Mr. 145.

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dreimal wöchentlich,

und zwar

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Mittwoch, den 8. Dezember 1875.

Neuer

Social- Demokrat

Organ der Socialistischen Arbeiter- Partei Deutschlands .

5. Jahrgang.

Redaction u. Expedition: Berlin , SO.,

Kaiser Franz- Grenadier- Pl. 8a.

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Wir machen unsere Leser auf den Pro- hoben werden, wie bisher. Das Malz, das Weizenschrot, spekt für die

Neue Welt"

aufmerksam, welcher unserer heutigen Num­mer als Extra- Beilage beiliegt.

Die Erpedition.

Inhalt.

Die fetten Ochsen des Fürsten von Bismarck . Deutscher Neichstag.

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Politische Uebersicht: Fürst Gortschakoff und Fürst Bismarck . Die Krise und die Berliner Börsenzeitung". Ein neuer Grün­derprozeß in Wien . Ein nettes österreichisches Reichsrathsmitglied. Der Hochverrathsprozeß in Graz gegen Dr. Tauschinski und Ge­noffen. Aus Paris . Holstein. Freisprechungen und Prozesse in Hamburg und Leipzig . Berlin's Einwohnerzahl.

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Korrespondenzen: Berlin . Altona . Brandenburg .

Bielefeld . Reichenbach.

Klein Krogenburg.

Schleswig . Osnabrück .

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Geestendorf. Hannau.

Flensburg . Klein- Steinheim . Groß- Steinheim . Minden . Cottbus . Lüneburg . Duis burg. Cöln. Gotha . Wiesbaden . Sprechfaal.

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Hanau .

Die fetten Ochsen des Fürsten von Bismarck . Je höher die Schlachtsteuer, je fetter die Ochsen, je höher die Biersteuer, je söffiger das Bier das ist eine das ist eine Logik, die man sich schon gefallen lassen und mit der man fich über allen Steuerdruck hinwegtrösten fönnte, wenn sie nicht leider schief wäre. Zwar hat Fürst Bismard in dieser Weise im Reichstage geredet, und die National liberalen haben pflichtschuldigst diesen Ausspruch des all­mächtigen Reichskanzlers mit Beifall" begleitet, so steht es wenigstens im stenograpischen Bericht verzeichnet. Aber so lange die liberale Reichstags- Majorität ihren Herrn und Meister als reichstreues Concilium noch nicht für unfehl­bar erklärt hat, so lange schütteln wir noch ungläubig den Kopf und nehmen das Recht für uns in Anspruch, dem Reichskanzlerwit den deutschen Bauernwiß zum Ver­gleich gegenüber zu stellen.

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Michel, so heißt der schlichte Bauer, welcher uns seine Meinung über Schlacht- und Biersteuer gesagt hat. Michel ist ein guter Deutscher, zahlt seine Steuern redlich und hat 1870/71 mit dem Schießprügel die feuerfesten Geldschränke der Gründer" gegen Turcos und Zuaven beschützt. Michel hat schon manchen Ochsen durchs Stadtthor getrieben, und manches Seidel Bier mit einem herzhaften Fluch über die ,, Dividendenjauche" ausgeleert. Er ist also ,, Sachverständi­ger" so gut wie einer aus dem Volke, und was noch mehr ist, Wähler für den Reichstag , obschon er sich tüchtige Ge­wissensbisse darüber macht, daß er noch 1874 einem Land­rath seine Stimme gegeben hat, weil jener damals so recht volksfreundlich dem Dorfschulzen die Hand drückte. Jegt hat Michel aber, dem Wucherer und Steuer- Erekutoren die Hölle heiß machen, bei sich gelobt, nicht zum zweiten Mal nach dem Schein zu gehen und sich durch einen großen Titel verblüffen zu lassen, sondern selbst zu denken und den Herren in der Leipziger Straße zu Berlin das nächste Mal Jemand hinzuschicken, der Schwielen in der Hand hat und weiß, wie Arbeit im Schweiße des Angesichts schmeckt. Wir treffen also unsern Freund dieser Tage und fragen ihn: Nun Michel, bald wird das Bier besser, Fürst Bis­mard hat gesagt, wenn nur erst die Brausteuer doppelt so hoch ist, dann verlohnt es sich nicht mehr der Mühe, schlech­tes Bier zu brauen."

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Michel kraßt sich hinter'm Ohr und meint: Das ist mir zu hoch. Seitdem die Kaffeesteuer eristirt, giebt es immer mehr Cichorienbrühe zu trinken und die Tabaksteuer hat auch noch nicht dahin geführt, daß ich Havanna - Cigar ren rauche".

Lieber Michel, das verstehst Du nicht, Bismard fennt die Wirkung der indirekten Steuern besser. Als die Mahl­und Schlachtsteuer eristirte, da gab es in Berlin noch wenige Social- Demokraten, aber die größten Ochsen und die dicksten Eisbeine. Bismarck muß das am besten wiffen."

Aber Michel schmunzelt: So weht der Wind? Gewiß, ich habe immer die fettesten Ochsen nach der Stadt hineingetrieben, aber deshalb, weil die Steuer je nach dem tarirten Gewicht erhoben wurde; denn mageres Vieh zu versteuern, verlohnte sich nicht der Mühe, weil Haut, Knochen und sonst unbrauchbare Theile im Verhältniß zum Fleisch bei ihm einen allzu großen Prozentsatz ausmachen. Also Bismarck will gewiß in Zukunft das Bier literweise versteuern lassen und sagt sich, daß alsdann dasselbe um so stärker und theurer gebraut werden wird, weil der Brauer an der Steuer sparen will?"

,, Nein, guter Michel. Die Steuer soll gerade so er­

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der Zucker 2c., mit einem Wort, Alles, was das Bier ge= haltreich macht, wird doppelt so hoch versteuert, wie frü­her. Aber die Zusätze zum Bier, das Glycerin Du weißt, das wird beim Seifenfieden aus Thierfett heraus­geschmort- und die Quassia, die Du beim Krämer als und die Quassia, die Du beim Krämer als Fliegengift kaufst, die sollen gar nicht versteuert werden." Da soll das Donnerwetter dreinschlagen brüllt Michel wenn ich nach Bismarck's Rezept in Zukunft was Anderes zu trinken bekomme als Quassia mit Gly­cerin und sonstige chemische Brühe; die Brauer haben schon jetzt dem Hopfen und Malz tödliche Feindschaft geschworen, hernach aber wird es nichts weiter geben, als Medizin oder echtes Gift. Das wäre ja genau dasselbe, als hätte man zur Zeit der Schlachtsteuer Heu, Klee und Schrot besteuert, womit mir das Vieh mästen, es wäre dann nicht ein einziges Stück Vieh gemästet, sondern nur mage­res Vieh geschlachtet worden! Das kann sich jeder Bauer an den zehn Fingern abzählen."

,, Aber, lieber Michel, die Liberalen haben doch alle Bravo gerufen und die konservativen Herren schmunzelten alle und Jeder schien zu denken: so lange mein Wein­feller vor Rebläufen und meine Austernschüssel vor dem Steuererheber sicher find, so lange läßt sich schon leben. Und gegen Biersteuer und Bierverfälschung ist der am sichersten geschützt, der nur Wein oder nur Wasser trinft. Für uns den Wein, für das Volk das Wasser, denn Schnaps und Bier ist ja doch ein Lurus, und für den Michel ist es bei den schlechten Zeiten am gerathensten, wenn er hübsch fleißig und sparsam ist, mehr und zu nie­derem Lohn arbeitet, als bisher, nota bene, sobald er überhaupt Arbeit findet, und wenn er flares unverfälschtes Wasser trinkt."

Michel antwortete diesmal gar nichts. Aber an den Augen sah man es ihm an, daß er über die schöne Spar­samkeit auf seine Kosten nachdachte, daß er sich im Stillen sagte: Wäret ihr Doktoren, Professoren und Landräthe doch statt im Reichstage dort wo der Pfeffer wächst. Groß waren die Ochsen, die ich eit der Schlachtsteuer nach Berlin hineingetrieben habe, aber noch größere Ochsen waren ich und alle meine deutschen Brüder selbst, die durch ihr dummes Wählen sich selbst den Bierkrug mit dem Wassernapf vertauscht haben."

Michel, schreib Dir diese Gedanken hinter's Ohr. Bergiß sie in Deinem ganzen Leben nicht mehr!

Deutscher Neichstag.

Freitag, den 3. Dezember. Berathung der neuen Strafgesetz- Novelle. Zuerst ergreift der Bundes- Kommissar, Justizminister Dr. Leonhard das Wort und motivirt kurz die Vorlage. Der Gesetzgeber steht nicht über der Zeit, sondern mitten in der Zeit, in welcher er lebt, deshalb muß er sich auch nach den Erscheinungen, welche diese bietet, richten. In ruhiger Zeit wird man leichter geneigt sein, sich neue Ansichten anzueignen; da die Schöpfung des neuen Straf gesetzbuches in eine solche Zeit fiel, find folche neue Ansichten hineingekommen. Seitdem hatten wir große sociale und politische Wirren die Rohheit ist gewachsen, der Sinn für die öffent­liche Drdnung ist verloren gegangen( Oho! links), deshalb muß das Strafgesetzbuch Rücksicht nehmen auf den Wechsel der Zeit und Strafverschärfungen sind einzuführen bei allen derartigen Thatbeständen, auf welchen dieser Wechsel im bösen Sinne ein­gewirkt hat.( Lautlose Stille.)

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Abgeordneter Lasker bemerkt hierauf, daß die liberale Partei nicht auf die hauptsächlichen politischen Strafparagraphen eingehen werde die Trauben sind nämlich sauer, weil jene Paragraphen gelegentlich auch einmal gegen die Liberalen ange­wandt werden können. Redner ist daher dafür, daß nur die übrigen Punkte der Novelle an eine Kommission verwiesen werden.

Nach Laster, welcher ziemlich zwei Stunden gesprochen, er­greift Fürst Bismard das Wort. Er will nur die politischen Gründe vorführen, welche die Regierungen veranlaßten, gewisse Paragraphen in die Strafgesez- Novelle aufzunehmen.. Die juristi­schen Gründe werde er seinen jur. Kollegen im Bundesrathe über­lassen. Nach einigen Bemerkungen, welche das Recht des Reichstages anerkannten, die Vorlage beliebig zu ändern oder abzulehnen, fam die Erklärung, daß er, wie die übrigen Mitglieder des Bundes­raths zu jeder Zeit in der Lage seien, durch Aufgeben ihrer Stel­lungen sich derjenigen Verantwortlichkeit zu entziehen, die sie träfe, wenn geforderte Maßregeln nicht gutgeheißen würden. Für wissenschaftliche Theorien habe er sein Lebelang wenig Nei­gung gehabt, für ihn gelte das politische Bedürfniß. Laster habe eine ganz edle Neigung für Milde und Humanität, die aber feiner Meinung nach von den Opfern der Verbrecher häufig als unpraktisch erkannt werden möchten. Er erklärt sich für einen besseren Schuh, mit anderen Worten, für schärfere Bestrafung des Widerstandes gegen die Polizei und Executivbeamten. Die Fälle solchen Widerstandes haben in den letzten Jahren sich sehr Fälle solchen Widerstandes haben in den letzten Jahren sich sehr vermehrt. Seiner Meinung nach solle das einfache körper­liche Berühren eines Polizeibeamten mit schwerster Strafe geahndet werden. Natürlich findet er auch die Strafbestimmungen gegen Beamte des auswärtigen Amtes, die

im Dienste ein Vergehen begangen haben, ganz in der Ordnung.

Er macht die Annahme dieser Bestimmungen zur Kabinetsfrage. Die auswärtige Politik könnte nicht nach juristischen Theorien gebildet werden. Er kann sich mit der bloßen Disciplinargewalt gegen feine Untergebenen nicht begnügen und sucht dies durch verschiedene Beispiele zu beweisen.

Abg. Dr. v. Schwarze, welcher nach dem Reichskanzler das Wort erhält, bestreitet die Revisionsbedürftigkeit des Straf­gesetzbuches.

Abg. Hänel erklärt sich Namens der Fortschrittspartei mit den Ausführungen Laster's und seinen Anträgen über die ge­schäftliche Behandlung der Vorlage einverstanden. Dagegen wen­det er sich gegen die Ausführungen des Reichskanzlers über die Erhöhung des Strafminimums bei Vergehen gegen die Exekutiv­beamten und macht eine recht billige Opposition.

Die Socialisten wurden wieder mundtodt gemacht. Durch Annahme des Schlusses der Debatte wurde dem Abg. Motteler, welcher sich Namens der social- demokratischen Abgeordneten zum Wort gemeldet, dasselbe abgeschnitten.

Die Anträge Lasker's über die geschäftliche Behandlung der Vorlage fanden fast einstimmige Annahme. Darauf wird die Sigung gegen 25 Uhr geschlossen.

Sigung am Sonnabend, 4. Dezember, Nachm. 1%, Uhr. Zur Berathung steht die Fortsetzung der zweiten Beratung Gesetzes über das Postwesen, Artikel 8. des Gesetz- Entwurfs, betreffend die Abänderung des§ 4 des

Nach demselben soll nach der Regierungs- Vorlage die Post­verwaltung verpflichtet sein, wenn ein Postbeamter im Dienst auf der Bahn verunglückt, der Eisenbahn- Verwaltung den auf Grund des Haftpflichtgesetzes geleisteten Schadenersatz zurück zu erstatten, wenn der Schaden durch die für die Zwecke des Postdienstes ge­troffenen besonderen inneren Einrichtungen der Postwagen oder auch durch solche Anordnungen der Postverwaltung verursacht wird, in Folge deren die Ausübung des Eisenbahn- Postdienstes mit erhöhter Gefahr verbunden.

Die Kommission hat folgende Fassung vorgeschlagen: ,, Falls nicht der Tod oder die Körperverlegung durch ein Verschulden in Ausfübrung der Dienstverrichtungen des Eisenbahn- Betriebs­Unternehmers, seines Bevollmächtigten oder Repräsentanten oder einer der im Eisenbahn - Betrieb verwendeten Personen herbeige­führt worden ist."

Die Debatte selbst bietet nichts Bemerkenswerthes, als daß vom Referenten der Kommission bewiesen wurde, daß der Post­dienst auf den Eisenbahnen ein sehr gefährlicher sei. Ein Antrag des Abgeordneten v. Minnigerode, der der Regierungs- Vorlage ziemlich gleichlautend ist, führt zum Hammelsprung; es stimmen für den Antrag 104, dagegen 128. Ein Antrag des Abgeordne ten v. Kleist wird ebenfalls abgelehnt und schließlich mit schwacher Majorität der Kommissions- Antrag angenommen.

Die andern Artikel der Vorlage werden ohne Diskussion angenommen.

Es werden alsdann ohne weitere Debatte verschiedene Peti­tionen erledigt.

Dritter Punkt der Tagesordnung betrifft den mündlichen Bericht der VII. Abtheilung über die Wahl im 4. Oppelner Wahlkreis.

Referent der Kommission beantragt in Anbetracht der groben gesetzwidrigen Vorkommnisse bei der Wahl nicht eine Anzeige der Kompromittirten bei der Staatsanwaltschaft, sondern direkte Uebergabe an die Gerichte.

( Man wird hieraus ermessen können, wie dort gewirthschaf= tet worden.) Das Haus ist auch hiermit ohne Widerspruch einverstanden. Schluß der Berathung 3 Uhr.

Nächste Sigung Montag 12 Uhr Mittags.

Montag, den 6. Dezember. Reichstags Sigung fand nicht statt.

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( Der Reichstag eingefroren.)

Ueber dem jezigen Reichstags- Gebäude waltet wirklich ein Unstern. Noch ist in der diesmaligen Reichstags- Periode keine Seffion vorüber gegangen, in welcher nicht einzelne Unfälle sich

ereigneten.

In den ersten zwei Sessionen waren zweimal durch herab­fallende Stuckatur- Verzierungen den Reichsboten beinahe die Schädel eingeschlagen.

In der diesmaligen Sigung wurden die Mitglieder am Donnerstag durch das in nächster Nähe des Präsidenten ausge brochene Feuer auseinander gejagt. Die entwickelte Hize zeigte fich deutlich in den am Freitag geflogenen Debatten über die Strafnovelle.

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Als heute nun die Reichsboten um 12 Uhr erschienen, war im Sigungssaal eine sibirische Rälte, troßdem ein weiser Pro­feffor über dem Glasdach Gasflammen zur Erwärmung ange­zündet hatte. Der Sigungsfaal gewährte einen jämmerlichen Anblick, indem sämmtliche ältliche Herren, selbst der so feurige Kleine Lasker , in Pelzröden steckten, Andere sich in die Hände bliesen oder wie Maurer auf dem Bau die Arme zusammen­schlugen. Unter diesen Umständen sah sich der Präsident veran= laßt, nachdem die geschäftlichen Mittheilungen verlesen waren, die Sigung bis zum nächsten Tage auszusetzen. Zähneflapperno trenn­ten sich die Reichsboten mit dem Beschluß, zur nächsten Situng mit äußerlichen und innerlichen Erwärmungsmitteln bewaffnet zu ( DIT erscheinen. Ueber die Ursache dieser Störung verlautet, daß auf Anord­nung des Reichskanzlers, weil dieser fich sehr durch Zugluft belästigt fühlte, das Ventilations- System verändert worden sei

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