betriebskapital ohne Zögern durch Gewinnung von Mitgliedern oder durch Unterbrin­gung von Antheilscheinen zu beschaffen. Jeder, der sich seiner Pflichten gegen das von seinen Gesinnungsgenossen begonnene Werk bewußt und sie zu erfüllen im Stande ist, lasse sich daher in die Affociations- Buchdruckerei aufnehmen.

Wir haben dafür gesorgt, daß an hunderten von Orten Gelegenheit ist, die Statuten zu unterzeichnen und die Mo­natsraten auf den Antheilschein zu entrichten. Wer sich direkt aufnehmen lassen will, der wende sich an den Kas firer der Associations- Buchdruckerei, H. Radom, Berlin SO., Kaiser Franz- Grenadier- Platz 8a.

Ein Antheilschein kann erworben werden entweder durch einmalige Zahlung von 30 Mark, burch vierteljährliche Ratenzahlungen von 1 Mark 50 Pf., oder durch halbjähr liche von 3 Mark.

Jeder Antheilschein, deren ein Mitglied zehn Stück er­werben darf, ohne jedoch mehr als eine Stimme in der General- Versammlung zu haben, beträgt 30 Mark. Wir ersuchen unsere Freunde, für die wirksame Verbreitung die­ses Aufrufes nach Kräften einzustehen. Hamburg , 12. November 1875. Der Aufsichtsrath: J. A.:

August Geib, Rödingsmarkt 12. Carl Derossi, Pferdemarkt 37 III.

Wer ist Unruhstifter?

Wenn in einem freien Lande die Staatsbürger über ihre und des Landes Angelegenheiten berathen, so gelten sie nicht nur als Ausüber ihres Rechtes, sondern einer Pflicht. In dem Worte, welches in der Versammlung ge­sprochen wird, erkennt man nicht die Meinungsäußerung eines der Gesetzgebung Fernstehenden, sondern den Wil­len des Volkes, welcher zur Nachachtung den Lenkern des Staates fundgegeben wird. Dadurch, daß das Volk in Versammlungen eine freie Kritik des herrschenden Systems ausübt, ist anerkanntermaßen die einzige Gewährleistung gegeben für gründliche Aufklärung Aller über das Staats­wohl, sowie für Abstellung aller Mißbräuche auf friedlichem und gesetzlichem Wege.

Wenn aber in einem Lande ohne wahrhafte Freiheit und wir stehen nicht an, Deutschland für ein solches

legenheiten behandeln will; es ist ihm verwehrt über den Staat zur Versammlung zu sprechen, sofern nicht behelmt und besäbelt der Wächter des Gesetzes neben ihm thront. Und den Versammlungen mündiger Staatsbürger gegenüber wird nicht die Erwartung gehegt und dem entsprechend Vor­wird nicht die Erwartung gehegt und dem entsprechend Vor­kehrung getroffen, daß sie gewichtige Rathschläge für die Staatsverwaltung aussprechen, sondern die Sicherheitsmaß­regel" zur Auflösung der Versammlung, im Falle einer möglicherweise ungesetzlichen Haltung derselben, ist der maßgebende Gesichtspunkt.

Mit einem Worte, wenn sich Staat und Staatsbürger unter der Herrschaft der Freiheit begegnen, so gilt die Ver: sammlung des Volkes als Rathgeberin, sie wird geachtet und von vorn herein erwartet man von ihr Thaten für das allgemeine Beste, dort, wo die Freiheit aber ge­wichen ist, herrscht die Furcht vor dem Volke vor, das Schlimmste wird gemuthmaßt und auf Rüstung gegen etwa mögliche Gesetzesverstöße läuft alsdann das Dichten und Trachten der hohen Politiker hinaus.

Für welches System sollen wir uns da begeistern? Sollen wir das Volt für vernünftig und rechtlich halten und Freiheit auf's Panier schreiben, oder sollen wir mit dem bekannten Volfsvertreter bei der Menschheit schlummernde bestialische Gelüste vorausseßen und nur auf Zaum und Sporn bedacht nehmen, voll Furcht, daß das Volk, wider den Stachel löckt"? Wahrlich, wenn die Frage nur rich tig gestellt wird, dann bedarf es gar keiner Antwort; denn Freiheit allein wird als Losung aus Aller Mund erschallen.

Nur durch sonderbare diplomatische Spitfindigkeiten und Trugschlüsse tann Knechtschaft der Menschheit befür wortet werden. Lächerlich ist es, im Menschen einen der Kultur und Gemeinschaft gefährlichen Trieb als überwiegend anzunehmen und dieserhalb für Schranken der Volksbe­wegung einzutreten, denn wenn ein solches böses Prinzip im Menschen überwöge, so könnte die Menschheit überhaupt nicht eristiren. Es erübrigt also nur, die Menschheit in Klassen zu theilen und von gutgesinnten und böswilli gen Klaffen zu reden. Und das ist allerdings der Grund, der, billig wie Brombeeren, herhalten muß, so bald die Frei­heit bekämpft wird.

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Der Mensch ist im Allgemeinen gut, die Klasse, resp. die große Volksmasse, ist boshaft so heißt es. Eine Eine herrliche Weltanschauung unserer Spießbürger! Einst, zur Zeit der großen französischen Revolution, sprach ein eingefleischter Aristokrat: Der Bürgerliche ist einzeln ein recht brauchbares Arbeitsthier, in Masse ist er Pöbel", eine reißende Bestie.' Wenn wir nun heut zutage das Urtheil unserer Spießbürger über Arbeiter, socialistische Volksversammlungen, Auflösungen, Verhaftun gen, kurz über alle jene bekannten Vorgänge der Arbeiter­bewegung vernehmen, dann lautet es buchstäblich ebenso. Das persönliche Intereffe, die Feigheit und Denkfaulheit führen unwillkürlich den Philister zu der stupidesten Angst­michelei und Verkeßerung der neuen frischen That des modernen Simson, des Proletariats.

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Mit einem Wort läßt sich dieses Käußchengeschrei zum Verstummen bringen: Jede Vielheit einzelner Menschen trägt den Durchschnitts- Charakter des Einzelnen. Eine Klasse von Verbrechern ist feindlich der Gesammtheit, eine Clique von Gründern" ist gemeingefährlich für den Staat, weil das einzelne Individuum selbst gemeinschäd­lich ist. Aber nie kann die Gesammtheit redlicher, die wahre Volkskraft darstellender. Arbeiter, das ar= beitende Volk, etwas anderes sein, als die wahre Stüße des Gemeinwesens. Die Arbeiterklasse als gefährlich" darzustellen ist ein Hohn auf jede Logik, und damit fallen darzustellen ist ein Hohn auf jede Logik, und damit fallen alle Vorbeugungs- Maßregeln und Sicherheits- Vor­kehrungen gegenüber der freien Bewegung des Volkes in ein Nichts zusammen. Fesseln dem Volke anlegen ist un= logisch und auf die Dauer unnüß.

Wer sich solchen Hirngespinnsten hingiebt, und mancher Philister thut dies, der glaubt, daß er das Staatswohl ge= genüber dem Volkswillen vertheidigen müsse, aber er blickt durch die trübe Brille des Klassenvorurtheils und schreit nach Polizeimaßregeln gegen den Volkswillen und das Staatswohl zugleich, zu Gunsten seines eigenen staats­Staatswohl zugleich, zu Gunsten seines eigenen staats­gefährlichen Sonderinteresses.

So ist denn die Ordnung", welche der Philister angeblich gegen das Volk vertheidigen will, nur unord­nung", und der Schuß dieser Ordnung" führt nur zur Konfusion. Die Unruhstifter", als welche die Volks­redner und das Volk selbst in der trüben Brille erscheinen, sie bezwecken gerade eine gute staatliche Ordnung im wahren Sinne des Wortes!

Wir haben uns bis jetzt enthalten, Beispiele aus dem Leben zu bringen, und nur theoretische Säße entwickelt. Läugnet man ihre Wahrheit aber etwa, dann können wir sie jederzeit durch eine Legion praktischer Beweise erhärten. Hier zum Schluß ein folcher in Betreff der Vorbeu­gungsmittel gegen Mißbrauch des Versammlungsrechte" in Altona :

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Der Parteifreund Vahlteich redet dort in einer Volksversammlung und spricht folgende Worte:

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Die Gründe, welche in den Motiven zur Strafgesetz­Novelle für die sittliche Verrohung eines großen Theils des Volkes angegeben werden, treffen nicht zu. Thatsache aber ist und die Statistik beweist, daß seit den legten Kriegen die Sitte und Moral im Volfe schwer gelitten hat."

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Der überwachende Polizist meint, der Staat sei in Gefahr nicht durch den Krieg, sondern durch den Red= zur Vorbeugung" der Gefahr löst er die Ver= sammlung auf. Mühsam wälzt sich die Masse durch die Thür und auf der Straße kommen im Gedränge einige Verhaftungen vor.

Da schreit die ganze Spießbürgerwelt: Der Staat ist in Gefahr durch die Unruhstifter, die bösen Socia listen! Und in allen Berliner Zeitungen liest man jeßt, daß durch ein Bombardement mit Cigarrenstummeln" welches natürlich erlogen ist die Socialisten zu Altona den Kampf gegen die Ordnung" begonnen hätten.

O sancta simplicitas! D heilige Einfalt, die Du Scheiterhaufen baueft für die Wahrheit!

Giebt es eine schärfere Verurtheilung jenes Systems der Unfreiheit, in welchem die Furcht vor dem Volke die Hauptrolle spielt?

Deutscher Reichstag .

In seinen Sigungen vom 9. und 10. November beschäftigte sich der Reichstag wie wir schon kurz in unserer letzten Num­mer andeuteten mit der Abänderung des Gesetzes vom 23. Mai 1873, welches die Gründung und Verwaltung des Invaliden- Fonds betrifft.

Es ergreift zuerst der Abgeordnete Windhorst das Wort: Ich habe den Invaliden- Fonds bei seiner Gründung als einen politischen und wirthschaftlichen Fehler bezeichnet, die Ereignisse haben bewiesen, wie sehr ich Recht hatte. Heute sage ich), wir werden einen politischen und wirthschaftlichen Fehler begehen, wenn wir ihn fortbestehen lassen. Man muß den Männern, die ihr Leben und ihre Gesundheit für das Vaterland geopfert haben, gerecht werden; aber davon verschieden ist die Frage, ob man die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse der Invaliden zu einem solchen von dem Reiche verwalteten Fonds vereinigen soll. Das Vorhandensein so bedeutender Fonds in den Händen des Staates ist politisch bedenklich, weil dadurch ein Druck nach den verschie=

densten Seiten hin geübt werden kann, welcher auf die freie Entwickelung der Staaten, der Communen, der Einzelnen sehr

nachtheilig einwirken kann. Wie sehr durch das Vorhandensein

eines solchen vollen Geldbeutels die Vorsicht in der Behandlung der Dinge leicht Schaden leiden kann, braucht man Niemandem zu sagen, der weiß, welche Macht der Besitz des Geldes hat und welche Versuchungen das Bewußtsein verursacht, so viel Geld in der Tasche zu besitzen. Auch vom wirthschaftlichen Standpunkte aus soll der Staat nicht derartige Kapitalien aufspeichern, sondern sie in die Hände der Unterthanen legen, von denen solche Fonds vorsichtiger verwaltet werden, als dieser Fonds verwaltet worden ift. Deshalb würde Fortbestehenlassen desselben ein wirthschaft­licher und politischer Fehler sein. Die der Aufhebung entgegen­stehenden Schwierigkeiten sind nur scheinbare.

Abgeordneter Bamberger : Der Geseßentwurf beschäftigt sich mit zwei Dingen, wovon das eine, welches sich auf den Ankauf auswärtiger Papiere und Schatzscheine bezieht, hier nur eine ganz untergeordnete Wichtigkeit zu haben scheint. Denn wenn wir den Termin für die Veräußerung der Prioritäten ver­längern und gestatten, daß gewisse auswärtige Effecten, die im Invaliden- Fonds liegen, für den Festungsbau- Fonds verwendet wird, nämlich fremde Effecten für diesen Invaliden- Fonds zu werden, so wird die ganze Klausel, die uns im§ 2 abverlangt kaufen, vorerst ein ganz todter Buchstabe sein. Wie ist es denn nun, meine Herren, müssen wir diese Prioritäten absolut behal­ten? Sind sie unverkäuflich? Ich bin der Meinung, daß, wenn wir sie zu dem heute notirten Course losschlagen könnten, es vielleicht ganz rathsam wäre, es zu thun, daß wir aber, wenn wir dies versuchen wollten, einen sehr bedeutenden Rückgang dieser Papiere verursachen würden, und daß es eben besser ist, die Sache nicht zu thun. In diesem Punkte sind wir also einig. Ich will foloffale Verluste oder eine folossale Panik von der Sache loszu­damit nicht behaupten, daß es ganz unmöglich sei, sich ohne machen. Es ist sehr wohl möglich, wie auch immer die Verhält nisse im Reiche stehen, fünfzig oder sechszig Millionen Thaler Prioritäten, die in sich solid sind, die, wie ich glaube, immer ihren Zins geben werden, auf irgend eine Weise, durch eine